Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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11. Kapitel.

Es war am sechsten September, als Pan Gosiewski Kmicic, da dieser die Gegend gut kannte, auf Erkundigung ausschickte. »Und kehren Sie ja nicht ohne Gefangene, die wir gut ausfragen können, zurück«, schloß er seinen Auftrag.

Kmicic lächelte. Auch ohne diese Bitte hätte er Gefangene mitgebracht, und wenn er sie von den Verschanzungen von Prostki herholen müßte.

Zwei Tage später kehrte Pan Andreas zurück. Er führte mehrere Dutzend Preußen und Schweden bei sich, darunter den Hauptmann eines unter Boguslaws Kommando stehenden preußischen Regimentes.

Aus dem Verhöre ergab sich, daß bei Prostki nicht nur die Truppen des Grafen Waldeck standen, sondern zugleich sechs schwedische Regimenter unter dem Oberbefehle des General-Majors von Israel, von denen vier Reiterregimenter waren, die Peterson, Frytjotson, Tauben und Ammerstein kommandierten, und zwei Infanterieregimenter, die die Brüder Engel befehligten. Außerdem war Fürst Boguslaw da mit vier Bannern.

Graf Waldeck führte über diese ganze Armee den Befehl, jedoch nur nominell; denn in Wirklichkeit folgte er in allem dem Rate Boguslaws, ebenso wie es auch der schwedische General Israel tat.

Die wichtigste Aussage des gefangenen Offiziers war die, daß zweitausend auserlesene Infanteristen zur Verstärkung erwartet wurden, und daß Graf Waldeck, da er fürchtete, daß sie auf Kmicic' Tataren stoßen könnten, beschlossen hatte, das befestigte Lager zu verlassen, sich mit der Verstärkung zu vereinen und sich dann neu zu verschanzen. Boguslaw war zwar zuerst gegen diese Maßnahme, aber er begann, sich allmählich Waldecks Ansicht anzuschließen.

Hierüber freute sich Pan Gosiewski sehr. Er wußte nur zu gut, daß der Feind sich im befestigten Lager lange halten würde, daß aber weder die schwedische noch die preußische Reiterei den Litauern im offenen Felde widerstehen konnte.

Dasselbe war auch dem Fürsten Boguslaw bekannt, aber seine Eigenliebe litt unter der Beschuldigung einer übertriebenen Vorsicht zu sehr, und man konnte annehmen, daß es ihm schnell lästig werde, im Lager zu sitzen, und daß er sich bald vorwagen werde. Auf alle Fälle mußte Gosiewski sich beeilen, um die Schweden gleich beim Verlassen der Schanzen anzugreifen.

Derselben Meinung waren auch alle die anderen Obersten: Korsak, der Kavallerie-Oberst, Woinillowicz, Wolodyjowski, Kmicic und Hassan-Bey, der Befehlshaber einer Tatarenhorde. Es wurde beschlossen, noch in derselben Nacht aufzubrechen. Pan Korsak schickte den Fahnenträger Bieganski nach Prostki voraus, damit er das schwedische Lager scharf beobachte.

Kaum hatten Gosiewskis Truppen zwei Meilen zurückgelegt, als ein Bote mit einem Briefe von Pan Bieganski ankam. Der Fahnenträger meldete, daß nach Aussagen mehrerer Gefangenen die Schweden Prostki schon am nächsten Morgen um acht Uhr verlassen werden, wozu die nötigen Befehle schon gegeben seien.

»Danken wir Gott, und geben wir unseren Pferden die Sporen«, sagte der Hetman. – »Bis zum Abend werden wir sie geschlagen haben!«

Er sandte sofort die Tataren mit der Weisung voraus, der ankommenden preußischen Infanterie den Weg zu den Truppen des Grafen Waldeck zu verlegen. Den Tataren folgten bald die litauischen Banner.

Kmicic befand sich in den ersten Reihen der Tataren und feuerte nach Kräften seine Abteilung an. Unterwegs beugte er sich tief herab auf den Hals seines Pferdes, und seine Lippen flüsterten ein Gebet:

»Herrgott! Nicht für mich will ich Rache nehmen, sondern für das gekränkte Vaterland. Gib den Ketzer in meine Hände! Und ich verspreche dir, zu fasten und mich wöchentlich einmal bis an mein Lebensende zu peitschen!«

Und eine neue Kraft erfüllte seine Seele, eine Kraft, vor der alles in den Staub fallen mußte. An seinen Schultern schienen ihm Flügel zu wachsen, und er flog an der Spitze seiner Tataren wie ein Wind und hinter ihm, bis zum Sattel niedergebückt, sausten Tausende wilder Söhne der Steppen.

