Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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1. Kapitel.

Man war im Januar des Jahres 1655. Es war ein trockener, strenger Winter. Das heilige Smudien war in einen weißen, ellendicken Pelz eingehüllt. Die Wälder bogen sich und brachen fast unter der Last des Schnees, der an sonnenhellen Tagen die Augen blendete und des Nachts in Millionen verschiedener Farben glitzerte. Die wilden Tiere kamen bis dicht an die menschlichen Wohnungen, und die grauen Vögel klopften mit ihren Schnäbeln an die von Eisblumen bedeckten Fensterscheiben.

Eines Abends saß Panna Alexandra mit ihren Dienstmägden in der Gesindestube. Bei denen von Billewicz' war es von alters her Sitte, wenn keine Gäste da waren, die Abende mit dem Gesinde gemeinsam zu verbringen. So tat auch Panna Alexandra; denn viele ihrer Mägde waren adlige arme Waisen, andere Bauernmädchen, die sich jedoch nur durch die Sprache von den ersteren unterschieden. Viele von ihnen sprachen überhaupt nicht polnisch.

Panna Alexandra saß mit ihrer Verwandtin, Panna Kulwiec, in der Mitte des Zimmers; ringsherum an den Wänden auf Bänken die Mägde. Alle spannen. Große Kiefernscheite brannten im Kamin, deren Schein die dunklen Wände des sehr großen Raumes und die niedere Balkendecke beleuchteten. Überall hingen von den Balken Strähnen gekämmten Flachses herab. An den Wänden glitzerten gleich Sternen bleierne Gefäße in allen Größen, die auf schweren, eichenen Brettern standen.

Panna Alexandra ließ schweigend den Rosenkranz durch ihre Hände gleiten, und die Spinnerinnen spannen, ohne ein Wort zu wechseln. – An der Tür saß ein zottiger Smudier und drehte mit vielem Geräusch eine Handmühle. Ab und zu, wenn die Mühle nicht in Ordnung war, hörte er laut schimpfend auf. Dann erhob Panna Alexandra, wie aus einem Traume kommend, den Kopf.

Sie war ein hübsches Mädchen, mit edlen Gesichtszügen, mit dichtem, flachsblondem Haar und blauen Augen, die ernst unter den schwarzen Brauen hervorsahen. Das schwarze Trauerkleid gab ihr ein etwas düsteres Aussehen. Sie war ganz in Gedanken versunken und sann über ihre eigene, so unklare Zukunft.

Das Testament des Großvaters bestimmte ihr, der Zwanzigjährigen, einen Menschen zum Manne, den sie seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen hatte. Aus ihren Kindheitstagen hatte sie nur eine sehr unklare Erinnerung von einem halbwüchsigen Hitzkopf, der während des Aufenthalts mit seinem Vater in Wodokty sich mehr mit der Büchse in den Sümpfen herumtrieb, als im Hause war.

»Wo kann er jetzt sein? und wie mag er aussehen?« dachte sie unaufhörlich.

Aus den Erzählungen des Großvaters wußte sie, daß er ein sehr tapferer Ritter war, von sehr heißem Geblüt. Wäre nicht der Krieg gewesen, so hätte er sich schon längst der Braut vorgestellt. Vielleicht sehnte sie sich nach dem unbekannten Bräutigam. In ihrem reinen, von keiner Leidenschaft berührten Herzen wohnte ein tiefes Bedürfnis nach Liebe. Ein Funken würde genügen, um auf diesem Herde ein Feuer zu entflammen, – ein ruhiges, gleichmäßiges, unauslöschliches Feuer.

