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Einundsiebenzigstes Kapitel

Ralph denkt ernstlich daran, seinen Namen zu ändern. – Er erhält wider Willen einige Gerechtigkeit und viel Auskunft. – Das Ganze nimmt ein schnelles und schmerzliches Ende.

————

Es war beinahe dunkel und ich saß mehr als eine halbe Stunde an der Seite der reuelosen Schönheit. Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie in irgend einer Gefahr schwebe. Während sie mit mir sprach, war ihre Stimme fest, obgleich nicht laut, und wenn sie nicht hin und wieder plötzlich in Mitte eines Wortes inne gehalten hätte, so könnte ich wohl sagen, daß ich sie nie so geläufig oder wohlklingend reden hörte. Sie war noch auf den Pfühl zurückgelehnt, als die Diener Licht hereinbrachten und aus einem kleinen Tische, dicht neben Mrs. Causands Ruhebette, Vorbereitungen für unser kleines Mahl trafen. Dann erschien Miß Tremaine, und Mrs. Causand erhob sich augenscheinlich sehr gekräftigt. Sie sah fast glücklich aus und begab sich ohne Beistand von ihrem Sopha nach dem Tische.

»Seht Ihr, Fanny?« sagte sie triumphirend. »Nicht ein einziger Anfall! Der liebe Ralph hat mir zuverlässig Gesundheit gebracht. Gestern würde mich diese Anstrengung getödtet haben.«

»Aber muthet Euch ja nicht zuviel zu,« entgegnete die Dame.

Wir hielten ein heiteres Mahl: sie schien ihren Sohn und ich meine vielgekränkte Mutter vergessen zu haben. Nach dem Diner entfernte sich Miß Tremaine, worauf meine Wirthin wieder nach ihrem Sopha zurückkehrte, sich ihr Schreibpult reichen ließ und dann in ihrer Erzählung fortfuhr:

»Eure Mutter, mein theurer Ralph, sehnte sich nach Eurer Gesellschaft. Sie hatte sich eine beträchtliche Geldsumme erspart – wünschte sich eine Heimath und heirathete zu diesem Ende den kleinen, häßlichen, gelehrten Franzosen Cherfeuil. Dies that sie aber erst, als das Gerücht in Umlauf kam und allgemeinen Glauben fand, daß Euer Vater todt sei.«

»Ich bewundere sie wegen der Zartheit dieses Bedenkens und ehre sie darum. «

»Kostet meinen Wein, Ralph – Ihr werdet ihn vortrefflich finden. Auch ich will mir ein einziges Glas erlauben, was auch Doktor Hewings sagen möge. Aus Eure Gesundheit, mein kleiner Liebhaber, und möge ich Euch bald als Ralph Rathelin begrüßen.«

»Wie wäre dies möglich?«

»Das sollt Ihr hören. Wir sprachen von Eurer guten Mutter. Nachdem sie diesen Cherfeuil geheirathet hatte, der französischer Sprachlehrer an einer großen Schule war, fand sie die Agenten auf, denen Ihr anvertraut wurdet, und traf bald mit ihnen das Abfinden, daß Ihr unter ihrem eigenen Dach ein Unterkommen finden solltet. Demgemäß wurdet Ihr nach Stickenham gebracht, wo Ihr Beide glücklich wäret.«

»Ach, und wie glücklich!«

»Gut; Ihr wißt, daß ich in jenen glücklichen Tagen zum erstenmal das Vergnügen hatte, mit dem unvergleichlichen Ralph Rattlin Bekanntschaft zu machen.«

