Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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11. Kapitel.

Eine ganze Zeit lang reiste Kmicic, ohne irgend etwas Besonderes zu erleben: denn die ganze Umgegend, die er durchritt, stand unter dem Einflusse Radziwills.

Die Städte und Dörfer waren von den Bannern des Hetmans oder von schwedischen Reiterabteilungen besetzt. Daher war es im ganzen Lande auf dem rechten Ufer der Wilia ruhig.

Nichtsdestoweniger beeilte sich die ganze Bevölkerung, in Erwartung des ausbrechenden Krieges, ihr Hab und Gut und sich selbst irgendwo zu verbergen. Pan Andreas begegnete überall verlassenen Dörfern mit unbelebten Straßen und Häusern, deren Fenster fest zugenagelt waren. Nur auf den Waldwegen und breiten Landstraßen herrschte Bewegung und reges Treiben. Alle Einwohner, besonders die, die am linken Ufer der Wilia ihre Besitztümer zu liegen hatten, flohen. Fortwährend stieß Kmicic auf eine Menge Bauern, die mit ihren Frauen, Kindern, Schafen, Kühen, Pferden und allen beweglichen Habseligkeiten fortwanderten. Sie zogen es vor, in den Wäldern besserer Zeiten zu warten, als in den Dörfern stündlich der Gefahr ausgesetzt zu sein, von Feindeshand ermordet zu werden. Doch nicht allein der Tod drohte den Bewohnern der vom Feinde besetzten Dörfer; man marterte sie oft auch auf die abgefeimteste, niederträchtigste Art. Viele Flüchtlinge, die ihren Verstand verloren hatten, erfüllten mit ihrem fürchterlichen Geheul die Stille der Wälder.

Am dritten Reisetage hatte Kmicic den Niemen hinter sich gelassen. Von nun an durchreiste er eine noch viel wildere, mit großen Wäldern bewachsene Gegend. Auch hier traf er eine Menge Flüchtlinge und viele Schlachtschitzen, die ausnahmslos nach Preußen hinüberwanderten. Oft stieß er auf Räuberbanden, die sich die Lage des Landes zunutze machten und schutzlose Häuser, Dörfer und Reisende überfielen, vorsichtig jede Begegnung mit den Truppen vermeidend. Viele dieses Raubgesindels waren von der Schlachta besiegt und erhängt worden und zierten die Bäume, die am Wege standen.

Um Pilwiszki herum war es etwas ruhiger, obschon die Einwohner Kmicic erzählten, daß sie einige Tage zuvor einen Kosakenüberfall auszuhalten hatten. Fast wären alle dabei umgekommen, wenn nicht ein vorüberziehendes polnisches Banner ihnen Hilfe geleistet hätte.

»Was für ein Banner war es denn?« fragte Pan Andreas.

»Das können wir nicht sagen. Ein junger, geschickter Ritter von kleinem Wuchse befehligte es, der es vorzüglich verstand, mit dem Säbel umzugehen.«

»Wolodyjowski wohl?« sagte Pan Kmicic.

»Wolodyjowski oder nicht; möge Gott ihn bald seiner Tapferkeit wegen belohnen und ihn Hetman werden lassen!«

Pan Andreas versank in Gedanken. Augenscheinlich nahm er denselben Weg, den mehrere Tage vorher Wolodyjowski mit seinem Banner genommen hatte. Es fuhr ihm durch den Kopf, daß er mitsamt seinen Briefen möglicherweise in die Hände des kleinen Ritters fallen könnte, und daß damit seiner Mission und der Radziwillschen Sache Gott weiß welcher Schaden erwachsen würde. Er beschloß daher, einige Tage in Pilwiczki zu bleiben, um die Entfernung zwischen sich und dem Laudaer Banner möglichst zu vergrößern. Er machte es sich deshalb in einer Schenke, in der er Quartier nahm, bequem.

Am nächsten Tage stellte es sich heraus, daß er sehr klug gehandelt hatte. Kaum hatte er sich am Morgen angekleidet, als der Schenkwirt die Tür seines Zimmers öffnete und leise hereintrat.

»Ich bringe Euer Gnaden Neuigkeiten,« sagte er.

»Gute?«

»Weder schlechte noch gute. – Wir haben Gäste bekommen. Im Hause des Starosten sind sie abgestiegen. Ein ganzes Regiment Infanterie mit vielen Gespannen und Equipagen und sehr großer Dienerschaft. Wir meinten, der König selbst wäre gekommen.«

»Welcher König?«

Der Wirt begann seine Mütze in der Hand herumzudrehen. »Es ist ja wahr, wir haben jetzt zwei Könige, nur ist keiner von ihnen angekommen, sondern der Fürst-Oberstallmeister.«

Kmicic sprang von seinem Platze auf.

»Der Fürst-Oberstallmeister? Fürst Boguslaw?«

»So ist es, Euer Gnaden. Der Vetter des Wilnaer Wojewoden.«

Pan Andreas schlug vor Erstaunen die Hände zusammen.

»Wenn dem so ist, so möchte ich ihn bald sprechen.«

Der Wirt, der dachte, daß sein Gast mit dem Fürsten Boguslaw bekannt wäre, verbeugte sich noch viel tiefer als gestern und verließ das Zimmer.

Kmicic begann sich eiligst anzukleiden, und in einer Stunde war er schon vor dem Hause des Starosten.

Im ganzen Orte wimmelte es von Soldaten, aber nirgends sah er unter ihnen einen Polen oder auch nur jemand in polnischer Kleidung. Die Offiziere sprachen deutsch oder französisch und sahen neugierig auf Kmicic, der in Samt und Brokat gekleidet war.

