Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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4. Kapitel.

Wie verabredet, so geschah es auch.

Zwei Tage nach dem Aufbruche der Dragoner machte sich Jan-Kasimir mit seiner kleinen Eskorte auf den Weg. Die kleine Reitergruppe lenkte nirgend eine besondere Aufmerksamkeit auf sich; denn die Gedanken aller beschäftigten sich mit den kurz vorher vorübergekommenen Dragonern, unter denen sich nach allgemeiner Annahme der König befand. So ging die Reise des Königs, den mehrere Würdenträger, Bischöfe und der Nuntius selbst begleiteten, bis Oderberg ohne jede Gefährdung von statten. Von nun an durchritt der Zug das Gebiet Morawiens.

Der König war heiter und voll rosigster Hoffnungen. Nicht wenig trug dazu ein Ereignis bei, das von allen günstig ausgelegt und von zeitgenössischen Geschichtsschreibern besonders vermerkt wurden. Als Jan-Kasimir nämlich aus Glogau herausritt, erschien ein unbekannter, weißer Vogel, der über dem Haupte des Königs zu kreisen begann und die Luft mit Freudengeschrei erfüllte. Man erinnerte sich mit einem Male, daß ein gleichartiger, aber schwarzer Vogel über des Königs Haupte schwebte, als er aus Warschau aufbrach, um gegen die Schweden zu ziehen.

Überall erwies es sich,, daß Kmicic' Rat ein sehr guter war. In Morawien sprach man nur von dem unlängst erfolgten Durchritt des polnischen Königs. Mache behaupteten sogar, ihn mit eigenen Augen gesehen zu haben, in einem Panzer, das Schwert in den Händen und die Krone auf dem Kopfe.

»Nun«, fragte der König, »was meinen Sie, Pan Tyzenhauz, hatte Babinicz recht?«

»Majestät, wir sind erst an der Grenze«, antwortete der junge Magnat.

Am meisten zufrieden mit sich und seiner ganzen Umgebung war Kmicic. Zumeist ritt er mit den drei Kiemlicz' dem Zuge voran, um den Weg zu besichtigen, bisweilen schloß er sich auch dem Gefolge an und erzählte zum hundertsten Male Episoden von der Belagerung Czenstochaus. Und mehr und mehr schloß der König den jungen, tollkühnen Ritter in sein Herz.

»Sagen Sie, woher rührt die große Narbe in Ihrem Gesichte?« fragte einstmals der König Pan Andreas. »Sie müssen einen guten Säbelhieb erhalten haben.«

»Majestät, die Wunde stammt nicht von einem Säbelhieb. Man hat auf mich aus nächster Nähe geschossen.«

»Ein Feind oder ein Landsmann?«

»Ein Landsmann, aber mein ärgster Feind, mit dem ich noch einmal abrechnen werde; jedoch ehe ich das nicht getan habe, spreche ich nicht gern darüber.«

»So nachtragend sind Sie?«

»Das bin ich gar nicht, Majestät. Auf meinem Kopfe habe ich eine noch größere Narbe; fast wäre die Seele aus diesem großen Loche entflohen! Aber diese Wunde brachte mir ein wackerer Mann bei, und ich bin ihm absolut nicht gram!«

Kmicic nahm seine Mütze ab und zeigte seinen Kopf.

»Wer war denn der Mann?« interessierte sich der König.

»Pan Wolodyjowski!«

»Pan Wolodyjowski? Ja, den kenne ich. Er hat bei Zbaraz Wunder vollbracht. Und dann waren wir zusammen auf Skrzetuskis Hochzeit, derselbe, der mir die erste Nachricht aus dem belagerten Zbaraz brachte. Das sind beide wackere Ritter! Dazumal war in ihrer Gesellschaft noch ein dritter, den das ganze Heer vergötterte. Es war ein dicker Schlachtschitz, der so witzig war, daß wir oft Tränen lachten bei seinen Erzählungen.«

»Ich kann's erraten, das war Pan Zagloba,« sagte Kmicic. »Das ist wirklich ein Mann von großem Geiste.«

»Was sie jetzt tun, das wissen Sie wohl nicht?«

»Wolodyjowski befehligte die Dragoner des Fürsten Wojewod von Wilna.«

Der König zog die Augenbrauen zusammen.

