Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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4. Kapitel.

Kmicic zog mit seinen Leuten und den Pferden in der Richtung nach Szczuczyn zu. Daselbst jedoch kehrte er nicht ein; denn er erfuhr, daß dort das Banner Pan Wolodyjowskis stand. Wie sollte er unter die Augen dieses berühmten Kriegers treten, wo er dachte, daß man seinen Worten keinen Glauben schenken würde. Er befahl deshalb, nach Westen abzuschwenken, nach Wonsoszy zu.

Mehrere Meilen von Wonsoszy entfernt stand eine Schenke, in der Pan Andreas zu übernachten gedachte, hauptsächlich, weil außer dem Wirt niemand in der Schenke war. –

Sobald sich jedoch Kmicic mit den drei Kiemlicz' und Soroka an den Abendtisch gesetzt hatte, hörte man von der Straße her Rädergerassel und Hufschläge.

Kmicic ging hinaus, um zu sehen, ob eine schwedische Abteilung ankäme. Vor der Tür hielten eine Kalesche, zwei Gepäckwagen und mehrere bewaffnete Reiter. Kmicic sah gerade, wie aus der Kalesche ein Herr stieg, dann trat er wieder in die Gaststube und setzte sich zu den anderen an sein Abendbrot. Bald kam auch der fremde Herr herein.

»Erlauben Sie, daß ich an Ihrem Tische Platz nehme?« fragte er.

»Wir bitten darum, obwohl wir nicht wissen, womit wir Sie bewirten können. Wir haben nur Erbsen und Wurst.« »Ich habe zwar Besseres mit; aber für einen Soldatenmagen sind auch Erbsen und Wurst nichts Schlechtes. Besonders, wenn man genügend zu trinken hat, um alles herunterzuspülen.«

Mit diesen Worten setzte er sich an den Tisch; als er bemerkte, daß Kmicic ihm Platz machte, sagte er freundlich:

»Bitte, bitte, machen Sie sich keine Unbequemlichkeiten. Selbst wenn Sie mich mit dem Ellenbogen anstoßen, die Krone von meinem Kopfe wird dadurch nicht herunterfallen.«

Kmicic erwiderte lächelnd:

»Wir haben jetzt solche Zeiten, Euer Gnaden, daß selbst von den Köpfen der Allerhöchsten Kronen herunterfallen. Unser König z. B., Jan-Kasimir, der von Rechts wegen zwei Kronen tragen sollte, trägt jetzt nur eine Dornenkrone.«

Der Unbekannte sah Kmicic scharf an und seufzte.

»Wir haben jetzt solche Zeiten, daß man nur mit bewährten Freunden von ihnen sprechen sollte. – Die Schweden haben wir nun zur Genüge kennen gelernt, es sind blutige Tränen, die ihretwegen vergossen werden. – Sie nehmen den armen Leuten nicht nur ihr Hab und Gut fort, sondern den Kopf auch dazu. – Alles blickt jetzt voller Erwartung auf die Konföderierten; von ihnen allein erwartet man die Rettung für sich und das Vaterland.«

»Euer Gnaden scheinen den Schweden nicht sonderlich gewogen zu sein?« fragte Kmicic.

Der Fremde sah sich ängstlich um, beruhigte sich aber gleich und entgegnete:

»Ich wünsche, daß sie alle krepieren mögen. – Ich verhehle Ihnen meine Ansicht nicht; Sie scheinen mir ein wackerer Mann zu sein. – Selbst wenn Sie mich gefangen den Schweden ausliefern wollten, ich habe meinen Säbel bei mir, und meine Dienerschaft ist auch bewaffnet.«

»Sie können ganz beruhigt sein. Es gefällt mir im Gegenteil sehr von Ihnen, daß Sie aus Liebe zum Vaterlande Ihr Besitztum verlassen haben, das unbedingt jetzt den Schweden in die Hände fallen wird.«

»O, halten Sie mich wirklich für einen solchen Narren? – Meine erste Lebensregel ist: Was Gott dir gegeben hat, das halte fest. Solange ich den Inhalt meiner Speicher nicht verkauft hatte, saß ich ruhig zu Hause. Ich hatte nämlich ein Gut in Pacht. Jetzt aber ist meine Pachtzeit abgelaufen. Den letzten Zins habe ich noch gar nicht bezahlt und denke auch gar nicht daran, es zu tun, bei Gott! – Man sagt, mein Gutsherr sei ein schwedischer Parteigänger. Lieber soll das Geld bei mir bleiben, als ...«

Kmicic lachte hell auf.

