Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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8. Kapitel.

Der Miecznik hatte scharfe Auseinandersetzungen mit Alexandra gehabt, ehe sie einwilligte, auf dem fürstlichen Bankett zu erscheinen. Mit Tränen in den Augen hatte er das mutige, charaktervolle Mädchen anflehen müssen, mit ihm zu gehen. Erst, als er ihr versicherte, daß sein Leben auf dem Spiele stehe, daß alle, auch die friedlichen Nachbarn von Kiejdane kommen müßten, wenn sie nicht den Zorn des Hetmans auf sich heraufbeschwören wollten, erklärte sich Alexandra bereit. – Sie mochte das Leben ihres Onkels nicht aufs Spiel setzen.

In der Tat fuhr am Abend eine große Reihe von Kaleschen in Kiejdane vor. Die benachbarte Schlachta hatte sich fast vollzählig mit den Frauen und Töchtern eingefunden. Natürlich war der größere Teil der Gäste vom Militär, man sah besonders viele ausländische Offiziere, die fast alle dem Fürsten treu geblieben waren.

Radziwill hatte nichts gespart, um das Fest so glänzend wie möglich herzurichten. Er wollte, daß sich das Gerücht von seiner zuversichtlichen Stimmung und der seiner Parteigänger weit im Lande verbreiten sollte. Kaum breitete der Abend seine dunklen Schleier über Kiejdane aus, als Hunderte von Teerfässern auf dem Hofe angezündet wurden. Auf der Straße, die zum Schlosse führte, wurden Kanonen abgeschossen, und den Soldaten war es streng geboten, »Vivat!« zu schreien.

Die in Samt, Atlas und Pelzen geschmückte Menge erfüllte den sogenannten goldenen Saal. Als der Fürst, strahlend von kostbaren Edelsteinen, mit einem freundlichen Lächeln auf seinem krankhaften Gesichte erschien, riefen die Offiziere einmütig:

»Es lebe der Fürst-Hetman! Es lebe der Wilnaer Wojewod!«

Radziwill überflog mit seinen Augen die Reihen der versammelten Gäste; er wollte beobachten, ob sich den Rufen der Offiziere auch andere anschlössen. Tatsächlich riefen mehrere nicht besonders Tapfere mit: »Es lebe der Fürst!« Radziwill verbeugte sich schnell nach allen Seiten und dankte seinen Gästen für die »einmütigen« Wünsche.

»Mit euch, Panowie, wird es mir gelingen, diejenigen in Zucht zu halten, die das Vaterland zugrunde richten wollen. Vergelt's euch Gott, Panowie!« wiederholte er mehrmals, als er im Saale die Runde machte. Er blieb bei jedem Bekannten stehen und sparte nicht mit freundlichen Anreden: »Lieber Nachbar«, »Pan Bruder«. Mehr als ein düster aussehendes Gesicht verklärte sich unter den heißen Strahlen der Gnade des Magnaten.

Der Marschall meldete, daß alles bereit sei, und die Gäste betraten, wie ein Strom dem Fürsten folgend, denselben Saal, in dem vor kurzem die Union mit Schweden verkündet wurde. Der Fürst, der die Tafelordnung vorher bestimmt hatte, hatte Kmicic den Platz zwischen Alexandra und dem Miecznik zugewiesen.

Beiden erzitterte das Herz, als sie nebeneinander standen. Sie fühlten, daß das geringste Zögern die Augen sämtlicher Gäste auf sie richten würde, und nahmen deshalb ergeben ihre Plätze ein. Es war ihnen schwer und bitter zumute. Pan Andreas beschloß, gleichmütig zu bleiben, als wenn neben ihm eine ganz Fremde säße, aber er sah bald ein, daß ihm das nicht möglich war. Beide wußten, daß inmitten dieser großen Anzahl Menschen ihre Gedanken sich begegneten, und dies erschwerte es ihnen, die Ruhe zu wahren. – Alle die alten Gefühle, das Vertrauen, die Achtung waren verschwunden. Zwischen ihnen gab es nichts Gemeinsames als das Bewußtsein der erlittenen Kränkung. Es war zu wenig Zeit erst seit ihrer letzten Begegnung verflossen, als daß auch diese letzte Kette gerissen wäre, damit sie sich freier fühlen konnten.

