Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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14. Kapitel.

In derselben Nacht noch hielt der Fürst lange Rat mit dem Wojewod Pan Korf und den Abgesandten.

Als der Fürst allein war, begann er unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Folgen des verlesenen Vertrages hatten seine Erwartungen arg enttäuscht und zeigten ihm die Zukunft in drohendem Lichte. Die energischen Proteste der Obersten überschritten alle Grenzen der von ihm angenommenen Möglichkeit. Außer mehreren Dutzend calvinistischer Schlachtschitzen und einigen ausländischen Offizieren war ihm niemand geblieben. Alle hatten sich gegen den Vertrag erklärt, den er mit Karl-Gustav oder richtiger gesagt mit dessen Schwager, Feldmarschall Paulus de la Gardie, abgeschlossen hatte.

Es war wahr, er hatte die ungehorsamen Obersten gefangen nehmen lassen; aber wie werden sich die Truppen dazu verhalten? Werden sie nicht aufrührerisch werden und versuchen, ihre Offiziere mit Gewalt zu befreien? Und was blieb ihm, dem stolzen Fürsten, dann außer mehreren Regimentern Dragoner und der ausländischen Infanterie?

Ihm gegenüber aber stand die ganze bewaffnete Schlachta und Sapieha, der Witebsker Wojewod, der schreckliche Gegner des Radziwillschen Hauses, der bereit ist, für die Integrität der Republik gegen die ganze Welt zu ziehen. Und was wird dann werden?

Solche Fragen quälten den Fürsten unablässig. Er sah wohl ein, daß in diesem Falle der Vertrag jegliche Bedeutung verlieren mußte, daß die Schweden ihn geringschätzig behandeln werden, wenn sie sich nicht gar für die enttäuschten Erwartungen an ihn rächen würden.

Der Fürst preßte seinen brennenden Kopf in die Hände und setzte unermüdlich seine Wanderung im Zimmer fort. Vom Hofe her vernahm er die Rufe der schottischen Posten und das Gerassel der abfahrenden Equipagen. Sie fuhren alle so hastig und schnell davon, als wenn das prächtige Schloß von Kiejdane von einer Seuche heimgesucht worden wäre.

Oft schien es dem Fürsten, als sei außer ihm noch jemand im Zimmer, der hinter ihm hergehe und ihm ins Ohr flüstere: »Verlassenheit, Bettelarmut und zu alledem noch die Schmach.« – Ihn, den Wojewod von Wilna, den Großhetman hatte man erniedrigt und in den Staub getreten!

Und ein Zorn, ein wahnsinniger, rasender Zorn erfaßte das Herz des mächtigen Magnaten. Seine Nüstern blähten sich auf; seine Augen sprühten Funken, die Adern auf der Stirn drohten von Blut gefüllt zu springen. Wer hatte den Mut, sich seinem Willen zu widersetzen? Seine zügellose Phantasie zeigte ihm eine Reihe von Strafen und Martern für die Rebellen, die sich erdreisteten, seinen Fußspuren nicht zu folgen wie Hunde. Und er sah ihr Blut tropfenweise von den Beilen des Scharfrichters herunterrinnen, er hörte ihre Knochen unter dem Rade brechen und weidete sich an diesem Schauspiel.

Aber bald siegte der kühle Verstand wieder über all die phantastischen Träumereien. Er wußte, daß hinter diesen Rebellen ein Heer stand, und daß es unmöglich war, sie straflos hinzurichten. Und eine furchtbare Unruhe erfüllte seine Seele, und wieder begann es in seinem Ohre zu flüstern: »Verlassenheit, Bettelarmut, Gericht und Schande.«

»Darf ein Radziwill wirklich nicht mal über das Schicksal Litauens verfügen? Darf er es nicht Karl-Gustav geben oder es für Jan-Kasimir festhalten. Darf er nicht geben, versagen, schenken, wie es ihm beliebt?«

Der Magnat sah sich verwundert um.