Oft ergriff sie eine Unruhe, die ihre Seele bald mit süßen Träumereien erfüllte, bald mit schweren Fragen peinigte, auf die sie keine bestimmte Antwort fand. – Wird er mich aus freiem Willen ehelichen? Wird er meine Zuneigung erwiedern? Wird er mich liebgewinnen? – Und eine Gedankenfülle bestürmte sie, wie ein Zug Vögel, der sich auf einen einsam in öder Steppe stehenden Baum niederläßt. – Wer bist du? Wie bist du? Lebst du noch irgendwo in der weiten Welt, oder bist du auf dem Schlachtfelde gefallen? Bist du fern oder nahe? – Das offene Herz der Panna, einem Tore gleich, das zum Einzug lieber Gäste weit offen gehalten wird, rief unwillkürlich den fernen Ländern, den schneebedeckten Wäldern und Feldern zu: »Komm, Ritter! komm! Gibt es etwas Schwereres in der ganzen Welt als die Erwartung!«

Und plötzlich, gleichsam als Antwort auf ihren Ruf, vernahm man von draußen, aus der schneebedeckten Ferne, Schellengeläut.

Panna Alexandra fuhr zusammen, gleich aber faßte sie sich. Sie erinnerte sich, daß man fast allabendlich aus Pacunele einen Boten nach Heilmitteln für den jungen Oberst schickte. Auch Panna Kulwiec dachte daran, denn sie sagte:

»'s wird wohl ein Bote von Gasztowts sein.«

Das ungestüme Klingeln eines Glöckchens näherte sich mehr und mehr, bis es schließlich mit einem Male verstummte. Ein Schlitten hielt vor dem Hause.

»Sieh nach, wer gekommen,« sagte Panna Kulwiec zu dem Smudier.

Dieser ging hinaus, kam aber gleich zurück, und indem er seine Arbeit wieder aufnahm, sagte er phlegmatisch:

»Kmicic.«

Die Spinnerinnen sprangen von ihren Plätzen auf, die Spindeln fielen zur Erde.

Panna Alexandra stand auch auf; ihr Herz schlug heftig. Zuerst bedeckte eine helle Röte ihr Gesicht, dann erblich sie. Sie wandte sich absichtlich vom Kamin fort, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

In der Tür erschien eine hohe, mit einem Pelz und einer Pelzmütze bekleidete Gestalt. Der junge Mann trat in die Mitte der Stube, und da er bemerkte, daß er sich im Gesindezimmer befand, fragte er, ohne die Mütze abzunehmen, mit helltönender Stimme:

»He! Wo ist denn eure Panna?«

»Hier!« antwortete in ziemlich festem Tone Panna Alexandra.

Der Angekommene nahm die Mütze ab, warf sie zur Erde und verbeugte sich tief.

»Ich bin Andreas Kmicic.«

Panna Alexandra streifte mit einem Blick das Gesicht des Gastes, dann schlug sie die Augen nieder. Sie hatte genügend Zeit gehabt, um das goldblonde Haar, die brünette Gesichtsfarbe, die glänzenden, grauen Augen, den schwarzen Schnurrbart und das junge, adlergleiche, muntere, ritterliche Gesicht Pan Andreas' zu sehen. –

Er stand mit in die Seite gestützter Hand, drehte mit der rechten seinen Schnurrbart und sprach:

»Ich war noch nicht in Lubicz; schnell wie ein Vogel eilte ich hierher, um der Panna meine Ehrfurcht zu erzeigen. Ein Wind brachte mich geradeswegs vom Lager nach hier – ich hoffe, ein glücklicher.«

»Wußten Sie von dem Tode des Kammerherrn, – des Großvaters?« fragte die Panna.

»Ich wußte es nicht: aber als ich es erfuhr, habe ich ihn mit bitteren Tränen beweint. Er war meinem verstorbenen Vater ein Freund, ein Bruder. Sie wissen wohl, daß er vor vier Jahren bei uns in Orsza war. Damals versprach er mir Ihre Hand; er zeigte mir Ihr Bild, zu dem ich nachts betete. Ich wäre gern früher gekommen; aber der Krieg führt einen nur mit dem Tode zusammen.«

Alexandra errötete leicht ob dieser kühnen Rede, und um das Gespräch auf ein anderes Gebiet zu lenken, fragte sie:

»In Lubicz sind Sie also noch nicht gewesen?«

»Dazu wird es noch immer Zeit sein. Hier liegt meine heiligste Pflicht, hier ist das wertvollste Geschenk Ihres seligen Großvaters, zu dem es mich zu allererst zog. Aber Sie wenden sich so, daß ich Ihnen nicht in die Augen sehen kann. Drehen Sie sich doch um, – so kann ich Sie sehen! So!«

Der kühne Soldat faßte unerwartet Panna Alexandra am Arm und drehte sie zum Feuer. Sie wurde noch verlegener, senkte die Lider und stand ganz bestürzt vor ihm. Endlich gab Kmicic sie frei und klatschte laut in die Hände. »Bei Gott, eine seltene Schönheit. Tausend Messen stifte ich für die Seele meines Wohltäters! – Und wann soll die Hochzeit sein?«

»Gemach! Nicht so bald, noch bin ich nicht die Ihre.«

»Aber Sie werden die meine! Und wenn ich Ihr Haus in Brand setzen müßte! Bei Gott! Sie werden mein! Und ich, Tor, glaubte, Ihr Bild sei geschmeichelt. Jetzt sehe ich, der Maler war ein Stümper, nicht ein Hundertstel Ihrer Schönheit hat er wiedergegeben. Stockschläge verdiente er! Zäune kann er wohl anstreichen, aber er soll seine Kunst nicht an einer blendenden Schönheit versuchen! – Wahrhaftig, ein großartiges Vermächtnis!«

»Der Großvater hatte recht, als er mir sagte, Sie seien ein Hitzkopf.«

»Wir, im Smolenskaer Bezirk, wir sind alle so, nicht wie Ihr in Smudien. – Bei uns heißt's: Eins, zwei, drei! Und alles muß gehen, wie wir es wollen, sonst Tod und Teufel!«

Alexandra lächelte und sah schon etwas beherzter auf ihren Gast.

»So wohnen denn Tataren bei euch?«

»Gleichviel! Sie sind doch mein, dem Willen der Eltern und meinem Herzen nach.«

»Dem Herzen nach? Das weiß ich noch nicht.«

»Nein? Sagen Sie Nein? Dieses Messer stoße ich mir ins Herz.«

»Aber wir sind ja noch immer im Leutezimmer. – Bitte, folgen Sie mir in die anderen Gemächer. Nach dem langen Weg tut Ihnen Ruhe gut.« Und dann wandte sich Alexandra zur Panna Kulwiec:

»Und Sie, Tante, kommen wohl mit uns!«

»Tante?« fragte schnell der junge Ritter. »Was für eine Tante?«

»Hier, meine Tante, Panna Kulwiec.«

»Dann auch die meine,« antwortete Pan Andreas und küßte Panna Kulwiec die Hand. »Bei uns im Banner gibt es einen Offizier mit Namen Kulwiec. Wohl ein Verwandter von Ihnen, Panna?«

»Ja,« sagte die alte Panna und knixte.

Die Hausfrau und der Gast gingen in die Diele, wo Pan Andreas seinen Pelz ablegte, und von dort aus in die Empfangszimmer. Panna Kulwiec eilte, ein Nachtmahl herzurichten, und so blieben Alexandra und Pan Kmicic allein.

Pan Kmicic blickte unverwandt auf Alexandra, und in seinen Augen entbrannte ein tiefes Feuer.