»So dient er jetzt mitsamt dem Fürsten den Schweden?«

»Der? Den Schweden? Nein, Majestät, der ist jetzt bei Sapieha. Ich habe es selbst mit angesehen, wie er dem Fürsten nach dem Verrat seinen Oberstenstab vor die Füße warf.«

»O, so ist er ein ehrlicher Soldat!« rief Jan-Kasimir. »Wir haben Kunde aus Tykocin von Pan Sapieha erhalten. Möge Gott ihm beistehen! Wenn alle dem glichen, so würden die Schweden nicht mehr mit ihren Füßen auf unserem Erdboden stehen.«

Hier fragte Tyzenhauz, der kein Wort der Unterhaltung außer acht gelassen hatte, plötzlich:

»Sie waren also in Kiejdane bei Radzwill?«

Kmicic wurde sehr verlegen.

»Das war ich.«

»Und was taten Sie am Hofe des Fürsten?«

»Ich war bei ihm zu Gaste«, antwortete Kmicic, »und aß das fürstliche Brot, bis ich mich infolge seines Verrates von ihm wandte.«

»Und warum sind Sie nicht wie andere ehrliche Leute zu Sapieha gegangen?

»Weil ich gelobt hatte, nach Czenstochau zu gehen.«

Tyzenhauz schüttelte seinen Kopf und seufzte. Der König bemerkte dies und sah Pan Andreas prüfend an.

Pan Andreas wandte sich ärgerlich und zornig an Tyzenhauz:

»Sagen Sie mal, warum frage ich Sie nicht danach, wo Sie waren und was Sie früher taten?«

»Bitte, fragen Sie mich ruhig; ich habe nichts zu verbergen.«

»Ich stehe hier nicht vor Gericht, und wenn ich mal vor Gericht stehen sollte, so werden Sie nicht mein Richter sein. Ich rate Ihnen, lassen Sie mich zufrieden, ehe meine Geduld sich erschöpft hat.«

Am Abend desselben Tages sprach Tyzenhauz zum Könige:

»Majestät, dieser Schlachtschitz gefällt mir mit jedem Tage weniger.«

»Und mir immer mehr«, erwiderte Jan-Kasimir.

»Heute hörte ich, wie einer seiner Leute ihn Oberst nannte, worauf er ihm einen drohenden Blick zuwarf. Sicherlich, da steckt etwas dahinter.«

»Auch mir scheint es manchmal, daß er nicht alles erzählt. Aber, ich denke, das ist seine Sache.«

»Nein, Majestät, das ist gar nicht seine Sache allein. Das ist unsere und der ganzen Republik Sache. – Wenn er ein Verräter ist und Euer Majestät ins Verderben führt, so werden auch alle die ihr Leben lassen müssen, die jetzt ihre Waffen erhoben haben. Dann geht die ganze Republik zugrunde, die Sie allein retten können.«

»Gut, ich werde ihn morgen selbst verhören.«

Der König war nach diesem Gespräch ernst und traurig.

Am folgenden Tage gab er Kmicic ein Zeichen, zu ihm näher heran zu reiten.

»Wo waren Sie Oberst?« fragte Jan-Kasimir plötzlich.

Eine Minute trat Schweigen ein.

Kmicic kämpfte mit sich selbst. Er wollte vom Pferde springen, sich dem Könige zu Füßen werfen und ihm die ganze Wahrheit eröffnen, um ein für allemal die unerträgliche Bürde von sich zu wälzen. – Aber welchen Eindruck mußte sein Name nach dem Briefe des Fürsten Boguslaw machen? Wie konnte er, einst die rechte Hand des Wilnaer Wojewoden, er, der unter dem Verdachte stand, ein Attentat auf den König selbst geplant zu haben, den König, die Bischöfe und Senatoren überzeugen, daß er sich gebessert habe und alle seine Vergehen mit dem eigenen Blute abwaschen wolle? Wer wird ihm glauben? Und er beschloß zu schweigen.

»Majestät«, begann er endlich. »Die Zeit wird kommen, vielleicht sehr bald, wo ich ihnen meine ganze Seele öffnen werde, wie einem Geistlichen in der Beichte. – Aber ich möchte Ihnen meine grenzenlose Ergebenheit durch Taten und nicht durch leere Worte beweisen. Majestät, ich habe gegen Sie und das Vaterland gesündigt, aber ich suche jetzt nach Möglichkeit, meine Sünden zu sühnen. Majestät, wer von uns ist ohne Sünde? – Vielleicht habe ich schwerer gesündigt als andere, aber ich trage auch schwerere Buße. – Fragen Sie mich jetzt nach nichts, an meinen Taten werden Sie mich kennen lernen. Jetzt kann ich Ihnen nur das eine antworten, daß ich bereit bin, meinen letzten Tropfen Blut für Sie zu opfern.«

Pan Andreas' Gesicht war bleich. Er sah freimütig und gerade auf den König.