»Sind die Radziwills denn nicht mächtig genug? Steht hinter dem Großhetman nicht Fürst Boguslaw mit seinen Regimentern, hinter ihm nicht sein Onkel, der Kurfürst von Brandenburg? Und hinter allen dreien nicht Karl-Gustav, der schwedische König, mit seiner Macht, vor der noch unlängst ganz Deutschland erzitterte? Und in der Not blieb noch die Hilfe Chmielnickis, des Gospodars der Wallachei, und Racoczys von Siebenbürgen«

Was konnten gegen all diese der Witebsker Wojewod, Pan Stankiewicz, Pan Mirski, ein paar Schlachtschitzen und einige aufrührerische Banner ausrichten? War es nicht ein Fastnachtsscherz?

Der Fürst lachte laut auf.

Bald aber verfinsterte sich wieder sein Gesicht. – Starke nehmen nur Starke in ihre Mitte auf. Radziwill, der um Hilfe gegen Litauen bettelt, wird von niemandem beachtet werden!

Vor allem mußte er verhindern, daß die polnischen Banner zum Witebsker Wojewoden übergehen, er mußte sie für sich gewinnen. Dazu konnten ihm die ausländischen Offiziere nicht verhelfen; er brauchte Polen, die durch ihren Namen, ihren Ruhm Und ihr Beispiel die Soldaten anwerben konnten. – »Charlamp ist gut auf dem Schlachtfelde zu gebrauchen, für was anderes taugt er nicht; – Niewiarowski ist unbeliebt im Heere und hat gar keinen Einfluß; bleibt einzig und allein noch Kmicic. – Er ist unternehmungslustig, verwegen und der Träger eines berühmten Namens; er ist ein geborener Anführer der unruhigen Elemente in Litauen, er wird die Herzen der jungen Ritter mit sich reißen und mein Lager mit Leuten überfüllen. – Aber auch er war schwankend geworden. Zwar hat er mir den Stab nicht vor die Füße geworfen, aber meinem Rufe ist er auch nicht gefolgt. Auf niemanden kann man sich verlassen, niemandem trauen!«

»Du verfällst der Schande,« flüsterte ihm sein Gewissen zu.

»Litauen wird dein,« antwortete darauf sein Stolz.

Radziwill versank tief in Gedanken.

In den Strahlen des Mondes, die hell in das Zimmer fielen, sieht er sich Gestalten bilden, ihre Zahl wächst mehr und mehr. Auf einer breiten, hellen Straße sieht er Truppen auf sich zukommen. Regimenter marschieren im Panzer, Husaren und leichte Kavallerie kommen angeritten, und über ihnen allen naht ein ganzer Wald von Fahnen. Voran reitet ein Mann, er trägt keinen Helm auf dem Kopfe. Es ist ein Triumphator, der vom siegreichen Kriege heimkehrt. Ringsum herrscht tiefe Stille; doch plötzlich vernimmt er jubelnde Rufe des Volkes und des Heeres. »Es lebe der Retter des Vaterlandes! Es lebe der Retter des Vaterlandes!« Die Truppen kommen immer näher; ihr Führer trägt einen Hetmanstab, und an der Anzahl der Roßschweife, die von der Fahne über seinem Kopfe wehen, sieht man, es ist der Großhetman. Und nun erkennt Radziwill auch die Züge des Feldherrn.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes!« schrie der Fürst auf, »das ist Sapieha, der Witebsker Wojewod. Und wo bin ich? Was ist mir bestimmt?«

Radziwill schlug die Hände zusammen. In der Tür erschien der unermüdliche Harasimowicz und verbeugte sich tief.

»Licht her!« rief der Fürst.

Harasimowicz ging hinaus und kehrte gleich mit einem Leuchter zurück.

