Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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3. Kapitel.

Um anderen Tage ging Boguslaw sofort zum Miecznik.

»Pan Miecznik,« begann er, noch an der Schwelle stehend, »ich habe mir gestern vor Ihnen etwas zuschulden kommen lassen; ich gestattete mir im eigenen Hause in Zorn zu geraten. Mea culpa! Um so mehr, als ich einen Mann beleidigt habe, der von jeher den Radziwills sehr ergeben war. Aber wie die Dinge auch stehen, ich hoffe, Sie werden mir angesichts meiner aufrichtigen Reue verzeihen. – Sie, ein alter Freund unseres Hauses, werden doch meine Hand nicht zurückweisen, wenn ich sie Ihnen reiche.«

Der Miecznik antwortete trocken:

»Geben Sie uns unsere Freiheit zurück, und unsere Rechnung ist beglichen.«

»Sie können abreisen, wann Sie wollen, ich halte Sie nicht. Ich bitte Sie nur, hören Sie mich an.«

»Ich bin bereit, Ihnen sogar bis zum Abend zuzuhören.«

»Sie erhalten Ihre Freiheit, obwohl ich nicht sicher bin, daß Sie von ihr Gebrauch machen werden, ob Sie willens sein werden, mein Haus zu verlassen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich in Tauroggen wie zu Hause fühlten! – Hören Sie weiter. – Wissen Sie, warum ich mich der Abreise der Panna Alexandra widersetzte? Weil ich Ihre Absicht erriet, für immer von hier fort zu gehen. Und ich habe Ihre Nichte so lieb gewonnen, daß ich bereit bin, für sie jeden Tagen den Hellespont zu durchschwimmen, wie einst Leander für Hero.«

Der Miecznik brauste auf:

»Und Sie wagen es, mir das zu sagen!«

»Gerade Ihnen kann ich es sagen, mein guter Freund!«

»Fürst, suchen Sie Ihre Befriedigung bei einer Ihrer Hofdamen, aber wagen Sie es nicht, die Tochter eines Schlachtschitzen anzurühren! Sie können sie gefangen halten, – Sie können sie hinter sieben Schlösser legen, aber sie zu entehren, das erdreisten Sie sich nicht!«

»Entehren! nein!« rief der Fürst gedehnt, – »aber ich könnte ihren Onkel, den alten Billewicz, inständig bitten, mir die Hand seiner Nichte zu schenken. Denn ich kann ohne das Mädchen nicht leben!«

Der Miecznik sah sich ganz verblüfft um, strich mit der Hand über sein Gesicht und sagte stotternd:

»Schlafe ich, oder bin ich wach?«

»Sie sind wach, lieber Pan Billewicz. Und um Sie davon zu überzeugen, wiederhole ich Ihnen: Ich, Boguslaw, Fürst Radziwill, Oberstallmeister des Großfürstentums Litauens, bitte Sie, Tomasz Billewicz, den Rosiener Miecznik, um die Hand Ihrer Nichte Panna Alexandra.«

»Erlauben Sie, – lassen Sie mich erst zu mir kommen. – Und der Unterschied unserer Stellung?«

»Kommen Sie doch zur Besinnung. Spreche ich nicht mit dem Pan Billewicz?«

»Fürst, ich weiß, daß der Stammbaum unseres Geschlechtes im alten Rom zu suchen ist, – aber –«

»Aber in Ihrem Geschlechte gab es weder einen Hetman noch einen Kanzler, meinen Sie? – Das ist jedoch Unsinn! Sobald in unserer Republik jeder Schlachtschitz zum Könige gewählt werden kann, verschwindet jeder Unterschied der Stammbäume. Meine Mutter, lieber Pan Miecznik und künftiger Onkel, war eine brandenburgische Prinzessin, – meine Großmutter, eine Fürstin Ostrogska, – aber mein Großvater, Krysztof I., der Großhetman, Kanzler und Wilnaer Wojewod, hatte zur ersten Frau eine Panna Sobek. Seine fürstliche Krone ist ihm deshalb nicht vom Kopfe gestürzt, weil er nur eine Schlachcianka geheiratet hat. – Nun, was meinen Sie, wodurch sind die Billewicz' schlechter als die Sobeks? Wie?«