»Gott sieht meine Absichten,« fuhr er fort, »und er wird sie mir beim jüngsten Gerichte zugute schreiben. Aber wenn Sie mir nicht glauben, Majestät, so weisen Sie mich fort, entfernen Sie mich aus Ihrer Umgebung! Ich werde Ihnen in weiter Ferne folgen, um in schweren Augenblicken ungerufen da zu sein und mich für Sie zu opfern. Dann, Herr, werden Sie sehen, daß ich kein Verräter bin, daß ich Ihnen ein Diener bin, wie wenige aus Ihrer Umgebung, trotzdem man mich verschiedener Dinge beschuldigt.«

»Ich glaube Ihnen auch jetzt,« sagte der König. »Bleiben Sie wie vordem in meiner Nähe. Verrat spricht nicht in solcher Sprache.«

»Ich danke Ihnen, Euer Majestät,« antwortete Kmicic. Dann hielt er sein Pferd an und schloß sich den hinteren Reihen des Gefolges an.

Pan Tyzenhauz hatte seinen Verdacht gegen Kmicic nicht allein dem Könige, sondern auch dem ganzen Gefolge mitgeteilt. Deshalb hörten bei Pan Andreas' Kommen laute Gespräche auf, man begann zu flüstern. Kmicic bemerkte das, er bemerkte, daß man anfing, jedes seiner Worte, jede seiner Handlungen scharf zu beobachten. Es wurde ihm unbehaglich unter diesen Leuten.

Auch der König behandelte ihn mit der Zeit kühler und nicht wie früher. Kmicic fing an, sich zu grämen, er verlor den Mut, und ließ den Kopf hängen. Gewohnt, immer der erste zu sein, schleppte er sich jetzt mehrere Schritte hinter der Kavalkade her, mit traurigen Gedanken beschäftigt.

Endlich zeigten sich den Blicken unserer Reiter die Karpathen. Dichter Schnee bedeckte die Abhänge der Berge, und dunkle Wolken lagerten auf ihren Spitzen. Des Abends, als die Sonne unterging, kleideten sich die Berge in flammende Gewänder, und lange noch, als die Täler schon in Dunkelheit gehüllt waren, schimmerten sie in allen Farben des Regenbogens. Bewundernd betrachtete Kmicic das ihm noch fremde Naturschauspiel.

Mit jedem Tage zeigten sich die Bergriesen den Augen der Reiter größer, majestätischer. Dann mit einem Male öffnete sich vor ihnen eine Schlucht, in die sie hineinritten.

»Jetzt sind wir dicht an der Grenze«, sagte der König bewegt.

Bald trafen die Reiter einen mit einem Pferde bespannten kleinen Wagen.

»He, Mann!« rief Tyzenhauz den im Wägelchen sitzenden Bauern an, »sind wir in Polen?«

»Hinter dem Felsen dort beginnt die Grenze, und Ihr seid jetzt schon auf polnischem Boden.«

Der Bauer fuhr weiter. Tyzenhauz eilte zum König.

»Majestät!« rief er begeistert, »Sie sind jetzt in Ihrem Reiche!«

Der König antwortete mit keinem Worte; er stieg vom Pferde und fiel in die Knie. Sein Gefolge folgte seinem Beispiele. Und dann begann der flüchtige König die mit Schnee bedeckte Erde zu küssen, die geliebte, undankbare Erde, die im Ungemach ihrem gekrönten Haupte keine Zuflucht gewährt hatte.

Es begann schon zu dunkeln, als die königliche Truppe sich in Bewegung setzte. Als sie die Schlucht durchritten hatten, öffnete sich vor ihnen ein großes Tal, das sich weithin erstreckte. Fern am Horizonte schimmerte ein rötliches Licht.

»Reiten wir der Abendröte entgegen«, sagte der König. Kmicic sah aufmerksam in die Ferne und rief:

»Majestät, das ist nicht das Abendrot, sondern der Schein eines Brandes!«

Und wirklich loderte die vermeintliche Abendröte mehr und mehr auf und verbreitete sich weit am Horizonte.

»Das wird Zywiec sein, was dort brennt!« rief Jan-Kasimir. »Dort steht gewiß der Feind.«

Kaum hatte der König diese Worte ausgesprochen, als man das Schnauben von Pferden und Menschenstimmen vernahm. Mehrere dunkle Gestalten ritten vorüber.

»Halt! halt!« schrie Tyzenhauz. »Wer seid Ihr?«

»Wir sind Polen!« hörte man schon aus der Ferne. »Wir fliehen aus Zywiec. Dort plündern und morden die Schweden!«

»Halt, in Gottes Namen! Was sagt Ihr da? – Warum kamen die Schweden dorthin?«

»Sie wollen unserem Könige auflauern. Es sind viele, sehr viele. Behüte die Mutter Gottes unseren König!«

Tyzenhauz geriet ganz außer Fassung.

