Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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6. Kapitel.

Schon längst wäre Radziwill nach Podlachien aufgebrochen, hätten ihn nicht verschiedene Umstände in Kiejdane zurückgehalten. Zuerst wartete er auf schwedische Hilfstruppen, die Pontus de la Gardie absichtlich erst so spät absandte. Als endlich die schwedischen Truppen angelangt waren, zögerte Radziwill noch; denn Gerüchte von Streitigkeiten unter den Anführern der Konföderierten waren zu ihm gedrungen. Der Fürst hielt es für ratsam, vor dem Ausmarsch abzuwarten, welche Folgen die Uneinigkeit unter den Konföderierten haben würde.

Plötzlich jedoch erhielt der Hetman entgegengesetzte Nachrichten über die Konföderierten. Er erfuhr, daß sie sich in Bialostock vereinigt und dort ein befestigtes Lager errichtet hatten. Radziwill geriet darüber so in Zorn, daß nicht einmal der unerschrockene Ganschoff es wagte, ihm nahe zu kommen.

Da endlich gab er seinen Soldaten den Befehl, sich marschbereit zu halten. In einem Tage waren die Vorbereitungen aller Truppen fertig. Es waren: ein deutsches, zwei schwedische und ein litauisches Infanterieregiment; die Artillerie kommandierte Pan Korf, Ganschoff die Kavallerie. Außer Charlamps Dragonern und der schwedischen schweren Reiterei waren noch zum Abmarsch bereit: das leichte Regiment Niewiarowskis und das glänzende Leibbanner des Fürsten. – Während der Feldzüge gegen Chmielnicki hatten dem Fürsten nicht mehr Regimenter zur Verfügung gestanden. Es waren genug Truppen, um mit ihnen glänzende Siege zu erfechten und unsterblichen Ruhm zu ernten.

Aber Radziwill selbst fühlte, daß sein Stern im Sinken begriffen war; er wurde von schweren Ahnungen gequält. Die vor ihm liegende Zukunft gab ihm über nichts eine Gewißheit. – Er wird nach Podlachien ziehen, die Rebellen zertrümmern und diesem verhaßten Zagloba die Haut vom Leibe ziehen lassen. – Aber was wird das alles besagen? Was wird dann weiter? – –

Das Moskowiter Heer, so sagte man, wolle, geängstigt durch das Anwachsen der schwedischen Macht, den Krieg abbrechen und sich mit Jan-Kasimir vereinigen. Wenn Jan-Kasimir es verstehen würde, Frieden zu schließen und seine früheren Feinde gegen die Schweden zu schicken, so würde das Kriegsglück der Schweden sich wenden und Radziwills Schicksal wäre besiegelt.

Augenblicklich stand die Sache der Schweden allerdings noch glänzend. Eine Wojewodschaft nach der anderen ergab sich ihnen. In Groß-Polen regierten sie wie in ihrem eigenen Lande; in Warschau herrschte Radziejowski; Krakau mußte jeden Tag fallen. Der König, verlassen von seinen Truppen, hatte sich mit wundem Herzen nach Schlesien gewandt, und Karl-Gustav staunte selbst darüber, wie mühelos es ihm gelang, die Macht zu brechen, die einstmals den Schweden selbst Furcht einflößte.

Aber gerade darin sah Radziwill auch die Gefahr für sich. Er ahnte, daß die vom Kriegsglück geblendeten Schweden ihn nicht brauchen, ihn nicht beachten würden, um so mehr, da sich seine Stellung in Litauen als gar nicht so mächtig erwies, wie alle, und auch er selbst, geglaubt hatten.

»Solange ich an der Spitze mehrerer tausend Mann stehe,« dachte Radziwill, »so lange wird man noch mit mir rechnen; aber wenn mir die Mittel ausgehen, wenn die Söldner-Regimenter sich zerstreuen, – was dann?« – –

Und die Gelder wurden wirklich immer knapper; denn der Pachtzins seiner zahllosen Güter blieb schon lange aus. Die meisten Besitzungen waren in den Händen der Feinde, und den Rest plünderten die Konföderierten. Zeitweise schien es dem Fürsten, als stehe er im Begriffe, in einen tiefen Abgrund zu stürzen, und alle seine Bemühungen und Intrigen konnten ihm nur den einen Titel »Verräter« verschaffen, weiter nichts.

Einen Tag vor dem Ausmarsch der Truppen erhielt der Hetman die Nachricht, daß Fürst Boguslaw nahe.

Zuerst wollte Radziwill ihm selbst entgegenfahren, aber die Etikette verbot dies. Er schickte ihm einen vergoldeten Wagen und das Banner Niewiarowskis entgegen und empfing ihn mit Salutschüssen, gleich als ob der König selbst käme.