»Es gibt Menschen,« brach er endlich das Schweigen, »die Reichtum über alles in der Welt schätzen, – andere lieben die Kriegsbeute, wieder andere lassen ihr Liebstes für Pferde, – ich aber würde Sie um nichts in der Welt hergeben! Das schwöre ich bei Gott! Je länger ich Sie ansehe, je eher möchte ich Sie zum Altare führen, – am liebsten morgen schon! – Diese Brauen! – Diese Augen! Wie des Himmels Bläue am Sommertage! Ihr Anblick verwirrt mich so, daß ich kaum Worte finde –«

»Mir scheinen Sie gar nicht sehr verwirrt zu sein. Sie sprechen mit mir, daß ich gar nicht weiß –«

»Das ist unsere Smolenskaer Art. – Auf ein Weib und auf den Feind kühn drauf los! – Daran, o Königin, werden Sie sich noch gewöhnen; denn so wird es immer sein!«

»Das, Ritter, werden Sie sich noch abgewöhnen; denn so darf es nicht sein.«

»Mag man mich hängen! Ihnen werde ich mich vielleicht auch unterwerfen. Glauben Sie es oder nicht, aber ich bin bereit, für Sie den Mond vom Himmel herunterzuholen. Für Sie, meine Gebieterin, bin ich bereit, fremde Sitten zu lernen. – Ich weiß, ich bin nur ein rauher Kriegsmann und habe mich mehr im Lager als in Empfangsräumen bewegt.«

»Das tut nichts! Auch mein Großvater war Soldat. – Ich aber danke Ihnen für Ihren guten Willen,« sagte Alexandra und sah Pan Andreas so freundlich an, daß sein Herz erzitterte. »Sie werden mich immer regieren können!« rief er aus.

»O, Sie sehen nicht aus wie einer, der sich beherrschen läßt! Unstete Leute sind am schwersten zu regieren.«

Kmicic lächelte und zeigte eine Reihe weißer, scharfer Zähne.

»Wie! Sollten die heiligen Meister in der Schule noch zu wenig Ruten an mir zerbrochen haben, damit ich lerne, mich gesittet zu benehmen, und die wichtigsten Lebensregeln behalte, – und ich –«

»Nun, welche Regel haben Sie denn am besten behalten?«

»Wenn du liebst, so sollst du zu Füßen fallen, – so –«

Im gleichen Augenblick lag Pan Andreas auf den Knien, und das Mädchen schrie auf und verbarg eiligst ihre Füße unter dem Tisch.

»Um Gottes willen! So etwas lehrt man doch nicht in der Schule! Stehen Sie sofort auf, oder ich werde ärgerlich! Und die Tante kommt gleich!«

Er hob den Kopf und sah ihr fest in die Augen.

»Mag ein ganzes Regiment von Tanten kommen; – sie können mir nicht verbieten, Sie zu lieben.«

»So stehen Sie doch auf!«

»Ich stehe schon auf.«

»Setzen Sie sich!«

»Ich sitze.«

»Sie sind ein Treuloser, ein Verräter!«

»Das ist nicht wahr! – Verräter küssen nicht so aufrichtig! Wollen Sie sich überzeugen!«

»Unterstehen Sie sich nicht!«

Panna Alexandra lachte, und auf seinem Gesicht erstrahlten Jugend und Frohsinn. Seine Nasenflügel bebten leise wie bei einem edlen Araberhengst.

»Oh, oh!« rief er, »diese Augen! Dieses Gesichtchen! Steht mir bei, alle Heiligen, ich kann nicht sitzen bleiben!«

»Man darf die Heiligen nicht anrufen! Vier Jahre haben Sie ruhig sitzen können, ohne mit einem Auge hierher zu blicken. So bleiben Sie nur ruhig jetzt weiter sitzen.«

»Ich habe doch nur Ihr Bild gekannt! Ich werde diesen Taugenichts von Maler mit Teer begießen und dann mit Federn beschütten und auf dem Markt zu Upita herumführen lassen. – Ich werde ganz aufrichtig zu Ihnen sein: Wollen Sie mir vergeben? Vergeben Sie? – Nein? – So reißen Sie mir den Kopf herunter. – Als ich Ihr Bild sah, dachte ich, häßlich ist sie nicht; aber solche laufen eine Menge in der Welt umher, – es hat also keine Eile. Mein seliger Vater drängte, ich solle herreisen. Ich aber blieb dabei, es hat Zeit. Die Pannas gehen nicht in den Krieg und kommen um. Gott ist mein Zeuge. Ich widersetzte mich nicht ganz dem väterlichen Willen, aber ich wollte erst an der eigenen Haut den Krieg spüren. Jetzt erst sehe ich, wie dumm ich war! Konnte ich nicht auch verheiratet in den Krieg ziehen! Und welch ein Glück hier meiner harrte! – Gott sei Dank, daß man mich nicht hingeschlachtet hat! Gestatten Sie, Panna, daß ich Ihnen die Hand küsse.«