»Vergelte Ihnen Gott Ihre Großmut! – Mir ist wirklich eine schwere Last von den Schultern genommen. – Aber der Glaubensunterschied?«

»Ein katholischer Pater wird uns trauen, einen anderen will ich selbst nicht.« Hierbei lächelte Boguslaw. »Auch wegen der künftigen Nachkommen will ich nicht streiten, mögen sie Katholiken bleiben. – Kurz, es gibt nichts, was ich Ihrer reizenden Nichte zuliebe nicht opfern würde!«

Des Mieczniks Gesicht strahlte unter einem zufriedenen Lächeln.

»Cha, cha, cha! Das wird ein Gerede in ganz Smudien, geben! Was werden die Licinskis, unsere Feinde, sagen, wenn den Billewicz' so eine Ehre zuteil wird?«

»Ihre Feinde, lieber Pan Miecznik, verjagen wir aus Smudien.«

»Großer Gott, barmherziger Gott! Deine Wege sind unerforschlich; aber wenn du vorher bestimmt hast, daß die Licinskis vor Neid platzen sollen, so möge dein Wille geschehen!«

»Amen!« fügte Boguslaw hinzu. »Wie bin ich Ihnen für Ihre Zustimmung dankbar! Mein ganzes Leben wird nicht hinreichen, um Ihnen meine Schuld abzutragen. – Sie erinnern sich wohl noch, daß ich Ihnen gesagt habe, der schwedische König habe mich zum Vermittler seiner Unterhandlungen mit Jan-Kasimir gewählt? – Und warum bin ich dieser Ehre teilhaftig geworden? – Früher durfte ich Ihnen das nicht verraten, jetzt aber brauche ich keine Geheimnisse mehr vor dem künftigen Verwandten zu haben. – Nur das bitte ich, daß alles unter uns bleibt! – Karl-Gustav besitzt zwei Schwestern; die eine ist mit de la Gardie verheiratet, und die andere will er mir geben. Durch mein Haus will er auf Litauen einwirken. Deshalb zögere ich noch und ergreife keine entschlossenen Maßnahmen.«

»Wie ist denn das?« fragte der Miecznik unruhig.

»Aber mein Täubchen tausche ich um keine Prinzessin ein! Nur darf ich den schwedischen Tiger nicht reizen, und daher bemühe ich mich, die Sache noch möglichst hinzuziehen. Sobald aber der Friedensvertrag unterzeichnet worden ist, – dann wollen wir sehen!«

»Sie werden doch wahrscheinlich nicht unterzeichnen, wenn sie erfahren, daß Sie inzwischen geheiratet haben.«

»Pan Miecznik,« begann der Fürst ernst, »geben Sie mir einen Rat, was ich tun soll. Man macht mir Vorwürfe, daß ich die Interessen der Heimat meinen Wünschen opfere. Gott allein sieht, wie ungerecht diese Beschuldigung ist! Jetzt, wo ich entweder mein Glück oder die Ruhe des Vaterlandes opfern muß, – jetzt frage ich Sie, was soll ich tun?«

Der Miecznik schwieg.

»Überlegen Sie, und sagen Sie, was ich tun soll?«

»Was bleibt Ihnen da zu tun übrig? – Sie werden die Hochzeit verschieben müssen.«

»Nein, das kann ich nicht. Die Zukunft liegt zu ungewiß vor mir. Ich kann krank werden, gestern erst hatte ich einen Anfall, von dem ich mich kaum erholen konnte. Endlich, ich kann sterben und in dem Kampfe mit dem Verräter Sapieha mein Leben lassen.«

»Um Gottes willen, so finden Sie selbst einen Ausweg!«

»Wie soll ich das?« lächelte der Fürst traurig. »Ich wäre selbst zu glücklich, die süßen Fesseln anzulegen!«

»Dann lassen Sie sich, mag kommen, was da will, trauen.«

Boguslaw sprang von seinem Platze auf.