Als nach der zeremoniellen Begrüßung die Fürsten allein blieben, umarmte Janusz Boguslaw und sagte mit erregter Stimme:

»Mir ist, als wenn Jugend und Gesundheit mir wiederkehrten!«

Fürst Boguslaw betrachtete ihn aufmerksam und fragte:

»Was ist Ihnen denn, Euer Durchlaucht?«

»Reden wir uns ohne Titel an, wenn wir allein sind. – Was mir ist? Krank bin ich, bald werde ich wie ein unterfaulter Baum umstürzen. – Doch das tut nichts. Was hast du Neues gebracht? Wie steht es mit dem Kurfürsten?«

»Du weißt doch schon, daß er sich mit den preußischen Städten ausgesöhnt hat?«

»Ja, das weiß ich schon.«

»Allein, man traut ihm nicht recht. Danzig läßt keine Garnison von ihm herein. Die Deutschen haben einen guten Riecher.«

»Auch das weiß ich. – Hast du ihm nicht geschrieben? Was denkt er von mir?«

»Von uns?« wiederholte Boguslaw zerstreut und trat schnell zum Spiegel. »Meine Haut ist rauh geworden auf der Reise, übrigens, morgen wird es schon wieder besser sein. – Er schreibt mir, daß er uns nicht vergessen wird. – Das glaube ich ihm auch, denn das fordert sein Vorteil. – Der Kurfürst kümmert sich um die Republik, ebenso wie ich mich um meine alte Perücke kümmere. Er würde sie gern den Schweden überlassen, wenn er Preußen nur unter die Finger bekäme, aber jetzt beginnt die schwedische Macht ihn zu beunruhigen. Er braucht für die Zukunft einen Bundesgenossen, und das könntest du sein, wenn du den litauischen Thron besteigst.«

»Wenn nur etwas daraus werden wollte! – Nicht für mich erstrebe ich den Thron.«

»Fürs erste wird es dir nicht gelingen, ganz Litauen zu erhandeln. – Ein guter Bissen davon genügt schon, mit Weiß-Rußland und Smudien mußt du dich begnügen.«

»Und die Schweden?«

»Die Schweden werden froh sein, ihre Ostgrenze durch dich gesichert zu wissen.«

»Ich habe an den schwedischen König und an viele unserer Notabeln geschickt. Du hast wohl auch einen Brief durch Kmicic erhalten?«

»Halt! Deswegen bin ich auch hierher gekommen. Was hältst du von Kmicic?«

»Ein heißblütiger Mensch ist's, – nicht ungefährlich, ein Tollkopf; – aber einer von denen, die uns treu dienen.«

»Sicherlich, sicherlich! – Mich hat er beinahe ins Jenseits befördert.«

»Was sagst du?«

»Man erzählt, du darfst dich nicht aufregen; die Luft fängt gleich an, dir auszugehen. – Gib mir dein Wort, mir geduldig und ruhig zuzuhören, so werde ich dir alles von deinem Kmicic erzählen, und du wirst ihn besser kennen lernen als bisher.«

»Gut, ich werde ruhig bleiben. Um Gottes willen komme aber nun zur Sache!«

Boguslaw erzählte alles, was sich in Pilwiszki zugetragen hatte.

Es war erstaunlich, daß der Hetman keinen neuen Asthmaanfall bekam; er bebte jedoch am ganzen Leibe vor Wut, knirschte mit den Zähnen und raufte sich sein Haar aus. Schließlich schrie er mit heiserer Stimme:

»Ja! schon gut! Aber er hat eins vergessen, – daß ich seine Geliebte in meinen Händen habe!«

»Beherrsche dich doch und höre weiter!« unterbrach ihn Boguslaw. »Ich dachte zuerst, er wäre tot, aber jetzt habe ich Beweise in den Händen, daß er lebt.«

»Tut nichts, wir werden ihn uns schon holen, selbst aus der Erde heraus! – Jetzt werde ich ihm solch einen Schlag versetzen, daß er es vorzieht, lebend verbrannt zu werden!«

»Das wirst du nicht tun; denn du würdest dadurch nur dir selbst schaden. – Auf dem Wege hierher habe ich einem Bauern einen an dich gerichteten Brief abgenommen. Da wir beide keine Geheimnisse voreinander haben, so habe ich ihn gelesen. – Hier hast du ihn!«

Boguslaw übergab dem Hetman Kmicic' Brief, den er in Kiemlicz' Hütte geschrieben hatte.