»Ich werde es lieber nicht gestatten.«

»So werde ich erst gar nicht fragen. Bei uns in Orsza sagt man: Bitte, und gibt man nicht, so nimmt man von selbst.«

Pan Andreas drückte auf Alexandras Hand einen langen Kuß, und die Panna, um nicht unliebenswürdig zu scheinen, sträubte sich nicht.

In der Tür erschien Panna Kulwiec, und als sie sah, was vorging, schlug sie die Augen gen Himmel. Diese Vertrautheit gefiel ihr nicht, aber sie fürchtete, ihre Unzufriedenheit zu zeigen. Sie bat die beiden zum Abendessen zu kommen.

Im Speisezimmer brach der Tisch fast unter der Last der verschiedenen Gerichte und der mit Schimmel bedeckten Flaschen. Die jungen Leute waren in guter Stimmung, froh und glücklich. Die Panna hatte schon vorher zu Abend gegessen. Pan Kmicic aber aß jetzt mit demselben Eifer, mit dem er zuvor von seiner Liebe gesprochen.

Alexandra sah ihn von der Seite an; sie freute sich, daß es ihm so gut schmeckte.

»Kommen Sie jetzt aus der Gegend von Orsza?« fragte sie.

»Weiß selbst nicht woher. – Heute bin ich hier, morgen dort. Ich schlich mich so dicht an den Feind heran, wie der Wolf an die Schafherde. Und was ich ihr entreißen konnte, das habe ich ihr entrissen.«

»Und Sie haben es gewagt, mit einer Macht zu kämpfen, der selbst der Groß-Hetman weichen mußte?«

»Natürlich habe ich das gewagt. Ich gehe auf alles drauf los. Das ist so meine Natur.«

»Dasselbe erzählte mir auch der selige Großvater.... Es ist nur ein Glück, daß Sie dabei nicht umkamen.«

»Ha, mit Mütze und Helm hat man mich zugedeckt, wie den Vogel im Netz. Heidi! weg war ich. – Ich habe ihnen so mitgespielt, daß sie auf meinen Kopf einen Preis setzten! – Was für einen großartigen Met Sie hier haben!«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes!« rief Alexandra mit Schrecken aus und sah voll Bewunderung den Jüngling an, der in einem Atem von dem Preise auf seinen Kopf und dem Met redete. »Sie hatten wohl tüchtige Kräfte zur Seite?« fuhr sie fort.

»Natürlich, ich hatte tüchtige Dragoner; aber im Laufe eines Monats hat man sie mir alle getötet. Dann fing ich mit Freiwilligen an, die ich, ohne wählerisch zu sein, an allen Orten sammelte. Gute Jungens für den Krieg, aber Erzhalunken. Diejenigen, die mit heiler Haut aus dem Krieg kommen, werden alle früher oder später ein Leckerbissen für die Krähen.« Pan Andreas lachte laut und leerte seinen Becher. »Solche Galgenstricke haben Sie noch nie zu Gesicht bekommen. Die Offiziere sind alles Adlige aus guter Familie; was tut's, daß ein jeder von ihnen mit dem Strafrichter in Konflikt lebt. Jetzt habe ich sie in Lubicz gelassen. Meine Soldaten aber habe ich in Poniewiez und in Upita einquartiert.«

»Und wo trafen unsere Laudaer Leute Sie?«

»Ich wäre auch ohne diese hierher gekommen; denn ich war schon auf dem Wege nach Poniewiez.«