Auf dem Hofe des Starosten liefen Edelleute in französischen Kostümen umher, Pagen in Baretts mit Federn, Reitknechte in hohen, schwedischen Stiefeln und Waffenträger in Samtkaftans.

Kmicic ließ sich von dem diensthabenden Offizier, dem er mitteilte, wer er sei, und wozu er gekommen, melden. Der Offizier entfernte sich sogleich und kehrte bald mit der Mitteilung zurück, daß der Fürst den Gesandten des Hetmans möglichst bald sprechen wolle. Er führte Kmicic ins Haus.

Im ersten Zimmer saßen auf Stühlen mehrere Edelleute, die in den verschiedensten Stellungen fest schliefen. Wahrscheinlich waren noch alle von dem zurückgelegten Wege ermüdet. – Vor der Tür des nächsten Zimmers blieb der Offizier stehen; er verbeugte sich tief vor Pan Kmicic und sagte auf deutsch:

»Da ist der Fürst.«

Pan Andreas ging hinein und blieb an der Schwelle stehen.

Der Fürst saß vor einem Spiegel, der in einer Ecke des Gemaches stand, und betrachtete so aufmerksam sein soeben weiß und rot geschminktes Gesicht, daß er dem Eintretenden keine Beachtung schenkte. Zwei Diener knöpften ihm die hohen Reitstiefel zu, und er ordnete mit den Händen sein an der Stirn gerade geschnittenes, goldblondes Haar.

Er war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, sah aber noch ein ganz Teil jünger aus. Kmicic, der ihn zwar kannte, betrachtete ihn doch wieder mit Neugierde, denn der Ruhmeskranz, der sich um den Namen des Fürsten Boguslaw wand, und seine äußere Erscheinung übten immer wieder einen neuen Reiz auf ihn aus. Der Fürst war groß und kräftig gebaut, aber auf seinen breiten Schultern saß ein winziger Kopf, der zu einem ganz anderen Rumpfe zu gehören schien. Die zarten Farben und die feinen Züge des Gesichtes glichen einem Frauenkopfe. Sein Blick jedoch, der nicht frei von Frechheit und maßlosem Selbstbewußtsein war, ließ es nie vergessen, daß bei ihm leicht ein böses Wort von den Lippen und noch leichter der Degen aus der Scheide flog.

In Deutschland, Holland und Frankreich erzählte man wahre Wunder von seinen Kriegstaten, Abenteuern und Zweikämpfen. Er war es, der in Holland den unvergleichlichen spanischen Regimentern Fahnen und Kanonen wegnahm; der an der Spitze der Regimenter des Prinzen von Oranien Festungen eroberte, die bisher als uneinnehmbar galten; der am Rhein mit französischen Musketieren deutsche Regimenter schlug, die im Dreißigjährigen Kriege geschult waren; der den berühmten französischen Fechtmeister Tremouille im Zweikampf verwundete und den Baron von Goetz, ein bekannter Händelsucher, flehentlich beschwor, ihm das Leben zu schenken.

Zumeist hielt sich der Fürst im Auslande auf; seine Heimat langweilte ihn. Für gewöhnlich war er nur während der unruhigen Kriegszeiten in der Republik; denn der Krieg war sein Element. Es lag ein merkwürdiges Gemisch von wollüstiger Verweichlichung und unbändigem Wagemut in ihm.

Kmicic, der des Fürsten Gesicht genau im Spiegel beobachtet hatte, begann endlich zweimal zu hüsteln.

»Wer ist da?« fragte der Fürst, ohne seine Stellung zu ändern. »Ist es der Gesandte des Fürsten-Wojewoden oder nicht?«

»Kmicic ist mein Name,« antwortete Pan Andreas.

»Kmicic!« rief der Fürst. – »Derselbe berühmte Kmicic, der im letzten Kriege fortwährend dem Chowanski zu schaffen machte und dann auf eigene Faust wider den Feind zog? O, ich habe viel von Ihnen gehört!«

Fürst Boguslaw betrachtete Kmicic nicht ohne Vergnügen. Nach den Erzählungen über ihn glaubte er, daß er von gleichem Holze wie er wäre.

»Setzen Sie sich, Pan Kavalier,« sagte er. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Nun, was gibt es Neues in Kiejdane?«

»Ich bringe einen Brief vom Fürsten-Hetman,« antwortete Kmicic.

Die Diener, die inzwischen die Stiefel fertig zugeknöpft hatten, verließen das Zimmer. Der Fürst öffnete den Brief und begann ihn zu lesen. Sein Gesicht nahm während des Lesens den Ausdruck der Langweile und Unzufriedenheit an. Er warf den Brief unter den Spiegel.

»Nichts Neues. Der Fürst-Wojewod rät mir, mich nach Preußen, nach Tauroggen zu begeben, was ich, wie Sie sehen, ohne seinen Rat von selbst tue. – Sagen Sie übrigens, verstehen Sie französisch oder deutsch?«

»Deutsch verstehe ich.«

»Nun, Gott sei Dank, – so sprechen wir deutsch. Ich könnte mir sonst an Eurer Sprache die Zunge zerbrechen. Haben Sie noch mehr Briefe?«

»Was ich Eurer Durchlaucht zu überbringen hatte, habe ich Ihnen gegeben. Ich habe noch ein Schreiben bei mir an den König von Schweden. Wissen Euer Durchlaucht, wo ich ihn treffen könnte?«

