Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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12. Kapitel.

An demselben Tage überreichte Akbah-Ulan dem Könige ein Schreiben des Chan.

Der Chan wiederholte seine Zusage, eine Horde von hunderttausend Mann gegen die Schweden zu schicken, wenn er vierzigtausend Taler im voraus erhielte, und wenn die Felder sich bald wieder mit Gras bedeckten, da sonst der Marsch durch die vom Kriege verheerten Gegenden unmöglich sei. Diese kleine Abteilung schickte der Chan als Zeichen seiner Liebe für den »liebsten Bruder«, damit die Kosaken, die noch immer an eine Rebellion dachten, verstehen, daß der Zorn des Chan sich mit seiner ganzen Gewalt über sie entladen werde.

Der König empfing Akbah-Ulan wohlwollend, schenkte ihm ein Rassepferd und erklärte ihm, daß er die ganze Abteilung sofort zum Pan Czarniecki schicken werde, um den Schweden zu zeigen, wessen Hilfe der Republik jetzt zur Seite stehe. Bei der Nennung von Czarnieckis Namen funkelten die Augen des Tataren; denn er kannte ihn aus den alten Kriegen in der Ukraine und hegte eine unwillkürliche Achtung vor dem Mann. Viel weniger gefiel ihm die Stelle im Schreiben des Chan, wo dieser den König bat, einen tüchtigen Offizier zum Befehlshaber der Abteilung zu stellen, einen, der imstande wäre, Akbah-Ulan von Gewalttaten und Plündereien zurückzuhalten. Der Tatar verbarg seine Unzufriedenheit darüber und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.

Kaum hatte sich die Tür hinter dem Gesandten geschlossen, als sich Kmicic, der während der Audienz in einer Ecke des Saales gestanden hatte, Jan-Kasimir näherte und ihm zu Füßen fiel.

»Majestät«, begann er, »ich bin der Gnade nicht wert, um die ich Sie bitte: aber von ihrer Erfüllung hängt mein ganzes Leben ab. Übertragen Sie mir das Kommando über diese Tataren und lassen Sie mich gleich ins Feld ziehen!«

»Ich schlage Ihnen diese Bitte nicht ab«, antwortete der erstaunte König. »Ein besserer Kommandeur ist für diese Leute kaum zu finden; denn hier ist ein fester und entschlossener Mann vonnöten. Sonst werden die Tataren sofort beginnen zu sengen und zu morden. Ich kann nur eins nicht erlauben, daß Sie eher aufbrechen, als bis Sie ganz genesen sind. Und warum eilen Sie so?«

»Ich will gegen die Schweden ziehen, Majestät. Was soll ich hier noch warten? Alles, was ich zu erhalten hoffte und zu träumen wagte, habe ich erhalten: die Gnade Euer Majestät und die Vergebung der alten Sünden.«

»Das ist wohl richtig; aber Sie sagen nicht alles.«

»Ich will Euer Majestät alles gestehen und vor Ihnen meine Seele öffnen wie vor dem eigenen Vater. – Fürst Boguslaw hat sich nicht damit begnügt, mich aufs gemeinste zu verleumden: er hat meine Braut aus Kiejdane entführt und hält sie in Tauroggen gefangen. Majestät, mein Herz ist dem Brechen nahe, wenn ich daran denke, in welchen Händen sich die Arme befindet. Barmherziger Gott! Sie denkt bis jetzt, daß ich diesem verworfenen Menschen versprochen habe, die Hand an Euer Majestät zu legen, und zählt mich zu dem Auswurfe des Menschengeschlechtes. – Ich kann nicht frei atmen, ehe ich sie nicht befreit habe. – Geben Sie mir die Führung über diese Tataren, und ich werde nicht nur meine Rachepläne verfolgen, – –«

»Gut, gut, – beruhigen Sie sich nur. – Wo liegt denn gleich Tauroggen? Ich denke, dicht an der preußischen Grenze? – Sie haben aber gar nicht daran gedacht, ob die Tataren Ihnen soweit folgen werden!«

