Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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14. Kapitel.

Trotz des Kanonenfeuers unterließen die Schweden es nicht, weitere Friedensverhandlungen anzuknüpfen. Müller schickte den Oberst Kuklinowski ins Kloster, der den Mönchen erklären sollte, daß er den Befehl habe, Czenstochau zu nehmen. Pater Kordecki, dem daran lag, Zeit zu gewinnen, erklärte, daß die Schweden besetzen könnten, was ihnen beliebte, sogar Czenstochau, nur Jasna-Gora müßten sie verschonen, da davon nichts im Befehle stände.

Müller, der begriff, daß er mit Verhandlungen nicht weiter komme, da er es mit erfahrenen Diplomaten zu tun habe, beschloß daher, am folgenden Tage das Bombardement fortzusetzen. Die Schweden hatten in der Nacht neue Schanzen aufgeworfen, und die Jasna-Goraer ihre Mauern besichtigt. Zu ihrer Verwunderung fanden sie dieselben nicht ernstlich beschädigt. Hier und da war der Putz abgefallen und einige Dächer beschädigt, das war alles. Von den Leuten war niemand verwundet worden.

Als der nächste Morgen anbrach, es war ein Sonntag, verkündeten die Kirchenglocken feierlich den Anfang des Gottesdienstes, der ohne jede Störung verlief. Die Schweden erwarteten nämlich bis zum Mittag die Antwort eines zweiten Abgesandten, die jedoch, als sie kam, dasselbe enthielt, wie die dem Oberst Kuklinowski erteilte.

Müller geriet in Wut und befahl, die Kanonade sofort wieder zu eröffnen. Die schwedischen Schanzen waren bald in dunkelblaue Rauchwolken eingehüllt, das Kloster beantwortete den Angriff mit der gleichen Energie. Doch diesmal verursachten die schwedischen Kanonen, die in bessere Positionen gebracht worden waren, größeren Schaden. Mit Pulver gefüllte Bomben, brennende Fackeln, mit Teer getränkte Flachsbündel, alles nur Erdenkliche wurde ins Kloster geschleudert. Wie eine vom langen Fluge ermattete Schar Kraniche sich auf einen Hügel niederläßt, so fielen Schwärme feuriger Abgesandter auf die Kirchtürme und Holzdächer der Gebäude. – Alle, die keinen direkten Anteil an der Schlacht nahmen, waren auf den Klostermauern beschäftigt. Die einen schöpften Wasser aus den Brunnen, die anderen löschten die Brände mit nassen Stücken Segeltuch. Viele Geschosse schlugen durch die Dächer hindurch und fielen in das Innere des Klosters, wo eifrige Hände mit Fässern voll Wasser dem Brande zu wehren suchten. Trotz der übermenschlichen Anstrengungen und der Wachsamkeit war es klar, daß das Kloster früher oder später ein Opfer des Feuers werden mußte. Die von den Mauern geschleuderten Fackeln und brennenden Flachsbündel lagen unten in großen, brennenden Haufen. Die Fensterscheiben sprangen von der Glut, und die Frauen und Kinder erstickten fast vor Rauch und Hitze. Kaum hatten die Verteidiger einen Brand gelöscht, als wieder ein Hagel von Geschossen und brennenden Flachses dieselbe Stelle entzündete. An allen Ecken und Kanten des Klosters flammte es, es schien, als hätte der Himmel eine Flut von Blitzen darauf herniedergesandt. Aber trotzdem es brannte, so verbrannte es doch nicht, trotzdem es krachte, so stürzte es dennoch nicht zusammen. Sogar noch mehr: Inmitten des Feuermeers begann es zu singen, wie die Männer im feurigen Ofen sangen.

Wie gestern erscholl von einem der Türme Gesang und Trompetenklang. Und den Leuten, die bei den Geschützen auf den Mauern standen, denen es schien, als sei alles zu Ende, als löse sich hinter ihren Rücken alles in Brand und Untergang auf, flößten diese Töne von neuem das Gefühl der Sicherheit ein, daß das Kloster noch unversehrt sei, die Kirche noch stehe, und das Feuer nicht imstande sei, die Standhaftigkeit der Mönche zu besiegen.