»Euer Durchlaucht,« sagte er, »es ist Zeit zu ruhen; die Hähne haben schon zum zweiten Male gekräht.«

»Ich will nicht ruhen,« antwortete der Fürst. »Ich war ein wenig eingeschlafen, ein Alp bedrückte mich. – Was gibt es Neues?«

»Ein Schlachtschitz brachte einen Brief aus Nieswiez vom Fürsten-Obermundschenk.«

»Gib schnell den Brief her!«

Harasimowicz überreichte den Brief. Der Fürst brach das Siegel auf und las folgendes:

»Möge Gott, der Allmächtige, Ihre Durchlaucht vor Plänen behüten, die unserem Hause zu Schmach und Schande gereichen könnten! Als Lohn einer solchen Tat winkt keine Krone, sondern ein Büßerhemde. – Die Macht unseres Hauses liegt auch mir am Herzen. Wie Sie wissen, bewarb ich mich deshalb um eine Stimme im Reichstage. Aber für keine Belohnung und für keine Auszeichnung wird mir das Vaterland und der König feil sein. – Gedenken Ihre Durchlaucht an die Verdienste Ihrer Ahnen, an ihren unbefleckten Ruhm, und besinnen Sie sich, solange es noch Zeit ist. Selbst wenn schon etwas geschehen ist, so kehren Sie dennoch um; denn Reue kann jede Sünde gut machen. Jedenfalls erwarten Sie von mir keine Unterstützung. Ich sage Ihnen schon heute, daß ich meine Kräfte mit denen des Pan Unterschatzmeisters und des Witebsker Wojewoden vereinigen werde. – Ich ziehe es hundertmal vor, die Waffen gegen Ihre Durchlaucht zu erheben, als meine Hand zu dem schimpflichen Verrat zu reichen. – Des weiteren vertraue ich Sie Gottes Führung an.

Michail-Kasimir Radziwill, Fürst zu Nieswiez und Olic, Obermundschenk des Großfürstentums Litauen.«

Der Hetman ließ den Brief auf seine Kniee fallen; ein krampfhaftes Lachen verzerrte sein Gesicht.

»Auch der verläßt mich. Das eigene Blut sagt sich von mir los, nur weil ich unserem Hause zu unerhörtem Glanze verhelfen möchte. – Cha! Es ist keine leichte Sache! Boguslaw, der aber bleibt mir, der verläßt mich nicht. Boguslaw, der Kurfürst und Karl-Gustav. – Nun, wer nicht säen will, wird auch nicht ernten.«

»Beliebt es Eurer Durchlaucht eine Antwort zu geben?« fragte Harasimowicz.

»Nein.«

»Darf ich Ihnen den Kammerdiener schicken?«

»Warte. – Sind die Wachen auf ihren Plätzen?«

»Jawohl, Durchlaucht.«

»Sind die Befehle an die Banner abgegangen?«

»Jawohl, Durchlaucht.«

»Was macht Kmicic?«

»Er schlug mit dem Kopf an die Wand und rief, daß er verflucht sei. – Er wollte den Billewicz' nachlaufen, aber die Wache hat ihn daran verhindert. Da griff er zum Säbel und setzte sich zur Wehr, bis man ihn binden mußte. Jetzt ist er ruhig geworden.«

»Sage Charlamp, daß er nach Upita reiten soll, um das Banner hierher zu holen. Er soll den Leuten den Sold für ein Vierteljahr vorausbezahlen und ihnen erlauben, sich zu betrinken. Sage ihm, daß er an Stelle Wolodyjowskis lebenslänglich Dydkiemie zum Eigentum erhält. – Warte, noch eins – laß Kmicic herkommen. Ich will ihn sprechen. – Aber laßt ihm die Fesseln abnehmen.«

»Euer Durchlaucht, er ist ein rasender Mensch.«

»Fürchte nichts, – geh!«

Harasimowicz entfernte sich; der Fürst nahm aus einem venezianischen Schränkchen ein Etui mit Pistolen heraus und legte es neben sich auf den Tisch.

Nach einer Viertelstunde erschien Kmicic von vier Schotten begleitet im Zimmer des Fürsten. Radziwill befahl den Soldaten, sich zu entfernen.

In dem Gesichte des jungen Ritters schien kein Tropfen Blut zu sein: so blaß war er. Er war unheimlich ruhig, nur in seinen Augen brannte es wie von Fiebergluten.

Einen Augenblick schwiegen beide.

Dann begann der Fürst: »Sie haben es auf das Kruzifix geschworen, daß Sie mich nicht verlassen werden.«

»Ich werde verdammt, wenn ich es nicht halte; ich werde verdammt, wenn ich es halte! Mir ist alles gleich!« entgegnete Kmicic.