»Aber warum Rattlin? Ich muß entweder Daventry oder Rathelin heißen.«

»Natürlich Rathelin – es wurde zuerst von jenem ersten Brettschneider der Welt, dem Joe Branden, zu Rattlin verderbt – und da eine Verheimlichung aus vielen Gründen zweckmäßig erschien, so hielt es Eure Mutter für das Beste, wenn Ihr den Rattlin beibehieltet. Jetzt merkt auf, Ralph – vor ungefähr acht oder vielmehr sieben Monaten machte ich einen kurzen Ausflug nach meiner Vaterstadt in Deutschland. Nie war meine Gesundheit kräftiger gewesen. Ich verließ Eure Mutter glücklich und so schön als je – sie hatte von Euch viel Günstiges gehört, obgleich Ihr Euch nie herabließet, auch nur ein einzigesmal an sie oder an mich zu schreiben. Während ich in G… war, kehrte Euer Vater zurück – ein ganz anderer Mann – verändert in Allem, ja sogar in seiner Religion. Er hatte sich zur Buße bekehrt und war katholisch geworden. Ein Gleiches war auch der Fall bei seinem Reisebegleiter, demselben Manne, der ihn mit Eurer holden Mutter getraut hatte.«

»Dann hatte er wohl wirklich die Ordination?«

»Ja.«

»Gott der unendlichen Gerechtigkeit, ich danke dir!«

»Der ehrwürdige Mr. Thomas suchte mich in meiner Abwesenheit hier in diesem Hause auf und brachte einen langen, reuevollen Brief von seinem Patron, der sich angelegentlich nach Euch und nach Eurer Mutter, Lady Rathelin, erkundigen ließ.«

»Wo ist jener unschätzbare Brief?«

»Wo?« entgegnete Mrs. Causand in großer Aufregung. »Ralph, während jener Abwesenheit ist viel Unheil geschehen. Mein Sohn, mein verlorner William – er, den Ihr als Josua Daunton kennt, brach in das Haus seiner Mutter ein, beraubte meinen Schreibtisch und nahm einige meiner wichtigsten Dokumente, unter denen sich auch jener ungelesene Brief befand.«

»Aber wie kennt Ihr seinen Inhalt?« erwiederte ich athemlos vor Aufregung.

»Ich konnte ihn aus dem entnehmen, was diese spätern von Sir Reginald und seinem Priester enthielten.«

Sie öffnete das Pult und gab mir zwei Briefe, die von meinem Vater an sie gerichtet waren. Wie Mrs. Causand gesagt, waren sie voll Reue und sprachen auf's Ehrendste und Zärtlichste von meiner hingeschiedenen Mutter; auch wurde Mrs. Causand auf's Angelegentlichste darin gebeten, ihm Kunde zu ertheilen über das Geschick und den Aufenthaltsort seiner Gattin.

»Und Ihr thatet es natürlich?«

»Nein, Ralph, ich that es nicht – betrachtet nur die Daten. Sie trafen vierzehn Tage vor meiner Rückkehr ein. Noch jetzt muß ich weinen, wenn ich daran denke – drei Tage vor meiner Ankunft war Eure Mutter eines fast plötzlichen Todes gestorben.«

»Ach, 's ist wahr – 's ist wahr,« versetzte ich traurig.

Aber ein plötzliches Schmerzgefühl erfaßte das Innerste meines Herzens; ich sprang auf, ergriff sie rauh bei der Hand und sagte finster:

»Schaut mir in's Gesicht, Madame. Erkennt Ihr einige Aehnlichkeit zwischen mir und meiner armen, armen Mutter?«

»Allerdings – eine sehr große Aehnlichkeit, aber wozu dieses Ungestüm?«

»Weil ich nun die Schuftigkeit begreife, die ihren Tod herbeigeführt hat. Euer Sohn war ihr Mörder – seht in mir ihr vorwurfsvolles Antlitz – oh, Mrs. Causand, Ihr und Euer Sohn seid mir und meiner Mutter zum Gift und zum Verderben geworden.«

»Was wollt Ihr mit diesen schrecklichen Worten? Seht Euch vor, Ralph, oder Ihr werdet, so lange Ihr noch hier steht, einen feigen Mord an mir begehen.«

»Mrs. Causand, ich will ruhig sein. Ich sehe jetzt Alles. Mit dem ersten Brief von Sir Reginald in der Hand ging er nach Stickenham, den mörderischen Vorsatz in seinem Busen tragend, brandmarkte meine Mutter mit dem Worte Bigamie, brachte den armen Franzosen gegen sie auf, und vierundzwanzig Stunden vollendeten das tödtliche Werk, welches Jahre der Ungerechtigkeit und Kränkung nicht zu vollführen vermochten.«