Die Mondsichel begann schon bleich zu werden und nach Westen zu sinken, als die Tataren Halt machten, um sich und den Pferden etwas Erholung zu gönnen. Man war nur noch eine halbe Meile von Prostki entfernt. Kmicic bestieg ein Reservepferd und ritt weiter, um auf das feindliche Lager einen Blick zu werfen.

Eine halbe Stunde später traf Pan Andreas die Abteilung des Fahnenträgers, die Pan Korsak vorausgeschickt hatte.

»Nun, was?« fragte Kmicic den Fahnenträger. »Gibt es Neues?«

»Die Schweden schlafen nicht und summen im Lager wie die Bienen im Bienenstock.«

»Kann man nicht von irgendwo aus das Lager besser übersehen?«

»Da, von jenem Hügel aus. Ihr Lager liegt dicht am Flusse.«

Der Fahnenträger und Kmicic ritten auf die Spitze einer kleinen Anhöhe. Es begann zu tagen, im Tale war es jedoch noch dunkel. Allmählich lichtete sich die Dunkelheit, und Kmicic sah mit Hilfe eines Fernrohres nicht nur die Zelte des Feindes, sondern er konnte auch die hellblauen schwedischen Fahnen von den gelben preußischen unterscheiden.

Ringsum herrschte tiefe Stille, die nur von dem Rauschen der Sträucher und von fröhlichem Vogelgezwitscher unterbrochen wurde. Vom Lager her drangen unklare Geräusche herüber.

Augenscheinlich waren dort alle wach und bereiteten sich zum Aufbruche vor. Ganze Regimenter waren in Bewegung, die Artillerie holte die Geschütze von den Wällen herunter.

Kmicic befahl den Soldaten, auf ihrem Platze zu bleiben, während er selbst in rasendem Trabe zurücksprengte.

Pan Gosiewski bestieg gerade sein Pferd, als er den herankommenden Babinicz sah. Sobald er seinen Bericht entgegengenommen hatte, ließ er die Regimenter vorrücken.

Voran ritt Kmicic mit einem kleinen Teile der Tataren, dann folgten die Banner Woinillowicz', die Laudaer und das eigene des Pan Hetman. Hassan-Bey blieb mit den übrigen Tataren hinten, da er befürchtete, daß seine Leute der feindlichen schweren Reiterei nicht standhalten könnten. Außerdem hoffte er im stillen, sich des feindlichen Lagers bemächtigen zu können und dort reiche Beute einzuheimsen. Der Hetman verstand das auch, aber er willigte trotzdem darin ein. Die Tataren, die bei einem Angriffe auf offenem Felde nur wenig ausrichten konnten, verwandelten sich, sobald sie das feindliche Lager betraten, völlig in wilde Tiere, so daß sie fürchterliche Verwirrung in den Reihen des Feindes hervorriefen.

Zwei Stunden später machten die polnischen Truppen an dem Hügel, wo die voraus gesandte Abteilung wartete, Halt. Der Fahnenträger berichtete, daß der Feind bereits das Lager verlassen habe, und jetzt nur noch die letzten Wagen herausfuhren.

»Dann können sie nicht mehr zurück; der Train wird sie daran hindern«, sagte Pan Gosiewski. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken!« Und er gab mit seinem Stabe das Zeichen zum Vorrücken. Der Fahnenträger der Roßschweiffahne begann mit der Flagge nach allen Seiten zu wehen, sämtliche Fahnen fingen nun an zu flattern. Es erschollen Trompetenstöße, in der Luft erglänzten sechstausend Säbel und sechstausend Stimmen riefen auf einmal:

»Jesus, Maria! – Allah! – Il Allah!«

Die Schweden hatten diese Gäste nicht so bald erwartet. Die Regimenter begannen sich schnell mit der Front nach dem Flusse hin zu formieren.

Bald waren die feindlichen Heere nur tausend Schritte voneinander entfernt. Eine große Wiese, in deren Mitte ein Fluß war, trennte sie. Eine Minute darauf fiel auf der schwedischen Seite der erste Kanonenschuß. Die Schlacht begann.

Der Hetman sprengte zu Kmicic heran.

»Pan Babinicz, greifen Sie das Reiterregiment dort an!« –

»Folgt mir!« befahl Pan Andreas. Er gab seinem Pferde die Sporen und sauste zum Flusse. Die Tataren überschritten an einer flachen, sandigen Stelle den Fluß und rasten weiter.

Das schwedische Reiterregiment ritt ihnen zuerst langsam entgegen, dann begann es zu traben und blieb schließlich ganz stehen. Als die Tataren bis auf zwanzig Schritt herangekommen waren, erscholl das Kommando: »Gebt Feuer!« Und Hunderte von mit Pistolen bewaffneten Händen streckten sich nach der Richtung der Tataren aus.