»Ich weiß es nicht. In Tykocin ist er nicht. Warschau ist zwar schon in den Händen der Schweden; aber Seine Majestät werden Sie dort nicht finden. Er muß bei Krakau oder in Krakau selbst sein. – In Warschau werden Sie alles erfahren. Meiner Meinung nach müßte Karl-Gustav vor allem danach trachten, die preußischen Städte zu unterwerfen. Wer konnte vermuten, daß, während die Republik ihren König verläßt, die Wojewodschaften sich alle nacheinander mit den Schweden verbünden, – die preußischen Städte, Deutsche und Lutheraner, nichts von den Schweden wissen wollen und sich zur Wehr setzen? Sie allein wollen die Republik retten und Jan-Kasimir treu bleiben. Wir hatten uns die Sache ganz anders vorgestellt. Wir dachten, daß gerade sie uns helfen werden, diesen Kuchen, der sich Eure Republik nennt, zu zerteilen. Und sie rühren sich nicht von der Stelle. Es ist noch ein Glück, daß der Kurfürst sie nicht außer acht läßt. Er hat ihnen schon seine Hilfe gegen die Schweden versprochen; aber die Bevölkerung von Danzig scheint ihm nicht zu trauen und ließ ihm antworten, daß sie sich selbst helfen könne. Der Onkel Kurfürst, glaube ich, interessiert sich ebenso für das Schicksal der Republik wie ich oder der Fürst-Wojewod von Wilna.«

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen widerspreche,« unterbrach ihn Kmicic ungeduldig. »Der Fürst tut alles im Interesse der Republik. – Er ist bereit, in jedem Augenblicke seinen letzten Blutstropfen für die Republik zu verspritzen.«

Fürst Boguslaw brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Ach, Kavalier, wie jung Ihr noch seid, wie jung! Doch das gehört nicht hierher, also weiter. Der Onkel Kurfürst möchte Polnisch-Preußen für sich nehmen, daher verspricht er uns seine Hilfe. Wenn ihm die Schweden aber heute ein Stück Groß-Polen hinwerfen, so wird er aus Leibeskräften den Schweden beistehen, so lange, bis er auch den Rest in seine Gewalt bekommen hat. Das Unglück aber ist, daß die Schweden es auch auf Groß-Polen abgesehen haben, und da könnte es leicht zwischen dem Kurfürsten und ihnen zu Mißhelligkeiten kommen.«

»Mit Staunen höre ich Eurer Durchlaucht zu.«

»Und mir, was bleibt mir zu tun übrig? Ich und der Fürst-Wojewod haben beschlossen, daß, solange sich die Sachlage in Preußen nicht geklärt hat, ich nicht offen zu den Schweden übergehen soll. Ich habe sogar geheime Boten zu Jan-Kasimir geschickt, daß ich bereit wäre, den Landsturm in Podlachien einzuberufen, wenn er mir das betreffende Manifest gibt. Der König hätte sich vielleicht täuschen lassen; aber die Königin traut mir nicht und hat ihm abgeraten. Wenn dieses Weib nicht wäre, so stände ich jetzt an der Spitze der ganzen Schlachta von Podlachien, und die Konföderierten hätten keinen anderen Ausweg, als sich unter mein Kommando zu stellen. Ich würde dem Scheine nach ein Parteigänger Jan-Kasimirs sein, tatsächlich aber mit dieser großen Streitmacht den Schweden beispringen und von ihnen möglichst viel zu erhandeln suchen. Aber das Weib ist imstande, auch die feinsten Pläne zu durchschauen. In ihrem kleinsten Finger steckt mehr Geist als in Jan-Kasimirs ganzem Kopfe.«

»Der Fürst-Wojewod,« begann Kmicic.

»Der Fürst-Wojewod,« unterbrach Boguslaw ungeduldig, »kommt immer zu spät mit seinem Rate. – Da schreibt er: »Die Konföderierten wollen nach Zabludow kommen. Dort gibt's Bier genug; wenn sie sich betrunken haben, soll man sie niedermetzeln. Das ist das beste Mittel, sie los zu werden.«

Boguslaw warf den Brief verächtlich auf den Tisch.

»Ich soll zu gleicher Zeit nach Preußen eilen und eine Metzelei veranstalten; mich für einen Parteigänger Jan-Kasimirs ausgeben und seine Anhänger, die dem Vaterlande treu bleiben, ermorden. – Liegt da ein vernünftiger Sinn drin?«

Einen Augenblick schwieg er; dann kam ihm anscheinend ein neuer Gedanke. Er schlug sich vor die Stirn und fragte:

»Und Sie, Sie gehen nicht nach Podlachien?«

»Gewiß doch!« antwortete Kmicic. »Ich habe einen Brief für Harasimowicz, den Verwalter von Zabludow.«

»So. – Harasimowicz ist bei mir. – Warten Sie, ich werde ihn rufen lassen,« entgegnete der Fürst.

Fürst Boguslaw schlug in die Hände und befahl dem eintretenden Diener, Harasimowicz zu rufen.

Nicht lange, so erschien Harasimowicz auf der Türschwelle.

»Ein Brief für Sie ist hier,« sagte der Fürst zu ihm.

Harasimowicz verbeugte sich erst vor dem Fürsten, dann vor Pan Andreas, der ihm das Schreiben überreichte.

»Lesen Sie!« sagte Baoguslaw.