Selbst auf die Schweden machte dieser Gesang keinen geringen Eindruck. Die Soldaten lauschten, zuerst mit Staunen, dann mit Furcht diesen Klängen. In diesen Hühnerstall hatten sie schon so viel Feuer und Eisen hineingeschleudert, daß jede andere Festung längst dem Erdboden gleich geworden wäre, und diese Mönche sangen noch immer und waren frohen Mutes. Nur Hexerei konnte hier die Hand im Spiele haben.

General Müller aber war anderer Meinung; er befahl die Kanonade zu verstärken.

Sein Befehl wurde zu hastig ausgeführt. Die Kanoniere richteten das Ziel zu hoch, die Geschosse begannen über das Kloster hinwegzufliegen und in die in entgegengesetzter Richtung liegenden Schanzen einzuschlagen, wo sie nicht geringen Schaden verursachten.

Müller stand mit einem Fernrohr in der Hand bei Czenstochau und beobachtete lange Zeit das Bombardement. Die Offiziere, die ihn umgaben, sahen, daß sein Arm immer stärker zu zittern begann. Endlich wandte er sich an seine Umgebung und rief:

»Das Feuer fügt dem Kloster keinen Schaden zu!«

Und ein schrecklicher, sinnloser Zorn erfaßte den alten General. Er warf das Fernrohr mit allen Kräften zu Boden.

»Diese Musik bringt mich von Sinnen!«

In diesem Augenblicke sprengte Ingenieur de Fossis heran.

»General,« sagte er, »es ist unmöglich Minen zu graben. Unter der Erdschicht liegt ein Felsen. Hier sind Bergarbeiter nötig.«

Müller stieß einen Fluch aus, aber kaum hatte er ihn ausgesprochen, als aus Czenstochau ein Offizier kam mit der Meldung, daß das größte Geschütz zerschmettert worden sei.

Der General ging, ohne ein Wort zu erwidern, in sein Quartier. Er beschloß, die Belagerten zu erschöpfen. In der Festung waren kaum zweihundert Mann, er aber konnte seine Soldaten des öfteren ablösen.

Inzwischen wurde es Nacht. Die Kanonen dröhnten unaufhörlich. Aus dem Kloster feuerte man noch energischer als am Tage; die schwedischen Lichter gaben ein gutes Ziel ab.

Diese Nacht kam den Schweden teuer zu stehen. Sie hatten bedeutende Verluste unter der Mannschaft; einige Regimenter gerieten in solche Unordnung, daß sie sich kaum bis zum Morgen wieder formieren konnten. Die Belagerten schossen unaufhörlich, wie um zu zeigen, daß sie des Schlafes und der Ruhe nicht bedurften.

Es war schon heller Tag, als der Prior zu der Stellung Czarnieckis und Kmicic' kam. Kmicic war gerade nicht zu sehen; er kroch die Mauer entlang, um eine von einer Bombe beschädigte Stelle in Augenschein zu nehmen.

»Wo ist Babinicz?« fragte der Prior lebhaft. »Schläft er oder ist ihm irgend etwas zugestoßen?«

»Wie darf man in solch einer Nacht an Schlaf denken?« vernahm man Pan Andreas' Stimme, der gerade mit der Besichtigung fertig war. »Ich habe doch auch ein Gewissen. Alle dienen der heiligen Jungfrau, das will ich auch tun, solange meine Kräfte ausreichen. Den Schweden ging es schlecht in dieser Nacht, hoffentlich werden sie sich am Tage erholen wollen und uns Ruhe gönnen.«

Pan Andreas' Hoffnung erwies sich als falsch. Der Tag brachte die gewünschte Erholung nicht. Im Gegenteil, das Feuer hielt mit derselben Lebhaftigkeit an.