»Das heißt mit einer kleinen Begleitung reiten!« rief er Kmicic zu. »Mag der Teufel dich holen für deinen Rat!« –

Aber Jan-Kasimir begann die Fliehenden weiter auszufragen. »Und wo ist der König?«

»Der König ist mit einer großen Truppe im Gebirge und passierte vor zwei Tagen Zywiec. Man erzählt, sie hatten den König schon gefangen. – Heute gegen Abend sind sie nach Zywiec zurückgekehrt, und jetzt metzeln sie alles nieder, was ihnen in den Weg kommt.«

»So geht mit Gott!« erwiderte Jan-Kasimir.

»Wie wäre es uns ergangen, wenn wir wirklich bei den Dragonern gewesen wären,« bemerkte Kmicic.

»Majestät«, fragte der Bischof Gembicki, »der Feind ist vor uns, was tun wir?«

Alle umringten den König, als wenn sie ihn mit ihren Leibern vor einer Gefahr schützen wollten. Der König betrachtete schweigend die Röte am Himmel. Auch die anderen schwiegen alle; es war schwer, in dieser Minute einen guten Rat zu finden.

»Als ich das Vaterland verließ, leuchtete mir die Fackel des Krieges, und jetzt bei der Rückkehr flammt der Horizont von einer verheerenden Feuersbrunst«, sagte Jan-Kasimir dumpf.

»Wer kann uns jetzt irgend einen Rat geben?« unterbrach Pater Gembicki das Schweigen.

Da vernahm man Tyzenhauz' Stimme bitter und spottend:

»Wer darauf bestand, daß der König ohne genügenden Schutz fährt, der soll jetzt einen Rat geben.«

In diesem Augenblicke ritt ein Reiter aus dem Kreise heraus. Es war Kmicic.

»Gut!« sagte er. »Kiemlicz', folgt mir!«

Vier Reiter sprengten wie der Wind vorwärts.

»Das ist Verrat!« entrang es sich schmerzlich aus Tyzenhauz' Brust. »Die Verräter wollen den Aufenthalt Euer Majestät dem Feinde melden! Majestät, retten Sie sich, solange es noch Zeit ist, bald wird der Feind die Schlucht besetzen. Retten Sie sich, Majestät! Zurück! zurück!«

»Zurück!« riefen einstimmig die Bischöfe und Senatoren. Aber Jan-Kasimir zog ungeduldig am Zügel, nahm seinen Degen heraus und sagte:

»Behüte mich Gott! Ich werde nicht zum zweiten Male aus meinem Reiche fliehen! Möge sich erfüllen, was das Schicksal mir bestimmt hat!«

»Majestät, hören Sie auf das Flehen Ihrer Untertanen!« sprach mit gefalteten Händen der Sandomierer Kastellan. »Wenn Sie auf keinen Fall gesonnen sind, umzukehren, so kehren Sie wenigstens durch die Schlucht zurück, damit man uns den Rückzug nicht abschneidet.«

»Gut,« willigte der König ein, »einen vernünftigen Rat weise ich nicht zurück; aber aufs neue ein Wanderleben zu beginnen, des weigere ich mich. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, in mein Reich zu kommen, so wird es nie gelingen. Auf alle Fälle meine ich, daß Ihre Befürchtungen übertrieben sind. Da die Schweden uns unter den Dragonern gesucht haben, so ist es doch klar, daß sie keine Nachricht über uns haben. Von einem Verrat sehe ich hier nichts. – Beruhigen Sie sich, meine Herren! Babinicz ist fortgeritten, um auszukundschaften und wird sicherlich bald wiederkehren.«

Es verging mehr als eine Stunde; Pan Tyzenhauz war schon äußerst ungeduldig.

Plötzlich sah man mehrere Gestalten schnell heranreiten.

»Wer da?« rief Tyzenhauz.

»Nicht schießen!« donnerte Kmicic' Stimme.

Nach einigen Minuten hielt Pan Andreas vor Tyzenhauz an, und da er ihn im Dunkeln nicht erkannte, fragte er:

»Wo ist der König?«

»Da hinten bei der Schlucht!« antwortete der beruhigte Tyzenhauz. »Und was haben Sie da auf dem Sattel?«

Kmicic entgegnete kein Wort und ritt weiter. Er hielt erst an, als er wenige Schritte vor dem Könige stand.