»Selbst wenn ich Sie zu einer schlechten Sache gebrauche, so werden Sie nicht die Verantwortung tragen.«

»Vor einem Monate drohte man, mich für einen Mord zu bestrafen, jetzt denke ich, daß ich damals unschuldig war wie ein Kind.« »Ehe Sie dieses Zimmer verlassen, werden Sie sich frei von allen Ihren Sünden fühlen,« sagte der Fürst. Plötzlich änderte er seinen Ton und fuhr gutmütig fort:

»Was, meinen Sie, hätte ich tun sollen angesichts zweier Feinde, die hundertmal stärker sind als ich, und von denen ich das Land nicht befreien konnte?«

»Sterben!« sagte Kmicic schroff.

»O, wie ich euch beneide, euch Soldaten, denen es leicht ist, die euch bedrückende Last auf diese Weise abzuwerfen! – Wer dem Tod ins Auge gesehen hat und ihn nicht fürchtet, für den gibt es nichts Leichteres auf der Welt als zu sterben.

Ihr macht euch nicht viel Gedanken, und keiner von euch bedenkt, daß, wenn ich jetzt Krieg angefangen und ihn verloren hätte, und wenn ich umgekommen, in dieser Gegend kein Stein auf dem anderen geblieben wäre. Dreimal glücklich preise ich euch, die ihr sterben könnt! – Glaubst du, mich bedrückt dieses Leben nicht? Meinst du, mich verlangt nicht nach Ruhe und ewigen Schlaf? Aber ich muß den bitteren Kelch bis zur Neige leeren. Das Vaterland muß gerettet werden, und ich muß mich seinetwegen noch weiter unter das Joch stellen. Mögen meine Neider mich des Stolzes zeihen; mögen Sie sagen, ich hätte das Vaterland verraten, um mich selbst zu erhöhen, Gott allein, der alles sieht, kann über mich urteilen. – Findet doch ihr, die ihr mich verlassen habt, einen Ausweg; zeigt ihr, die ihr mich Verräter genannt habt, ein Rettungsmittel, und sofort werde ich diesen Vertrag zerreißen und alle Banner zusammenrufen, um sie gegen den Feind zu führen!«

Kmicic schwieg.

»Nun, warum schweigst du jetzt?« fragte Radziwill in erhöhtem Tone. »Setze dich an die Stelle des Großhetmans und Wilnaer Wojewoden und rette das Vaterland; aber lasse nicht dein Leben, denn das ist keine Kunst. – Schütze Smudien vor feindlichen Überfällen, nein, noch mehr, befreie das Vaterland, vertreibe alle seine Feinde aus seinem Gebiete, zerreiße dich in tausend Stücke, aber lasse nicht dein Leben, das ist dir nicht erlaubt. – Und nun rette die Republik!«

»Ich bin nicht der Hetman und Wojewod von Wilna,« erwiderte Kmicic, »es geziemt mir nicht, über Sachen zu denken, die mich nichts angehen. – Aber wenn es nötig ist, daß ich mich in tausend Stücke zerreiße, – ich bin bereit dazu.«

»So höre, Soldat: wenn es nicht deine Sache ist, das Vaterland zu retten, so überlaß das mir und vertraue mir!«

»Ich kann nicht!« stöhnte Kmicic auf.

Radziwill schüttelte unwillig den Kopf.

»Auf jene habe ich nicht gerechnet; ich habe vorausgesehen, wie es mit ihnen enden wird. Aber in dir habe ich mich geirrt. Ich glaubte, daß in dir eine kühne Seele lebe, die zu großen Taten fähig ist. – Solche Leute kann ich gut gebrauchen. Um mich war keiner, der sich erdreistet hätte, der Sonne kühn ins Antlitz zu sehen. Lauter Dutzendmenschen, denen man es nicht zumuten darf, einen anderen Weg zu gehen als den ihrer Väter und Großväter. Und wohin hat uns dieser alte Weg geführt? Wohin, wenn nicht zum Abgrund? Wie steht es jetzt mit der Republik, die einst der ganzen Welt Furcht einflößte?«