Noch viele solcher Tage waren den Jasnogoraern beschieden. Allmählich gewöhnten sich die Leute an das ewige Dröhnen der Geschütze, besonders, als sie sich überzeugten, daß dem Kloster nur sehr geringer Schaden zugefügt wurde. Kmicic begann dieses ewigen Einerleis überdrüssig zu werden. Er wollte etwas ganz Besonderes ausführen.

Es war Nacht; auf den Schanzen der Schweden war alles still. Die ermüdeten Soldaten schliefen wahrscheinlich bei ihren Kanonen.

Pan Piotr saß auf einer Lafette und schlug die Füße aneinander, um sich zu erwärmen.

»Es ist kalt,« sagte er zu dem herankommenden Kmicic, »und mein Kopf fängt von dem fortwährenden Gedröhne an zu schmerzen.«

»Ja, – schon zwei Tage und zwei Nächte währt dieses Schießen. Heute aber können wir uns ausruhen, dort sind alle fest eingeschlafen. Ein günstiger Augenblick für einen nächtlichen Überfall, – jetzt könnte man dort viel Schaden anrichten; – Geschütze unbrauchbar machen und anderes mehr, denn man ist auf nichts gefaßt.«

Pan Czarniecki sprang auf.

»Die drüben denken, daß wir schon mürbe geworden sind und uns an den Gedanken einer Übergabe gewöhnt haben, und da – bei Gott! eine großartige Idee, ganz eines Ritters würdig! Warum ist mir das nicht schon früher eingefallen? Zuerst müssen wir aber unseren Plan dem Prior melden. Gehen wir gleich zu ihm.«

Und Pan Czarniecki nahm Kmicic unter den Arm.

Eine Stunde später verließ eine größere Anzahl von Leuten das Kloster. Alle waren mit Säbeln, Pistolen und Gewehren bewaffnet; die Bauern hatten Sensen bei sich.

Pan Czarniecki führte die Reihe an, Kmicic beschloß sie. Die Gruppe bewegte sich möglichst leise vorwärts; alle versuchten den Atem zurückzuhalten, wie Wölfe, die sich zum Schafstalle schleichen.

Unten angekommen, hielt Pan Czarniecki an. Er ließ einen Teil der Mannschaft unter dem Befehl des Ungarn Janicz zurück, während er selbst sich mit einigen Leuten nach rechts schlug und in Laufschritt vorwärts eilte.

Er beabsichtigte, eine Verschanzung zu umgehen, die Schlafenden von hinten zu überfallen und sie zum Kloster hin, Janicz' Leuten in die Arme zu treiben. Diesen Plan hatte Kmicic ihm entworfen.

Die Jasnogoraer setzten ihren Weg in tiefstem Schweigen fort. Plötzlich zerriß ein starker Windstoß die Wolken, und der Mond beleuchtete mit mattem Schein die Gegend. Pan Czarniecki sah, daß er sich schon hinter der schwedischen Schanze befand. Ein Wachtposten war nicht zu sehen. Warum auch sollten die Schweden einen solchen aufstellen zwischen ihrer Hauptarmee und den eigenen Verschanzungen?

»Jetzt ganz leise,« flüsterte Czarniecki: »Da sind schon ihre Zelte, in einigen brennt noch Licht. – Paßt auf, daß die Gewehre nicht aneinander schlagen.«

Sie gelangten zu einem Wall, der hinter den Schanzen aufgeworfen war. Hier standen viele Lastwagen, die Pulver und Geschosse vom Hauptlager aus zugefahren hatten.

Bei den Fuhrwerken war auch niemand zu sehen, und die Jasnogoraer schlichen sich mit bereit gehaltenen Waffen bis zu den Eingängen der Zelte, wo sie stehen blieben. Zwei Zelte waren erleuchtet. Pan Andreas wandte sich an Czarniecki:

»Ich gehe zuerst zu denen, die noch nicht schlafen. – Warten Sie, bis ein Schuß von mir fällt, und dann los!« –

Mit diesen Worten schritt er vorwärts.

Er ging auf ein erleuchtetes Zelt zu, hob das Tuch auf und blieb mit der Pistole in der Hand stehen.