Der Fürst durchflog ihn, zerknitterte ihn wütend und schrie:

»Es ist wahr! Bei Gott! es ist wahr! Er hat meine Briefe, und in ihnen stehen Dinge, die der schwedische König für eine tödliche Beleidigung halten kann!«

Nun bekam der Hetman doch einen Asthmaanfall. Sein Mund verzerrte sich, die Hände faßten konvulsiv zur Kehle. Boguslaw rief mehrere Diener herbei und befahl ihnen:

»Bleibt beim Fürsten, bis er zu sich gekommen. Dann sagt ihm, ich erwarte Seine Durchlaucht auf meinem Zimmer!«

Nach zwei Stunden klopfte Janusz mit blutunterlaufenen Augen, geschwollenen Lidern und dunkelblau gefärbtem Gesicht an Boguslaws Zimmertür. – Boguslaw lag auf seinem Bette. Sein Gesicht war mit Mandelmilch eingerieben, damit die Haut weich und zart bleiben sollte. Ungeschminkt und ohne Perücke sah er bedeutend älter aus als sonst; aber Fürst Janusz beachtete all dies nicht.

»Ich denke,« begann er, »daß Kmicic sich doch nicht entschließen wird, meine Briefe zu veröffentlichen, das gliche einem Todesurteil für seine Braut. Er weiß ausgezeichnet, daß ich ihn in meinen Händen halte, aber auch ich kann mich nicht an ihm rächen. Und dieser Gedanke allein macht mich rasend.«

»Zum Glück habe ich ihm eine Lehre gegeben, daß es nicht leicht ist, mit den Radziwills Händel anzufangen. Du mußt zugeben, daß ich ihm gegenüber wie ein echter Radziwill gehandelt habe. – Wenn ein französischer Ritter sich solcher Tat rühmen könnte, so würde er tagelang darüber schwatzen, ausgenommen zu den Zeiten des Schlafens, Essens und Küssens. – Doch, was ist das für ein Mädchen, von der du soeben sprachst?«

»Eine Billewicz.«

»Billewicz oder sonst wer. – Der Name spielt doch hier keine Rolle. – Sag' mal, ist sie hübsch?«

»Ich sehe nicht auf die Weiber, aber ich meine, selbst die Königin von Polen könne sie um ihre Schönheit beneiden.«

»Wenn sie wirklich so schön ist, so nehme ich sie mit nach Tauroggen. – Dort werden wir zusammen überlegen, wie wir uns an Kmicic rächen.«

Janusz überlegte einen Augenblick.

»Nein,« sagte er, »du wirst gegen sie Gewalt gebrauchen, und dann wird Kmicic die Briefe veröffentlichen.«

»Ich werde einer Dorfschönen gegenüber Gewalt anwenden? Ohne zu prahlen, – ich hatte es schon mit ganz anderen zu tun, – aber zu Gewalt brauchte ich nie Zuflucht zu nehmen!«

»Du kennst dies Mädchen nicht! Sie ist die Tugend selbst, eine wahre Nonne. – Und dann haßt sie uns, – sie ist eine Patriotin, sie hat auch Kmicic' Abfall verschuldet. – Unter unseren Frauen werden sich nicht viele solche finden. – Sie hat den Verstand eines Mannes und ist eine wütende Parteigängern Jan-Kasimirs. – Nein, vorläufig muß ich sie wie meinen Augapfel behüten, – später aber kannst du oder einer deiner Dragoner sie kriegen, – dann ist mir alles gleich.«

»Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich keine Gewalt gebrauchen werde, und ich halte mein Wort, – außer in der Politik. – Schämen müßte ich mich, wenn ich mein Ziel nicht auf anderem Wege erreichen würde.«

»Du wirst sicherlich nichts erreichen.«

»Im schlimmsten Falle werde ich eine Abweisung herunterschlucken müssen, und eine Abweisung von einem Weibe ist keine Schande. – Du ziehst nach Podlachien, was willst du mit ihr machen? Mitnehmen kannst du sie nicht und hierlassen erst recht nicht; denn die Schweden schicken eine Garnison her, und wir dürfen sie doch nicht aus unseren Händen geben. – Ist es denn nicht besser, wenn ich sie mit nach Tauroggen nehme und von dort an Kmicic schreibe: »Gib du die Briefe her, und ich liefere dir deine Braut aus.« Wenn ich sie nicht so zurückgebe, wie ich sie genommen, so wird das eben der Anfang unserer Rache sein. – Von Kmicic' Tat darf sie natürlich nichts erfahren; dadurch würde er in ihren Augen nur gewinnen. Streite mit mir nicht beim Abendessen, was ich auch behaupten sollte. Du wirst meinen Plan sehen und dich deiner eigenen Jugend erinnern.«

Der Hetman machte eine zustimmende Bewegung mit der Hand und ging aus dem Zimmer. Boguslaw legte die Hände unter den Kopf und begann, über seinen Plan zu sinnen. – –


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