Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel. .

An demselben Tage kam Pan Kmicic mit mehreren hundert Soldaten nach Wodokty. Er hatte sie von Upita fortgenommen, um sie dem Groß-Hetman zuzuführen. Es genügte einen Blick auf Pan Kmicic' Freiwillige zu werfen, um zu wissen, wes Geistes Kinder sie waren. Verwahrlosteres Gesindel war wohl in der ganzen Republik nicht aufzutreiben. Aber woher sollte er auch bessere Soldaten bekommen? Die Reste der regulären Truppen hatten sich zurückgezogen, um sich zu reorganisieren. Ein Teil der Schlachta hatte sich der Armee angeschlossen, ein anderer sammelte sich in vom Feinde noch nicht besetzten Wojewodschaften. Zum Landsturm meldeten sich nur wenige in Grodno, aber auch sie gehorchten ihrer Pflicht nur langsam und unlustig. So blieb Pan Kmicic, den zum Teil Vaterlandsliebe, mehr noch Abenteuerlust dazu trieben, nichts anderes, als sich ein Freiwilligenkorps zu schaffen. Er nahm an Leuten, was er bekommen konnte, meist solche, die nichts zu verlieren hatten, und die hofften, sich durch Kriegsbeute bereichern zu können. Unter der eisernen Hand Kmicic' verwandelten sie sich zu kühnen Soldaten, und wäre Kmicic selbst eine positivere Natur gewesen, so hätten sie der Republik viel nützen können. Kmicic selbst aber, der zwar von Natur ein gutes Herz hatte, war durch die fortwährenden Kämpfe und Überfälle sehr verwildert und an Blutvergießen gewöhnt. Und da er als Freiwilliger auf die Hilfe der Regierung nicht rechnen konnte, so verschaffte er sich Proviant, Waffen und Pferde mit Gewalt, teils vom Feind, teils auch von den eigenen Landsleuten. Er und seine Soldaten schreckten vor keiner Art des Raubes zurück, sobald ihnen Widerstand entgegengesetzt wurde. Daher kam es, daß sein Name bald einen schlechten Klang bekam. Der Feind, aber auch die friedliche Bevölkerung, die schon so wie so vom Kriege fast ruiniert war, fürchteten den schrecklichen Partisan und seine Leute.

Mit Grauen sah Panna Alexandra Kmicic' Lumpengesindel vor ihrem Hause ankommen: so sehr ähnelten diese aufgelesenen Menschen in ihrer zusammengeraubten Ausrüstung Wegelagerern.

Alexandra beruhigte sich erst, als Pan Andreas heiter wie sonst ins Zimmer trat und ihr die Hand küßte.

Sie hatte sich vorgenommen, ihn kühl und abweisend zu empfangen, aber unter seinem aufrichtigen und liebevollen Blick schmolz ihr fester Entschluß wie Schnee bei Sonnenschein.

»Er liebt mich! Ohne Zweifel, er liebt mich!« dachte sie.

»Ich habe mich so gesehnt nach dir, daß ich am liebsten ganz Upita verbrannt hätte, um schneller her zu können,« sagte er. »Hole sie alle der Teufel!«

»Und Sie haben dort wieder Ordnung und Ruhe hergestellt? – Gott sei Dank, daß Sie wieder hier sind!«

»Laß mich, mein Schatz, erst ein wenig verschnaufen, dann werde ich alles erzählen. – Wie warm es hier ist bei Ihnen, so gemütlich! Ganz wie im Paradies. Ich möchte mein Lebelang hier sitzen und in diese klaren Augen sehen. – Draußen herrscht ein starker Frost; ein warmer Trank könnte nichts schaden. Auch den Galgenstricken draußen lassen Sie ein Fäßchen Branntwein geben, damit sie sich im Stall wärmen. Ihre Pelze sind ja mit Wind gefüttert.«

»Für sie soll mir nichts zu viel sein, es sind ja doch Ihre Soldaten.« Alexandra lächelte und ging leise hinaus, um ihre Anordnungen zu treffen.

Kmicic ging im Zimmer auf und ab, fuhr sich über seine Haarmähne und drehte seinen Schnurrbart. »Es ist schwer, ihr die ganze Wahrheit zu sagen,« brummte er vor sich hin.

