Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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11. Kapitel.

In dem Dorfe Burzec, das dem Pan Skrzetuski gehörte, saß im Garten zwischen dem Herrenhause und dem Teich ein alter Mann. Zu seinen Füßen spielten zwei Knaben von fünf und vier Jahren. Es waren schwarzhaarige, rotbackige, gesunde Jungen, die so stark verbrannt waren, daß sie wie Zigeunerkinder aussahen. Der Greis auf der Bank sah auch recht rüstig aus. Noch hatten die Jahre nicht seinen kräftigen Rücken zu beugen vermocht. Aus seinem einen Auge, das andere war blind, blickte Gutmütigkeit und Menschenliebe.

Die beiden Knaben zogen je an einem Stiefelschaft des Alten nach verschiedenen Richtungen, und er sah zu, wie die Sonnenstrahlen den Teich vergoldeten und die lustig plätschernden Fische Kreise auf der Oberfläche zogen. Schließlich ließen die Kinder die Stiefelschäfte des Alten los und setzten sich zu ihm auf die Bank.

»Großväterchen, sag' 'mal, wer ist der tapferste Mann, den du kennst?« fragte der ältere Knabe, Jaremka.

»Na, du, Söhnchen.«

»Werde ich auch 'mal ein Ritter?«

»Sicherlich, denn in deinen Adern fließt Ritterblut. Gebe Gott, daß du dem Vater gleichst.«

»Und wieviel Menschen hat Papa schon getötet?«

»Schon hundertmal habe ich dir gesagt, eher kann man die Blätter auf jener Linde zählen, als alle die Feinde, die wir, dein Vater und ich, ins Jenseits befördert haben.«

Die Tür, die aus dem Herrenhause in den Garten führte, öffnete sich, und in ihr zeigte sich eine Frau. Sie war schön, groß, schlank und schwarzhaarig; ihre Wangen färbte eine blühende Röte. An ihrem Kleide hielt sich ein dritter kleiner Knabe fest. Sie beschattete ihre Augen mit ihrer Hand und blickte nach der Richtung der Linde zu.

Es war Pani Helene Skrzetuska aus dem Fürstengeschlechte der Bulyn-Kurcewicz'.

Als sie Pan Zagloba und bei ihm Jaremka und den jüngeren Knaben, Longinek, sah, ging sie einige Schritte zum Teich und rief:

»Jungens, kommt her! Großväterchen hat euch gewiß schon satt gekriegt.«

»Ei, warum denn? Sie sind ja ganz brav,« antwortete Pan Zagloba.

»Väterchen, was wollen Sie heute trinken, Bier oder Met?«

»Zu Mittag gab's heute Schweinefleisch, – da paßt Met besser.«

»Gleich werde ich Met schicken. Aber es ist unrecht, daß Sie im Freien schlafen, Sie können sich noch das Fieber holen, Väterchen.«

»Es ist ja warm und windstill heute. Doch, Töchterchen, sag' 'mal, wo ist denn Jan?«

»Er ging in den Speicher.«

Pani Skrzetuska nannte Pan Zagloba Väterchen und er sie Töchterchen, obgleich sie nicht miteinander verwandt waren. Während ihrer Mädchenzeit erwies Zagloba Helene Skrzetuska große Dienste. Er hatte sie aus furchtbarer Gefahr errettet, darum ehrten Helene und ihr Mann Zagloba wie einen Vater. Auch in der ganzen Umgegend genoß Pan Zagloba großes Ansehen; man verehrte ihn seiner Klugheit und seiner großen Tapferkeit wegen, die er in vielen Kriegen, besonders in den Kämpfen gegen die Kosaken bewiesen hatte. Sein Name war in der ganzen Republik bekannt; selbst der König liebte seine Erzählungen und witzigen Einfälle, kurz, man sprach im Lande sogar mehr von ihm als von Pan Skrzetuski.

Bald nachdem Helene Skrzetuska wieder ins Haus gegangen war, brachte ein Diener einen Krug Met und ein Glas unter die Linde. Pan Zagloba schenkte sich ein, schloß die Augen und kostete von dem Getränk.