Dieser Salve folgte der Zusammenstoß der beiden Feinde. Die Mitte der von den Reitern gebildeten geraden Linie gab dem Anpralle der Tataren nach, die beiden Flügel standen fest. Jetzt begann eine schreckliche Metzelei. Es verteidigten sich hochgewachsene, in Eisen geschmiedete Männer gegen eine graue Wolke Tataren, die mit unheimlicher Schnelligkeit auf sie einhieben. Diese rasch die Luft durchsausenden Säbel von Kmicic' Tataren blendeten einfach die Schweden. Vergebens erhoben die schwedischen Hünen ihre Schwerter; noch bevor sie ausholen konnten, fühlten sie schon den kalten Stahl des Feindes in ihren Körper eindringen, und das Schwert entsank ihren Händen. Und wie ein Schwarm Stechfliegen trotz aller Abwehr einen Menschen umschwärmt und wie sie ihn mit ihren Stacheln stechen, so stachen die wütenden, in so vielen Kämpfen geübten Tataren Kmicic' auf den Feind los, und sie brachten Tod und Verderben in die Reihen der Schweden.

Die in Eisen gepanzerten Reiter fielen zu Dutzenden, und Kmicic drang immer weiter vorwärts. Plötzlich bemerkte er, daß den geschlagenen Schweden eine Abteilung roter Dragoner zu Hilfe eilte.

»Tut nichts«, dachte er, »bald kommt uns Wolodyjowski zu Hilfe.«

Plötzlich erscholl eine Kanonensalve, die Musketen begannen zu sprechen. Das ganze Feld wurde in Pulverdampf eingehüllt.

Es schien, als wenn die Schweden Kmicic und seine Tataren absichtlich den Fluß überschreiten ließen, um sie desto leichter bis auf den letzten Mann vernichten zu können.

Und Hilfe kam von jenseits des Flusses noch immer nicht! Pan Korsaks Leute versuchten es, den Tataren nachzukommen, aber sie gerieten in Unordnung und mußten sich zurückziehen. Woinillowicz' Banner erreichte fast die Mitte des Flusses, sah sich dann aber auch zur Umkehr gezwungen; denn die Schweden beschossen unaufhörlich die einzige Stelle, die eine Überschreitung zuließ.

Schließlich mußte der Hetman sich selbst überzeugen, daß es nicht möglich sei, über den Fluß zu gehen.

Und doch hing von Kmicic der ganze Ausgang des Kampfes ab. Die Brauen des Hetman zogen sich finster zusammen. Er rief seiner Ordonnanz zu:

»Reite zu Hassan-Bey, er soll den Fluß so schnell als möglich schwimmend überschreiten und versuchen, ins Lager einzudringen. Alles, was er dort erbeutet, soll ihm gehören! Geschütze sind an der Stelle nicht aufgestellt; der Fluß ist das einzige Hindernis. – Was denken Sie?« wandte er sich an Wolodyjowski, »werden die Tataren herüberkommen?«

»Das werden sie schon, aber Babinicz kommt um«, antwortete dumpf Wolodyjowski.

»Mein Gott!« rief der Hetman. »Wenn dieser Babinicz nur einen Kopf auf seinen Schultern hätte, so könnte er die ganze Schlacht gewinnen helfen!«

Pan Gosiewski nahm wieder sein Fernrohr und richtete es auf den Fluß. Schließlich hielt es Wolodyjowski nicht mehr aus. Er nahm seinen ganzen Wagemut zusammen, räusperte sich und sagte:

»Pan Hetman, wenn Sie es erlauben, würde ich es versuchen, den Fluß zu durchwaten!«

»Sie gehen nicht vom Platze!« erwiderte der Hetman scharf. »Es genügt, daß jene umkommen.«

»Sie kommen ja alle um!« antwortete der kleine Ritter.

Und wirklich, der Lärm auf der anderen Seite wurde immer größer, augenscheinlich trat Kmicic den Rückzug an.

»Gott sei Dank! Darauf habe ich nur gewartet!« rief der Hetman aus, und er sauste wie der Wind zu Woinillowicz' Banner.

Kmicic zog sich zurück. Seine Leute hatten sich im Kampfe mit den Dragonern gänzlich erschöpft, und allein die Hoffnung auf Verstärkung hatte sie solange standhalten lassen.

Als aber noch eine halbe Stunde verging, die keine Hilfe gebracht hatte, wurde die Verteidigung immer aussichtsloser. Besonders, da die Dragoner durch ein schweres Reiterregiment Boguslaws unterstützt wurden.