Der Fürst preßte seine Hände gegen die Stirn und wiederholte:

»Gott! Gott! Gott!«

»Die Stunde des göttlichen Zornes ist angebrochen.« fuhr er nach einer langen Pause fort. »Eine Zeit des Unheils ist gekommen, des Verderbens, und gewöhnliche Hilfsmittel reichen jetzt nicht aus. Und da verlaßt ihr mich alle, auf die ich gerechnet habe. Du, der du mir beim Kruzifixe, bei den Leiden Christi Treue geschworen. – Glaubst du wirklich, daß ich mich für alle Ewigkeit unter den Schutz Karl-Gustavs begeben habe? Daß ich im Ernste denke, dieses Land Schweden anzugliedern? Daß dieser Vertrag, für den man mich Verräter nannte, länger als ein Jahr existieren wird? Warum siehst du mich so verwundert an? Du wirst noch mehr staunen, wenn du alles erfährst. – Erschrick nicht, denn es wird geschehen, was niemand erwartet, was ein gewöhnlicher Geist nicht ausdenken kann. Aber ich sage dir, zittere nicht; denn das bedeutet die Rettung des Landes. Verlasse mich nicht, denn wenn mir niemand hilft, werde ich untergehen und mit mir zugleich die ganze Republik, und ihr alle – für alle Ewigkeit. – Ich allein kann sie retten, deshalb aber muß ich alle Hindernisse zertreten und vernichten. Wehe dem, der sich mir in den Weg stellt, Gott selbst wird ihn mit seiner Strafe treffen, sei es der Wojewod von Witebsk, sei es Pan Gosiewski, das Heer oder die rebellische Schlachta. – Ich will das Vaterland erretten, und alle Wege, alle Mittel dazu sind mir recht! Rom berief in dem Augenblicke der höchsten Gefahr Diktatoren, – auch ich brauche jetzt unumschränkte Gewalt! Nicht Ehrgeiz treibt mich auf diesen Weg! – Wer sich stärker fühlt, der soll ihn für mich gehen. – Da aber niemand kommt, so reiße ich diese Gewalt an mich, selbst wenn diese Wände über meinem Kopfe zusammenstürzen sollten.«

Radziwill erhob beide Hände, als wolle er in der Tat die stürzenden Mauern von seinem Haupte abwehren. Er erschien in diesem Augenblicke von einer solchen Majestät, daß Kmicic ihn mit weitgeöffneten Augen ansah, als wenn er ihn zum erstenmal im Leben sähe.

»Und was erstreben Sie? – Was wollen Euer fürstliche Durchlaucht?« fragte er mit veränderter Stimme.

»Ich will – eine Krone!« rief Radziwill laut.

»Jesus Maria!«

Einen Augenblick trat tiefe Stille ein.

»Höre!« sagte der Fürst, – »die Zeit ist da, dir alles zu eröffnen. – Die Republik geht zugrunde, sie muß untergehen, es gibt keine Rettung für sie. Es handelt sich jetzt lediglich darum, Litauen vor dem Verderben zu retten. – Und dann, dann soll die ganze Republik wieder aus der Asche auferstehen – wie ein Phönix. – Und ich werde das alles vollbringen. Und die Krone, nach der ich strebe, wird sein wie eine Dornenkrone, die ich mir aufs Haupt setze, um neues Leben aus dem großen Grabe hervorzurufen. – Erzittere nicht; – die Erde öffnet sich nicht; alles steht auf seinem rechten Platze. Große Taten künden den Aufgang einer neuen Zeit an. – Ich habe dieses Land den Schweden ausgeliefert, um mit ihrer Hilfe einen anderen Feind zu vertreiben und das Verlorene wieder zu erobern. Verstehst du mich? In dem steinigen, öden Schweden aber werden sich nicht genug Kräfte, genug Soldaten, genug Säbel finden, um die ganze, ungeheure Republik zu erobern. Sie können wohl unser Heer ein-, zweimal besiegen, aber uns zu beherrschen, uns in Zaum zu halten, dessen sind sie nicht fähig. – Das weiß auch Karl-Gustav, er will deshalb auch nicht die ganze Republik erobern. Er wird sich mit Preußen und einem Teil Groß-Polens zufrieden geben. Er wird Litauen, wenn ich es nicht aus seinen Händen annehme, irgend jemandem geben. – Habe ich da ein Recht auf die Krone, die Gott und das Schicksal auf mein Haupt setzen, zu verzichten? Soll ich ruhig mit ansehen, wie unser Vaterland dem endgültigen Verderben geweiht wird? Zum hundertsten Male frage ich dich: Wo ist ein anderes Mittel, zeige mir eine andere Rettung? – So geschehe also der Wille Gottes. Ich fühle die Kraft in mir, diese Bürde auf meine Schultern zu nehmen. Ich werde das Land von Feinden säubern; die Regierung meines Hauses wird mit einem Siege und der Erweiterung der Landesgrenzen beginnen. Überall werden Friede und Ruhe einkehren. Aber bei alledem habe ich noch nicht das Ziel meiner Pläne erreicht. – Ich schwöre bei Gott im Himmel, bei diesen verlöschenden Sternen, daß ich das zerfallene Reich wieder aufrichten und fester begründen werde, als es je gewesen.«