Kmicic fühlte sich so unbehaglich in ihrer Gegenwart, daß er sich die Lippen vor innerer Erregung blutig biß, und dennoch hätte er um nichts auf der Welt auf den ihm zugewiesenen Platz verzichtet. Mit Inbrunst beobachtete er, ohne es sich merken zu lassen, jede ihrer Bewegungen, und mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschte er auf das Rauschen ihres Kleides, und dies alles schmolz für ihn zu einem quälenden Genuß zusammen.

Nach einigen Minuten bemerkte er, daß auch sie ihn beobachtete. Es gelüstete ihn leidenschaftlich, sie anzusehen. – Da sitzt sie neben ihm mit ihrer klaren Stirn, ihren schönen Augen mit den halbgesenkten, dunklen Wimpern und ihrem blassen Gesicht, das für ihn so unendlich viel Anziehendes besaß. Sein Herz krampfte sich schmerzvoll zusammen. Konnte wirklich in dieser himmlischen Hülle eine unerbittliche Seele wohnen? Er sah noch einmal fragend zu ihr hin.

In diesem Augenblicke blickte Alexandra ihn auch an. Beider Blicke trafen sich; sie senkten äußerst verlegen ihre Augen, als wenn man sie auf irgend ein Verbrechen ertappt hätte.

Auch Panna Alexandra lag mit sich in schwerem Kampfe. Aus alledem, was vorgefallen war, aus Kmicic' Benehmen in Billewicze, aus Zaglobas und Skrzetuskis Worten hatte sie verstanden, daß Kmicic selbst ein Betrogener und keineswegs so schuldig war, daß sie ihn verachten und so schonungslos verurteilen durfte. Hatte er nicht jene braven Leute vom Tode errettet? War er nicht mit stolz erhobenem Haupte in den Tod gegangen, wiewohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre, sich zu retten? Sie, als die Tochter eines tapferen Soldaten, schätzte die Todesverachtung höher als viele anderen Tugenden. Sie achtete aus ganzer Seele den Todesmut und konnte nicht genug die Kühnheit und den Stolz des jungen Ritters bewundern, den Stolz, den er bis zum letzten Atemzuge bewahren würde. – Sie begriff jetzt, daß, wenn er Radziwill diente, er es zweifellos nur tat, weil er seine Sache für die gute hielt. – War es nicht ungerecht, ihn des bewußten Verrates zu beschuldigen? Sie aber war die erste, die ihm diese Beleidigung ins Gesicht geschleudert hatte; sie hatte nicht damit gespart, ihm ihre Verachtung zu zeigen, und selbst angesichts des Todes hatte sie kein verzeihendes Wort für ihn.

»Mache deine Ungerechtigkeit gut!« flüsterte das Herz ihr zu. »Zwischen euch ist alles zu Ende; aber gestehe ihm, daß du ihn ungerecht verurteilt hast.«

Aber ihr Stolz und ihr Eigensinn ließen sie zögern. »Vielleicht liegt dem jungen Ritter gar nichts daran, von dir Genugtuung zu erhalten. Eine helle Röte ergoß sich bei diesem Gedanken über ihr Gesicht.

»Ob ihm was daran liegt oder nicht,« sprach das Gewissen, »du mußt ihm gerecht werden.«

Sie sah Kmicic an, ob nicht Reue auf seinem Gesichte zu bemerken wäre. Von Reue war nichts zu sehen. Dafür aber gewahrte Alexandra, daß das von Schmerz und Qualen entstellte Gesicht Pan Andreas' so bleich war wie nach einem langen Krankenlager. Er tat ihr unsagbar leid. Tränen traten in ihre Augen, und sie beugte sich über den Tisch, um ihre Verwirrung zu verbergen.

Allmählich begann es auf dem Bankett lebhafter zuzugehen. Das Gefühl der Beklommenheit, das zuerst alle Gäste beherrschte, begann zu weichen. Der Met und die starken Weine taten das ihre; eine allgemeine Heiterkeit herrschte im Saale.

Der Fürst erhob sich von seinem Platze.

»Verehrte Anwesende, ich bitte ums Wort!«

»Der Fürst will sprechen!« riefen mehrere Stimmen.