»Der Tod naht!« dachte Kmicic. Aber keine Minute lang wurde ihm bange zumute. Soviele Male war er schon in solcher Lage, und niemals hatte er die Hoffnung auf einen Sieg und auf seine eigene Rettung ausgegeben. Plötzlich durchschoß ein neuer Gedanke seinen Kopf: »Den Fluß können die unsrigen nicht durchwaten, – so werd' ich ihnen dazu verhelfen.«

Boguslaws Regiment war nur hundert Schritt von ihm und seinen Leuten entfernt. Pan Andreas nahm seine Rohrpfeife an die Lippen und pfiff so durchdringend, daß die zunächst stehenden Dragonerpferde sich hoch aufbäumten. Andere Rohrpfeifen der Tataren wiederholten das Signal; eine Sekunde, und die Tataren warfen ihre Pferde herum.

Die roten Dragoner und das Boguslawsche Regiment setzten ihnen nach.

Auf der weiten Wiese flogen wie auf Flügeln des Windes die Tataren in Reih und Glied direkt zu der von der feindlichen Artillerie beschossenen Furt. – Immer näher kommen sie der verhängnisvollen Stelle. – Augenscheinlich lassen die Kräfte der tatarischen Pferde nach; die Entfernung zwischen ihnen und dem nachsetzenden Feinde wird immer kleiner. Die vordersten Reiter haben die Fliehenden erreicht und schlagen schon los. Noch einige Schritte, und das Flüßchen ist da. – Da aber ereignete sich etwas Überraschendes.

Kaum hatte die Tatarenabteilung den Fluß erreicht, als wieder der durchdringende Pfiff der Rohrpfeifen auf beiden Flügeln erscholl. Und die ganze Abteilung, anstatt in den Fluß zu sprengen, teilte sich in zwei Teile und zerstreute sich nach rechts und links längs des Ufers.

Die schweren feindlichen Regimenter konnten ihre Pferde nicht so schnell zum Stehen bringen und rasten in den Fluß hinein.

Die schwedische Artillerie verstummte, um nicht die eigenen Soldaten zu treffen. Auf diese Minute hatte Gosiewski wie auf seine eigene Rettung gewartet.

Er ließ das königliche Banner Woinillowicz', dann das Laudaer, Korsaks, zwei hetmansche und das Panzer-Banner des Fürsten Michail Radziwill los.

Ehe der Feind sich noch formieren konnte, sprengte Woinillowicz' Banner die roten Dragoner auseinander, schnitt Boguslaws Regiment in zwei Teile und jagte sie alle der Hauptmacht des Feindes zu.

Der Fluß färbte sich rot von Blut. Die Geschütze dröhnten wieder los, aber zu spät. Denn schon rasten acht litauische Banner über die Wiese dahin, und die Schlacht begann auf der anderen Seite des Flusses.

Graf Waldeck, Boguslaw und Israel führten ihre ganze Kavallerie ins Treffen, um den ersten Sturm aufzufangen und die Infanterie sich formieren zu lassen. Aber der Anprall der litauischen Banner war so heftig, daß ein Widerstand nicht möglich war. Die Infanterie, die Karrees gebildet hatte, konnte auch dem rasenden Angriffe nicht standhalten. Und inmitten des Pulverdampfes der Musketenschüsse, die die zweiten und dritten Reihen der Karrees abgaben, erblickten die ersten Reihen Tausende von Pferdehufen über ihren Köpfen. Die Luft erzitterte von tausendstimmigen Rufen.

Ein Regiment nach dem anderen ward zertrümmert.

Noch brauchten die Schweden die Hoffnung nicht aufzugeben, noch konnte der Sieg sich ihnen wieder zuwenden, da im Lager noch zwei frische Regimenter lagen, die in jeder Minute herangezogen werden konnten.

Graf Waldeck hatte völlig den Kopf verloren. Fürst Boguslaw übernahm den Befehl und leitete die ganze Schlacht. Die Gefahr erkennend, schickte er eine Ordonnanz zu den Reserveregimentern. Nach einer halben Stunde kehrte der Bote bleich, ohne Mütze, mit verzweifeltem Gesicht zurück.

»Im Lager sind die Tataren!« schreit er schon aus der Ferne Boguslaw zu.

Gleich darauf nahten Dutzende von schwedischen Reitern in völliger Auflösung. Die Infanteristen hatten ihre Waffen von sich geworfen. Vollgepackte Fuhren, deren vorgespannte Pferde scheu geworden waren, rasten nach allen Seiten dahin. Überall herrschte völlige Verwirrung.

»Hassan-Bey ist ins Lager eingedrungen!« ruft Gosiewski erfreut. Und dann schickt er seine zwei letzten Banner ins Feuer.