»Sie sollen sich nur unterstehen!« antwortete Kmicic, »sollen sich nur unterstehen! – Ich werde sie alle nacheinander aufknüpfen lassen – alle fünfhundert.«

Der König lachte:

»Bei Gott, für diese Schäfchen konnte man keinen besseren Hirten finden. Nun, nehmen Sie sie und führen Sie sie, wohin sie wollen. Und wann gedenken Sie aufzubrechen?«

»Es wird mir schwer, hier zu rasten, – morgen schon.«

»Vielleicht wird Akbah-Ulan damit nicht einverstanden sein; er wird sagen, die Pferde seien noch zu ermüdet.«

»Dann werde ich ihn mit einem Arkan an meinem Sattel festbinden. Mag er zu Fuß gehen, wenn er die Pferde schonen will.«

»Nur wenden Sie nicht zu schnell solche entschlossenen Mittel an. Und jetzt, – heute ist es zu spät: ich möchte Sie morgen noch einmal sprechen. – Vorläufig nehmen Sie diesen Ring von mir und sagen Sie Ihrer Braut, daß Sie ihn vom Könige erhalten haben, und daß der König ihr befiehlt, Sie zu lieben, Sie, den treuen Diener des Vaterlandes und des Thrones.«

Der König eilte nach diesen Worten schnell durch eine Seitentür hinaus, und der gerührte Kmicic ging in sein Quartier.

Lange ging er in seinem stillen Zimmer auf und ab und überlegte den Plan seiner weiteren Unternehmungen. Plötzlich klopfte man an die Tür.

»Wer ist da?« rief Kmicic.

In der Tür erschien ein Page.

»Ein Soldat fordert, sofort bei Ihnen vorgelassen zu weiden. Er sagt, er heiße Soroka.«

»Laß ihn sogleich herein!« rief Kmicic und stürzte selbst schnell zur Tür.

Soroka kam ins Zimmer und wollte sich zu Füßen seines Herrn werfen, aber er erinnerte sich sogleich an die militärische Disziplin, legte die Hände an die Hosennähte und sagte fest: »Was befehlen Sie, Pan Oberst?«

»Willkommen, lieber Kamerad«, sprach Kmicic, »willkommen! Ich dachte, du weiltest nicht mehr unter den Lebenden! Woher kommst du denn?«

»Aus Czenstochau, Pan Oberst.«

»Hast du mich gesucht?«

»Jawohl.«

»Und von wem hast du gehört, daß ich noch lebe?«

»Von Kuklinowskis Leuten. Sobald Pater Kordecki von Ihrer Errettung hörte, las er eine feierliche Messe. Dann verbreitete sich die Nachricht, daß Pan Babinicz den König durch das Gebirge hindurch geführt habe. Ich habe sogleich erraten, daß das kein anderer als Sie sein konnte. Und da Sie den König begleitet haben, so mußten Sie auch nach Lemberg gekommen sein. Drum eilte ich schnell hierher.« –

»Du bist zu rechter Zeit gekommen; morgen breche ich mit den Tataren auf.«

»Und ich habe Ihnen zwei Gürtel mit gefüllten Taschen mitgebracht; den einen, den ich bei mir hatte, und dann die Steine, die wir bei Chowanski im Lager erbeutet haben.«

»Das waren gute Zeiten! – Von diesen Steinen ist wohl nicht viel übrig geblieben; ich habe eine ganze Handvoll davon dem Pater Kordecki gegeben.«

Soroka näherte sich dem Tische und begann die Gürtel abzulegen.

»Und die Edelsteine sind in dieser Blechbüchse«, sagte er.

Kmicic schüttelte ohne ein Wort zu sagen eine Menge Goldstücke in Sorokas Hand und sprach:

»Das ist für dich.«

»Schenke Gott Euer Gnaden immer Gesundheit. Ach! wenn ich unterwegs nur einen einzigen solchen Dukaten gehabt hätte! Ich habe viel Hunger leiden müssen. Es hält schwer, jetzt etwas umsonst zu kriegen.«

»Mein Gott, du hattest doch aber genug bei dir!«

»Ohne Befehl wagte ich nicht etwas zu nehmen.«

»Halte!« Und Kmicic warf ihm noch mehr Goldstücke in die Hand. »He! Wer ist da? Bringt diesem Manne zu essen, aber schnell!«

Nach einigen Minuten stand vor Soroka eine Schüssel mit geräucherter Wurst und eine Flasche Branntwein.«

Der Soldat blickte mit gierigen Augen auf den Tisch, aber er wagte es nicht, sich in Gegenwart des Obersten hinzusetzen und zu essen.

