Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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15. Kapitel.

Nach all diesen Fehlschlägen mußte Müller schließlich seinen Offizieren nachgeben und in Unterhandlungen mit dem Kloster eintreten. Er sandte einen polnischen Schlachtschitzen ins Kloster, der durch seine hohe Abstammung und gesellschaftliche Stellung weit bekannt war. Die Jasnogoraer empfingen den Abgesandten freundlich. Sie erwarteten, daß der Pole nur aus Pflichtgefühl die Übergabe Jasno-Goras fordern werde, und daß er ihnen indirekt die Gerüchte von der Erhebung Groß-Polens, von der Unzufriedenheit der Truppen und von der Bereitwilligkeit des Chan der Krim bestätigen werde, um den Belagerten Mut zum Widerstande zu machen.

Aber ach! der Schlachtschitz überraschte sie mit der Nachricht, daß Jan-Kasimir freiwillig auf die Krone zu Gunsten Karl-Gustavs verzichtet habe, daß jedweder Widerstand gegen den Willen des neuen Königs einfach Rebellion und ein Verbrechen gegen das Vaterland sei.

»Ich erwarte Ihre Antwort, ehrwürdige Väter,« beschloß der vornehme Verräter seine Rede, indem er seinen Blick zu Boden senkte.

Der Prior erhob sich, und mit fester Stimme, die nicht den geringsten Zweifel verriet, begann er:

»Das, was Sie von der Verzichtleistung Jan-Kasimirs erzählen, ist eine Lüge! – In das Herz unseres Unglücklichen Monarchen ist von neuem Hoffnung eingekehrt; zu keiner Zeit hat er so tätig an der Errettung des Vaterlandes gearbeitet wie jetzt. Wenn Sie bei Ihrer Aussage beharren, so gehen Sie, legen Sie Ihre Hand auf das Kruzifix, und wiederholen Sie Ihre Worte.«

Der schwedische Abgesandte erbleichte, dann erhob er sich sogleich, zuckte mit den Achseln und sagte:

»Tun Sie, was Sie wollen; ich aber wasche meine Hände –«

»Genau so sprach Pilatus,« fügte der Prior hinzu.

Der Schlachtschitz stand auf und verließ schnell den Saal.

Bald stellte es sich heraus, daß die Aussaat der schlechten Nachrichten ihre Früchte zeitigte. Das Gerücht von der Abdankung Jan-Kasimirs und der Unmöglichkeit eines weiteren Widerstandes gelangte von der Schlachta zu den Frauen, und von diesen zur Dienerschaft. So verbreitete es sich unter der ganzen Garnison. Wenig betroffen darüber waren die Bauern; die Soldaten hingegen begannen sich zusammen zu rotten und über die Hartnäckigkeit der Mönche zu murren.

Pater Kordecki blieb unbeugsam, obwohl er sich gegen Unterhandlungen nicht sträubte.

Eines Tages erschienen bei Müller zwei Abgesandte aus dem Kloster, Pater Marcell Dobrosz und der gelehrte Pater Sebastian Stawicki. Müller war so erfreut, daß er die beiden fast umarmt hätte. Es handelte sich jetzt nicht mehr um Czenstochau allein, sondern um den ganzen Landesteil. Die Übergabe von Jasno-Gora mußte den Patrioten die letzte Hoffnung rauben und die Republik unbedingt dem schwedischen Könige in die Arme treiben, während ein Widerstand, und noch gar ein erfolgreicher, die ganze Sache ändern und einen neuen fürchterlichen Krieg hervorrufen konnte. Müller war sich dessen wohl bewußt. Er kannte die ganze Verantwortlichkeit seiner Position und begriff, daß ihm entweder die Gunst des Königs und der Marschallstab oder sein endgültiger Sturz bevorstände. Deshalb empfing er die Mönche mit den größten Ehrenbezeugungen wie türkische oder kaiserliche Botschafter. Er lud sie zu einem Mahle ein, auf dem er einen Toast auf den Pater Prior und den Sieradzker Miecznik ausbrachte. Zum Schlusse gab er ihnen Fische für das Kloster und die aufgezeichneten, äußerst nachsichtigen Kapitulationsbedingungen mit, denn der schwedische General zweifelte keinen Augenblick, daß sie vom Kloster angenommen würden. Die Mönche verabschiedeten sich höflichst dankend und gingen mit dem Schreiben von dannen.

