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Siebenundvierzigstes Kapitel

Handelt von vereitelten freundlichen Absichten. – Einer Besuchspartie kömmt nach vielen gegebenen eine einzige Kugel zuvor. – Ein schnell gefundenes häusliches Glück für Fremdlinge.

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Zuerst brachten wir das schwerbeladene Fahrzeug heraus, das noch in der Nähe der Stadt lag, und legten es unter unseren Kanonen vor Anker. Auf die flüchtigen Kaper machten die größeren Boote Jagd, und bei'm Zusammentreffen wurden die französischen Schiffe, eines nach dem andern, genommen. Hätten sie im Einklange gehandelt, so wären sie ohne Zweifel in der Lage gewesen, unseren Booten erfolgreichen Widerstand zu leisten; aber ihre Befehlshaber schienen in der Verwirrung und dem Schrecken über unser plötzliches Erscheinen alle ihre Geistesgegenwart verloren zu haben.

Nun war alles dieses sehr angenehm für uns Messieurs les concernés. Wir zählten schon auf den ganzen Reichthum der französischen Stadt und sahen die kleine französische Flotte in gesetzliches Prisengeld umgewandelt. Die tief beladenen, mit Hütten belasteten Briggen und Schooner, welche bis zum Stern hinunter so schwerfällig aussahen, wähnten wir mit Schätzen angefüllt. Visionen von Gold glitzerten vor unsern geistigen Augen, und wir gedachten, den Raub von Jahrhunderten wieder zu gewinnen, denn dieses Aniana war eigentlich nichts Besseres, als ein Hafen für Piraten. Einer von uns sah sich jedoch in einer gewissen Hinsicht grausam getäuscht. Bis jetzt hatten wir noch durchaus keinen Widerstand zu befahren gehabt. Es war zehn Uhr Abends, und der volle Mond ahmte das Tageslicht in vortrefflicher Weise nach, als die Kommandeure, welche mit unserem gelben Kapitän gespeist hatten, in höchlich guter Laune auf's Deck kamen und in Berechnung ihrer Prisengeldantheile entzückt sich die Hände rieben. Diese Heiterkeit steigerte sich noch mehr, da hin und wieder einige Boote an Bord kamen und auf unserem Schiffe, als dem des Kommodore, die Meldung machten, daß ein neuer Kaper oder irgend ein flüchtiger Kauffahrer genommen worden sei, und dann alsbald wieder abstießen, um auf neue Beute Jagd zu machen.

»Gentlemen,« begann unser Schiffer, »ich will Euch sagen, was wir thun wollen. Wir schicken die Seesoldaten morgen an's Land und nehmen von der Stadt Besitz. Jedenfalls wollen wir aber gegen die Damen höflich sein – ja, bei der Venus! als kommandirender Offizier dulde ich keine Rohheit.«

»Es soll auch keine statthaben, denn wer könnte daran denken, Frauenzimmer einzuschüchtern? Ich denke außerdem, Kapitän Reud, es wäre nicht übel, wenn wir jetzt an's Land gingen und ihnen einen Besuch machten, nur um ihre Besorgungen zu beschwichtigen,« antwortete einer der Kommandeure.

»Nicht heute Nacht, nicht heute Nacht. Verlaßt Euch darauf, das Beste der Schönheit und das Beste des Reichthums ist wohlbehalten in diese zahlreiche Flotte gestaut, die ruhig neben uns vor Anker liegt. Wir haben Alles sicher. Vielleicht schleichen einige Schurken mit ihren Rohrmessern im Gürtel um die Stadt; wir wollen deshalb lieber Alles klar und im Tageslicht vor uns haben. Nicht daß ich denke, sie könnten sich zu etwas Ernstem erdreisten, denn sie haben nicht Muth genug, um auf einen Hund einen Stein zu werfen.«

Kaum waren diese höhnenden Worte seinen Lippen entwischt, als sich ein Krachen vernehmen ließ, und ein Vierundzwanzigpfünder sauste stäubend durch die Kuhlhängematten, denn sie waren nicht heruntergepfiffen worden und bedeckten uns mit Roßhaar und einer abscheulichen Flocken-Komposition. Die Kugel nahm eine schräge Richtung durch das Hauptdeck und die Kuhbrücke, auf der andern Seite unter der Wasserlinie herausfahrend und so ein nicht unbeträchtliches Leck veranlassend.