Bald kam die reizende Hausfrau mit einem glänzenden Bleitablett, auf dem aus einem Topf der gewärmte Ungarwein duftend dampfte.

Pan Andreas sprang auf Alexandra zu:

»Ach! Jetzt sind deine beiden Hände beschäftigt, kannst dich gar nicht wehren. Er bog sich über das Tablett, um sie zu küssen; sie aber warf ihr blondes Köpfchen weit zurück.

»Lassen Sie doch! – Ich lasse sonst das Tablett fallen!«

»Bei Gott! Beim Anblick einer solchen Schönheit kann man leicht den Verstand verlieren!«

»Sie sind schon längst von Sinnen. – Setzen Sie sich lieber hin.«

Er setzte sich gehorsam; sie schenkte ihm Wein ein.

»Nun erzählen Sie, wie Sie in Upita die Schuldigen gerichtet haben!«

»In Upita? – Wie Salomo.«

»Gott sei Dank! Ich möchte, daß alle in dieser Gegend Sie als einen gerechten Mann preisen. – Wie verlief es also?«

Kmicic tat mehrere Züge, seufzte und begann. »Es war so: Der Bürgermeister sagte zu den Soldaten: Ihr seid Freiwillige, ihr habt nichts zu fordern. – Quartier werden wir euch gewähren, aber Proviant gibt's nur, wenn wir sehen, daß ihr uns dafür bezahlen könnt.«

»War er im Rechte oder nicht?«

»Dem Gesetze nach war er im Recht, aber die Soldaten hatten Säbel im Gürtel, und nach alter Sitte ist der im Rechte, der einen Säbel hat. Und so begann eine Rauferei. Die armen Soldaten steckten vor Schreck ein paar Scheunen an und beruhigten einige Bürger.«

»Beruhigten einige Bürger?«

»Nun, wenn jemand einen Säbelhieb über den Kopf kriegt, so muß er sich wider Willen beruhigen.«

»Aber mein Gott, das ist doch Mord!«

»Die Soldaten kamen und klagten mir, sie stürben Hungers; der Bürgermeister kam und klagte, die Soldaten fordern Fleisch und Met, und das könne die arme Bevölkerung nicht liefern.«

»Gott wird Sie segnen,« unterbrach ihn Alexandra, »wenn Sie Gerechtigkeit walten ließen.«

»Meine Königin,« sagte er in kläglichem Tone, »mein Schatz, zürne mir nicht.« – –

»Nun, was haben Sie getan?« fragte Alexandra unruhig.

»Ich ließ dem Bürgermeister und den mit ihm erschienenen drei Stadtvertretern je hundert Peitschenhiebe verabfolgen,« sprudelte Pan Andreas in einem Atem hervor.

Alexandra sagte nichts, sie senkte den Kopf und versank in Schweigen.

»Reiße mir den Kopf ab, aber zürne mir nicht! Ich habe noch nicht alles gebeichtet.«

»Noch nicht alles!« stöhnte die Panna.

»Sie hatten nach Poniewiez um Hilfe geschickt. Es kamen hundert Narren mit ihren Offizieren. Die Soldaten habe ich ein wenig eingeschüchtert – und die Offiziere, – die ließ ich, – um Gottes willen, zürne mir nur nicht! – nackt durch den Schnee über die Grenze peitschen.«

Panna Billewicz hob den Kopf, ihre Augen brannten vor Zorn, das Gesicht bedeckte eine flammende Röte.

»Sie besitzen weder Schamgefühl noch ein Gewissen! Ihre Handlungen sind eines Wegelagerers, aber keines Ritters würdig. Ich schäme mich, daß auf Sie, dessen Ruf mir teuer ist, schon nach so kurzer Zeit der ganze Adel mit Fingern weist!«

»Der Adel? Zehn seiner Hütten kann ein Hund bewachen und hat noch nicht 'mal was Rechtes zu tun.«

»Aber die Namen dieser Armen sind rein, kein Makel haftet an ihnen. Die Gerichte werden nur Sie hier verfolgen.«