»Pan Harasimowicz! Die Stunde ist gekommen, wo ein treuer Diener seinem Herrn seine Anhänglichkeit beweisen kann. Raffen Sie alles Geld zusammen, das Sie in Zabludow auftreiben können, und schicken Sie es mir möglichst schnell. Sinnen Sie allerlei Mittel aus, um den Einwohnern der umliegenden Dörfer und Städte soviel als möglich Geld abzufordern; ja, plündern Sie selbst die Staatskassen.«

»Das alles haben die Konföderierten schon besorgt,« warf Boguslaw ein, »doch fahren Sie fort.«

»Alle wertvollen Geräte, Pferde und besonders die Kanonen, die in Zabludow auf dem Hofe stehen, befördern Sie hierher.«

»Das ist nicht mehr gut möglich, die Kanonen haben wir schon mitgenommen,« unterbrach ihn wieder Boguslaw.

»Wenn Sie den Wein nicht mehr herschicken können, so verkaufen Sie ihn zu jedem beliebigen Preise, und findet sich kein Käufer, so vergraben sie ihn. Zwei Fässer mit dem süßesten Wein vermischen Sie sorgfältig mit Gift. Den geben Sie den Konföderierten, die Sie ruhig in Zabludow einlassen sollen; denn es sind zu viele, um gegen sie aufzukommen. Und wenn auch nur ihre Obersten an dem vergifteten Weine sterben werden, die anderen werden sich dann von selbst zerstreuen. – Befolgen Sie nur aufs sorgfältigste alle meine Anweisungen.«

»Den Wein haben wir auch bei uns,« sagte Fürst Boguslaw ruhig. »Mein Vetter denkt augenscheinlich nur an die Konföderierten, schade nur, daß er wie gewöhnlich mit allen seinen Ratschlägen zu spät kommt. Wäre ihm dieser gute Einfall vor vierzehn Tagen oder vor einer Woche gekommen, so ließe sich alles ausführen. – Pan Harasimowicz, gehen Sie jetzt mit Gott, Sie sind hier nicht mehr vonnöten.«

Harasimowicz verbeugte sich tief und entfernte sich.

Der Fürst trat vor den Spiegel und betrachtete sich aufmerksam. Er achtete nicht auf Kmicic, der mit dem Rücken zum Fenster gekehrt, im Schatten des Zimmers saß. Ein einziger Blick auf das Gesicht Pan Andreas' hätte genügt, um zu bemerken, daß in dem jungen Ritter etwas Eigentümliches vorging.

Kmicic' Gesicht war bleich, große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn; seine Hände zitterten krampfhaft. Er erhob sich vom Sessel und ließ sich dann wieder nieder, wie ein Mensch, der mit sich selbst kämpft, um den Ausbruch seines Zornes oder seiner Verzweiflung zu unterdrücken. Endlich gelang es ihm, unter Aufbietung all seiner Kraft und Energie wieder Herr seiner selbst zu werden.

»Euer Durchlaucht,« sagte er, »sehen selbst, ich mache kein Hehl aus dem Vertrauen, mit dem mich Ihr Herr Vetter beehrt. Ich gehöre zu ihm mit meiner ganzen Seele, mit meinem Leibe und Hab und Gut. – Ich bin zu allem bereit. Aber, obgleich ich sozusagen am Ausgangspunkte all dieser Pläne stehe, und alle Fäden sich vor meinen Augen ausspinnen, so bleibt doch vieles rätselhaft für mich, was ich mir mit meinem schwachen Verstande nicht erklären kann.«

»Was wünschen Sie denn, Pan Kavalier?« fragte der Fürst.

»Ich bitte Euer Durchlaucht, mich zu belehren; ich würde mich schämen, wenn ich aus dem Umgange mit einem so großen Staatsmanne nichts lernen würde. Ich weiß nicht, ob Euer Durchlaucht gewillt sind, mir aufrichtig zu antworten?«

»Das hängt von Eurer Frage und meiner Laune ab,« erwiderte der Fürst, ohne vom Spiegel fortzutreten.

Kmicic' Augen blitzten auf, aber seine Stimme blieb wie vordem ruhig. »Es handelt sich darum: der Fürst-Wojewod von Wilna behauptet, daß alle seine Handlungen nur das Ziel haben, die Republik zu retten. Das Wort Republik geht fortwährend über seine Lippen. Können Sie mir nicht ehrlich sagen, ob das nur zum Scheine geschieht, oder ob der Fürst-Hetman wirklich die Interessen der Republik im Auge hat?«

Boguslaw warf einen flüchtigen Blick auf Pan Andreas.

»Und wenn ich Ihnen nun sagte, daß das alles nur eine Maske ist, würden Sie uns dann weiter beistehen?«

Kmicic zuckte verächtlich mit den Achseln.

»Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich durch Sie viel zu gewinnen hoffe. – Das ist die Hauptsache für mich. Das andere mag sein, wie es will. Mir ist alles gleich.«

»Sie werden es weit bringen. Vergessen Sie nicht, daß ich es bin, der Ihnen das sagt. – Aber warum spricht der Hetman nicht offen mit Ihnen?«

»Vielleicht ist er mißtrauisch, vielleicht aber auch fehlte es ihm an der passenden Gelegenheit.«

»Sie sind ein guter Beobachter, Der Fürst ist wirklich sehr mißtrauisch und rückt nie gern mit der Wahrheit heraus. Bei Gott! Sogar, wenn er mit mir spricht, kommt es vor, daß er sich vergißt und sich mit dem Mantel der Vaterlandsliebe behängt. Erst, wenn ich ihm dann laut ins Gesicht lache, kommt er wieder zur Besinnung. Das ist wirklich wahr.«

»Sie meinen also, das alles wäre nur Schein?« fragte Kmicic wieder.