»Das ist possierlich,« sagte Reud, den Staub von sich abschüttelnd.

»Sehr,« echoeten die übrigen Kommandeure, die sich das Diner weidlich hatten belieben lassen.

»Wenn das ein Spaß ist,« dachte ich, »so wird der Rahm erst noch kommen.«

»Laßt auf die Pfosten trommeln, Mr. Rattlin.«

Die Lieutenants und mehr als die Hälfte der Mannschaft waren in den Booten abwesend. Die Matrosen standen bald an ihrem Geschütze, und da man die Kanonen nur leicht befestigt hatte, so konnten sie das Feuer fast augenblicklich erwiedern. Als wir nach dem Grunde unserer Belästigung aufblickten, fanden wir, daß wir es mit einem hoffnungslosen Falle zu thun hatten. Die Stelle, woher die Kugel gekommen, lag so hoch und so unmittelbar über uns, daß man sie mit keiner unserer Kanonen hätte erreichen können, ohne daß man die Fregatte auf die Seite legte. Eine zweite Kugel von der Batterie aus diente dazu, unsere Erwägung zu beschleunigen. Es war keine Zeit zu verlieren.

Kapitän Reud schickte die verschiedenen Kommandeure an Bord ihrer Schiffe und ertheilte ihnen den Auftrag, die zurückkehrenden Boote mit den Seesoldaten augenblicklich uns zuzusenden. Unsere eigenen Boote waren bis auf das Gig gleichfalls weggeschickt. Letzteres besetzte der Kapitän, der auch mich mitnahm, mit sechs Seesoldaten.

Sämmtliche Mannschaft, einen Schiemann und ein paar Ausluger ausgenommen, wurden in den Raum beordert und erhielten den gemessensten Befehl, dort zu bleiben und sich nicht bloßzustellen. Das Schiff wurde der Obhut des Geschützmeisters überlassen, während der Zimmermann mit seinen Gehülfen in den Flügeln beschäftigt war, in die Kugelöffnungen Pfropfen zu schlagen; denn jeder Schuß fiel auf die Decken und bahnte sich seinen Weg durch die Schiffsseiten tief unter dem Wasser.

So ärgerlich dies auch war, spielten doch bloß zwei Kanonen auf uns, die noch obendrein nur langsam, obgleich mit bewunderungswürdiger Zielsicherheit gelöst wurden. Wir hatten uns ungefähr eine Viertelstunde von dem Schiffe entfernt und standen nur noch ungefähr vierzig Ellen von dem Ufer ab, als sieben Boote von unterschiedlichem Umfang, alle voll Seesoldaten, sich uns anschlossen. Im Nu erreichten wir die Küste und kletterten mit möglichster Geschwindigkeit, ohne uns viel mit Formiren zu bemühen, den Hügel hinan. Er war zwar sehr steil, aber wir begegneten keinem Kleingewehrfeuer, und die Kanonenläufe konnten nicht so weit niedergedrückt werden, um uns zu erreichen. Man mußte uns zuverlässig bemerkt haben, denn der Mond leuchtete mit ganz ungewöhnlicher Klarheit; dennoch schien man von unserem Näherrücken keine Notiz zu nehmen, sondern feuerte nur noch ein paarmal auf die Fregatte, während wir hinankletterten.

Der Angriff geschah mit so wenig Ueberlegung, daß Kapitän Reud keine andere Waffe bei sich hatte, als seinen Ordonanzdegen, während sein Adjutant – das heißt, meine eigene furchtbare Person, nur einen kleinen, gekrümmten Dolch als Wehr besaß: dieser war noch obendrein so eigenthümlich krumm, daß er zum Zwecke des Erstechens durchaus nicht diente, und dabei so stumpf, daß er allenfalls einen Rosinenpudding trennen, keineswegs aber durchschneiden konnte. Dennoch näherte ich mich pari passu mit meinem Kommandeur einer Böschung, wo sich eine nicht »sehr tödtliche Bresche befand, und ich schämte mich meines Seitengewehrs dermaßen, daß ich es nicht der Nachtluft aussetzen mochte.