»Ich dächte, in unserer Republik ist jeder, der einen Säbel hat, und der imstande ist, eine Bande Halunken um sich zu sammeln – sein eigener Pan. Was kann man mir tun? Wen brauch' ich zu fürchten?«

»Wenn Sie niemanden fürchten, so wissen Sie, daß ich doch Gottes Zorn fürchte, – Gottes Zorn und die Tränen der Unglücklichen und die Ungerechtigkeit! Schimpf und Schande will ich mit Ihnen nicht teilen; wenn ich auch nur ein schwaches Weib bin, so ist mir die Ehre meines Namens teuerer als manchem, der sich ein Ritter nennt.«

»Ich beschwöre dich bei Gott, drohe nicht so schrecklich. – Du kennst mich noch nicht!«

»O, ich glaube auch, mein Großvater kannte Sie auch nicht! Sie denken wohl, ich weiß nicht, daß Sie in Lubicz die Bilder meiner Ahnen zerschossen haben, und daß Sie die Mädchen dort entehrten? Wenn Sie meinen, daß ich dies alles geduldig ertragen werde, so kennen Sie mich nicht. – Ich verlange, daß Sie ein ehrenhafter Mann sein sollen.«

Kmicic schämte sich anscheinend selbst seiner Lubiczer Abenteuer, er senkte den Kopf.

»Wer hat dir das erzählt?« fragte er leise.

»Der ganze Landadel der Umgegend spricht davon.«

»Diesen Bauerlümmeln, diesen Verrätern werde ich ihren Dienst heimzahlen! – Wir waren damals alle im Rausch; Soldaten können sich nicht immer beherrschen. – Mägde habe ich aber nicht hereingeschleppt.«

»Ich weiß wohl, diese schamlosen Bösewichte stiften Sie zu all diesen Gemeinheiten an.«

»Es sind keine Bösewichter, – es sind meine Offiziere.«

»Nun denn, ich habe Ihre Offiziere aus meinem Hause gewiesen.«

Zum größten Erstaunen Alexandras brach Kmicic bei dieser Mitteilung durchaus nicht in Zorn aus, sondern seine Stimmung verbesserte sich sichtlich.

»Bei Gott! Du besitzest eine Ritterseele! Und sie gingen ruhig fort wie Schafe? Und warum? Weil sie mich fürchten.«

Pan Andreas sah Alexandra selbstgefällig an. Diese aber verlor bei dieser wenig angebrachten Selbstgefälligkeit ganz die Geduld.

»Sie müssen zwischen mir und ihnen wählen,« sagte sie fest und nachdrücklich, »anders geht es nicht.«

»Wozu soll ich wählen, wenn ich dich und sie haben kann?« sagte Kmicic nachlässig, fast heiter. »Hier in Wodokty können Sie tun, was Sie wollen. Wenn aber niemand von meinen Offizieren Sie persönlich verletzt hat, warum soll ich sie wegjagen? Das können Sie nicht verstehen, daß der Dienst unter einer Fahne und das gemeinsame Kämpfen ein festeres Band sind als Verwandtschaft. Sie müssen aber wissen, daß diese Räuber wohl tausendmal mir das Leben gerettet haben, daß das Gesetz sie verfolgt, und ich ihnen eine Zufluchtsstätte gewähre.«

Sie preßte krampfhaft ihre Finger zusammen. Alles, was sie ihm von der öffentlichen Meinung, von der Notwendigkeit, gesetzter zu werden, redete, glitt an ihm ab wie Erbsen von einer Wand. Das nichtgeweckte Gewissen dieses Soldaten konnte ihre Empörung über jede Ungerechtigkeit, über jeden scheußlichen Streich nicht verstehen. Mit welchen Worten konnte sie auf sein verhärtetes Gemüt einwirken?

»Gottes Wille geschehe!« sagte sie schließlich. – »Wenn Sie sich von mir lossagen, so gehen Sie ruhig Ihres Weges, Gott wird mich beschützen!«

»Ich mich von Ihnen lossagen?« rief Kmicic in größtem Staunen.