»Der liebe Gott wußte schon, wozu er die Bienen erschaffen hat,« brummte er in seinen Bart und begann langsam aus dem Glase zu trinken. Dann schöpfte er tief Atem und sah auf die dunklen Wälder, die sich in der Ferne jenseits des Sees dahinzogen. Am Himmel war nicht ein einziges Wölkchen, leise fielen die Lindenblüten zur Erde, und über seinem Kopfe in der Linde summten Tausende von Bienen. Aus den Schilfbüschen flogen fortwährend Scharen wilder Enten und Gänse auf. Bisweilen stiegen Kraniche hoch in die blaue Luft hinein. Ringsum war alles still und heiter.

Die Augen des alten Mannes hoben sich bald zum Himmel und verfolgten die Vogelscharen, bald richteten sie sich in die Ferne. Sein Blick wurde immer matter und schläfriger, entsprechend der Abnahme des Mets im Kruge.

»Ja, Gott hat schönes Wetter geschickt für die Ernte,« murmelte der Schlachtschitz. »Das Heu ist eingefahren, bald werden auch die Felder leer sein. – Ja, ja.«

Mit diesen Worten schlief Pan Zagloba ein.

Er hatte lange geschlafen, als er von den Schritten und der lauten Unterhaltung zweier Menschen geweckt würde. Er sah zwei Männer sich rasch der Linde nähern; einer von ihnen war Jan Skrzetuski, der berühmte Held von Zbaraz, den zweiten kannte Zagloba nicht, obwohl er in der Gestalt und in den Gesichtszügen sehr dem ersteren ähnelte.

»Gestatten Sie, Väterchen, daß ich Ihnen meinen Vetter, Pan Stanislaus Skrzetuski, Rittmeister von Kalisz, vorstelle?« sagte Jan Skrzetuski.

»Sie ähneln dem Jan so,« antwortete Zagloba, indem er noch mit den Augen blinzelte, daß ich Sie auf den ersten Blick für einen Skrzetuski hielt.«

»Es ist mir sehr angenehm, Pan Zagloba, Ihre Bekanntschaft zu machen, um so mehr, da mir Ihr Name sehr wohl bekannt ist. Die Edelsten der Republik nennen ihn mit Achtung; man stellt Sie den anderen als gutes Beispiel vor Augen.«

»Ei nun, es ist keine Prahlerei, wenn ich sage, ich tat stets, was in meiner Macht stand, solange ich bei Kräften war. Auch heute noch wäre ich nicht abgeneigt, mich im Kriegsglück zu versuchen. – Aber warum sehen Sie so besorgt aus? – Jan ist ganz bleich geworden!«

»Stanislaus hat schreckliche Nachrichten gebracht,« antwortete Jan. »Die Schweden sind in Großpolen eingedrungen, sie haben es schon ganz besetzt.«

Pan Zagloba sprang von seinem Platze auf, riß weit die Augen auf und griff nach der Seite, als suche er nach seinem Säbel.

»Wie? Höre ich recht? Wie, ganz besetzt?« fragte er bestürzt.

»Der Wojewod von Posen und die anderen haben sich bei Ujscie ergeben,« erläuterte, Stanislaus Skrzetuski.

»Um Gottes willen! Was reden Sie da! Ergeben?«

»Nicht nur ergeben, sie haben sogar einen Vertrag unterschrieben, in dem sie sich vom König und der Republik lossagen. Von nun an gibt's dort nur noch Schweden und keine Polen.«

»Beim Tode des Gekreuzigten! – Was ist das? Das ist das Ende der Welt! Erst gestern sprach ich mit Jan noch über die Drohungen der Schweden –«

»Mit dem Verlust einer Provinz fängt es an, und Gott allein weiß, womit es enden wird!«

»Hören Sie auf damit, ich ersticke fast! – Und Sie waren auch in Ujscie? Sie sahen das alles mit Ihren eigenen Augen an? Das ist einfach fürchterlich! Ein unerhörter Hochverrat!«

Pan Stanislaus fing nun an, die Einzelheiten der Ereignisse von Ujscie zu erzählen.