Boguslaw, der sieht, daß alles verloren ist, will am allerersten sich und einen kleinen Teil seiner Reiterei retten.

Mit übermenschlicher Anstrengung sammelt er eine Anzahl Reiter um sich und reitet links das Ufer entlang.

Aber da überfällt ihn mit seinen Husaren Fürst Michail, und mit einem Schlage vernichtet er die ganze Abteilung. Boguslaw rast auf dem schwarzen Gaul Kmicic' wie der Wind davon und bemüht sich von neuem, durch Rufe mehrere Reiter um sich zu sammeln. Niemand hört auf ihn, ein jeder ist froh, mit dem Leben davongekommen zu sein und keinen Feind vor sich zu haben.

Doch vergebens die Freude! Kaum haben sie sich einige tausend Schritt entfernt, als hinter ihnen und vor ihnen ein wildes Geheul erschallt. Aus dem Schilfe taucht ein ganzer Haufe Tataren auf.

Es war Kmicic mit seiner Abteilung. Er hatte sich mit seinen Leuten im Schilf verborgen, um, nachdem sie sich von dem ersten Zusammenstoß erholt hatten, dem fliehenden Feinde den Rückzug abzuschneiden.

Kmicic erkannte Boguslaw sofort an dem Gaul und an dem Hute mit den schwarzen Straußenfedern.

Sobald der Fürst Kmicic' und seiner wilden Schar gewahr wurde, gab er seinem Pferde die Sporen und flog wie ein von der Meute verfolgter Hirsch dahin. Er beugte sich bis zum Sattel herab; sein Pferd berührte kaum mit den Hufen den Erdboden. Kmicic setzte ihm nach, die Tataren blieben weit zurück. Um seinem Pferde das Rennen zu erleichtern, warf Pan Andreas die Pistolen aus den Satteltaschen. Er blickte unverwandt auf Boguslaw und schlug mit seinen Sporen erbarmungslos auf das Pferd ein, das ohnehin schon nicht mehr bei Kräften war. Trotz aller Bemühungen wurde die Entfernung zwischen Kmicic und dem Fürsten immer größer.

»Ich hole ihn nicht ein,« dachte Pan Andreas voller Wut, und indem er sich im Sattel hochrichtete, rief er so laut wie möglich:

»Fliehe nur, Verräter, vor Kmicic! Wenn nicht heute, so kriege ich dich morgen! Du sollst mir nicht entgehen!«

Kaum verhallten diese Worte, als der Fürst sich umdrehte. Da er sah, daß Pan Andreas allein war, wandte er sein Pferd um und stürzte sich mit gezogenem Säbel auf ihn.

Sie stießen beide zusammen. Schon nach den ersten Schlägen hörte Boguslaw auf, den Gegner gering zu schätzen. Alle Hiebe, die er von den französischen Fechtmeistern gelernt hatte, wurden pariert. Der Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht und vermischte sich mit der weißen und roten Schminke. Sein rechter Arm wurde ihm steif. Er begann sich zu ärgern und beschloß, die letzte Anstrengung zu machen, um den Gegner niederzuhauen. Kmicic aber parierte mit solcher Wucht, daß dem Fürsten der Säbel aus der Hand flog. Dann versetzte Pan Andreas ihm einen Hieb über die Stirn.

»Christus!« rief der Fürst und stürzte vom Pferde.

Pan Andreas stieg auch ab und näherte sich mit dem Säbel in der Hand dem Fürsten. Er war kreidebleich, und auf seinem Gesichte lag der Ausdruck eines unerbittlichen Hasses.

Sein Todfeind lag jetzt zu seinen Füßen, noch lebend und bei vollem Bewußtsein.

Boguslaw sah Kmicic mit weitgeöffneten Augen an und rief ihm zu:

»Töte mich nicht! Ich gebe Lösegeld!«

Statt jeder Antwort setzte Kmicic seinen Fuß auf des Fürsten Brust und die Spitze seines Säbels auf die Gurgel. Die geringste Bewegung, und der Fürst war verloren. – Aber Pan Andreas wollte sich an seiner Rache sättigen. Er blickte Boguslaw fest in die Augen, wie der Löwe den zu Tode verwundeten Büffel ansieht.

Unablässig rann das Blut aus der Stirnwunde Boguslaws und bildete auf der Erde eine kleine Lache. Pan Andreas' Fuß stellte sich immer schwerer auf seine Brust.

»Höre,« begann Boguslaw mit gebrochener Stimme, »Alexandra –«

»Sprich!« sagte er.

Fürst Boguslaw atmete freier auf und wiederholte lauter:

»Alexandra, – sie ist verloren, wenn du mich tötest! Der Befehl ist gegeben.«

»Was hast du mit ihr getan?« fragte Kmicic.