»Ja, – wenn nicht durch Worte, so durch Taten. Wenn Sie sich nicht von mir lossagen, so sage ich mich von Ihnen los. – Ich werde nicht das Weib eines Mannes, an dem menschliche Tränen und menschliches Blut haften, eines Mannes, den man einen Mörder, – einen Verräter nennt.«

»Was für ein Verräter? – Machen Sie mich nicht toll, daß ich nicht etwas tue, was ich nachher selbst bedaure. Möge der Donner mich erschlagen, wenn ich ein Verräter bin! Ich, der ich für das Vaterland gekämpft habe, als alle die anderen die Hände sinken ließen.«

»Sie wollen ein Verteidiger des Vaterlandes sein! Sie, der Sie dasselbe tun, was der Feind tut! Sie bedrücken es, Sie martern seine Söhne, Sie treten menschliche und göttliche Gesetze mit Füßen. Nein, und sollte mein Herz auch brechen, ich will keinen solchen Mann, – ich will nicht!«

»Sprechen Sie nicht so, sonst komme ich von Sinnen! Engel, kommt her, rettet mich! Folgen Sie mir nicht in Gutem, so werde ich Sie mit Gewalt nehmen, wenn Sie auch sämtliche Habenichtse der Gegend, selbst die Fürsten Radziwill, den lieben Gott und alle Teufel mit ihren Hörnern zum Beschützer haben sollten. – Selbst wenn ich meine Seele dem Teufel verschreiben müßte!«

»Rufen Sie nicht die bösen Geister an, denn sie werden Sie erhören!« rief Alexandra aus.

»Was verlangen Sie von mir?«

»Seien Sie ehrenhaft.«

Beide schwiegen, im Zimmer wurde es ganz still. Man vernahm nur das schwere Atmen Pan Andreas'. Alexandras letzte Worte durchbohrten den Panzer, der sein Gewissen umhüllte. Er fühlte sich vernichtet, aber er wußte nicht, was er sagen, wie er sich verteidigen sollte.

»Leben Sie wohl!« sagte plötzlich Pan Kmicic.

»Leben Sie wohl, möchte Gott Sie eines Besseren belehren,« antwortete Alexandra.

Kmicic ging zur Tür, plötzlich drehte er sich wieder um, lief auf Alexandra zu und faßte ihre Hände.

»Um Christi willen! Wollen Sie, daß ich tot vom Pferde stürze?«

Alexandra brach in Schluchzen aus. Er umfaßte sie und hielt sie, die am ganzen Körper zitterte, in seinen Armen.

»Schlage mich! – Schlage mich! – Nur weine nicht, meine Teuerste. Ich bin schuldig. Ich werde alles tun, was du willst! – Ich schicke sie fort. – Ich werde in Upita alles in Ordnung bringen. – Ich werde mich bessern. Mache mit mir alles, was du willst, nur weine nicht und habe mich lieb!«

So beruhigte und liebkoste er sie.

»Fahren Sie,« sagte sie, als sie sich ausgeweint hatte. »Gott wird uns beide versöhnen. Ich zürne Ihnen nicht mehr, nur im Herzen, da tut es weh.«.

Der Mond stand schon hoch über den weißen Feldern, als sich Pan Andreas mit seinen Soldaten auf den Weg nach Lubicz machte.

Reue und Zorn stritten in seinem Herzen, doch das Gefühl des Ärgers über sich selbst gewann meist die Oberhand.

Dies war die erste Nacht seines Lebens, in der er mit seinem Gewissen Abrechnung hielt, und diese Rechnung bedrückte ihn mehr als der schwerste Panzer. Mit einem schlechten Rufe war er hierher gekommen, und was hatte er getan, um ihn zu verbessern? Am ersten Tage fand in Lubicz eine Orgie statt, seine Soldaten vergriffen sich an der städtischen Bevölkerung, er aber setzte dem noch die Krone auf, er schlug die Soldaten, die aus Poniewiez kamen, er ließ die Offiziere nackt durch den Schnee treiben! – Man wird ihm einen Prozeß anhängen, man wird ihn seiner Güter, seiner Ehre, vielleicht gar seines Lebens berauben. – Und er wird nicht wie früher eine Bande Gesindel zusammentrommeln und auf das Gesetz pfeifen können; denn er will heiraten, er will sich in Wodokty festsetzen, er will im regulären Heer dienen. Und da wird ihn der Arm des Gesetzes schon erreichen. Selbst wenn er auch straflos ausginge, wenn seine Gewalttätigkeiten keine Vergeltung fänden, er fühlt das Widerwärtige, das eines Ritters Unwürdige in allen diesen Vergehen heraus, und in seinem Gewissen und in Alexandras Herzen wird die Erinnerung an sie ewig leben.