»Majestät! Der Weg ist frei!«

»Sind die Schweden nicht in Zywiec?«

»Sie haben sich nach Wadowice zurückgezogen. In Zywiec war nur eine Abteilung deutscher Reiter. Sie können einen von ihnen selbst verhören.«

Mit diesen Worten setzte er ein nicht erkennbares Etwas auf die Erde nieder.

»Was ist das?« fragte Jan-Kasimir.

»Das? – Ein Reiter.«

»Sie haben uns also einen Gefangenen gleich mitgebracht. Wie haben Sie das nur angestellt? Erzählen Sie!«

»Majestät, wenn ein Wolf nachts einer Herde folgt, so wird es ihm nicht schwer, ein einzelnes Schaf wegzuschleppen.« Der König war ganz entzückt.

»Sie sind ein Soldat! – Ja, ja, mit solchen Leuten könnte ich durch das ganze schwedische Heer hindurchkommen.«

Der Reiter lag, ohne sich zu rühren, auf dem Boden.

»Befragen Sie ihn, Majestät«, sagte Kmicic, nicht ohne eine Spur von Selbstgefälligkeit.

Der Gefangene erzählte, daß er mit seinem Regiment polnische Dragoner überfallen habe, und daß sich dann alle nach Zywiec zurückgezogen hätten.

»Sind außer deinem Regiment noch viele schwedische Abteilungen im Gebirge?« fragte Kmicic.

»Ich weiß es nicht. General Douglas hat viele Patrouillen ausgeschickt. Aber sie weichen alle zurück, denn die Bauern überfallen sie.«

»Und in Zywiec waret ihr nur allein?«

»Ja, wir allein.«

»Ist Jan-Kasimir schon durch Zywiec gekommen?«

»Ja, er war unter den Dragonern. Viele haben ihn gesehen.«

»Und warum habt ihr ihn nicht verfolgt?«

»Wir fürchteten die Bergvölker.«

Hier wandte sich Kmicic auf polnisch an den König.

»Majestät, der Weg ist frei; in Zywiec werden wir Nachtquartier finden. Die Räuber haben nicht alles niedergebrannt.«

Der mißtrauische Tyzenhauz aber flüsterte dem einen der Bischöfe ins Ohr:

»Dies alles kann eine Falle sein; von der Gefangennahme des Reiters an bis zu seinen Aussagen, nicht wahr? Und wenn dem so ist, so werden die Schweden uns in Zywiec auflauern. Was dann, wenn der König ihnen in die Hände fällt?«

»Natürlich,« erwiderte der Bischof, »ist es richtiger, sich erst von der Wahrheit zu überzeugen.«

Dann wandte sich Tyzenhauz an den König.

»Gestatten Sie mir, Majestät, nach Zywiec vorauszureiten, daß ich mich überzeuge, daß der Kavalier und der Gefangene die Wahrheit sprechen.«

»Ja, ja, erlauben Sie das, Majestät,« fügte Kmicic eifrig hinzu.

»So reiten Sie,« sprach der König nach einiger Überlegung, »aber gleich. Es wird kalt hier.«

Pan Tyzenhauz gab seinem Pferde die Sporen; der König folgte ihm mit seinen Begleitern im Schritt, Jan-Kasimir war in heiterster Stimmung, und freundlich plaudernd näherte sich die königliche Gruppe Zywiec.

Es währte nicht allzulange, bis Tyzenhauz wieder vor dem Könige erschien.

»Majestät,« rief er außer Atem, »der Weg ist frei, und ein Nachtquartier für Sie bestellt.«

»Nun, was sagte ich, die Herren haben sich ganz umsonst beunruhigt«, entgegnete Jan-Kasimir erfreut. »Doch jetzt vorwärts! Wir bedürfen wirklich der Ruhe.«

Eine halbe Stunde darauf schlief der König fest und ruhig in den Grenzen seines Reiches.

Pan Tyzenhauz kam zu Kmicic ins Quartier.

»Verzeihen Sie mir, ich würde Ihnen nicht immer mißtrauen, wenn ich den König nicht so sehr liebte.« Mit diesen Worten hielt er Pan Andreas seine Rechte hin.

Kmicic zog seine Hand zurück.

»Nein«, entgegnete er, »ich kann nicht. Sie haben mich vor allen zum Verräter gestempelt.«

»Das habe ich getan; aber nachdem ich mich überzeugt habe, daß Sie dem Könige treu dienen, biete ich Ihnen als erster meine Hand. Nochmals, wollen Sie sie nicht nehmen?«

»Hm, – und wenn ich Ihnen zürne?«

»So hören Sie auf, mir zu zürnen. Lassen Sie sich von mir umarmen!«

Und sie fielen sich in die Arme. – –


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