»Sitzen und essen!« kommandierte Kmicic.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der halbverhungerte Soroka sich schnell auf das Essen stürzte.

Kmicic maß mit großen Schritten das Zimmer und sprach mit sich selbst:

»Ja, ja, es kann nicht anders sein. – Ich werde ihr sagen lassen. – Nein, sie wird es nicht glauben. – Einen Brief wird sie nicht lesen wollen; denn sie hält mich für einen Verräter. Er soll hingehen, alles beobachten und mir dann berichten. – Soroka!«

Der Soldat sprang von seinem Platze auf und legte wieder die Hände an die Hosennähte.

»Was befehlen Sie, Pan Oberst?«

»Du bist ein treuer und geschickter Mensch. Du mußt bald eine weite Reise für mich machen.«

»Zu Befehl!«

»Du mußt nach Tauroggen, an die preußische Grenze. Dort ist Panna Billewicz – beim Fürsten Boguslaw. – Sieh zu, ob sie wirklich dort ist und beobachte alles. – Aber du darfst ihr nicht absichtlich vor die Augen kommen; sollte sie dich zufällig sehen, so erzähle ihr von mir, was du weißt. Sie wird dir vielleicht nicht glauben; denn der Fürst hat mich verleumdet.«

»Zu Befehl!«

»Aber hüte dich, daß der Fürst dich nicht bemerkt: er wird dich sonst pfählen lassen. – Ich würde den alten Kiemlicz hinschicken; aber der ist in der Karpatenschlucht gefallen, und seine Söhne sind zu dumm. Bleibe du in Tauroggen, bis du alles erfahren hast, dann komme zurück zu mir. Mich wirst du schon irgendwo finden, frage nur nach den Tataren und dem Pan Babinicz. Jetzt geh, lege dich schlafen! Und morgen, marsch, auf den Weg!«

Am folgenden Tage besuchte Pan Andreas Subaghazi-Bey, das Haupt der Gesandtschaft des Chan in Lemberg.

Während dieser Unterredung mußte Pan Andreas zweimal seine Hand in die Tasche versinken lassen. Als er aber fortging, tauschte Subaghazi mit ihm die Mützen aus, händigte ihm einen »Piernacz« (Befehlshaberstab) aus grünen Federn und mehrere Ellen grüner, seidener Schnur ein.

So ausgerüstet verabschiedete sich Pan Andreas vom Könige und ritt, begleitet von den jungen Kiemlicz', zur Stadt hinaus, wo Akbah-Ulan mit seiner Abteilung biwakierte.

Der alte Tatar begrüßte ihn, indem er seine Hand an die Stirn, Lippen und Brust legte; als er jedoch erfuhr, wer Kmicic war und wozu er gekommen, zogen sich seine Brauen zusammen, und er änderte sogleich seine Taktik.

»Wenn der König dich als unseren Führer geschickt hat«, radebrechte er auf ruthenisch, »so kannst du mir den Weg zeigen, obwohl ich besser weiß, welchen Weg wir einschlagen müssen.«

»Oho!« dachte Kmicic, »dahin zielst du! Solange es geht, werde ich jedoch höflich zu ihm sein.« – Und er sagte laut:

»Akbah-Ulan, der König hat mich nicht als Wegweiser hierher geschickt, sondern als Befehlshaber. – Laß dir das eine noch sagen, du wirst gut tun, dich dem königlichen Willen nicht zu widersetzen.«

»Über die Tataren regiert der Chan, nicht der König!« entgegnete der Alte.