Bei dem Gedanken, daß Alexandra ihn doch nicht verstoßen, daß sogar beim Abschied in ihren Augen Verzeihung zu lesen war, erschien das Mädchen ihm so gut wie ein Engel vom Himmel. Am liebsten wäre er umgekehrt, um ihr zu Füßen zu fallen, sie um Vergebung zu bitten und diese süßen Augen zu küssen, die heute sein Gesicht mit Tränen benetzten. Er fühlte, daß er dieses Mädchen liebte wie niemanden auf der Welt. »Ich schwöre bei der heiligen Jungfrau,« sagte er zu sich selbst, »ich werde alles tun, was sie von mir verlangt; ich werde meine Kameraden freigebig beschenken und sie ans Ende der Welt schicken. Es ist wahr, sie verführen mich immer zu allem Bösen. Gewiß werde ich sie in Lubicz betrunken und mit den Mägden zusammen antreffen,« Und ein furchtbarer Ärger darüber erfaßte ihn. »Ich werde es ihnen aber heimzahlen, sie sollen mich kennen lernen!«

In seiner Wut gab er dem Pferde die Sporen, daß es aufstöhnte, und der Wachtmeister Soroka sagte zu den Soldaten:

»Unser Rittmeister ist toll geworden, behüt uns Gott, daß wir ihm jetzt nicht unter die Hände kommen!«

Die Tore des Herrenhauses in Lubicz waren weit geöffnet. Kmicic staunte nicht wenig, als niemand in den Hof kam zu seinem Empfange. Er glaubte die Fenster hell erleuchtet zu finden, Violinenspiel und die fröhlichen Stimmen der Tanzenden zu vernehmen, aber nichts davon, – nur in zwei Fenstern des Eßzimmers flackerte ein unsicherer Lichtschein, alles andere war dunkel, stumm und taub.

Kmicic sprang vom Pferde herunter. Die Flurtür stand weit offen.

»He, wer ist da?« schrie Kmicic.

Niemand antwortete. Er rief noch einmal lauter. Ringsum Schweigen.

»Haben die gesoffen!« brummte Pan Andreas, und er knirschte mit den Zähnen vor Wut.

Er ging nach dem Eßzimmer. Auf dem ungeheuer großen Tische brannte die Talglampe. Beim Luftzug flackerte die Flamme so auf, daß Pan Andreas zuerst nichts sehen konnte. Als das Licht ruhiger geworden, sah sein Auge eine Reihe Gestalten an der Wand liegen.

»Haben sie sich zu Tode getrunken, oder was?« sagte er unruhig und ging an die erste Gestalt.

Das Gesicht war nicht zu sehen, aber an der weißen Hülle der Klarinette erkannte er Uglik. Er stieß ihn ohne weitere Zeremonien mit dem Stiefel an.

»Steht auf, Rindviehcher, steht auf!«

Aber Pan Uglik lag unbeweglich, und ebenso die übrigen. Niemand gähnte, niemand erwachte, niemand brüllte. Bald bemerkte Kmicic, daß alle auf dem Rücken lagen, in gleicher Lage. – Und eine unbestimmte Ahnung erfaßte sein Herz.

Er lief zum Tisch, griff mit zitternder Hand die Lampe und beleuchtete die Gesichter der Liegenden. – Seine Haare stiegen ihm zu Berge, ein so schreckliches Bild bot sich ihm dar. Dort lag Uglik, kaum konnte er ihn erkennen, denn sein Gesicht und Kopf glichen einer formlosen, blutigen Masse, ohne Augen, Nase und Mund. Daneben Zend mit fletschenden Zähnen und hervorgequollenen Augen, in denen das Entsetzen vor dem Tode sich widerspiegelte. Ranicki lag mit geschlossenen Augen über und über mit Wunden bedeckt. Da erblickte Kmicic Pan Kokosinski, seinen Liebling, seinen alten Gutsnachbar. Er schien ruhig zu schlafen, nur am Halse war eine tiefe Wunde, wahrscheinlich von einem Bajonettstich. Kmicic leuchte alle der Reihe nach ab. Als er das Gesicht des sechsten, Rekuc', beleuchtete, schien es ihm, daß die Lider des Unglücklichen leicht erzitterten.