»Haben sie Ihnen von des Großvaters Tode und seinem Testament gesprochen?«

»Sei Gott ihm gnädig, meinem Wohltäter. Haben Sie mir die Boten geschickt?«

»Ganz und gar nicht. Ich lebte nur meinem Schmerze.«

»So erzählten sie mir. – Was für ein stolzes Völkchen diese Laudaer Bauern sind! Ich wollte ihnen ihre Bemühungen belohnen, da fuhren sie hoch und meinten: der Adel vom Orszagau nähme vielleicht Almosen, Laudaer Edle aber nicht! – Ich aber dachte bei mir, wollt ihr kein Geld, so werde ich euch hundert Stockschläge verabreichen lassen.«

Panna Alexandra schlug die Hände über den Kopf: »Jesus, Maria! Und haben Sie das getan?«

Kmicic sah sie verwundert an. »Beruhigen Sie sich, ich habe es nicht getan, obgleich mir die Galle überläuft beim Anblick solcher Edelleute, die sich dünken, uns gleich zu sein. Ich fürchtete aber, sie würden mich bei Ihnen verklatschen und anschwärzen.«

»Das ist ein großes Glück,« sagte Alexandra, tief Atem holend. »Sonst hätte ich Sie nie sehen mögen.«

»Und warum das?«

»Unser Adel ist nur klein, aber alt und berühmt. Mein Großvater liebte ihn und führte ihn in den Krieg sein Leben lang. In Friedenszeiten verkehrte er in seinem Hause. Auch Sie müssen diese alten Bande heilig halten. Sie werden nicht das Herz haben, die Eintracht, in der wir bisher lebten, zu zerstören!«

»Und ich Ahnungsloser, davon habe ich nichts gewußt. Ich muß Ihnen gestehen, dieser barfüßige Adel will mir nicht recht in den Sinn. – Bei uns ist Bauer eben Bauer. Die Adligen sind aus angesehener Familie, die nicht zu zweien das Roß besteigen. Bei Gott! Solche Habenichtse sollten sich nicht mit denen von Kmicic' und Billewicz' vergleichen, ebensowenig wie der Gründling mit dem Hecht, obwohl beide Fische sind.«

»Großvater sagte: »Reichtum bedeutet nichts im Vergleich zur Ehrlichkeit.« Und es sind alles würdige Leute. Großvater hätte sie sonst nicht zu meinen Vormündern bestellt.«

Pan Andreas riß vor Erstaunen die Augen weit auf.

»Die – hat der Großvater zu Ihren Vormündern ernannt!? – Die ganze Laudaer Schlachta?«

»Ja, und Sie haben durchaus keine Ursache, verdrießlich zu sein; des Verstorbenen Wille ist Gesetz. – Ich wundere mich nur, daß Ihnen die Boten dies nicht gesagt haben.«

»Ich würde sie! – Aber nein, es kann ja nicht sein; es gibt doch hier viele Adlige, und sie alle sollten Ihre Berater sein! Vielleicht der ganze Landtag auch! Und sie werden über mich zu Gericht sitzen, ob ich ihnen recht bin oder nicht. Ei, scherzen Sie nicht, Panna! Das Blut siedet in mir!«

»Pan Andreas, ich scherze nicht. Was ich sage, ist heilige, aufrichtige Wahrheit! Sie werden Ihretwegen nicht den Landtag einberufen, und wenn Sie sie nicht durch Ihren Stolz verletzen, so werden Sie zugleich ihnen und mir einen Gefallen tun. Sie und ich, wir werden Ihnen unser Leben lang dankbar sein.«

Ihre Stimme zitterte, ihre Brauen waren hochgezogen.