Einen Moment lang blendete das helle Licht ihn vollständig. Dann sah er, daß in der Mitte des Zeltes ein Tisch mit einem Leuchter stand, in dem sechs Kerzen brannten. Am Tische saßen drei Offiziere, die aufmerksam mehrere Pläne betrachteten. Als sie Schritte vernahmen, fragte einer von ihnen mit ruhiger Stimme:

»Wer ist da?«

»Ein Soldat,« antwortete Kmicic.

Die beiden anderen Offiziere wandten ihre Köpfe nach dem Eingange des Zeltes zu.

»Was für ein Soldat? Von wo kommt er?« fragte der erste wieder, es war de Fossis, der die Belagerung leitete.

»Aus dem Kloster,« sagte Kmicic mit einer unheilverkündenden Stimme.

De Fossis sprang von seinem Platze auf und beschirmte seine Augen mit der Hand. Kmicic stand aufrecht und unbeweglich wie ein Gespenst; nur der drohende Ausdruck seines Gesichts verkündete eine unabwendbare Gefahr.

De Fossis schoß der Gedanke durch den Kopf, daß er es vielleicht mit einem Flüchtlinge aus dem Kloster zu tun habe, und er fragte:

»Was willst du?«

»Das!« rief Kmicic und schoß ihn mit seiner Pistole durch die Brust. Einen Augenblick später erschallte auf den Schanzen ein schreckliches Geschrei, und eine Salve fiel. De Fossis schlug wie eine vom Blitz getroffene Kiefer hin. Der andere Offizier stürzte mit seinem Säbel auf Kmicic zu, aber er erhielt einen Hieb über den Kopf. Der dritte, der sich aus dem Staube machen wollte, hatte sich auf die Erde geworfen, aber noch bevor er hinausschleichen konnte, nagelte ihn Kmicic mit seinem Säbel auf den Erdboden fest.

Während dessen hub draußen ein furchtbares Gemetzel an. Das wilde Geschrei: »Schlag' zu! Töte!« vermischte sich mit dem Winseln der Verwundeten und den Hilferufen der schwedischen Soldaten. Die meisten wußten in ihrer Bestürzung gar nicht, wohin sie sich wenden sollten. Manche stürzten geradeswegs den Jasnogoraern in die Arme und kamen unter ihren Säbel- und Sensenhieben um, noch bevor sie um »Pardon!« bitten konnten. Andere stachen in der Verwirrung die eigenen Kameraden mit ihren Säbeln nieder, und wieder andere, halb bekleidet und unbewaffnet, standen mit hochgehobenen Armen unbeweglich oder warfen sich zu Boden. Plötzlich jedoch, als es ihnen klar wurde, daß der Überfall nicht vom Kloster, sondern von ihrem Rücken her kam, verloren die Schweden den letzten Rest ihrer Besinnung, Sollten die verbündeten polnischen Truppen sie unter dem Dunkel der Nacht überfallen haben?

Inzwischen drangen die Jasnogoraer zu den Geschützen vor und begannen, sie unbrauchbar zu machen. Der tapfere Oberst Horn bemühte sich, die verwirrten Schweden zu ordnen. Aber nach vergeblichen Bemühungen fiel der Oberst, getroffen von einem Sensenhieb, nieder, und seine Leute zerstreuten sich nach allen Richtungen. Kmicic und Czarniecki verfolgten und vernichteten sie ohne Ausnahme.

Dann ward die Batterie genommen.

Im Hauptlager der Schweden begannen die Trompeter Alarm zu blasen. Plötzlich aber hörte man Kanonendonner. Im Kloster fing man an zu schießen, um der Truppe die Rückkehr zu erleichtern.

Eine halbe Stunde später waren Kmicic und Czarniecki mit allen Leuten bis auf Janicz wieder im Kloster.