»Rekuc! Rekuc!« schrie er, »ich bin es!«

Rekuc' Augen öffneten sich, er erkannte das Gesicht des Freundes und stöhnte: »Einen Geistlichen – schnell!«

»Wer hat euch getötet?« schrie Kmicic

»Die – But – ryms –« hörte er leise eine im Todeskampf brechende Stimme. Rekuc streckte sich noch einmal und war tot. – –

Kmicic ging schweigend an den Tisch, stellte die Lampe hin, ließ sich auf einen Stuhl nieder und strich mit der Hand über sein Gesicht. Schlief er? Sah er vor seinen Augen noch Traumbilder? Er wußte es selbst nicht. – Dann blickte er wieder auf die an den Wänden liegenden Leichen. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, sein Haar stand zu Berge. – Plötzlich schrie er auf, so daß die Fensterscheiben in den Rahmen erzitterten: »Hierher! Alle hierher!« – –

Die Soldaten, als sie den Schrei hörten, stürzten ins Zimmer herein.

Kmicic wies mit der Hand auf die erschlagenen Kameraden: »Ermordet! Ermordet!« wiederholte er mit heiserer Stimme.

Die Soldaten traten zu den Leichen, einige zündeten Holzspäne an und beleuchteten die Liegenden. Nach dem ersten Augenblicke des Staunens entstand Lärm und Tumult. Man vernahm Drohungen und Flüche.

Kmicic, der bis dahin regungslos gesessen hatte, sprang auf und schrie: »Auf! zu Pferde!«

Es verging kaum eine halbe Stunde, und hundert Reiter flogen über die breite, schneebedeckte Straße dahin; voran ritt Pan Kmicic, ohne Mütze, das blanke Schwert in der Hand. –

Der Mond hatte gerade den höchsten Punkt am Himmelsbogen erreicht, als sein Licht sich plötzlich mit einem schwachen, rosigen Schein, der aus der Erde zu kommen schien, zu vermischen begann. Allmählich wurde der Himmel immer röter, bis ein blutiger Feuerschein die ganze Gegend einhüllte. – – Ein Feuermeer wütete in den Besitzungen der Butryms, und der rasende Kmicic schlug und mordete inmitten des Rauches, der Flammen und der Funken, die garbenweise zum Himmel flogen, die bestürzten und um den Verstand gekommenen Edelleute. –

Die Einwohner der benachbarten Dörfer versetzte das Feuer in große Unruhe: »Vielleicht hat der Feind die Butryms überfallen und ihre Gehöfte angezündet? Was für ein fürchterlicher Brand!« – –

Die Schüsse, die von dort herüberhallten, machten diese Annahme noch wahrscheinlicher.

»Schnell, eilen wir zu Hilfe!« riefen die Beherzteren, »lassen wir unsere Brüder nicht ermorden!«

Die Jugend bestieg schnell die Pferde, und bald hörte man die Glocken von Upita und Krakinowo Sturm läuten.

In Wodokty wurde Alexandra durch ein leises Klopfen an der Tür aus dem Schlafe geweckt.

»Steh auf! steh auf!« rief Panna Kulwiec.

»Komm doch herein! Was ist los?«

»Wolmontowicze brennt! – Die Schüsse hört man bis hierher, – dort wütet eine Schlacht! Gott erbarme sich unser!«

Alexandra schrie auf, sprang aus dem Bette und begann, sich eiligst anzukleiden. Sie zitterte wie im Fieber; sie erriet sofort, was für ein Feind über die armen Butryms hergefallen war.

In einer Minute versammelten sich bei ihr sämtliche Frauen des Hauses. Alle weinten und wehklagten. Alexandra fiel vor dem Heiligenbild in die Kniee und begann laut zu beten.