»Beim Evangelium! Sie müßten Kanzler von Litauen sein! Wenn ich drei Nächte und drei Tage darüber nachgedacht hätte, das wäre mir nicht in den Kopf gekommen, was Ihnen in einer Minute klar wurde. Ja, gerade so machen wir es. Sich trauen lassen und dann abwarten! Welch ein Geist in Ihnen steckt! In zwei Tagen muß ich gegen Sapieha ziehen, – daran ist nichts zu ändern. Ich lasse in dieser Zeit schnell einen geheimen Gang zu den Zimmern der Panna durchlegen, und dann frisch auf! Zwei oder drei zuverlässige Leute nehmen wir als Zeugen mit uns, damit alles streng formell gemacht wird. Ich sichere der Panna den Witwenanteil. Vorläufig aber muß alles ganz geheim bleiben. – Mein Lieber, von Herzen danke ich Ihnen! Kommen Sie in meine Arme, und dann zu ihr. – Ich werde auf ihre Antwort warten wie ein Gefangener auf seine Freiheit. – Inzwischen werde ich Sakowicz zu einem Pfarrer senden! Auf Wiedersehen!«

Der Fürst ließ den Miecznik aus seinen Armen und stürzte zum Zimmer hinaus.

»Was ist das?« fragte der Miecznik sich selbst, als sich seine erste Erregung etwas gelegt hatte. »Mir scheint, ich habe da einen Rat gegeben, dessen sich selbst Salomo nicht zu schämen brauchte. Aber ich fühle, die Sache ist nicht ganz geheuer. Alles Geheimnis und wieder Geheimnis.– Andererseits geht es ja doch nicht anders. – Ach, daß der Teufel alle diese Schweden holen möchte! – Wären nicht diese wichtigen Unterhandlungen, so könnten wir eine Hochzeit machen, daß ganz Smudien zusammenliefe. – Jetzt muß der Mann sich zur eigenen Frau hinschleichen wie ein Dieb. Pfui Teufel! Die Licinskis werden nun nicht sobald vor Neid bersten; aber mit Gottes Hilfe werden sie ja dem nicht entgehen.«

Und mit diesen Gedanken ging er zu Alexandra.

Der Fürst pflog zu gleicher Zeit Rat mit seinem Vertrauten Sakowicz.

»Dieser Schlachtschitz hat mich zu Tode gequält. – Sobald er nur das Wort »Onkel« hörte, wurden seine Augen feucht. Warte! Ich werde dich zu einem solchen Onkel machen, wie ich Hunderte in der Welt herumlaufen habe. – Sakowicz, ich schließe die Augen und sehe im Geiste, wie sie mich an der Schwelle ihres Zimmers empfängt. Sakowicz, ich schenke dir mein Gut Prudy zum lebenslänglichen Besitz. – Wann kann Plaska hier sein?«

»Gegen Abend. Ich danke Ihnen für Ihre Schenkung.«

»Ist nicht nötig. – Gegen Abend also? Dann kann er jede Minute eintreffen. – Hast du den Ehekontrakt ausgefertigt?«

»Ja, der ist fertig. – Ich war in Ihrem Namen sehr freigebig, ich habe ihr Birze vermacht.«

Der Fürst trat vor den Spiegel.

»Dieser Fouret, der Schafskopf, hat mir heute die Brauen schief gezogen. – Sieh nur, sind sie schief? Ich werde ihm die Finger abhauen und seinen Affen zu meinem Kammerdiener machen. – Warum der Miecznik solange ausbleibt? Wie gern möchte ich zu ihr! – Hoffentlich gestattet sie mir wenigstens, einen Kuß vor der Hochzeit zu rauben! – Wie schnell es heute dunkel wird! – Ich glaube, da kommt jemand.«

Wirklich, die Tür öffnete sich, und der Miecznik trat, begleitet von Panna Kulwiec, ins Zimmer. Der Fürst ging schnell auf sie zu. Sakowicz stand von seinem Platze auf.

»Darf ich zu Panna Alexandra?« fragte Boguslaw.