»Akbah-Ulan,« fuhr Pan Andreas nachdrücklich fort, »der Chan hat dich dem Könige geschenkt, wie er einen Falken oder ein Hemd verschenkt, deshalb sprich nicht unehrerbietig vom Könige, damit man dich nicht wie einen Hund an die Leine bindet!«

»Allah!« schrie der erstaunte Tatar.

»He! reiz' mich nicht!« nahm sich Pan Andreas zusammen.

Aber die Augen des Tataren füllten sich mit Blut, und die Hand griff zum Dolche.

Pan Andreas vergaß alle seine friedlichen Absichten. Er ergriff den Tatar an seinem spärlichen Bart und riß ihm den Kopf hoch.

»Höre, du Vieh,« sagte er durch die Zähne. »Ich weiß, du möchtest keinen Befehlshaber über dir haben, damit du nach Lust unterwegs sengen und plündern kannst. – Du willst mich zu deinem Wegweiser machen; – da hast du einen Wegweiser!« Und er begann des Alten Kopf an die Holzwand zu schlagen.

Der Tatar wurde still und ließ den Dolch sinken. Pan Andreas setzte sich die Mütze Subaghazis auf und nahm den unter seinem Rock versteckten grünen Piernaz hervor.

»Sieh her, Sklave!«

»Allah!« flüsterte der bestürzte Akbah-Ulan.

»Und auch hierher!« Kmicic nahm aus seiner Tasche die grüne Schnur heraus.

Aber Akbah-Ulan lag schon zu seinen Füßen.

Eine Stunde darauf war die Abteilung bereits unterwegs. Lemberg verschwand allmählich in der Ferne. Plötzlich hörte man Hufschläge.

Kmicic wandte sich um, und sah Pan Wolodyjowski und Rzendzian im größten Trabe nachsprengen.

»Halt! halt!« schrie der kleine Ritter.

Kmicic hielt sein Pferd an.

»Guter Gott!« rief Pan Michail. »Ich bringe Briefe vom Könige. Einer für Sie, und der zweite für den Witebsker Wojewoden.«

»Ich will zu Pan Czarniecki, nicht zu Pan Sapieha.«

»So lesen Sie doch erst den Brief.«

Kmicic brach das Siegel auf und begann zu lesen:

»Ein Bote meldet uns, daß der Witebsker Wojewod nach Podlachien umkehren muß, da Boguslaw mit seinen vereinten Kräften gegen Tykocin und Sapieha losschlagen will. Wir befehlen Ihnen daher, ihm mit Ihren Tataren zu Hilfe zu eilen. In dem zweiten Briefe empfehlen wir Sie, unseren treuen Diener Babinicz, dem Witebsker Wojewoden. – Jan-Kasimir, König.«

»Wie gut!« sagte Kmicic. »Ich weiß gar nicht, wie ich Seiner Majestät und Ihnen für diesen Dienst danken soll! – Wann ist der Bote angekommen?«

»Wir saßen gerade beim Könige zu Tisch: ich, beide Skrzetuskis, Pan Charlamp und Zagloba. Pan Zagloba erzählte von seinen genialen Eigenschaften und der Unfähigkeit Sapiehas. Der König und die beiden Hetmans lachten Tränen. In demselben Augenblicke übergab man den Brief Sapiehas. Der Wojewod schreibt, daß die Befürchtungen sich verwirklicht haben, daß der Elektor seinen Schwur gebrochen und sich endgültig den Schweden angeschlossen habe.«

»Noch ein Feind mehr, als ob es ihrer wenige wären!« antwortete Kmicic. »Nun, mit Boguslaw werden wir schon zusammentreffen! – Wahrhaftig, ein Hetmanstab hätte mich weniger erfreut als diese Botschaft!«

»Auch der König sagte: Das ist gerade eine Mission für Babinicz und seine Kräfte! – Doch nehmen Sie sich wohl in acht! Es ist nicht gut Kirschen essen mit Boguslaw!«

»Einer von uns muß sterben! – Ich hoffe, Gott wird mir helfen, ihn zu strafen!«

»Das gebe Gott! das gebe Gott!«

»Auf Wiedersehen!«

Kmicic schlug mit seinen Tataren den Weg nach Norden ein. – –


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