Einen Tag darauf kam aus dem Kloster eine andere Mission. Es war Pater Maciej Bleszyuski, der Lektor der Philosophie, und Pater Zarachias Malachowski.

Der General empfing sie in Gegenwart seines ganzen Stabes und der Obersten, erwiderte liebenswürdig die Verneigung des Pater Bleszyuski, der ihm einen versiegelten Brief übergab. Müller erbrach ihn eiligst und begann zu lesen.

Plötzlich stieg Zornesröte in sein Gesicht, das Weiße seiner Augen füllte sich mit Blut.

»Genug!« schrie er mit heiserer Stimme, »legt diese Leute hier hinter Schloß und Riegel! Und Sie, Pan Sadowski, verkünden Sie in meinem Namen, daß, sobald aus dem Kloster ein einziger Schuß fällt, ich diese beiden Mönche aufknüpfen lassen werde!«

Müllers Zorn hatte eine gewisse Berechtigung, sah er doch alle seine Hoffnungen in Staub zerfallen und die Sachlage auf dem alten Flecke.

Pater Kordecki schrieb ihm, daß er sich nur dann von Jan-Kasimir lossagen werde, wenn der Primas einen neuen König verkünde.

Müllers Drohung machte auf die Klosterbewohner einen furchtbaren Eindruck. Die Mönche waren zu Tode erschrocken, die Soldaten aufs äußerste empört. Die Kanonen schwiegen. Der zusammengerufene Rat wußte nicht, was zu tun war. Die Abgesandten wollte man nicht in den Händen des Feindes lassen; neue Boten hinschicken konnte man auch nicht, da man annehmen mußte, daß der schwedische General auch diese zurückbehalten würde. Übrigens ließ der General einige Stunden später anfragen, was die Mönche zu tun gedächten.

»Bevor man die Väter nicht freigäbe, werde man nicht in Verhandlungen eintreten,« antworteten die Mönche, »denn wie könne man jemandem Glauben schenken, der schlimmer als barbarische Volksstämme das Völkerrecht mit Füßen trete und Abgesandte gefangen nehme!«

Als darauf keine Antwort erfolgte, zog in die Herzen der Klosterbewohner Besorgnis und Furcht ein. Pater Kordecki aber schrieb an Müller, daß er bereit sei, zum Wohle des Klosters die beiden Patres zu opfern. Möge der General sie nur ruhig hinrichten lassen, man wisse dann jedenfalls, was man von ihm zu erwarten habe.

Inzwischen rückten die schwedischen Soldaten ungehindert mit ihren Schanzen dichter an das Kloster heran. Neue Reihen mit Geschützen wurden aufgestellt, und die Verteidiger mit Spott und Schimpfworten überhäuft.

Kmicic erstickte fast vor Wut; endlich faßte er einen Entschluß. Ein Schuß fiel, und viele Schweden stürzten zu Boden. Wie auf Befehl begannen jetzt sämtliche Geschütze des Klosters zu feuern.

»Was haben Sie getan?« fragte Czarniecki bestürzt Kmicic. »Wissen Sie denn nicht, daß Sie das mit dem Leben bezahlen müssen?«

»Ich weiß wohl, – mir ist alles gleich!«

»Nun, wenn Ihnen alles gleich ist, so zielen Sie wenigstens besser.«

Und Kmicic begann wieder das Geschütz zu richten.

Er ahnte nicht, daß er mit seinem Schusse das Leben der gefangenen Mönche gerettet hatte; denn Müller überzeugte sich durch die Entschlossenheit, daß man im Kloster wirklich zu allem bereit sei.

Am nächsten Tage sandte der General die Mönche ins Kloster zurück, die mit Jubel empfangen wurden. Bald folgte ihnen ein neuer Bote Müllers, der Oberst Kuklinowski, der ein mit den Schweden verbündetes Freiwilligenbanner befehligte.

In diesem Banner dienten die größten Halunken, Männer ohne Ehre und Gewissen: frühere Raubmörder, flüchtige Verbrecher, die dem Arme des Gesetzes entgangen waren, und dergleichen Gesindel. Sie zogen einen Überfall und das Plündern der Reisenden jedwedem ehrlichen Kampfe vor, und ihr Oberst war ihrer durchaus würdig.