»Hören Sie, Pan Kmicic! Wenn wir Radziwills in Frankreich, Spanien oder Schweden lebten, wo die Königswürde erblich und von Gottes Gnaden ist, so würden wir dem Könige und dem Vaterlande treu dienen und uns mit den höheren Staatsstellungen, die uns kraft unseres Reichtums und unserer Herkunft zukommen, begnügen. Aber hier in diesem Lande, wo der König kein göttliches Recht für sich beansprucht, sondern von der Schlachta gewählt wird, stellen wir uns die Frage: Warum kann nicht ebenso gut wie ein Wasa auch ein Radziwill herrschen? Wer garantiert uns denn, daß die Laune der Schlachta uns nicht gelegentlich einen Harasimowicz auf den Thron setzt? Nein, das muß anders werden! Sehen Sie mal nach Deutschland: Wieviel Herrscher gibt es da? Ihr Besitztum ist oft nicht größer als das eines Unter-Starosten bei uns. Aber jeder hat sein angestammtes Ländchen, trägt auf dem Kopfe eine Krone und nimmt im deutschen Bunde eine hohe Stellung ein, obgleich sie sehr gut die Schleppen unserer Mäntel tragen könnten. – Das muß auch hier anders werden!«

Der Fürst wurde lebhafter, erhob sich vom Sessel und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Ohne Schwierigkeiten wird sich freilich die Sache nicht arrangieren lassen. Jetzt aber ist die Zeit günstig dazu. Die Republik liegt in der Agonie und kann sich nicht zur Wehr setzen. Überall klettert man über ihre Grenzen wie über einen zerbrochenen Zaun. Was jetzt mit den Schweden passierte, ist früher nie vorgekommen! Ein Feind überfällt das Land: er begegnet nicht nur keinem Widerstande, sondern, wer nur kann, verläßt seinen früheren Herrscher und eilt, sich dem neuen zu unterwerfen. Die Magnaten, die Schlachta, das Heer, Schlösser, Städte, alle und alles, – ohne Ehre und Scham! Die Geschichte kennt kein zweites Beispiel! Pfui! In diesem Lande gibt es nur Elende ohne Gewissen und Menschenwürde! – Und dieses Land sollte nicht dem Untergange geweiht sein? – Ein solches Volk muß der Sklaverei verfallen und zum Gespött der Nachbarn werden!«

Kmicic erbleichte zusehends und konnte seine Wut kaum zurückhalten. Der Fürst aber, hingerissen von seinen eigenen Worten, beobachtete seinen Zuhörer gar nicht.

»In diesem Lande,« fuhr er fort, »gibt es eine Sitte, daß die nächsten Verwandten eines Sterbenden ihm das Kissen unter dem Kopfe wegziehen, um ihm seine langen Qualen zu verkürzen. Ich und der Fürst-Wojewod von Wilna haben beschlossen, der Republik diesen letzten Dienst zu erweisen. Aber leider hat mehr als ein Nachbar auf das Erbe sein Auge geworfen. Alles wollen wir uns auch gar nicht aneignen, wir wünschen nur etwas für uns in Sicherheit zu bringen. Ich kann es Ihnen auch anders erklären: Die Republik ist ein Stück rotes Tuch, an dessen verschiedenen Enden ziehen die Schweden, Chmielnicki, die Tataren, der Kurfürst, kurz, alle, die ringsherum wohnen. Da sagten der Fürst-Wojewod und ich uns, in unseren Händen müsse so viel vom Tuche bleiben, daß es zu einem Mantel reiche. Deshalb hindern wir nicht nur keinen am Ziehen, sondern wir ziehen mit. Mag Chmielnicki in der Ukraine bleiben, mögen die Schweden und der Kurfürst um Preußen und Groß-Polen sich streiten, möge Rakoczy Klein-Polen nehmen, Litauen muß dem Fürsten Janusz zufallen und durch seine Tochter mir!«

Kmicic erhob sich schnell von seinem Platze.

Ich danke; Euer Durchlaucht, das gerade habe ich wissen wollen!«

»Pan Kavalier, Sie gehen?«

»Ja, Durchlaucht.«

Der Fürst sah Kmicic aufmerksam an und bemerkte erst jetzt seine Blässe und Aufregung.

»Was ist Ihnen, Pan Kmicic?« fragte er. »Sie haben sich so verändert.«

»Ich bin sehr müde von der Reise und kann mich kaum auf den Beinen halten. Gestatten Sie mir, daß ich vor meiner Abreise komme, um mich von Ihnen zu verabschieden!«

»Dann tun Sie das aber bald, denn am Nachmittage breche ich auf.«

»In einer Stunde werde ich wiederkommen.«

Kmicic verbeugte sich und ging fort.

Die Dienerschaft im Vorzimmer stand bei seinem Erscheinen auf; er aber ging wie trunken, ohne jemanden zu sehen, an ihr vorbei. Auf der Schwelle griff er mit seinen beiden Händen an seinen Kopf und stöhnte: »Jesus von Nazareth, König von Juda! Jesus, Maria!«

Am Tore standen seine Leute mit dem Wachtmeister Soroka.

»Folgt mir!« rief Kmicic. Dann ging er durch den Ort zu seinem Gasthause.

Soroka, der langjährige Soldat und Diener Kmicic', hatte sogleich bemerkt, daß mit dem jungen Obersten etwas Besonderes vorging.

»Nehmt euch in acht!« flüsterte er seinen Leuten zu. »Wehe dem Haupte, über das sich sein Zorn entlädt!«

Die Soldaten beschleunigten ihre Schritte. Kmicic ging nicht, er stürmte vorwärts, fuchtelte wild mit den Händen in der Luft umher und stieß unzusammenhängende Worte aus. Zu Sorokas Ohren drangen vereinzelte Rufe, wie: Mörder! treulose Verräter! Verbrecher und Verräter! alle beide! Nachher rief Kmicic die Namen der alten Kameraden: Kokosinski, Kulwiec, Ranicki und wiederholt Wolodyjowski.