»Ich schlage vor, den ersten Toast auf die Gesundheit Seiner Majestät des schwedischen Königs zu trinken. Karl-Gustav wird uns helfen, das Land von allen Feinden zu befreien, bis überall Ruhe und Frieden eintritt. Ich bitte, liebe Gäste, stehen Sie auf; wir wollen diesen Becher stehend leeren!«

Man erhob sich und trank den Becher aus, aber ohne Enthusiasmus, ohne Vivatrufe.

Als der Fürst ein zweitesmal sein Glas erhob, trank er auf das Wohl seiner teuren Gäste, die sich um ihn versammelt hatten, um ihm ihren Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache zu bekunden.

Laute Rufe: »Wir danken, wir danken von ganzem Herzen! Die Gesundheit des Pan-Fürsten! Er lebe!« folgten diesem Toaste.

Ein etwas angeheiterter Ritter schrie aus Leibeskräften:

»Es lebe Janusz der Erste, der Großfürst von Litauen!«

Radziwill errötete bei diesen Worten wie ein Mädchen unter der Traukrone; als er bemerkte, daß die Anwesenden schwiegen, sagte er:

»Ja, auch das steht in eurer Macht; aber Sie bedenken mich mit dieser Würde viel zu früh, Pan Jurzyc, – viel zu früh!«

»Es lebe Janusz der Erste, der Großfürst von Litauen!« wiederholte mit der Beharrlichkeit eines Trunkenen Pan Jurzyc.

Da erhob sich Pan Szczaniecki, der wegen seines scharfen Säbels und seiner spitzen Zunge weit bekannt war, und rief laut:

»So ist es, ja! Großfürst von Litauen, König von Polen und deutscher Kaiser!«

Für einen Augenblick trat tiefe Stille im Saale ein; dann aber brachen alle in schallendes Gelächter aus. Man lachte laut und ungezwungen und verstummte jäh beim Anblick des fürstlichen Gesichtes.

Radziwill, der seinen unbändigen Zorn kaum zügeln konnte, sagte dumpf:

»Sie machen zu kühne Scherze, Pan Szczaniecki!«

Der Ritter wurde durchaus nicht verlegen.

»Auch jenes Reich ist ein Wahlreich,« erwiderte er ruhig. »Könnten wir Eurer Durchlaucht Größeres wünschen? Wenn Sie als Schlachtschitz polnischer König werden können, so können Sie als Fürst des deutschen Bundes auch zum Kaiser erwählt werden. Das eine zu erreichen, liegt ebenso nahe wie das andere.«

Obgleich sich weiter nichts ereignete, war das Bankett nach diesen Worten gestört. Radziwill konnte nur schwer seine Wut unterdrücken. Er fühlte, daß Szczaniecki ihn in den Augen der versammelten Schlachta herabgesetzt hatte, daß er ihr die Überzeugung, der Fürst könne es ebensowenig zum großfürstlichen Thron wie zur Kaiserwürde bringen, einimpfen wollte. Er bemerkte ferner, daß Szczanieckis Worte bei vielen seiner Offiziere eine eigentümliche Veränderung hervorgerufen hatten. Ganchoff leerte hastig einen Becher nach dem anderen und mied das fürstliche Auge. Kmicic sah zu Boden, als wenn er mit einem schweren Gedanken kämpfte. Radziwill erschrak. Sollte er wirklich auch diesen Offizier, das einzige Bindeglied zwischen den polnischen Regimentern und sich verlieren, so stand es um seine Sache sehr schlecht.

Aber der Fürst irrte in seiner Beobachtung. Pan Andreas war einzig und allein mit Alexandra beschäftigt und der tiefen Kluft, die ihn von ihr trennte.

Plötzlich trat ein neuer Gast in den Saal ein; der Fürst erkannte ihn sogleich und rief ihn zu sich.

»Willkommen, Pan Suchaniec! Sie kommen von meinem Vetter Boguslaw. Gewiß bringen Sie mir Briefe?«

Pan Suchaniec verbeugte sich tief.

»So ist es, Euer Durchlaucht.«

»Geben Sie her! Und nehmen Sie an der Tafel Platz.«

Der Fürst nahm aus Suchaniec' Händen ein Päckchen Briefe und begann eilig die Siegel aufzubrechen, nachdem er sich zuvor bei seinen Gästen entschuldigt hatte.