Die ganze Nacht hindurch schossen die Kanonen des Klosters unaufhörlich, und die Bestürzung im schwedischen Lager hielt an. Man fand nicht recht heraus, von welcher Seite der Feind gekommen und fürchtete, daß er noch einmal erscheinen werde. Ganze Regimenter irrten in furchtbarer Unordnung bis zum hellen Morgen umher. Und selbst im Hauptlager verließen die Offiziere und die Mannschaften ihre Zelte und warteten unter freiem Himmel das Ende dieser schrecklichen Nacht ab.

Bei Tagesanbruch ritt Müller an der Spitze seines Stabes zu der Stelle des nächtlichen Angriffes. Er wollte mit eigenen Augen den angerichteten Schaden sehen. Überall konnte man die Spuren des Gemetzels gewahren: Zwischen den Zelten lagen haufenweise halbnackte Leichen, deren Züge den Ausdruck eines panischen Schreckens trugen. Augenscheinlich waren sie alle im tiefen Schlafe überrascht worden. Müller ritt weiter zu den Geschützen. Sie standen stumm, unbrauchbar, ihrer vernichtenden Kraft beraubt. Der General betrachtete sie alle, ohne ein Wort zu sagen, und auch die ihn umgebenden Offiziere wagten es nicht, sein Schweigen zu unterbrechen.

Und womit sollten sie auch den alten General trösten, der aus eigener Unvorsichtigkeit geschlagen worden war wie ein Anfänger. Das war nicht nur eine Niederlage, sondern eine Schmach. Hatte er nicht selbst die Jasnogoraer Festung einen Hühnerstall genannt und versprochen, sie mit seinen Fingern zu zermalmen? Standen ihm, dem Soldaten von Beruf, nicht neuntausend Mann zur Verfügung, gegenüber den zweihundert der klösterlichen Besatzung?

Es war für Müller ein unglückseliger Tag, der soeben anbrach.

Die Soldaten huben an, die Leichen fortzutragen, Müller stand unbeweglich, wie in die Erde eingegraben; aber plötzlich fuhr er zusammen und rief mit dumpfer Stimme:

»De Fossis!«

Dann trug man den Oberst Horn an ihm vorüber. Horn war noch am Leben und bei Besinnung. Ein furchtbarer Sensenhieb hatte ihm den Brustkasten zersplittert. Als er Müller und seinen Stab erblickte, lächelte er. Er versuchte etwas zu reden, aber ein Hustenanfall hinderte ihn daran, er verlor die Besinnung.

»Horn! Horn!« stöhnte Müller. »Gestern sah ich ihn im Traume! Es ist eine furchtbare, unbegreifliche Sache!«

Er verfiel tief in Gedanken. Da, mit einem Male, vernahm er die geängstigte Stimme Sadowskis:

»General! General! Sehen Sie! – dort, dort, – das Kloster!«

Müller sah hin und wurde starr vor Erstaunen.

Der Nebel, der bisher die Spitze Jasno-Goras einhüllte, hatte das Kloster den Blicken aller entzogen, während jetzt das Kloster mit seinen Türmen sich hoch über dem Nebel erhob, als wenn es sich von seinem Fundamente losgerissen hätte und über der Erde schwebte.

»Das Kloster! Wahrhaftig, es fliegt nach oben! nach oben!« schrien die Soldaten.

Tatsächlich begann der Nebel, der den Felsen umgab, sich wie eine gewaltige Säule zu verziehen und wie auf dem Gipfel dieser Säule thronend hob sich das Kloster höher und höher, bis zu den Wolken und verschwand endlich vollkommen.

Müller wandte sich an seine Offiziere.

»Ich gestehe,« sagte er, »eine ähnliche Erscheinung habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Das alles widerspricht völlig den Naturgesetzen und kann nur auf Zauberei der Papisten beruhen.«

»Ich hörte,« begann Sadowski, »wie mehrere Soldaten sich unterhielten: »Wie kann man so eine Festung bombardieren?« – Und, bei Gott! ich weiß es selbst nicht, wie! – Denn, ehrlich gesprochen, so haben wir bis jetzt nur Mißerfolge zu verzeichnen. Die heutige Nacht hat uns unersetzliche Verluste gebracht. Auch die Soldaten verlieren schon den Mut und beginnen alles recht unwillig zu tun. Der Sache muß irgendwie ein Ende gemacht werden. Meiner Meinung nach sollten wir wieder Verhandlungen anknüpfen!«

»Und wenn die Unterhandlungen zu nichts führen, so würden Sie wohl raten, die Belagerung einzustellen?« fragte Müller finster.