Soroka hörte das alles mit Schrecken und begann sich mehr und mehr zu beunruhigen. »Einer wird daran glauben müssen,« dachte er bei sich, »anders kann es nicht sein.« Kmicic schloß sich in seinem Zimmer ein und gab während einer ganzen Stunde kein Lebenszeichen von sich. Die Soldaten machten sich ohne seinen Befehl reisefertig und sattelten die Pferde.

»Es schadet nicht, es schadet nicht,« sagte Soroka, »wir müssen auf alles gefaßt sein.«

»Das sind wir auch,« entgegneten die alten Tollköpfe, indem sie unternehmend den Schnurrbart zwirbelten.

Es zeigte sich, daß Soroka seinen Obersten gut kannte. Dieser erschien plötzlich auf der Schwelle seines Zimmers, nur in Hemd und Beinkleidern.

»Die Pferde satteln!« schrie er laut.

»Sind schon gesattelt!«

»Das Gepäck zurecht machen!«

»Ist geschehen!«

»Einen Dukaten pro Mann!« rief der junge Oberst, der trotz seiner Aufregung bemerkte, daß seine Soldaten seine Gedanken erraten hatten. »Zwei reiten mit den Gepäckpferden voraus nach Dembowa. Durch die Stadt im Schritt, nachher bis zum Walde Trab reiten.«

»Zu Befehl!«

»Vier laden die Gewehre mit Kartätschen. Für mich sattelt zwei Pferde, macht beide ganz reisefertig.«

»Ich dachte mir schon, daß es so kommt,« brummte Soroka.

»Und jetzt, Wachtmeister, folg' mir!« rief Kmicic. Und wie er ging und stand, mit aufgeknöpftem Hemde lief er auf den Hof zum Brunnen, begleitet von Soroka, der ihm gehorsam folgte. Dann blieb er stehen, zeigte auf einen Eimer und kommandierte: »Gieß mir Wasser über den Kopf!«

Der Wachtmeister, der aus Erfahrung wußte, daß es nicht ungefährlich war, sich erst zum zweiten Male etwas befehlen zu lassen, griff zum Eimer, schöpfte Wasser und goß es Kmicic über den Kopf.

Pan Andreas begann zu schnauben und um sich herumzuspritzen wie ein Walfisch, dann rief er:

»Mehr!«

Soroka schüttete zum zweiten Male einen Eimer Wasser über den Kopf des Obersten, als wenn er einen großen Brand löschen wollte.

»Genug,« sagte endlich Kmicic. »Komm, kannst mir beim Anziehen behilflich sein.«

In einer halben Stunde erschien er wieder in einem ledernen Kaftan, hohen Stiefeln, umgürtet mit einem Ledergurt, hinter dem eine Pistole steckte. Die Soldaten bemerkten auch, daß er unter dem Kaftan ein Panzerhemd anhatte. Kurz, er war gekleidet, als wenn er sich geradeswegs zu einem Kampfe begeben wollte. Sein Gesicht war ruhig, aber finster, fast drohend.

Nachdem Pan Andreas mit einem Blicke geprüft hatte, ob die Soldaten fertig und gut bewaffnet wären, bestieg er sein Pferd. Er warf dem Schenkwirt eine Goldmünze zu und ritt zum Tore hinaus.

Soroka ritt an seiner Seite, drei andere Soldaten mit einem Reservepferde folgten ihm.

Bald hatte die kleine Truppe den Markt erreicht, auf dem es von den Soldaten Boguslaws wimmelte. Man sah, daß die Regimenter sich zum Aufbruche vorbereiteten. Die Reiterei sattelte die Pferde, die Infanterie nahm die Musketen aus den Böcken und machte sich an den Wagen zu schaffen.

Sie ritten über den Marktplatz und schlugen den Weg zum Hause des Starosten ein, das ungefähr einen halben Kilometer von der Straße entfernt lag.

»Halt!« rief plötzlich Kmicic.

Die Soldaten hielten an.

»Seid ihr bereit, in den Tod zu gehen?« fragte kurz Kmicic.

»Wir sind bereit,« antworteten im Chore die Orszaer Waghälse.

»Wir sind in den Rachen Chowanskis gekrochen, und er hat uns nicht aufgefressen. Denkt ihr noch daran?«

»Ja, wir wissen's noch.«

»Heute aber müssen wir noch Größeres wagen. – Gelingt es, so wird der König euch alle zu Pans machen, – darauf mein Wort. – Geht's aber fehl, werdet ihr alle gepfählt!«

»Warum soll es nicht gelingen,« sagte Soroka, und seine Augen leuchteten wie bei einem Wolfe.

»'s wird schon gelingen,« wiederholten die drei anderen: Bilons, Zawratynski, Lubieniec.

»Wir müssen den Fürsten-Oberstallmeister entführen,« sagte Kmicic und schwieg dann, um zu sehen, welchen Eindruck diese tolle Idee auf die Soldaten machen werde. Die Soldaten blieben ganz stumm und sahen einander erstaunt an. Ihre Schnurrbärte stellten sich aufrecht wie Borsten, und auf ihren Gesichtern erschien ein drohender, banditenhafter Ausdruck.

»Der Pfahl ist nahe, die Belohnung fern!« sprach Kmicic.

»Wir sind wenige,« brummte Zawratynski.