Plötzlich wurde an der Flurtür heftig geklopft.

Mit einem Schrei des Schreckens sprangen die Frauen hoch.

»Nicht öffnen! Nicht öffnen!«

Mit doppelter Kraft wurde an die Tür geschlagen; fast schien es, daß die Tür diesen Schlägen nachgeben würde. Kostek kam ins Zimmer gestürzt.

»Gnädige Panna,« meldete er, »draußen klopft ein Mann! Soll ich ihm öffnen?«

»Ist er allein?«

»Ja, allein.«

»So geh! öffne!«

Der Junge ging heraus. Alexandra nahm eine Kerze und ging ins Eßzimmer, Panna Kulwiec und die Mägde folgten ihr.

Kaum hatte Alexandra die Kerze hingestellt, als schwarz vom Rauch, mit Blut bespritzt, atemlos, mit Augen, aus den der Wahnsinn sprach, Kmicic vor den Frauen erschien.

»Mein Gaul ist gefallen!« schrie er, »man verfolgt mich!«

Alexandra sah ihn mit durchdringendem Blick in die Augen.

»Haben Sie Wolmontowicze angesteckt?«

»Ja, – ich –«

Er wollte noch etwas hinzufügen, als plötzlich aus der Richtung des Waldes menschliche Stimmen und Pferdegetrappel erschallte.

»Teufel! Verflucht! Jagd auf meine Seele!« schrie Kmicic.

Panna Alexandra wandte sich zu den Frauen:

»Wenn man fragt, sagt, hier sei niemand. Und jetzt geht in die Gesindestube und bringt Kerzen hierher!«

»Und Sie dort hinein!« Sie zeigte Kmicic das angrenzende Zimmer. Mit sichtlichem Abscheu stieß sie ihn durch die offenstehende Tür hinein, die sie hinter ihm verschloß.

Während dieser Zeit füllten bewaffnete Leute den Hof, und einige Augenblicke später kamen die Butryms, Domaszewiczs und andere ins Haus. Im Eßzimmer trat ihnen mit einer Kerze in der Hand Alexandra entgegen und sperrte den Weg zu den anderen Zimmern.

»Was treibt ihr hier? Was wollt ihr, Leute?« fragte sie, ohne die Augen vor den drohenden Blicken und den Unheil verkündenden blanken Säbeln zu senken.

»Kmicic hat Wolmontowicze verbrannt!« vernahm man Juzwa Butryms Stimme, »und wir verlangen jetzt seinen Kopf.«

»Seinen Kopf! Blut! In Stücke den Mörder!«

»So jagt doch hinter ihm her!« schrie die Panna. »Was steht ihr hier? Jagt ihm nach!«

»Hat er sich denn nicht hier versteckt? Wir haben sein Pferd am Waldesrand gefunden.«

»Hier ist er nicht! Das Haus war verschlossen. Geht, sucht in den Ställen und Remisen!«

»So hat er sich in den Wald geflüchtet!« schrie ein Edelmann.

»Ruhe!« donnerte Juzwa Butrym. »Panna, verstecken Sie ihn nicht; er ist ein Mensch, über dem der Fluch vieler schwebt.«

Alexandra hob beide Arme:

»Und ich verfluche ihn auch!«

»Amen!« schrieen die Ritter. »Auf! Laßt uns die Ställe und den Wald durchsuchen! Schnell hinter dem Bösewicht her!«

Panna Alexandra blieb allein. – Sie lauschte und wartete, bis überall vollständige Stille herrschte; dann trat sie wie im Fieber in die Tür des Zimmers, in das sie Pan Andreas versteckt hatte.

»Es ist niemand mehr da! Kommen Sie heraus!«

Kmicic trat heraus; er schwankte als wie berauscht.

»Alexandra!« begann er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich will Sie nicht sehen! von Ihnen nichts wissen! Nehmen Sie ein Pferd und reiten Sie fort von hier!«

»Alexandra!« stöhnte Kmicic und streckte die Arme nach ihr aus.

»Ihre Hände sind mit Blut befleckt wie die Kains!« schrie sie und wich zurück wie beim Anblick einer Schlange. »Fort von hier! Für alle Ewigkeit!« –


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