Die Offiziere schwiegen.

»Exzellenz wissen besser, was dann zu tun ist,« antwortete nach einer kleinen Pause Sadowski.

»Das weiß ich,« sagte Müller stolz. »Aber eins sage ich: Ich verfluche den Tag und die Stunde, wo ich hierher kam, und auch die Ratgeber,« hier warf er einen Blick auf Wrzeszczowicz, »die mich dazu reizten, die Belagerung zu beginnen. Aber nach alle dem, was geschehen ist, trete ich nicht den Rückzug an, ehe ich nicht diese verdammte Festung in einen Haufen Trümmer verwandelt habe; – es sei denn, ich gehe selbst zugrunde!«

Müller wandte seinen Gaul um und ritt nach Czenstochau zu. Jedoch bevor er sein Quartier erreicht hatte, sprengte ein Offizier zu ihm heran und übergab ihm einen Brief. Der General las ihn, und sein Gesicht verfinsterte sich. –

»Aus Posen,« sprach er, »schlimme Nachrichten! – In Groß-Polen hat sich die Schlachta erhoben, und das Volk schließt sich ihr an. An der Spitze dieser Bewegung steht Christoph Zegocki, der Czenstochau zu Hilfe eilen will.«

»Ich habe es vorausgesagt, daß die Schüsse, die hier fallen, von den Karpaten bis zum Baltischen Meer einen Widerhall hervorrufen werden,« brummte Sadowski. »Dieses Volk ändert schnell seine Stimmungen; Sie kennen die Polen nicht, Sie werden sie erst kennen lernen.«

»Gut, so werde ich sie kennen lernen!« rief Müller aus. »Ich ziehe einen offenen Feind einem schlechten Verbündeten vor. – Sie haben sich selbst unterworfen, und jetzt rebellieren sie. – Gut, so werden sie unsere Waffen zu kosten kriegen.«

»Und wir die ihren,« entgegnete Sadowski. »General, lassen Sie uns Unterhandlungen mit Czenstochau anknüpfen, machen wir denen da soviel wie möglich Konzessionen. Hier handelt es sich nicht um die Festung, sondern um die Herrschaft Seiner Majestät in diesem Landesteile.« »Die Mönche werden sich unterwerfen,« beharrte Müller. »Wenn nicht heute, so werden sie sich morgen unterwerfen!«

Im Kloster aber herrschte zu dieser Zeit große Freude. Die Frauen drängten sich um Pan Czarniecki und überschütteten ihn mit ihrem Segen; sie küßten ihm fortwährend die Hände. Er aber wies auf Kmicic.

»Danket nur ihm! Seine Hände wird er zwar nicht küssen lassen; denn sie sind mit Feindesblut besudelt. Wer ihm aber einen Kuß auf den Mund geben will, den wird unser Held nicht abweisen.«

Aber Pan Andreas' Gedanken waren weit in der Ferne. Er dachte an Alexandra.

»Ach, meine Ärmste,« seufzte er bei sich, »wenn du nur wüßtest, daß ich jetzt im Dienste der heiligen Jungfrau stehe und diejenigen vernichte, denen ich zu meinem großen Schmerze einstmals gedient habe.«

Und Pan Andreas beschloß, ihr nach der Belagerung einen Brief durch Soroka zu senden.

»Möge sie wissen, daß ich einen Teil meiner Sünden schon gut gemacht habe, möge ihr das zum Troste gereichen!«

Diese Hoffnung beschäftigte ihn so, daß er nicht hörte, was die Bewohnerinnen von Jasno-Gora von ihm sprachen:

»Wahrhaftig, ein tapferer Ritter, das muß man ihm lassen; aber er will von nichts anderem als vom Kriege was wissen!« – –


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