»Das ist weit schlimmer, als mit Chowanski!« fügte Lubieniec hinzu.

»Die Truppen sind alle auf dem Markte, auf dem Hofe ist nur die Wache und das Gefolge, zusammen ungefähr zwanzig Mann. Sie ahnen nichts von dem Plane und haben nicht einmal ihre Säbel bei sich.«

»Euer Gnaden riskieren den Kopf, warum sollten wir nicht den unsrigen wagen?« antworte Soroka.

»Hört!« rief Kmicic. »Wir können ihn nur durch eine List gefangen nehmen. Gebt gut acht! Ich gehe ins Zimmer und komme bald mit dem Fürsten wieder heraus. Besteigt der Fürst mein Pferd, so springe ich auf das andere, und wir reiten los. Sobald wir uns hundert bis hundertfünfzig Schritt entfernt haben, müssen zwei von euch ihn unter den Arm nehmen und mit ihm nach Leibeskräften auf und davon rasen.«

»Zu Befehl,« sagte Soroka.

»Kommen wir beide nicht heraus,« fuhr Kmicic fort, »und hört ihr im Zimmer Schüsse fallen, so schießt mit Kartätschen auf die Wache und haltet mein Pferd bereit, wenn ich herausgestürzt komme.«

»Es wird alles so gemacht werden,« antwortete Soroka.

»Vorwärts!«

Nach einer Viertelstunde hielten sie vor dem Eingange des Starostenhauses. Nach altem Herkommen standen sechs Hellebardisten am Tore und vier im Flure des Hauses. Auf dem Hofe huschten Waffenträger und Vorreiter umher, die von einem vornehmen Herrn, einem Ausländer, kommandiert wurden.

Kmicic ließ sich wie am Morgen von dem diensthabenden Offizier melden, und nach einigen Minuten stand er schon im Zimmer des Fürsten.

»Nun, wie steht's mit Eurer Gesundheit, Pan Kavalier,« fragte der Fürst heiter. »Ich dachte schon, ich würde Sie nicht wieder zu sehen bekommen.«

»Wie könnte ich abreisen, ohne mich von Ihnen zu verabschieden!« sagte Kmicic.

»Nun ja! – Ich möchte die Gelegenheit benutzen und Ihnen mehrere Briefe an verschiedene hochstehende Persönlichkeiten und auch einen an den König von Schweden mitgeben. – Sie sind so gerüstet, als wenn es zur Schlacht ginge.«

»Bedenken Sie, ich reise zu den Konföderierten. Alle hier und auch Euer Durchlaucht erzählen, daß vor kurzem ein Banner der Konföderierten hier durchgekommen sei. An seiner Spitze steht ein ausgezeichneter Führer.«

»Wer denn?«

»Pan Wolodyjowski. Ferner sind bei ihm Pan Mirski, Oskierka, beide Skrzetuskis und andere tüchtige Soldaten. Es gibt auch noch Dumme in der Republik, die nicht mit den Schweden und Kosaken zusammen am roten Tuche ziehen wollen.«

»Die Dummen werden nie alle, besonders hierzulande nicht,« entgegnete der Fürst. »Hier, nehmen Sie den Brief für den König von Schweden. Sagen Sie ihm, wenn Sie ihn sehen, natürlich ganz im Geheimen, daß ich im Herzen ein ebenso warmer Anhänger von ihm sei, wie mein Vetter. Nur, ich müßte mich noch für eine Zeit lang verstellen.«

»Wer müßte sich heutzutage nicht verstellen,« antwortete Kmicic.

»Gewiß, gewiß. – Führen Sie meinen Auftrag nur gut aus, und zweifeln Sie nicht an meiner Dankbarkeit.«

»Wenn Euer Durchlaucht so gnädig sind, so bitte ich mir im voraus eine Belohnung aus.«

»So! Wahrscheinlich war der Fürst-Wojewod nicht besonders freigebig mit den Reiseunkosten?«

»Behüte Gott, daß ich Geld verlangen sollte! Ich habe vom Fürsten-Hetman nichts genommen und werde auch von Eurer Durchlaucht nichts annehmen. – Ich reise auf eigene Kosten.«

Fürst Boguslaw sah den jungen Ritter erstaunt an.

»Fremder Leute Geld scheint Sie nicht zu reizen. Was wünschen Sie denn?«

»Die Sache ist die, Euer Durchlaucht. Ohne vorher zu überlegen, nahm ich ein Pferd reinsten Blutes mit auf die Reise, um vor den Schweden damit zu glänzen. Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß Sie in den ganzen Kiejdaner Pferdeställen kein besseres finden: jetzt aber befürchte ich, das Pferd könne in den Schenken oder auf den sonstigen Rastplätzen Schaden nehmen oder gar in die Hände der Feinde fallen. Ich möchte Euer Durchlaucht bitten, mein Pferd in Verwahrung zu nehmen und es selbst so lange zu benutzen, bis ich meinen Auftrag ausgeführt habe.«

»Dann ist es am besten, Sie verkaufen es mir.«

»Das kann ich nicht. – Das wäre ebenso für mich, als wenn ich meinen Freund verkaufte. Dieses Pferd hat mich viele Male aus der größten Gefahr herausgetragen. Außerdem beißt es in der Schlacht den Feind.«

»Ist es wirklich ein so großartiger Gaul?« interessierte sich der Fürst lebhaft.