»Gib mich frei, – und ich händige sie dir aus, – ich schwöre, ich schwöre beim Evangelium!«

Pan Andreas schlug sich an die Stirn; augenscheinlich kämpfte er mit sich.

»Höre, Verräter,« sagte er schließlich, »ich gäbe mit Freuden hundert solcher Ausgeburten wie du für ein einziges ihrer Haare hin. Aber ich glaube dir nicht, du Eidbrüchiger!«

»Ich schwöre beim Evangelium! Ich gebe dir einen Schutzbrief und einen unterzeichneten Befehl!«

»Mag es so sein! Ich schenke dir das Leben; aber aus den Händen gebe ich dich nicht. Du gibst mir den versprochenen Brief, und ich übergebe dich bis auf weiteres den Tataren, – du bleibst in ihrer Gefangenschaft.«

»Einverstanden!« erwiderte der Fürst.

»Merke dir es, weder dein Fürstentum noch deine Truppen haben dich vor meiner Rache geschützt, – und wisse, wenn du es je wagen solltest, meinen Weg zu kreuzen oder dein Wort zu brechen, so gibt es nichts auf der Welt, was dich retten könnte. Einmal warst du schon in meinen Händen; jetzt habe ich dich unter meiner Ferse, – vergiß das nie!«

»Mir ist schlecht,« sagte der Fürst. »Pan Kmicic, hier in der Nähe muß Wasser sein, geben Sie mir zu trinken und verbinden Sie meine Wunde.«

»So stirb! Verräter!« sagte Kmicic.

Aber der Fürst, der jetzt seines Lebens sicher war, gewann seine ganze Selbstbeherrschung wieder.

»Sie sind dumm! Wenn ich jetzt stürbe, – was geschähe mit ihr?« – –

Nach diesen Worten erblaßte er und verlor das Bewußtsein. Kmicic stürzte davon, um Wasser zu holen.

Boguslaw kam bald wieder zu sich, gerade in dem Augenblicke, als ein Tatar sich ihm näherte. Der Tatar wollte schon seine Lanze erheben, um den verwundeten Feind an den Erdboden festzunageln, als Kmicic ihm von der Ferne zurief:

»Halt! Laß ihn leben!«

Der Tatar stand unbeweglich. Kmicic sandte ihn nach Wasser aus, während er selbst beim Fürsten blieb, da er die Kiemlicz', Soroka und seine ganze Abteilung herannahen sah, die alle auf der Suche nach ihrem Befehlshaber waren.

Als die treuen Tataren Pan Andreas erblickten, begannen sie unter lauten Rufen ihre Mützen hoch in die Luft zu werfen.

»Akbah-Ulan,« sagte Kmicic, »da liegt der Befehlshaber der geschlagenen Truppen, Fürst Boguslaw Radziwill. Ich schenke ihn euch, aber behütet ihn gut; denn, lebend oder tot, ihr werdet für ihn ein gutes Lösegeld erhalten. Jetzt aber verbindet ihm die Wunde, fesselt ihn und bringt ihn in das Lager.«

Kmicic ließ sich sein Pferd geben, bestieg es und ritt, begleitet von einigen Tataren, zu den Seinen.

Pan Gosiewski stand mit dem Fürsten Michail, Woinillowicz, Wolodyjowski und einem Dutzend anderer Offiziere auf einer Schanze.

Kmicic gab seinem Pferde die Sporen und ritt auf den Hetman zu. Dieser, ein Mann von aufrichtigem Charakter, der durchaus nicht neidisch war, rief schon von weitem:

»Da kommt er ja, der eigentliche Sieger! Ich bin der erste, der es offen erklärt, daß dieser Sieg nur Ihnen zu verdanken ist. Meine Herren, danken wir dem Pan Babinicz; ohne ihn konnten wir das andere Ufer nicht erreichen!«

»Vivat Babinicz!« riefen mehrere Stimmen. »Vivat! Vivat!«

»Wo haben Sie denn diese Kriegskunst erlernt?« fragte der Hetman begeistert. »Woher wußten Sie, was nötig war zu tun?«

Kmicic antwortete nicht; er war schrecklich ermüdet, – er verbeugte sich nur nach allen Seiten. Seine Augen erstrahlten vor Zufriedenheit. Die Vivatrufe wollten nicht verstummen und hallten immer weiter.

Plötzlich stand Pan Andreas im Sattel auf, und indem er seine Hände hoch hob, brüllte er mit Donnerstimme:

»Vivat Jan-Kasimir, unser Herr und Vater!«

Jetzt erhob sich ein solches Geschrei, als wenn die Schlacht von neuem losginge. Ein ungeheurer Enthusiasmus ergriff alle Herzen.