»Jeglicher Heldenmut ist aus der Republik verschwunden; denken Sie nur, fast alle waren mit dem Verrat einverstanden. – Fünf Rittmeister und ich versuchten vergeblich, den Rittersinn bei der Schlachta zu wecken. Aber ach, die meisten zogen es vor, mit Löffeln zu Wittemberg auf ein Festmahl zu gehen, als mit Säbeln in die Schlacht. Wer Ehre im Leibe hatte, verschwand nach irgend einer Richtung. Manche zogen nach Hause; manche nach Warschau; die Brüder Skoraszewski sind zum Könige gefahren, um ihm alles zu melden. Und ich bin hierher gekommen, den Vetter zu holen, um mit ihm wider den Feind zu ziehen.«

»Es steht schlimm mit unserer Republik,« sagte Jan traurig. »Früher kamen auf zehn Siege eine Niederlage; die Welt staunte über unseren Heldenmut. Jetzt gibt's Niederlagen und dazu noch den Verrat ganzer Provinzen. Möge Gott, der Barmherzige, sich über unser Land erbarmen!«

»Und was denkst du zu tun?« fragte Stanislaus.

»Natürlich werde ich nicht hier zu Hause sitzen. Ich werde meine Familie zu meinen Verwandten, den Stabrowskis, in die Bialowizer Heide schicken. Stabrowski ist dort königlicher Jagdmeister. – Wenn der Feind auch die ganze Republik erobert, bis nach dorthin wird er nicht vordringen. Morgen schon schicke ich meine Frau und die Kinder dorthin. – Und Sie, Väterchen, kommen Sie mit uns, oder wollen Sie lieber Helene nach der Heide begleiten?«

»Ich?« antwortete Zagloba, »ob ich mitgehe? Ich würde, nur dann nicht mitgehen, wenn meine Füße Wurzeln schlagen würden, die mich hier in der Erde festhielten. Es gelüstet mich so nach schwedischem Blut, wie den Wolf nach Hammelfleisch. – Ach, diese Mörder! Können sie nicht zu Hause sitzen! – Ich kenne diese Hunde wohl, noch unter Koniecpolski habe ich mich mit ihnen herumgeschlagen. Und wenn Sie wissen wollen, wer Gustav-Adolf gefangen genommen hat, so fragen Sie nur den seligen Pan Koniecpolski. – Ich sage nichts weiter, ich kenne sie, und sie kennen mich. – Die Nichtsnutzigen haben wohl erfahren, daß Zagloba alt geworden ist! Aber wartet nur, ihr sollt ihn noch zu sehen bekommen! – Jan, überlege nur schnell, was zu tun ist. Ich möchte am liebsten gleich aufs Pferd.«

»Nach der Ukraina, zu den Hetmans durchzudringen, wird nicht möglich sein. Meiner Meinung nach müssen wir nach Warschau, – den König retten.«

»So gehen wir nach Warschau, aber schnell!« sagte Zagloba. »Doch, was ich sagen wollte; wenngleich unsere Namen dem Feinde Furcht einjagen werden, so werden wir drei allein nicht viel ausrichten können. – Ich würde daher raten, einen Aufruf zu erlassen, damit wir dem König wenigstens eine kleine Schar Freiwilliger zuführen können.«

»Wundern Sie sich nicht über meine Worte,« erwiderte Stanislaus, »aber nachdem, was geschehen, fühle ich einen solchen Abscheu vor Landwehrleuten, daß ich es vorziehen würde, allein zu gehen, als mit einer Menge von Leuten, die vom Krieg keine Ahnung haben.«

»Jan, du kannst wohl bezeugen, daß ich meiner guten Einfälle wegen eng mit dem Fürsten Jeremias befreundet war. Du weißt ja, wie oft dieser große Feldherr meinem Rate folgte, und er kam immer auf seine Kosten dabei.«

»Sagen Sie nur schnell, was Sie meinen, Väterchen, die Zeit eilt,« sagte Jan.

»Was ich sagen wollte? Wozu sollen wir aufs Geratewohl nach Warschau gehen? Vielleicht ist Seine Majestät der König schon nach Krakau, Lemberg oder Litauen abgereist. Ich rate, daß wir uns ohne Zögern unter die Fahnen des Groß-Hetmans von Litauen, des Fürsten Janusz Radziwill, stellen. Er ist ein guter und kriegerischer Pan. Dort werden wir auch Pan Michail Wolodyjowski finden. Wenn mein Rat schlecht ist, so soll mich irgend ein Schwed' an den Haaren in die Gefangenschaft schleppen.«

»Wer weiß,« antwortete lebhaft Jan, »vielleicht wird es wirklich so besser sein.«

»Dann können wir auch die Kinder und Helene begleiten, da wir doch so wie so durch die Heide müssen.«

»Und wir werden in einem richtigen Heere dienen, nicht mit Landwehrsoldaten zusammen.« fügte Stanislaus hinzu.