»Gütiger Gott, es muß so sein! – Ralph, ich verlange nicht, daß Ihr ihm vergeben sollt – aber habt Mitleid mit seiner armen, leidenden Mutter. Er hat mir das Herz gebrochen, Ralph – nicht im mystischen, sondern im wirklichen, physischen Sinne des Wortes. In derselben Stunde, in welcher ich nach Hause zurückkehrte, fand ich einen Haftbefehl vor, der gegen ihn als einen Hauseinbrecher erlassen worden war, und der hartherzige Bösewicht hatte die Grausamkeit, seine Mutter durch einen Brief zu kränken, in welchem er sich der That rühmte und zu gleicher Zeit tausend Pfund für sein Schweigen, wie auch für die gestohlenen Papiere forderte. Die Erschütterung war zu viel für mich. Ich erlag einem Anfall – ich weiß nicht, was es war – aber ich fiel besinnungslos zu Boden, und seitdem hat mein Herz nicht wieder gesund geschlagen. Ach, vielleicht wäre es am Ende doch noch ein Glück für mich wenn ich stürbe! – Arme Elisabeth – mir mehr als Schwester – meine Freundin?«

»Doch warum verschwende ich hier meine Zeit?« rief ich aufspringend und nach meinem Hute greifend. »Die Schlange ist thätig in ihrem Werke. Wo wohnt Sir Reginald – mein dämonenartiger Doppelgänger ist vielleicht lange vor mir dort. Er kann lange genug meine Person vorstellen, um meinen Vater zu tödten und ihn seiner Baarschaft zu berauben. Ich muß fort – aber ehe ich gehe, sollt Ihr wissen, daß er mich mit jenen entwendeten Papieren in Westindien aufsuchte, daß er mich auf dem Rückwege nach England um meinen Namen betrog und daß er zuletzt noch mit einem schurkischen Bundesgenossen mir auflauerte, um mich auf dem Rückwege von Stickenham meuchlings zu ermorden.«

»Gott im Himmel, laß mich sterben! – Er kann nie mein Sohn gewesen sein – laßt mich alle diese schrecklichen Einzelnheiten hören.«

»Nein – nein – nein, ich muß fort, oder es werden noch mehr Morde begangen.«

»Halt, Ralph – noch einen kleinen Augenblick – Ihr dürft nicht unvorbereitet gehen. Nehmt dies und dies – er stahl nicht alle Dokumente – ich will auch eigenhändig eure Identität bezeugen. Dies wird Euch von unendlichem Nutzen sein.«

Sie schrieb dann einen kurzen Brief an Sir Reginald, schilderte umständlich mein gegenwärtiges Aussehen und betheuerte, daß ich und kein anderer der wahre Ralph Rattlin sei, der zu Reading geboren und von den Brandons verpflegt wurde.

»Nehmt dies, Ralph, und zeigt es Sir Reginald; nur um Eines bitte ich Euch: schont das Leben – nur das Leben jenes Unglücklichen Menschen! In dem seinigen schont Ihr auch das meinige – denn ich bin nicht vorbereitet zum Sterben.«

»Das Erbarmen, das er meiner Mutter erwies –«

Ich konnte in meiner grausamen Rede nicht fortfahren, denn in diesem Augenblicke ließ sich lautes Getöse vor der Thüre vernehmen, und zwei rauh aussehende Bowstreet-Offiziere, von dem ganzen Haushalte begleitet, stürzten in das Zimmer. Sie näherten sich dem obern Ende des eleganten Heiligthums. Mrs. Causand sprang von ihrem Sopha auf, stand in der ganzen Majestät ihrer Schönheit da und fragte strenge:

»Was soll diese Frechheit?«

»Bitte Euer Gnaden um Verzeihung – bedauere, eindringen zu müssen – Pflicht – Madame weiß, ohne Ansehen der Person – nur ein Hausdurchsuchungsbefehl nach einem gewissen Josua Daunton, alias der schleichende Willie, alias Weißgesicht – –«