Fürst Michail hakte seinen Säbel mit der Scheide, die mit Brillanten übersät war, ab und reichte ihn Kmicic. Der Hetman nahm seinen kostbaren Mantel und warf ihn Pan Andreas um. Der aber erhob wieder seine Hände und rief:

»Vivat unser Hetman, unser Feldherr und Sieger!«

Von allen Seiten kamen die Soldaten und trugen die eroberten Fahnen herbei, die sie vor den Führern in die Erde einpflanzten. Es waren preußische und schwedische Fahnen und die von Boguslaw; denn der Feind hatte keine einzige gerettet.

»Das ist einer der größten Siege des ganzen Feldzuges!« sagte der Hetman. »Israel und Waldeck sind gefangen, das Heer ist aufs Haupt geschlagen.«

Dann wandte er sich an Kmicic:

»Pan Babinicz, Sie mußten auf jener Seite auf Boguslaw gestoßen sein. – Wo ist er?«

»Den Fürsten Boguslaw hat Gott durch diesen Arm gestraft!« erwiderte Kmicic, indem er auf seinen rechten Arm wies. –

»Mein Vetter ist tot?« fragte schnell Fürst Michail, in dem verwandtschaftliche Gefühle erwachten.

»Nein, er ist nicht tot. Ich habe ihm das Leben geschenkt; aber er ist verwundet und gefangen. Sehen Sie, dort führen ihn meine Tataren!«

Eine Abteilung Tataren näherte sich. Einer von ihnen führte einen Gefangenen. Alle erkannten den Fürsten Boguslaw. Aber in welch trauriger Verfassung war er!

Er, einer der mächtigsten Magnaten der Republik, er, der noch gestern von einer unabhängigen Krone geträumt hatte, er, – ein Fürst des Deutschen Bundes, – ging jetzt mit einem Lasso um den Hals, ohne Hut, mit blutigem, mit einem schmutzigen Lappen verbundenem Kopfe.

Fürst Michail bedeckte sein Gesicht mit seinen beiden Händen. – Wie Boguslaw auch sein mochte, – er war doch ein Radziwill.

»Panowie!« rief er, da er es nicht länger aushielt, »dieser ist mein Vetter, mein Blut! Und ich habe nicht gezögert, weder mein Leben noch mein Vermögen dem Vaterlande zu weihen. – Wer die Hand auf diesen Märtyrer hebt, der ist mein Feind!«

Alle liebten den Fürsten Michail. Als ganz Litauen der Macht des Feindes erlag, leistete er allein in Nieswiez Widerstand. Er war der erste, der sich der Tyszowiecer Konföderation angeschlossen hatte.

»Entreißen wir ihn den Händen der Tataren!« vernahm man vereinzelte Stimmen. »Möge ihn die Republik richten!«

»Ja, nehmen wir ihn den Tataren weg!« wiederholte der Fürst. »Eine Geisel wird sich bald finden, und Lösegeld wird er selbst zahlen. Pan Woinillowicz, gehen Sie mit Ihren Leuten hin und gebrauchen Sie Gewalt, wenn sie ihn nicht willig herausgeben!«

Kmicic sprang wie ein verwundeter Tiger hoch.

»Erlauben Sie, Fürst!« rief er, »das ist mein Gefangener! Ich habe ihm das Leben unter einer Bedingung geschenkt. Und er hat auf das Evangelium geschworen, diese Bedingung einzuhalten. Eher lasse ich mich umbringen, als daß ich dulde, daß er den Tataren entrissen wird, bevor er seinen Verpflichtungen nachgekommen ist!«

Fürst Michail unterdrückte seine Erregung und sagte:

»Sprechen Sie, was verlangen Sie?«

»Daß er seine Versprechungen hält, ehe er aus der Gefangenschaft entlassen wird.« »Er wird alles tun.«

»Nein, nein! Ich glaube ihm nicht!«

»Dann schwöre ich für ihn und stehe Ihnen mit meinem Ritterwort dafür ein, daß alles, was er Ihnen versprochen, auch ausgeführt wird. – Widrigenfalls können Sie mich zur Verantwortung ziehen.«

»Das genügt,« entgegnete Kmicic.

»Ich danke Ihnen, Pan Kavalier!« schloß der Fürst. »Sie können ruhig sein; auch ich gebe ihm nicht die Freiheit. Ich liefere ihn dem Hetman aus, daß er sich später vor dem Gericht des Königs verantworten soll!«

Schon am Abend befand sich Boguslaw im Zelte des Pan Gosiewski. Seine Wunde erwies sich als nicht sehr gefährlich, man konnte auf seine baldige Wiederherstellung rechnen.