»O, daß Euch der Teufel hole! – Man sieht, Ihr seid nicht nur ein tapferer Mann, sondern auch ein gescheiter dazu.«

»Wie denn sonst? – Warum aber gehen Sie, der Sie doch für König und Vaterland so warme Gefühle hegen, nicht zu den Konföderierten? Sie könnten sich gleichzeitig Gottes Lohn verdienen und Karriere machen. Wie oft kommt es vor, daß jemand vom Kriege reich zurückkehrt. Ich sehe, Sie sind ein kühner und entschlossener Mann. Gibt Gott gute Kriegsbeute, so könnten Sie schnell zu Reichtum gelangen.«

Kmicic vermochte kaum, das Lachen zurückzuhalten.

»Ich würde Sie unter meine Protektion nehmen. Sie könnten mein Waffenträger sein und meine Dienerschaft beaufsichtigen.«

Kmicic konnte nicht mehr an sich halten, er brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Warum lachen Sie eigentlich?«

»Ich freue mich so über Ihr Anerbieten. – Entschuldigen Sie, ich habe bisher nicht die Ehre –«

»Ich bin Pan Rzendzian aus Wonsoszy!« unterbrach der Pan ihn stolz.

Kmicic öffnete gerade den Mund, um seinen angenommenen Namen zu sagen, als Bilous eintrat.

»Pan Kommand-«

Kmicic sah ihn drohend an, der Soldat wurde verlegen und sagte: »Leute aus Szczuczyn sind angekommen.«

Kmicic sprang auf, besann sich aber gleich.

»Achtung! Sind es viele?«

»Zehn Mann.«

Pan Andreas ging einige Male im Zimmer auf und ab und setzte sich dann in die dunkelste Ecke der Stube. Einige Augenblicke später traten mehrere Menschen herein.

Als Kmicic den ersten sah, begann sein Herz heftig zu schlagen. – Es war Juzwa Butrym.

»He, Wirt! Hafer für unsere Pferde!«

»Ich habe keinen,« entgegnete der Wirt, »vielleicht können diese Herren Ihnen aushelfen.« Und er zeigte auf Rzendzian und Kmicic.

»Wer sind die Leute?« fragte Rzendzian.

»Laudaer, aus dem Banner des Pan Wolodyjowski.«

»So, Pan Wolodyjowski ist also in Szczuczyn?«

»Jawohl, die anderen Obersten auch. Dort sind Pan Oskierka, Pan Kowalski, beide Skrzetuskis.«

In Kmicic' Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Der frühere Kmicic hätte seinen Feind und den Mörder seiner Freunde mit Pferden zerreißen lassen, aber der jetzige, Pan Babinicz, hatte gelernt, sich zu beherrschen. Im Gegenteil, er fürchtete sogar, erkannt und an der Ausführung seines Planes gehindert zu werden. Er barg sein Gesicht in den Händen, als ob er schläfrig sei und flüsterte dem neben ihm sitzenden Soroka zu:

»Geh, sag' den anderen, daß sie sich zur Abreise bereit halten; des Nachts brechen wir auf.«

Kmicic verharrte in dieser Stellung und gab sich den Anschein eines Schlummernden, während Erinnerungen seine Seele in Scharen bestürmten. Diese Leute zauberten mit einem Male lebendig vor sein inneres Auge: Lauda, Wodokty und all das unlängst Erlebte, das so schnell aufeinander gefolgt war, daß es ihm wie ein Traum vorkam.