»Halt, nichts mehr von dieser Vermessenheit – Ihr seht, er ist nicht hier – ich weiß nichts von ihm. Wessen ist er angeklagt?«

»Der Fälschung, des Einbruchs und eines im Komplott geübten Mordversuchs an einem jungen Gentlemen, einem Flottenoffizier, Namens Ralph Rattlin.«

Mrs. Causand wandte sich von tiefem Schmerz ergriffen an mich und rief:

»O Ralph, war dies wohl von Euch gethan?«

Ihre Seelenstärke und die plötzliche Steigerung ihrer physischen Kraft schienen sie mit einemmale zu verlassen. Sie, die eben noch als eine unerschütterliche Heldin dagestanden hatte, brach nun zusammen und sank auf ihr Ruhebett zurück. Endlich murmelte sie mit matter Stimme:

»Ralph, befreit mich von diesen Menschen.«

Dies war bald bewerkstelligt. Ich erklärte ihnen, daß ich der Hauptankläger des Schuldigen sei und gewiß wisse, er sei nicht im Hause, sondern wahrscheinlich viele Meilen weit entfernt. Sie glaubten mir und zogen sich achtungsvoll zurück. Miß Tremayne, die Gesellschaftsdame und Wärterin der Kranken, trat jetzt mit mir an ihre Seite. Sie fühlte abermals einen schweren Anfall, und lange bevor sie sich wieder erholte, gewannen wir die Ueberzeugung, daß der verhängnisvolle Augenblick gekommen sei. Als sie wieder freier athmete kehrte das Roth nicht mehr, wie früher, nach ihren Wangen zurück; sie blieben durchscheinend weiß und machten in ihrer Schönheit einen ergreifenden Eindruck. Dennoch sprach sie ruhig und gefaßt. Ich ersuchte sie, mich zu entlassen und meine Bitten wurden von denen den jungen Dame unterstützt. Aber Mrs. Causands kalte Hand umfaßte die meinige so fest, und der Ausdruck ihrer Augen war so flehend, daß ich mich ohne Rohheit nicht von ihr losreißen konnte.

»Nur noch ein paar kurze Minuten,« rief sie, »und dann lebt wohl. Es ist mir schlechter, als es mir je gewesen – und ich fühle mich dabei so kalt. Das Leiden, das mich auf's Krankenbett warf, scheint jetzt das Lebensprinzip ergriffen zu haben – ein Gefühl von Schwäche durchschauert mich – und doch wage ich es nicht, das Haupt auf mein Kissen zu legen, weil ich es vielleicht sonst nie wieder erheben konnte. Ralph, es ist Wärme in Eurem jungen Blute – unterstützt mich!«

Ich legte ihr Haupt auf meine Schulter und flüsterte mit Miß Tremayne, welche sich augenblicklich entfernte, um den schleunigen Beistand eines Arztes aufzubieten.

»Sind wir allein, Ralph?« sagte die schaudernde Dame mit festgeschlossenen Augen. »Ich habe eine schreckliche Ahnung, daß meine Stunde herankommt, Alles ist so still um mich und in mir. Alle Gefühle scheinen mich rasch zu verlassen, bis auf eines, und das ist das Gefühl einer Mutter. Ihr wollt von mir weichen, damit ich hier sterbe unter Miethlingen und Fremden?«

»Miß Tremayne« – versetzte ich beschwichtigend.

»Ist nur eine gedungene Gesellschafterin, die ich erst seit dem Beginn meines leidenden Zustandes zu mir genommen habe. Ja, Ihr wollt mich dieser überlassen – und, Gott der Vergeltung, weshalb? – Um das Leben meines einzigen Sohnes niederzuhetzen! Wollt Ihr, wollt Ihr diese übergrausame That thun, Ralph?«

»Er hat einen Angriff aus das meinige gemacht und sucht noch immer, mir es zu nehmen – sprechen wir von andern Dingen. Beschäftigt Euern Geist mit religiösen Gedanken. Euere Kraft wird sich im Laufe des Abends wieder sammeln; morgen kommt Hoffnung, die Konsultation der Aerzte und, mit Gottes Segen, Leben und Gesundheit.«