Kuklinowskis Gesicht trug den Stempel wahnwitziger Kühnheit und Frechheit. Er gehörte zu denen, in denen durch das vagabundierende Leben des fortwährenden Krieges auch der letzte Funke des Gewissens erloschen war. Vaterlandsliebe, Glaube, Treue, kurz, alles Gute waren für ihn leere Worte. Er kannte nur den Krieg und fand in ihm Vergnügen, Gewinn und Vergessen seiner finsteren Vergangenheit. Dank der Straflosigkeit glaubte Kuklinowski weder an Gerechtigkeit noch an Gottesstrafe; aber er glaubte wie viele seinesgleichen an den Teufel, an Hexerei, Astrologie und Alchemie. Müller, der auch zu den Leuten dieser Art gehörte, schätzte den Oberst sehr hoch.

Kuklinowski, der den Pan Czarniecki schon von früher her kannte, näherte sich dem Turme, wo dieser mit Kmicic stand. Pan Piotr aber schlief gerade, und so mußte Kmicic den Gast nach dem Konferenzsaal geleiten.

Der Gesandte betrachtete Kmicic mit Kennerblick. Das ritterliche Aussehen des Soldaten gefiel ihm sehr.

»Ein Soldat erkennt sofort den echten Soldaten,« sagte er. »Ich glaubte nicht, daß die Pfaffen solche wackeren Offiziere im Dienste hätten. Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?«

Kmicic, dessen Seele von glühendem Hasse erfüllt war gegen jeden Polen, der den Schweden diente, mußte sich beherrschen, um die geheiligte Person des Gesandten nicht zu beleidigen. Er antwortete kühl, aber ruhig:

»Ich heiße Babinicz, war Oberst des litauischen Heeres, jetzt bin ich Freiwilliger im Dienste der heiligen Jungfrau.«

»Ich bin Kuklinowski, gleichfalls Oberst; Sie müssen von mir schon gehört haben. Während des vergangenen Krieges sprach man von diesem Säbel,« er schlug bei diesen Worten an seinen Degen, »nicht allein in der Republik, sondern auch im ganzen Auslande.«

»Ich verneige mich,« entgegnete Kmicic. »Ich habe von Ihnen gehört.«

»So. – Und Sie sind aus Litauen? Auch dort gibt es tapfere Soldaten. Kennen Sie denn nicht einen gewissen Kmicic?«

Diese Frage kam so überraschend, daß Kmicic wie angewurzelt stehen blieb.

»Und warum fragen Sie mich nach ihm?«

»Weil ich ihn liebe, ohne ihn zu kennen. Weil wir beide, ich und er, uns so einander ähneln wie zwei zusammengehörige Stiefel. Zwei rechte Soldaten, ich und Kmicic, bei Gott! Kennen Sie ihn persönlich?«

»Daß dich der Teufel hole!« dachte Kmicic bei sich, aber da er sich an Kuklinowskis Würde erinnerte, antwortete er laut:

»Nein, persönlich kenne ich ihn nicht. – Doch belieben Sie nicht, in den Konferenzsaal zu treten, es sind schon alle dort versammelt.«

Kuklinowski schritt zur Tür, auf der Schwelle jedoch wandte er sich noch einmal um:

»Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie mich auch zurückbegleiten würden,« sprach er zu Kmicic.

»Gut, ich werde Sie hier erwarten,« entgegnete Pan Andreas. Mit unruhigen Schritten begann er auf und ab zu gehen. Eine furchtbare Wut schnürte ihm die Kehle zusammen.

»Pech klebt nicht so an den Kleidern, wie schlechter Leumund an einem Namen!« sprach er zu sich selbst. »Diese verkäufliche Seele, dieser Schurke erlaubt sich, mich seinesgleichen zu nennen, mich in seine Gesellschaft einzureihen! So was muß ich erleben. Alle Spitzbuben halten mich für ihren Genossen, alle ehrwürdigen Leute wenden sich von mir ab! – Na, der soll mich wenigstens nicht so bald vergessen!«

Die Konferenz dauerte lange. Es wurde schon dunkel, und Kmicic wartete noch immer. Endlich erschien Kuklinowski. Pan Andreas konnten seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber aus des Obersten kurzem Atem schloß er, daß die Mission gänzlich gescheitert war.