Wir tummelten uns dicht unter die niedrige aus Rasen gebaute Schanze hinauf und wollten eben darüber wegklettern, als wir von einer schlecht gerichteten Musketensalve empfangen wurden.

Ein einziges Hurrah von unserer Seite, und wir befanden uns, sowohl von vorn, als von den Flanken, in dem Fort. Um des Dienstes willen, den ich zu leisten im Stande war, hätte ich wohl, wie es die Midshipmen auf dem Halbdecke zu halten pflegen, die Hände in die Taschen stecken können. Wie dem jedoch sein mag, wir trafen Angesicht in Angesicht mit unsern Gegnern auf dem Plankenboden des Forts zusammen, als diese eben mit sich einig geworden waren, Reißaus zu nehmen. Sie thaten dies übrigens nicht ganz so bald, als für uns wünschenswerth gewesen wäre. Als wir über den Rasenaufwurf sprangen, brauchten wir einige Augenblicke, um unser Gleichgewicht wieder zu gewinnen und festen Fuß zu fassen – ein Moment, der für einen unter uns schlimm genug ausfiel, denn der Franzose, der dem Kapitän Reud gegenüber stand, legte bedächtig seine Muskete gegen des besagten Kapitäns Gesicht an. Zwar schlug ich, trotz meiner Waffenlosigkeit, das Gewehr so viel wie möglich in die Höhe, erzielte aber weiter nichts, als daß das Bajonett von der Nasenwurzel über die Stirne eine tiefe Wunde riß; dann wurde der Drücker gerührt, und die ganze Krone von Kapitän Reuds Schädel splitterte zusammen. Nach dem Schusse drehte sich der Kapitän wie ein Wetterhahn; ich wandte mich gleichfalls halb um und gab dem Feinde den Vortheil, mein Profil zu studiren, während ich bemüht war, den Kapitän mit meinen Armen zu unterstützen. Dann stieß derselbe Mann, der nun einmal auf Unfug erpicht war, sein Bajonett in meinen Nacken, daß es mir die Wirbelsäule streifte und, rechts eindringend, auf der linken Seite wieder herauskam. Nachdem der Halunke in dieser Weise eine Scheide für sein Gewehr gefunden und mich an den Spieß gesteckt hatte, ließ er das Gewehr fahren, zeigte mir den Rücken und nahm Reißaus. Der zu Boden sinkende Gewehrkolben gab meinem Kopfe einen furchtbaren Ruck, befreite mich aber zu gleicher Zeit von meiner Last.

Dies war die erste Gelegenheit, bei der ich für das Vaterland mein Blut vergoß, welches in der That sogar viel reichlicher strömte, als das meines armen Kapitäns. Die Gentlemen des Forts rauschten übrigens hinaus, wie wir hereingestürzt waren, und eilten Hals über Kopf die andere Seite des Hügels hinunter. Drei oder vier lagen todt auf der Platform, und ich wünschte damals aus ganzer Seele, daß sich auch derjenige, welcher mich beschädigte, darunter befinden möchte. Einige wurden erschossen, als sie die innere Seite des Hügels hinabeilten, und das Fort war unser, mit dem Verluste eines einzigen Menschenlebens uns, wie ich glaube, sechs Verwundeten erkauft. Meine Beschädigung war sehr unbedeutend: ein Stück Heftpflaster auf die beiden Oeffnungen war der einzige chirurgische Beistand, der mir zu Theil wurde oder überhaupt nöthig war. Nicht so verhielt sich's bei dem armen Kapitän Reud. Ich liebe es nicht, schwere Wunden zu schildern, und will daher nur sagen, daß die seinige furchtbar war. Er lag einen ganzen Monat in einem Zustand von Besinnungslosigkeit, und obschon er noch mehr als ein halbes Jahr mit einer Silberplatte auf dem Kopfe lebte, so weiß ich doch, daß sein Geist nie wieder vollkommen gesund wurde.