Kaum hatte Radziwill den ersten Brief gelesen, als sein Gesicht vor Triumpf und Freude erstrahlte.

»Die Sieradzker Wojewodschaft hat sich den Schweden unterworfen und das Protektorat Karl-Gustavs angenommen,« rief er laut. »Und hier die letzte Post! Lauter gute Nachrichten! Jan-Kasimir ist bei Zarnow geschlagen worden. Seine Truppen verlassen ihn. Er selbst zieht sich nach Krakau zurück; die Schweden folgen ihm auf dem Fuße! Mein Vetter schreibt, daß Krakau auch fallen wird!«

»Freuen wir uns, Panowie!« sagte mit eigentümlicher Stimme Pan Szczaniecki.

»Ja, freuen wir uns!« wiederholte der Hetman die Worte Szczanieckis, ohne dessen ironischen Ton zu bemerken.

Die ganze Gestalt des Fürsten atmete Freude; sein Gesicht war in wenigen Augenblicken um vieles jünger geworden; die Augen erstrahlten hell. Mit zitternden Händen erbrach er das Siegel des letzten Schreibens.

»Warschau ist genommen! Es lebe Karl-Gustav!« jubelte er laut auf.

Mit einem Male bemerkte der Fürst, daß alle diese Nachrichten auf die Anwesenden durchaus nicht den gleichen Eindruck machten, wie auf ihn. Alle saßen in Schweigen versunken da; einige runzelten die Brauen; andere verdeckten ihre erschrockenen Gesichter mit den Händen. Selbst die Höflinge des Hetmans wagten es nicht, die Freude des Fürsten zu teilen. Der Fürst bemerkte, daß er unvorsichtig gewesen und beeilte sich, so schnell als möglich den schlechten Eindruck wieder zu verwischen.

»Meine verehrten Gäste,« sagte er, »ich wäre der erste, der mit euch weinen würde, wenn es sich um das Unglück der Republik handelte; aber die Republik wird durch all dies nicht leiden. Sie wechselt nur ihren Herrscher. An Stelle Jan-Kasimirs, der bei keinem Unternehmen Glück hat, wird sie einen großen, vom Glücke begünstigten Herrscher erhalten. Ich sehe schon alle diese schrecklichen Kriege beendet und alle Feinde besiegt.«

»Sie haben recht, Durchlaucht,« fiel Szczaniecki ein. »Genau so haben Radziejowski und Opalinski bei Ujscie gesprochen!« – Geräuschvoll rückte er seinen Stuhl vom Tische und verließ den Saal.

»Bringet die besten Weine, die im Keller sind, herauf!« rief der Fürst laut.

Der Marschall ließ sogleich den Befehl ausführen. Bald wurden viele Fäßchen mit Wein in den Saal gerollt. Die Stimmung der Gäste fing von neuem an sich zu heben; es wurde laut und lärmend in dem Saale, dessen Luft sich von den verschiedenartigen Ausdünstungen schon bedenklich verschlechtert hatte.

»Mir ist schlecht,« wandte sich plötzlich Panna Alexandra an ihren Onkel. In der Tat war ihr Gesicht auffallend bleich und große Schweißtropfen perlten von ihrer Stirne.

Gleichzeitig, wie mit Absicht, hörte man die Worte des Hetmans laut durch den Saal tönen:

»Der ist mein Feind, der seinen Becher nicht bis auf den Grund leert! Heute wollen wir lustig sein, heute bin ich fröhlich!«

»Hörst du?« antwortete der Miecznik Alexandra.

»Onkel, ich kann es nicht mehr hier aushalten, mir ist schlecht!« wiederholte Alexandra mit flehender Stimme.

»So geh allein!«

Die Panna erhob sich vorsichtig, um die Aufmerksamkeit so wenig als möglich auf sich zu lenken. Aber ihre Kräfte verließen sie, sie strauchelte und griff schnell zur Lehne ihres Stuhles.

Da umfaßte ein kräftiger Ritterarm ihre Taille und behütete sie vor dem Hinfallen.

»Ich begleite Sie, Panna,« sagte Pan Andreas.

Und ohne um Erlaubnis zu fragen, trug er Alexandra, die gleich darauf ohnmächtig wurde, aus dem Saale. – –


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