Plötzlich weckte ihn aus seinem Sinnen der Klang seines Namens, den Juzwa Butrym mehrfach wiederholte. Juzwa erzählte Rzendzian alles, was sich seit dem Tage des schändlichen Vertrages des Hetmans mit den Schweden ereignet hatte. – Er berichtete von der Meuterei der Truppen, von der Verhaftung des Obersten und ihrer glücklichen Rettung. Kmicic' Namen belegte er mehrmals mit nicht gerade schmeichelhaften Beiwörtern. Dann kam das Gespräch auf Pan Wolodyjowski und die in Podlachien stehenden Banner.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und Soroka trat ein und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Juzwa sah ihn und fragte Rzendzian:

»Ist das einer von Ihren Leuten? Ich habe ihn schon irgendwo gesehen!«

»Nein,« antwortete Rzendzian, »es sind Schlachtschitzen, die mit Pferden die Jahrmärkte besuchen.«

»Ihre Pferde könnten sie gut in Szczuczyn los werden. Bei uns herrscht großer Mangel an Pferden.«

»Ein jeder fährt dahin, wo er es für besser hält,« kam Kmicic Soroka zu Hilfe.

»Ich weiß nicht, wo es für Euch besser ist,« entgegnete Juzwa, »aber für uns ist es durchaus nicht vorteilhaft, daß Ihr Eure Pferde an die Schweden verkauft und ihnen obendrein noch alles erzählt, was Ihr hier seht.«

»Und wirklich, Pan, Sie ähneln sehr wenig einem Pferdehändler,« wandte sich Rzendzian an Kmicic. – »Sie tragen da einen Ring am Finger, den zu tragen sich kein Edelmann zu schämen brauchte. Zeigen Sie ihn doch mal her!« –

»So ziehen Sie ihn sich doch selbst ab; ich bin zu müde.«

»He, Brüderchen, man könnte fast meinen, du fürchtest dich, dein Gesicht zu zeigen!«

Und ohne ein Wort zu sprechen, schritt Juzwa auf den Kamin zu, nahm ein brennendes Scheit heraus, hielt es hoch über seinen Kopf und ging auf Kmicic zu.

Kmicic richtete sich in seiner ganzen Länge auf und starrte Juzwa an. Der ließ das Scheit aus seinen Händen fallen, so daß tausend Funken um ihn herumstoben.

»Jesus, Maria!« rief er, »das ist Kmicic!«

»Ich bin es,« antwortete Pan Andreas, der einsah, daß es keine Möglichkeit mehr gab, sich zu verstellen.

»Halt! Halt!« schrie Juzwa. »Du also bist es, verfluchter Verräter! Du, der personifizierte Teufel! Einmal bist du meinen Händen entschlüpft, und jetzt gehst du verkleidet zu den Schweden!«

Er ergriff Pan Andreas am Kragen, aber beide Kiemlicz', Kosma und Damian, erhoben sich schnell.

»Vater, losschlagen?« fragte Kosma.

»Schlag zu,« antwortete der alte Kiemlicz, indem er den Säbel aus der Scheide zog.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und Juszwas Leute stürzten ins Zimmer, gefolgt von Kmicic' Soldaten.

Während Juzwa mit der einen Hand Kmicic gepackt hielt, fuchtelte er mit der anderen mit einem blanken Säbel herum. Doch der geschicktere Kmicic schnürte ihm schnell die Gurgel zu. Juzwas Augen quollen aus ihren Höhlen, und bevor er noch mit seinem Arm auf Kmicic losschlagen konnte, hieb der ihm mit seinem Säbel aus Leibeskräften eins über den Schädel. Juzwa schwankte und stürzte zur Erde wie eine gefällte Eiche.

»Schlagt zu!« rief Kmicic, in dem die alte Gewohnheit wieder erwacht war. Aber auch ohne seinen Befehl wütete in der Stube schon eine Schlacht. Nur Rzendzian stand abseits und zielte mit seiner Pistole auf Kmicic, der jedoch bald hier im Hellen auf-, bald dort im Dunkeln untertauchte.

Die Laudaer kämpften immer schwächer; Juzwas Ende und der gefürchtete Name Kmicic' jagte ihnen einen panischen Schrecken ein. Mittlerweile hatte sich der Schenkwirt leise in die Stube geschlichen. Er goß einen Eimer Wasser in den Kamin, dessen Feuer sogleich erlosch. Die Kämpfenden befanden sich im Finstern. Einen Augenblick trat Ruhe ein, dann flohen Rzendzians Leute und die Laudaer ins Freie. Kiemlicz und seine Söhne folgten ihnen und setzten den Kampf draußen fort. Schließlich mußten sich Rzendzians Diener und die Laudaer ergeben. Der alte Kiemlicz befahl seinen Söhnen, Rzendzians Gepäckwagen zu plündern. Schon gingen Kosma und Damian eifrig an die Arbeit, als Kmicic' strenger Befehl sie davon zurückhielt.