»Und kämpfen werden wir, nicht brüllen, wie auf dem Landtage.«

»Du, Stanislaus, wirst in Wolodyjowski den tapfersten Ritter der Republik kennen lernen, meinen besten Freund. Und jetzt wollen wir zu Helene; Ich muß ihr sagen, daß sie alles zur Reise bereit halten soll.«

»Weiß sie vom Kriege?« fragte Pan Zagloba.

»Sie weiß schon. Stanislaus hat in ihrer Gegenwart alles erzählt. Die Arme weinte bittere Tränen. Als ich ihr aber sagte, daß die Pflicht fordert, daß ich gehe, da sprach sie: »So gehe mit Gott!«

»Am liebsten möchte ich schon morgen reisen,« rief Zagloba.

»Morgen bei Tagesanbruch soll auch die Reise losgehen. Heute schon werden wir Wagen mit Proviant vorausschicken. Es ist ein Jammer, wenn man so aus seinem schönen, warmen Nest heraus muß! Aber es ist Gottes Wille. Wir wollen nur gleich unsere Vorbereitungen treffen.«

An demselben Abend verließen mehrere Proviantwagen den Hof, und am nächsten Morgen folgte ihnen eine Kalesche, in der Helene, die Kinder und eine alte Wirtschafterin saßen. Die beiden Skrzetuskis, Zagloba und fünf Diener ritten neben dem Fuhrwerk.

Am sechsten Tage erreichten die Reisenden die Heide. Damals nahm die Bialowiczer Heide mehrere Quadratmeilen ein und verschmolz auf der einen Seite mit zwei anderen Heiden, auf der anderen mit den preußischen Wäldern.

Nicht viele betraten diese finstere Wildnis, in der ein Fremder sich verlaufen und umherirren konnte, bis er vor Müdigkeit niederfiel und ein Opfer der wilden Tiere wurde. Nachts erscholl hier das Gebrüll der Auerochsen und Bären zugleich mit dem Geheul der Wölfe und dem heiseren Schreien der Luchse. Durch das Dickicht führten kaum betretene Fußwege an Abhängen, Sümpfen und toten Seen vorbei zu den vereinzelt liegenden Häusern der Bienenzüchter und Teersieder, die oft ihr ganzes Leben lang die Heide nicht verließen. Nur einen breiten Weg gab es hier, der nach Bialowicz selbst führte, und den die Könige zu ihren Jagdfahrten benutzten. Auf diesem Wege gelangten auch die Skrzetuskis nach Bialowicz.

Pan Stabrowski, ein alter Junggeselle, empfing seine Gäste mit offenen Armen. Die Nachricht von dem Kriege betrübte ihn sehr; denn noch hatte Stabrowski nichts Bestimmtes davon gehört. Es kam vor, daß ein Krieg in der Republik wütete, daß ein König starb, ohne daß die Heidebewohner davon Kunde erhielten.

»Es wird dir hier fürchterlich langweilig werden,« sagte Pan Stabrowski zu Helene, »aber nirgends seid Ihr sicherer aufgehoben, als wie hier. Es ist leichter, die ganze Republik zu erobern, als diese Heide. Schon zwanzig Jahre lebe ich hier; aber noch heute kenne ich sie nicht ganz. Viele Stellen sind undurchdringlich; nur wilde Tiere und böse Geister hausen in ihnen.«

Jan Skrzetuski war ungeheuer froh, daß er für seine Familie eine so sichere Zufluchtsstätte gefunden hatte. Vergebens versuchte Stabrowski die Ritter zu einem kürzeren Aufenthalt in der Heide zu bewegen. Nachdem sie übernachtet hatten, traten sie ihre weitere Reise durch das Waldlabyrinth an, von einem Führer, den ihnen der Jagdmeister mitgegeben hatte, geleitet.


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