Nachdem ich ein paar Tage mit einem steifen Hals umhergegangen (die ganze Unbequemlichkeit, welche ich zu befahren hatte), that ich mir nicht wenig auf meine Standhaftigkeit im Stürmen und aus meine ehrenvollen Narben zu gut. Am andern Morgen waren alle Prisen in sicherer Verwahrung und die Stadt förmlich in Besitz genommen. Kapitän Raid lag in einer Betäubung da, die sich nur wenig vom wirklichen Tode unterschied, und nun erwog man, was man mit unserer Eroberung anfangen sollte. Die Entscheidung war etwas schwierig. In jener Periode behaupteten die zwei Negerpartieen, Pethions und Christophs Anhang, die westlichen Theile der schönen Insel San Domingo, die Spanier hatten große Besitzungen in der Mitte des Landes, und der östliche Theil, in welchem die Franzosen ihr Scepter über die Stadt San Domingo schwangen, aber sich nur eines unsicheren Besitzes erfreuten, war jetzt in unsern Händen.

Der Platz war zu unbedeutend, um ihn als bleibende Eroberung mit einer englischen Garnison zu besetzen. Viele von unsern Offizieren und die gesammte Mannschaft wünschten natürlich zu plündern, aber der Kapitän der andern Fregatte, welcher jetzt das Kommando übernahm, mochte nicht auf derartige Vorschläge hören.

Indeß zerstörten wir doch gänzlich das kleine Dock Yard, verbrannten drei schöne Schooner auf den Stapelblöcken und demolirten das Fort, welches die Stadt beherrschte und für Kapitän Reud so verderblich geworden war. Dann erhielten die Offiziere und kleine Partieen von der Schiffsmannschaft Erlaubniß, an's Land zu gehen und sich bei den Bewohnern einzuquartieren. Es war strenger Befehl erlassen worden, Niemand zu beschädigen und die Damen zu ehren – eine Ordre, der auch im Allgemeinen treulich Folge geleistet wurde. Es war gewiß recht angenehm, an's Land zu gehen, in jedes beliebige Haus einzutreten, alles Beliebige sich vorstellen zu lassen, den Beschützer zu spielen und nach hinreichend Essen und Trinken abzuziehen, ohne nach einer Rechnung fragen zu müssen.

Diese Räuber wurden übrigens viel zu mild behandelt, denn ich glaube, daß seit einer endlosen Reihe von Jahren sämmtliche Männer der Stadt als Piraten geboren und erzogen wurden, desgleichen auch in diesem edlen Berufe gelebt haben und gestorben sind. Man fand hier Repräsentanten von allen Nationen der Erde, und ich muß sagen, daß diese Mischung verschiedener Racen einen tüchtigen Männerschlag und sehr schöne Frauen hervorgebracht hatte. Wir trafen auch auf viele englische Damen, die von unsern Kauffahrern gekapert und gezwungen worden waren, sich mit ihren gesetzlosen Räubern ehlich zu verbinden. Wie die sabinischen Weiber hatten sich die meisten mit ihrem Geschicke versöhnt und wollten ihre Herren, ihre Häuser und Kinder nicht wieder verlassen. Der Gouverneur des Platzes, ein französischer Obrist, wurde gefangen genommen, als er eben in einem der Kaperschooner entfliehen wollte. Er befand sich geraume Zeit bei uns an Bord und gestand ein, daß der Platz nur durch Mittel zur Blüthe gekommen war, die er als freien Handel zu bezeichnen beliebte.

Die tiefbeladenen Prisen verließen, eine nach der andern, den Hafen; ihnen folgten die Kriegsbriggen, dann die Schaluppe und endlich unsere Geleitsfregatte. Nur wir blieben fast drei Monate in jenen ruhigen Gewässern liegen. Diese ganze Zeit über konnte man kaum sagen, daß unser Kapitän lebe. Niemand durfte sich seiner Kajüte über den Besahnmast hinaus nähern. Wir sprachen stets mit gedämpften Stimmen und gingen leise auf den Zehen umher. Die Glocken durften nicht mehr angezogen werden und jede Vorsichtsmaßregel war getroffen, um die tiefste Stille zu bewahren. Aber unsere Belustigungen am Lande boten uns reichliche Entschädigung für den Zwang an Bord. Die meisten der Offiziere und Matrosen nahmen sich Weiber pro hac vice – kreideten oder mitten vielmehr ihre Namen auf die Thüren ihrer Wohnungen, und thaten vollkommen, als ob sie zu Hause wären.

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