Er brach nicht in Zorn aus, obwohl es auf seinem Gesicht verräterisch zuckte. Schließlich sagte er hochmütigen Tones:

»Das habe ich nicht erwartet. Ich achte den Willen des Seligen, aber ich meine, der Herr Kammerherr hat diesen verbauerten Adel nur bis zu meiner Ankunft zu Ihren Vormündern bestimmt. Sobald mein Fuß aber diese Schwelle betreten hat, wird niemand außer mir Ihr Vormund sein. – Nicht nur diese Habenichtse, selbst die Fürsten Radziwill haben hier nichts zu suchen.«

Panna Alexandra wurde ernst; nach kurzem Schweigen sagte sie:

»Es ist nicht schön, daß Sie so hochmütig sind. – Ich sehe hier nur einen Weg: entweder Sie erkennen Großvaters Vermächtnis bedingungslos an, oder sie verwerfen es ganz, einen anderen Weg gibt es nicht! Die Laudaer werden sich Ihnen nicht aufdrängen. Es sind gute, ruhige Leute, die Ihnen nicht zur Last fallen werden. Ich denke, diese Vormundschaft wird uns nie bedrücken.«

Er schwieg einen Augenblick.

»Es ist wahr, die Hochzeit wird ja alledem ein Ende machen. Hier gibt's nichts zu streiten. Sie sollen mir nur nicht in die Quere kommen; denn ich schwöre, ich werde mir nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Gestatten Sie mir nur, die Hochzeit zu bestimmen, das wird das beste sein.«

»Während der Trauerzeit paßt es sich nicht, darüber zu sprechen.«

»Und werde ich noch lange warten müssen?«

»Großvater bestimmte selbst nicht mehr als ein halbes Jahr.«

»Bis dahin werde ich wie ein Holzspan verdorren. Nehmen Sie es mir nur nicht übel, Panna. Sie sehen mich so streng an wie der Richter den Angeklagten. Meine Königin, was kann ich dafür, daß meine Natur so ist! Bin ich auf jemand böse, so möchte ich ihn in Stücke zerreißen, nachher freilich möchte ich ihn auch wieder zusammenflicken.«

»Es muß schrecklich sein, mit so einem Menschen Seite an Seite zu leben,« sagte Alexandra heiter.

»Auf Ihre Gesundheit, Panna! Guter Wein und ein Degen sind doch das schönste auf der Welt! Warum sollte es schrecklich sein, mit mir zu leben? Ihre schönen Augen werden mich zu Ihrem Sklaven machen, mich, der sich nie einer fremden Macht gebeugt hat. Reichen Sie mir Ihre Hand, holde Schönheit; ich schwöre, Sie sind mir stark ans Herz gewachsen. – Wer weiß, ob ich den Weg nach Lubicz finden werde?«

»So werde ich Ihnen einen Führer mitgeben.«

»O, ich werde auch so hinkommen. Ich bin gewöhnt, nachts umherzuirren. Auch habe ich einen kleinen Jungen aus Poniewiez mit, der muß den Weg kennen. Und dann erwartet mich Pan Kokosinski mit der ganzen Gesellschaft. – Eine feine Familie – die Kokosinskis, – Er ist seiner Ehren verlustig gesprochen, weil er das Haus von Pan Orniszewski ansteckte, seine Tochter entführte und die Dienerschaft tötete. – Ein feiner Kamerad! Panna, geben Sie mir nochmals Ihr Händchen! – Ach, es ist Zeit, daß ich mich auf den Weg mache.«

Die große Danziger Uhr im Eßzimmer schlug Mitternacht.

»Mein Gott, es ist Zeit, höchste Zeit!« schrie Kmicic auf. »Eins nur bitte ich Sie, Panna, lieben Sie mich ein wenig.«

»Später, – später, – Sie werden mich doch besuchen?«

»Täglich! Selbst wenn die Erde mich zu verschlingen drohte.«

Kmicic stand auf und ging in Begleitung der Hausfrau in die Diele. Sein Schlitten stand schon vor der Auffahrt.