Kmicic geleitete ihn bis ans Tor.

»Hier will ich mich verabschieden,« sagte er dann, »oder wünschen Sie, daß ich Sie noch weiter begleite?«

»O, ich würde mich sehr darüber freuen. Ich habe Ihnen noch ein paar Worte zu sagen.«

Sie gingen weiter und verschwanden bald in der Dunkelheit. Schließlich blieb Kuklinowski stehen.

»Sie scheinen mir ein gewandter und vernünftiger Kavalier und ein Soldat aus Blut und Knochen zu sein. Warum aber halten Sie sich unter Pfaffen auf und nicht unter Kameraden, Soldaten? – Bei uns ist es außerdem viel lustiger. – Würfelspiel, Wein, Weiber, – verstehen Sie, wie?«

Er drückte Kmicic vertraulich den Arm.

»Dieses Haus,« fuhr er fort, indem er auf das Kloster zeigte, »brennt, und wer ein brennendes Haus nicht verläßt, der ist ein Narr. – Sie fürchten wohl den Namen eines Verräters? – Spucken Sie getrost darauf! – Kommen Sie zu uns; der General wird Sie mit offenen Armen empfangen. – Das eben ist die echte Freiheit des Soldaten, dem zu dienen, dem es ihm gerade beliebt. Zwar beginnt man, sich allerorten gegen die Schweden zu erheben, man spricht, daß der Chan Jan-Kasimir zu Hilfe kommen werde, vorläufig aber sind die Schweden noch die Herren im Lande. Die Schlachta, die Pans und auch die Hetmans schließen sich noch immer uns an. General Müller wartet nur auf die schwere Artillerie, um Jasno-Gora im Sturm zu nehmen. – Nun, wie denken Sie über meinen Vorschlag? Wer steht denn jetzt noch auf Jan-Kasimirs Seite? Allein Sapieha, und der hat alle Hände voll mit Radziwill zu tun!«

»Wie? Was? Sie sagen, daß Sapieha mit Radziwill?«

»Ja, Sapieha hat Radziwill in Podlachien geschlagen und belagert ihn jetzt in Tykocyn. Wir hindern ihn nicht daran.«

»Und warum?«

»Ei nun, der schwedische König will, daß sie sich gegenseitig aufreiben. Radziwills Verhalten war immer verdächtig. – Außerdem liegt er wahrscheinlich im Sterben.«

»Und die Schweden eilen ihm nicht zu Hilfe?«

»Wer soll denn hingehen? – Der König selbst ist in Preußen, er muß den Kurfürsten abfassen. In Groß-Polen tobt der Krieg. Wittemberg ist in Krakau unentbehrlich. Douglas hat mit den Bergvölkern viel zu tun. – Aber lassen wir das. – Was sagen Sie zu meinem Vorschlag? Sie werden diesen Schritt nie bereuen!«

»Sie sprechen so als schwedischer Abgesandter, doch wer kann wissen, was in Ihrem Innern vorgeht? Jetzt gibt es genug Leute, die den Schweden dienen und ihnen trotzdem alles Böse wünschen.«

»Auf Ehre,« sagte Kuklinowski, »ich spreche die Wahrheit, und nicht, weil ich eine Mission der Schweden übernommen habe. Diesseits der Mauern bin ich kein Abgesandter mehr, und wenn Sie wünschen, wiederhole ich Ihnen dasselbe ausdrücklich als Privatmann: Lassen Sie diese garstige Festung doch zum Teufel fahren!«

»Sie sprechen also jetzt zu mir als Privatmann, und ich kann Ihnen als solcher auch antworten?«

»O, ich bitte Sie sogar darum.«

»So hören Sie mich an, Pan Kuklinowski, Sie sind ein Halunke, ein Verräter, ein Schuft! Genügt Ihnen das, oder soll ich Ihnen noch in das Gesicht spucken?«

Kuklinowski zog seinen Säbel; aber Kmicic ergriff seinen Arm mit eiserner Hand, holte mit der anderen weit aus und schlug ihm ein paar mal ins Gesicht, dann drehte er ihn um und versetzte ihm einen Stoß in den Rücken.

»Dies dem Privatmann, nicht dem Abgesandten!« rief er hinterher.

Kuklinowski rollte nach unten wie ein Stein; Pan Andreas aber ging ruhig zum Tore zurück. – –


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