»Ob er großartig ist! Wenn ich überzeugt wäre, daß Euer Durchlaucht es mir nicht übel nähmen, so würde ich um hundert Dukaten wetten, daß auch Sie so ein Tier nicht besitzen!«

»Es fehlt mir an Zeit, sonst würde ich Ihre Wette angenommen haben. Gut, ich werde das Tier in Verwahrung nehmen, obwohl ich es lieber käuflich erworben hätte. – Sagen Sie, wo steckt denn eigentlich dieser Schatz?«

»Meine Leute halten ihn am Tore.«

»Gehen wir, uns diese Seltenheit anzusehen!«

»Zu Befehl, Euer Durchlaucht.«

Der Fürst nahm den Hut und ging mit Kmicic auf den Hof.

Vor dem Tore hielten Kmicic' Leute zwei vollständig gesattelte Pferde. Eins von ihnen, ein Rassepferd, schwarz wie die Nacht, mit einem Stern auf der Stirn, fing beim Erscheinen seines Herrn leise an zu wiehern.

»Aha, dieses ist es, ich errate es schon!« sagte Fürst Boguslaw. »Ich weiß nicht, ob es ein solches Wunder ist, wie Sie erzählen, aber auf alle Fälle ist es ein prächtiges Tier!«

»Vorführen!« rief Kmicic, »doch halt, wartet, ich setze mich lieber selbst!«

Die Soldaten brachten den Gaul zu Pan Andreas, dieser sprang in den Sattel und ritt vor dem Tore entlang. Unter der erfahrenen Leitung des Reiters erschien das Pferd doppelt so schön. Pan Kmicic beschrieb Kreise, wechselte mehrfach die Gangart und ritt schließlich so nahe zu dem Fürsten heran, daß der Kopf des Tieres nur einen Meter von dessen Gesicht entfernt war. Dann rief er:

»Halt!«

Der Gaul lieh sich auf allen Vieren nieder und blieb wie angewurzelt stehen.

»Nun? Was?« fragte Kmicic.

»Wirklich, wie die Dichter singen: die Augen und Beine eines Hirsches, der Gang eines Wolfes, die Nüstern eines Elentieres und die Brüste eines Weibes!« sagte Fürst Boguslaw. »Er hört außerdem auf deutsche Kommandorufe?«

»Sein Bereiter war ein Kurländer.«

»Und läuft er schnell?«

»Euer Durchlaucht können auf ihm den Wind einholen. In der Front geht er so, daß selbst beim Galopp Sie die Zügel frei lassen können, und er wird nicht einen halben Kopf aus der Linie treten. Wenn Euer Durchlaucht es probieren wollen, und er während zweier Meilen sich nur um einen halben Kopf herausrückt, so gebe ich ihn umsonst fort.«

»Das ist wunderbar! Nun, und wenn die Linie kehrt macht?«

»So macht er, ohne daß man die Zügel ergreift, es mit.«

»Das ist nicht möglich!« sagte der Fürst. »Das ist kein Pferd imstande zu tun. – Ich habe in Frankreich die Pferde der königlichen Musketiere gesehen, Pferde, die für die Hofzeremonien abgerichtet waren; aber selbst diesen durfte man die Zügel nicht freigeben.«

»Dieser Gaul besitzt den Verstand eines Menschen. Belieben Euer Durchlaucht nicht, sich davon zu überzeugen?«

»Sei es,« sagte der Fürst nach kurzer Überlegung.

Kmicic hielt selbst den Gaul; der Fürst schwang sich leicht in den Sattel und klopfte das Tier auf seinen glänzenden Rücken.

»Zuerst wollen wir Seite an Seite reiten. Wenn es Euer Durchlaucht recht ist, schlagen wir die Richtung zum Walde ein. Der Weg dahin ist eben und breit.«

»Nun wohl.«

»Wenn wir ein Weilchen nebeneinander geritten sind, lassen Euer Durchlaucht die Zügel los, und dann geht's trab weiter, je zwei von meinen Leuten werden Ihnen zur Seite bleiben. Ich reite in einem gewissen Abstande hinter Ihnen her.« –

Auf Kommando des Fürsten raste die Reihe wie ein Wirbelwind dahin. Eine dichte Staubwolke entzog den Fürsten den Augen seines Gefolges, das neugierig dem Rennen am Tore zusah. Schon hatten die Reiter zwei Kilometer zurückgelegt, ohne daß des Fürsten Pferd auch nur einen Zoll aus der Reihe hervorgetreten wäre, als Kmicic sich umwandte.

Nachdem er sich überzeugt, daß hinter ihnen Staubwolken lagen, die den Hof des Starosten ganz verhüllten, brüllte er mit fürchterlicher Stimme:

»Faßt ihn!«

In demselben Augenblicke packten Bilous und der Hüne Zawratynski den Fürsten mit solcher Gewalt an beiden Armen fest, daß die Knochen knackten. Gleichzeitig gaben sie ihren eigenen Pferden die Sporen.

Das Pferd des Fürsten paßte sich genau den anderen an und blieb nicht einen Schritt zurück. Erstaunen, Schreck und der Wind, der dem Fürsten Boguslaw ins Gesicht peitschte, schnürten ihm fürs erste die Gurgel fest zu. Er versuchte einige Male sich loszureißen, aber ohne Erfolg. Seine Arme waren wie in eisernen Schraubstöcken festgehalten.

»Was soll das, Nichtsnutzige! – Wißt ihr nicht, wer ich bin?« schrie er endlich.

In diesem Augenblicke schlug ihn Kmicic leicht mit dem Pistolenlauf auf den Rücken.

»Wenn Sie sich widersetzen, schieße ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf!«

»Verräter!« sagte Fürst Boguslaw.

»Und was bist du?« antwortete Kmicic.

Und wortlos sprengten sie weiter dahin.


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