»Gute Nacht, meine Königin,« sagte der Ritter, »schlafen Sie gut. Ich für mein Teil werde kein Auge zutun, immer werde ich an Sie denken.«

»Ich werde Ihnen doch lieber einen Diener mit einer Laterne mitgeben; denn bei Wolmontowicze gibt es viele Wölfe!«

»Bin ich ein Schaf, daß ich mich vor Wölfen fürchte! Der Wolf ist der Freund der Soldaten, oft genug kriegt er von ihm Almosen. Auch habe ich meine Waffe bei mir. – Gute Nacht, meine Teure, gute Nacht!«

»Mit Gott!«

Alexandra ging in das Wohnzimmer zurück, und Pan Andreas trat auf die Veranda. Beim Gehen warf er noch einen Blick auf die halbgeöffnete Tür der Gesindestube. Die Mädchen waren noch auf, um den angekommenen Gast noch einmal zu sehen. Pan Andreas warf ihnen eine Kußhand zu und sprang fröhlich auf den Schlitten. Bald hörte man das Geklingel der Schellen; zuerst laut, dann immer leiser, und zuletzt verlor es sich ganz in der Ferne.

Es wurde still in Wodokty, so still, daß Panna Alexandra sich darüber wunderte. Vor ihren Augen stand noch die stattliche Figur des jungen Mannes, in ihren Ohren klangen noch seine Worte, sie hörte sein aufrichtiges, fröhliches Lachen, – und jetzt, nach diesem Gewirr von Lustigkeit und Lachen, umgab sie eine so seltsame Ruhe. – Alexandra strengte sich an, ob sie nicht noch einen Ton der Glöcklein hören könnte, aber nein, sie klingelten jetzt schon in den Wäldern von Wolmontowicze. Und eine quälende Sehnsucht erfaßte das Mädchen; – noch nie im Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.

Sie nahm eine Kerze und ging langsam in ihr Schlafzimmer; hier begann sie zu beten. Fünfmal mußte sie von vorn anfangen, ehe sie das Gebet einmal richtig beendete. – Wie auf Flügeln eilten ihre Gedanken hinter dem Schlitten und der darin sitzenden Gestalt her ... Wald auf der einen Seite, – Wald auf der anderen Seite, in der Mitte ein breiter Weg, auf dem er dahinsaust! Zum Greifen deutlich sah Panna Alexandra seinen blonden Schopf, die grauen Augen, die lachenden Lippen und die weißen, scharfen Zähne vor sich. Vergeblich versuchte sie sich selbst zu verheimlichen, wie sehr ihr dieser waghalsige Ritter gefallen habe. Ein wenig hatte er sie beunruhigt, ein wenig erschreckt, aber seine Kühnheit, Fröhlichkeit und Aufrichtigkeit hatten sie doch ganz besiegt. Errötend gestand sie sich, daß selbst sein Hochmut ihr gefiel, wie er mit stolz zurückgeworfenem Kopfe sagte: »Selbst die Fürsten Radziwills haben hier nichts zu suchen.« – Das ist kein schwacher, verweichlichter Mensch. Ein echter Mann und ein Soldat, so recht wie ihn der Großvater liebte, – – – der ist's wohl wert,« so dachte die Panna. Und bald ergriff sie ein ungetrübtes Glücksgefühl, bald eine Unruhe, aber selbst diese war wohltuend.

Sie begann sich auszuziehen, als die Tür knarrte, und Panna Kulwiec mit einer Kerze in der Hand hereintrat.

»Ihr seid lange beisammen gewesen,« sagte sie. »Ich wollte euch nicht stören, daß ihr euch nach Herzenslust aussprechen konntet. Es scheint ein guter Mensch zu sein. Und was meinst du, Alexandra?«

Panna Alexandra antwortete nicht gleich. Sie lief nur auf die Tante zu, umarmte sie und verbarg ihr Goldköpfchen an ihrer Brust. Dann seufzte sie leise: »Ach, Tantchen, Tantchen!«

»Oho!« murmelte die alte Panna mit gen Himmel geschlagenen Augen.


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