»Zu hören, zu wissen, daß er den Tod eines Verbrechers sterben soll! Versprecht mir, Euer Vorhaben auszugeben, oder laßt mich zuerst sterben!«

»Ich habe über dem Grabe meiner Mutter geschworen, daß die Gesetze diese Sache zwischen uns zur Entscheidung bringen sollen. Entkommt er, so vergebe ich ihm, und möge ihm Gott gleichfalls vergeben!«

»Und muß es soweit kommen?« schluchzte sie in der Bitterkeit ihrer Angst, während die Thränen durch ihre geschlossenen Augenlieder niederströmten. »Wird dieser grausame Jüngling am Ende dennoch das schreckliche Bekenntniß erpressen? – Ja, es muß sein – ein einziger Dolchstich – und es ist vorüber. Ich will auf Eure Unterstützung verzichten – legt mich fachte auf das Kissen, denn Ihr werdet mich verabscheuen. Vor einer kleinen Weile sagte ich noch, ich sei ihm treu gewesen – es war eine bittere Lüge – wißt, daß mein Sohn, mein verlorener William, gleichfalls der Sohn Eures Vaters ist. Sprecht, wollt Ihr nun mit seinem Blute Eure Hände beflecken?«

»Sagt mir, schöne Ursache aller unserer Leiden, weiß Euer elender Sprößling davon?«

»Ja,« antwortete sie in sehr mattem Tone.

»Und doch konnte er mein Leben suchen? – schändlich – aber daran liegt jetzt nichts. Sein Blut soll nie meine Hand besudeln – ich werde ihn nicht aufsuchen – ja, sogar ihm aus dem Wege gehen, wenn er meinen Pfad kreuzt – und will ihm sogar behülflich sein, nach irgend einem fremden Lande zu entweichen, wo er als ein Unbekannter durch ein neues Leben das dunkle Verzeichniß seiner Verbrechen auslöschen und seinen Frieden machen kann – hienieden mit den Menschen und jenseits mit Gott.«

»Wollt Ihr alles dies thun, mein edelmüthiger, mein guter, mein gottgleicher Ralph?«

»Ich schwöre es Euch zu.«

Sie sprang wild aus ihrem augenscheinlich lethargischen Zustande auf, umarmte mich glühend, segnete mich wiederholt und rief mitten in ihrer Entzückung:

»O Ralph – Ihr habt mein Wesen wieder erneuert, habt mir lange Jahre des Lebens mit Gesundheit und Glück gegeben. Ihr – «

Jetzt stieß sie einen lauten Schrei aus, der durch das ganze Gebäude hallte, aber plötzlich wieder abgebrochen wurde. Ein erkältendes schreckliches Schweigen erfolgte – sie sank todt auf das Lager nieder.

Ich stand entsetzt über der schönen Leiche, wie sie dalag, durch keine Verzerrung entstellt, sondern im Gegentheil mit einer himmlischen Ruhe in ihren Zügen – ein trauriger Hohn auf weltliche Eitelkeit. Der Tod hatte sich in die letzte Pariser Mode gekleidet.

Auf den Ausruf der Sterbenden stürzte die Dienerschaft herein – ein Arzt voran, welchem Miß Tremayne mit den gemietheten Wärterinnen auf dem Fuße folgte. Es däuchte mich, der Doktor blicke mit grimmiger Selbstzufriedenheit auf die vor ihm liegenden Trümmer der Sterblichkeit.

»Ich wußte es ja,« sagte er langsam, »und Doktor Phillimore ist weiter nichts als ein pathetischer Esel. Ich sagte ihm, sie werde die vorgeschlagene morgige Konsultation nicht erleben. – Und wie kömmts,« sagte er, hastig nach der Gesellschaftsdame und den Warterinnen umblickend, »daß meine Patientin mit diesem Bürschlein allein gelassen wurde?«

»Bürschlein, Sir?« entgegnete ich.

»Junger Mensch, laßt uns nicht das Gemach des Todes zum Schauplatze des Streites umwandeln. Sagt mir, Miß Tremayne – wie kömmt es, daß meine Patientin so unbesorgt, oder vielmehr so schlecht besorgt blieb?«

»Es geschah auf ihren eigenen bestimmten Befehl,« versetzte die Dame mit stotternder Stimme.