Die Augen des Fürsten leuchteten; sein Gesicht erstrahlte im Glanze einer höheren Macht.

»Durchlaucht,« sagte Kmicic, indem er schwer nach Luft rang, »mein Geist ist nicht imstande, all das, was Sie mir auseinandersetzen, zu fassen. Mein Kopf glüht, und meine Augen wagen es nicht, in die Zukunft zu schauen.«

»Und dann – – –,« fuhr der Fürst, seinen Gedanken weiterfolgend, fort, »dann – – – Die Schweden werden Jan-Kasimir weder seiner Würde noch des ganzen Reiches berauben; Masovien und Klein-Polen werden sie ihm lassen. Jan-Kasimir hinterläßt keine Nachkommen. Nach seinem Tode werden die Polen einen anderen König wählen. – Und sie können keinen anderen wählen, als den Beherrscher von Litauen. Sie können nicht, sage ich, denn sie müssen sonst zugrunde gehen. Ein Blinder ist es, der das nicht sieht; ein Dummer, der das nicht begreift! Und dann werden wir sehen, wie die skandinavischen Herrscher sich in ihren preußischen und großpolnischen Besitzungen halten werden. – Dann werde ich sie mit meinen Füßen zerstampfen und beide Länder wieder zu einem Reiche vereinigen. Ich werde eine Macht gründen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat! – Großer Gott, der du die Bewegungen der Himmelslichter leitest, gib mir die Kraft, dir und deinem Christentume zum Ruhme dieses unglückliche Land zu retten! Schicke mir Menschen, die mich verstehen und mir helfen bei diesem Werke! – Herr Gott! Du siehst mich! Du richtest mich!«

Der Fürst erhob flehend seine Arme gen Himmel.

»Durchlaucht! Durchlaucht!« rief Kmicic aus.

»Geh, verlaß mich! Wirf mir gleich jenen deinen Stab vor die Füße! Brich deinen Schwur! Nenne mich einen Verräter, daß in meiner Dornenkrone nicht ein einziger Dorn fehle! – Geht alle, stürzt das Land ins Unglück, gebt es dem Verderben preis, stoßt den Arm fort, der es retten kann! Und dann geht vor Gottes Richterstuhl; er wird euch richten!«

Kmicic sank vor Radziwill in die Knie.

»O, Fürst, ich bleibe bei euch bis zum Tode! – Vater des Vaterlandes! Erlöser!«

Radziwill legte beide Hände auf Kmicic' Kopf; tiefe Stille trat ein.

»Du wirst alles erhalten, was du gewünscht und erstrebt hast,« sagte feierlich der Fürst. »Du wirst mehr erreichen, als dein Vater und deine Mutter sich je haben träumen lassen. – Steh auf! Du zukünftiger Großhetman und Wojewod von Wilna!« – – –

Die Morgenröte am Himmel verkündete den Anbruch des neuen Tages.

Ende des ersten Buches.


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