»Euer Gnaden,« sagte der alte Kiemlicz, »ist denn das nicht erlaubt?«

»Es ist eine Schande,« entgegnete Kmicic finster.

Eine Viertelstunde später stand Pan Rzendzian vor Kmicic und machte tiefe Bücklinge vor ihm.

»Pan Oberst, ich wollte Ihnen nur versichern, daß ich keinen Streit angefangen habe. Zu Verwandten zu reisen, das ist doch niemandem verboten. Ich habe weder den Schweden noch dem Pan Hetman je etwas Böses zugefügt. Ich will nur zu Pan Wolodyjowski, das ist nämlich ein alter Kriegskamerad von mir. – Sie erlauben mir doch, ruhig weiter zu fahren, ich habe ja nichts verschuldet?«

»Macht seine Wagen fertig,« befahl Kmicic seinen Leuten. Dann wandte er sich zu Rzendzian. »Nehmen Sie alle Verwundeten und Toten und bringen Sie sie zu Pan Wolodyjowski. Bestellen Sie dem Oberst, daß ich durchaus nicht sein Feind, sondern ein besserer Freund bin, als er es denkt. – Sagen Sie ihm, daß für mich jetzt noch nicht die rechte Zeit sei, zu ihm zu kommen, – vielleicht aber später. – Haben Sie verstanden? – Und dann vergessen Sie nicht, zu erzählen, daß seine Leute mich zuerst überfielen, und ich mich in der Notwehr befand.«

»Natürlich! natürlich!«

»Halt, noch eins! Die Konföderierten sollen ihre Kräfte auf keinen Fall zersplittern, denn Radziwill wird, sobald seine Kavallerie verstärkt ist, gegen sie ziehen. Radziwill, sein Vetter Boguslaw und der Kurfürst setzen irgend etwas ins Werk, so daß der Aufenthalt an der Grenze nicht ungefährlich ist. Pan Wolodyjowski solle nur versuchen, sich möglichst schnell mit dem Witebsker Wojewoden zu vereinigen.«

»Ich werde alles, was Sie mir befehlen, bestellen.«

»Obwohl dies alles Kmicic ihnen rät, Kmicic, dem sie mißtrauen, so sollen sie nur diesmal mir Glauben schenken.«

Nach einer Stunde war Pan Rzendzian schon auf dem Wege nach Szczuczyn. Drei Tote und mehrere Verwundete, unter ihnen Juzwa Butrym, führte er mit sich. In seinem Geiste überflog er all das, was geschehen. Er konnte nicht umhin, diesen eigentümlichen und schrecklichen Mann zu bewundern, der den Konföderierten soviel Böses zugefügt hatte, sie jetzt aber vor ihrem völligen Untergange retten wollte.

Noch ein anderer kam aus seiner Verwunderung über Kmicic nicht heraus; es war der alte Kiemlicz. Immer wieder legte er sich selbst die Frage vor: »Wem eigentlich dient der Oberst? – Er will zum König und schlägt die Konföderierten, die treten doch für den König ein. – Er fürchtet die Schweden und verbirgt sich vor ihnen. – Was soll das alles bedeuten? – Und was wird aus uns Armen werden?«

Der junge Oberst ritt während dessen mit einem furchtbar finsteren Gesicht durch die Nacht. Er war ärgerlich, daß er die Leute niederschlagen mußte, mit denen in einer Reihe zu kämpfen er sehnlichst wünschte. Was aber hätte Wolodyjowski gesagt, wenn ich mich nicht verteidigt und sie mich verkleidet mit Geleitschreiben an die schwedischen Kommandanten in der Tasche vor ihn geführt hätten? – »Die alten Sünden sind's, die mich verfolgen,« dachte Kmicic. »Weg von hier, möglichst weit weg von hier! Gott sei mir Sünder gnädig! – Bin ich erst beim König, so wird für mich der rechte Dienst beginnen!« –


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