»Ah, sie war stets gebieterisch – stets starrsinnig. Es muß irgend ein aufregendes Gespräch zwischen Euch, Sir (er wandte sich dabei an mich) und der Dame stattgefunden haben. Sagtet Ihr derselben etwas, was sie kränken oder grämen konnte?«

»Im Gegentheil – noch im Tode drückte sie die unbegränzteste Hoffnung aus und fühlte sich glücklich.«

»Und der Name Gottes lag nicht auf ihren Lippen, das Gebet um Vergebung nicht in ihrem Herzen, als sie hingerafft wurde?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nun,« fuhr er fort, »es ist ein furchtbares Ende, und sie war eine eigensinnige Dame. Wißt Ihr nicht, Miß Tremayne, ob sie noch lebende Verwandte hat? Man sollte nach denselben schicken.«

»Ich kenne keine. Eine Person von Auszeichnung, deren Namen ich nicht zu nennen die Freiheit habe, besuchte sie bisweilen. Wir werden besser thun, nach ihrem Sachwalter zu schicken.«

Die Unterhaltung ging nun auf einen andern Gegenstand über, den ich kaum beachtete. Die Leiche wurde auf dem Ruhebette zurecht gelegt, worauf wir das Zimmer verließen und die Thüre abgeschlossen wurde. In einem Gefühle von Betäubung ging ich stille, fast verstohlen nach Hause. Gesundheit und Sterblichkeit, Tod und Leben schienen furchtbar untereinander gemischt zu sein, so daß ich fast zweifelte, ob ich nicht durch eine gespenstische Stadt wandle.

Kein Kummer belastete damals mein Herz – ich war im Gegentheil fast geneigt, die Erde sammt Allem, was sie barg, zu verlachen. Eine wilde Heiterkeit, das fast noch ausdrucksvollere Anzeichen des Schmerzes, als die bittersten Thränen, erfaßte mich, und als ich in meine bescheidene Wohnung eintrat, begrüßte ich meinen neu eingekleideten Reisehofmeister Pigtop mit einem höhnenden Scherze über die Scene, die ich eben mit angesehen hatte.

Mein Achates machte große Augen, als ich ihm die letztere Begebenheit schilderte, und schüttelte seinen Kopf.

»Ich sehe da keinen Grund zum Lachen,« entgegnete er.

»Ei, hat nicht John Bull eine Pension weniger zu bezahlen – und dazu eine großartige? – Lieben wir nicht unser Land, Pigtop? Aber wir müssen morgen aufbrechen. Verlaßt Euch darauf, mein Doppelgänger spielt den kindlichen Sohn bei meinem geehrten und sehr katholischen Vater.«

»Ihr habt ihn also endlich entdeckt?« erwiederte er.

»Ja – eine Stimme, fast aus dem Grabe hat mir Alles mitgetheilt, was ich zu wissen wünschte – und sogar etwas mehr. Ich stamme aus einem saubern Geschlechte – aber wir dürfen nicht übel sprechen von unserer Verwandtschaft, nicht wahr, Pigtop?«

»Allerdings nicht. Und so hat Euer Vater wirklich jenen alten Lord geschickt, daß er bei Eurer Ankunft von Westindien nach Euch sehe? Gut, das zeigt jedenfalls einige Liebe.«

»Deren Früchte jetzt ohne Zweifel Daunton erndten will.«

»Wohlan denn, wir wollen aufbrechen und ihm den Hals abschneiden – oder vielmehr ihn dem Henker überliefern.«

»Nein, Pigtop, ich habe seiner Mutter versprochen, nichts gegen sein Leben zu versuchen.«

»Aber ich habe nichts versprochen.«

»Hum –gehen wir zur Ruhe. Morgen mit Tagesgrauen brechen wir nach Rathelin Hall auf. Sorgt dafür, daß unsere Waffen in Ordnung sind. Und jetzt wollen wir sehen, welchen Schlaf uns Natur und gutes Gewissen bescheeren werden.«

*

 


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