Der Miecznik zuckte nur mit den Achseln und senkte die Augen.

»Fürst, meine Nichte sagt, daß der Wille des verstorbenen Oberst Billewicz ihr verbietet, über ihr Schicksal zu verfügen. Aber selbst, wenn sie frei wäre, könnte sie Ihnen nicht ihre Hand reichen, weil sie Euer Durchlaucht nicht liebt.«

»Sakowicz, hörst du?« rief Boguslaw mit drohender Stimme.

»Allerdings kannte auch ich dieses Testament,« fuhr der Miecznik fort, »aber ich legte ihm keine besondere Bedeutung bei.«

»Ich spucke auf alle Eure Schlachtschitzen-Testamente,« brauste der Fürst auf. »Verstanden?«

»Wie, was?« erhitzte sich auch nun seinerseits der Miecznik. »Wie können Sie das wagen?«

Und er ging drohend auf den Fürsten zu. Boguslaw aber versetzte ihm mit aller Kraft einen Stoß vor die Brust. Der Miecznik stöhnte auf und fiel zu Boden. Der Fürst stieß ihn mit dem Fuße zur Seite und lief aus dem Zimmer.

»Jesus, Maria!« schrie Panna Kulwiec.

Sakowicz ergriff sie bei den Schultern und näherte ihrer Brust einen Dolch.

»Still, Täubchen, still! Sonst schneide ich dir die Gurgel durch wie einem lahmen Huhn. Setze dich ruhig hierher und gehe nicht nach oben. Dort oben geht die Hochzeit deiner Nichte vor sich.«

Aber in den Adern der Panna Kulwiec floß ritterliches Blut, daher erschreckten sie Sakowicz' Worte wenig.

»Halunke, Nichtsnutziger!« schrie sie, »morde mich; sonst werde ich es in der ganzen Republik ausschreien, daß der Miecznik hier ermordet und meine Nichte entehrt worden ist! Ich will auch nicht leben! Töte mich! Zu Hilfe, Leute, kommt und seht!«

Sakowicz schnürte ihr die Gurgel mit seinen eisernen Händen zu.

»Still! Ermorden werde ich dich nicht, – wozu auch sollte ich dem Teufel das schicken, was er früher oder später doch erhält? Damit du aber nicht schreist wie ein Pfau, so werde ich dir deine Korallenlippen mit deinem eigenen Tüchelchen zubinden.«

Mit der Geschicklichkeit eines echten Mordgesellen umhüllte Sakowicz den Kopf Panna Kulwiec' mit einem Tuche, fesselte ihr die Hände und Füße mit einem Gürtel, warf sie auf einen Diwan und setzte sich in ungezwungener Stellung neben sie.

»Nun, wie fühlen Sie sich? Ich glaube, daß auch Boguslaw mit der oben ebenso leicht fertig geworden –«

Er kam nicht zu Ende. Die Tür wurde hastig aufgerissen, und auf der Schwelle zeigte sich Panna Alexandra.

Ihr Gesicht war bleich wie Linnen, ihr Haar zerzaust, ihre Augen brannten. Als sie des am Fußboden liegenden Miecznik' gewahr wurde, bückte sie sich nieder und befühlte ihm Herz und Kopf.

Der Miecznik atmete auf, öffnete die Augen und kroch mit Hilfe des Mädchens bis zum nächsten Sessel.

Dann erst bemerkte Alexandra die Anwesenheit ihrer Tante.

»Sie haben sie getötet?« fragte sie Sakowicz.

»Behüte Gott!«

»Ich befehle Ihnen, ihr die Fesseln zu lösen!«

In Alexandras Stimme lag ein so gebieterischer Ton, daß Sakowicz sich sofort an die Befreiung der ohnmächtigen Panna Kulwiec machte.

»Und jetzt,« sagte die Panna, »gehen Sie zu Ihrem Herrn. Er liegt da oben.«

»Was ist mit ihm?« rief Sakowicz. »Sie werden dafür zur Verantwortung gezogen werden!«

»Nicht von dir, Knecht! Hinaus, marsch!«

Sakowicz rannte wie besessen nach oben.


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