Pan Wolodyjowski konnte es Kmicic durchaus nicht verzeihen, daß er den Fürsten lebend aus seinen Händen gelassen hatte.

»Fürchten Sie denn nicht Gott?« fragte der kleine Ritter Pan Andreas, als dieser spät in der Nacht sein Zelt aufsuchte. »Von jedem anderen hätte ich das erwartet, aber nicht von Ihnen. – Wie konnten Sie einen Verbrecher lebend aus Ihren Händen lassen?«

»Erst hören Sie mich an, und dann urteilen Sie,« sagte Kmicic finster. »Schon hatte ich meinen Fuß auf ihn gesetzt, schon berührte meines Säbels Spitze seine Gurgel, da sagte er mir – wissen Sie, was er mir da sagte? – Er sagte, er hätte den Befehl gegeben, Alexandra in Tauroggen Zu töten, sobald er selbst umkäme. – Was blieb mir Unglücklichem nun zu tun übrig? – Ich kaufte ihr Leben mit dem Preis des seinigen. – Was sollte ich tun? – Um Gottes willen, was konnte ich tun?«

Pan Andreas griff verzweifelt mit beiden Händen in seine Haare. Wolodyjowski versank in Gedanken.

»Ich verstehe Ihre Verzweiflung,« sagte er nach einiger Zeit, »aber trotzdem haben Sie einen großen Verbrecher aus Ihren Händen gelassen, der späterhin der Republik noch viel Böses zufügen kann. – Heute haben Sie sich über alle Maßen ausgezeichnet, doch zu guter Letzt haben Sie das Wohl des Vaterlandes Ihren eigenen Interessen geopfert.«

»Und Sie, was hätten Sie selbst getan, wenn Sie gewußt hätten, daß über dem Kopfe der Panna Anna Borzobohata das Schwert schwebt?«

»Ich stelle mich nicht als Muster auf. – Hm, – was ich getan hätte, – das weiß ich nicht. Aber das eine weiß ich, Skrzetuski hätte dem Feinde nicht das Leben gelassen. Außerdem bin ich davon überzeugt, daß Gott das Vergießen dieses unschuldigen Blutes nicht zugelassen hätte.«

»O, so möge die ganze Schuld auf mich allein fallen! Richte mich, Gott, nicht nach meinen schweren Sünden, sondern nach deiner Barmherzigkeit! Konnte ich denn das Todesurteil meiner Taube unterschreiben?«

Kmicic bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

»Engel im Himmel, beschützt mich! Das konnte ich nicht! Niemals! niemals!«

»Nun, beruhigen Sie sich,« tröstete ihn Wolodyjowski.

Pan Andreas holte aus seiner Brust ein Blatt Papier heraus.

»Sehen Sie, das habe ich ihm abgerungen! Es ist ein Befehl an Sakowicz und an den schwedischen Kommandanten. Den mußte er unterschreiben, obwohl er kaum die Hand führen konnte. – Das ist ihre Freiheit! Ihre Sicherheit! Ich schwöre, ich werde mich allwöchentlich peitschen lassen, ich werde eine neue Kirche errichten lassen; aber ihr Leben riskieren, das konnte ich nicht! Gut, ich besitze nicht die opfermütige Seele eines Römers, – ich bin kein Cato wie Pan Skrzetuski! Gut! Ihr Leben riskieren, das kann ich nicht! Nein, zum Teufel, selbst wenn meiner ewige Martern im künftigen Leben warten sollten!«

Hier schloß Wolodyjowski den Mund Pan Andreas' und rief mit erschrockener Stimme:

»Führen Sie keine gotteslästerlichen Reden! Sie werden noch Gottes Strafe auf sich rufen. Büßen Sie lieber, schnell, schnell!«

Kmicic begann sich vor die Brust zu schlagen und mehrmals zu wiederholen: »Mea culpa! Mea maxima culpa!« Dann fing er an wie ein Kind zu schluchzen. Der arme Pan Andreas wußte wirklich nicht, was er tun sollte.

Wolodyjowski ließ ihn sich ruhig ausweinen, dann erst fragte er ihn:

»Und was denken Sie jetzt zu tun?«

»Ich gehe mit meiner Abteilung, wohin man mich schickt. Am liebsten nach Birze! – Doch die Leute und die Pferde müssen sich erst erholen. Jetzt ist Preußen ganz wehrlos; es stehen nur wenige kleine Garnisonen dort.«

Pan Michail seufzte.

»He, ich würde gern mit Ihnen gehen, aber was kann ich tun? Der Dienst geht vor! – Hören Sie, Freund, wenn Sie beide auffinden, dann – beschützen Sie auch die andere.«

Und der kleine Ritter warf sich Pan Andreas in die Arme.


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