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Dreiunddreißigstes Kapitel

Krankheits-Symptome, nicht von der See herrührend, sondern von dem Lande jenseits derselben. – Unser M. D. wünscht sich D. I. P. zu schreiben und macht die betreffenden Vorbereitungen. – Ralph ist im Begriffe, seine ersten Seelorbeeren auf den Felsen von Cove zu ernten.

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Daß es doch auch mit diesem Leben gar nicht voran will! Das weite atlantische Meer mit seinen ruhigen und ungestümen Wundern, die neue Welt, ehrwürdig in ihren natürlichen Alterthümern, und das mittelländische Meer mit allen seinen klassischen Ufern, sind vor mir, und doch Habe ich noch nicht einmal die Buchten von Cork erreicht. Setzen wir mehr Segel bei. Es ist übrigens bitterlich kalt und wir liegen jetzt hier wohlbehalten vor Anker, in einem von den Kelchen der »ersten Seeblüthe«.

Während dieser kurzen Fahrt war Kapitän Reud sehr leutselig und mittheilsam. Er sprach von nichts als von der schönen Küste Livornos, von der stolzen Bay Neapels, von Roms angenehmen Ausflügen, von den Besuchen zu Tivoli und von den interessanten Stellen an der afrikanischen Küste; namentlich war er über das üppige Palermo mit seinen liebenswürdigen Damen und unablässigen Festlichkeiten so beredt, als sich vernünftiger Weise von einem lebenslustigen Postkapitän in einem Alter von vierundzwanzig Jahren erwarten ließ.

Wir schwelgten Alle in einem Narrenparadies. Ich für meine Person war ganz entzückt und machte ohne Unterlaß Auszüge aus dem Horaz, dem Virgil und andern Schulbüchern, die ich mitgenommen hatte – natürlich nur soferne sie einige Beziehung zu den Plätzen hatten, die wir wahrscheinlicherweise zu sehen kriegen konnten. Aber die Träume von dem Lande der Verheißung in jener auf sanftem Wellenschlage reiche Prisen wiegenden See entschwanden bald vor einer traurigen Wirklichkeit, welche nun, ohne die Beihülfe des schneidenden Wassers, die meisten Offiziere und Matrosen blau machte, sobald unsere Anker in den Grund der grünen Insel gebissen hatten. Wir befanden uns in der Mitte eines Convoys von mehr als zweihundert Schiffen aller Art, in welchen die Kundigeren augenblicklich Westindienfahrer erkannten.

Die sarkastische Heiterkeit, mit welcher Kapitän Reud seine häutigen, gelben Hände rieb, als er weitere Schildwachen ausstellte und ein Boot beauftragte, falls es das Wetter gestatte, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang die Schiffe zu umkreisen, damit keines desertire – ließen mich einen boshaften Charakter befürchten. Die Offiziere, vom ersten Lieutenant an abwärts, machten, so lange sie noch unter dem Einflüsse des ersten Schreckens standen, so kluge Gesichter, wie etwa jene sieben Weisen von Gotham, welche sich in einer Schachtel auf das Meer wagten. Einige davon hatten sogar aus gewissen ungesetzlichen Rücksichten ihr Schiff gewechselt, weil es eine so schöne Fregatte war und der Kapitän seiner nahen Verwandtschaft mit dem damaligen Schatzmeister der Flotte großen Einfluß verdankte. Unter solchen Verhältnissen glaubte man natürlich, er habe die Wahl, sich seinen Posten auszulesen, und so war's auch gewesen; aber die Offiziere wußten nicht, oder hatten es doch vergessen, daß Kapitän Reud ein westindischer Kreole war und bedeutende Güter in Antigua besaß.

»Nicht laut, aber tief« waren die Flüche in der Konstabelkammer, »laut und tief« jedoch die in der Midshipmanskajüte, denn die Bewohner der letzteren standen um der Gewähltheit ihrer Ausdrücke willen nicht sonderlich im Rufe, und wie ein Wetterschlag wirkte die Gewißheit, drei Jahre in Westindien rösten zu müssen. Dazu noch die Bedenken wegen des gelben Jacks und der Pallisaden – blos weil der Kapitän nachzusehen wünschte, warum seine Neger nicht ganz so viel Zucker und Rum wie sonst producirten. Im Grunde hatten wir aber doch, einschließlich der Offiziere, eine sehr weise Schiffsmannschaft, denn es gab kaum einen einzigen, welcher, nachdem unsre Bestimmung entschieden war, nicht meinte, das hätte er sich gedacht, und aus dem Bewußtsein seines scharfen Blickes viel Trost erholte.

Die Kunde, wo wir stationirt werden sollten, übte eine besonders entschiedene Wirkung auf zwei unserer Offiziere, nämlich aus den Meister und aus den Wundarzt. Ersterer, ein wetterfester alter Nordländer, der sich sein ganzes Leben über aus der Nordsee und an den Kanälen der Heimath herumgeschlagen hatte, gab sich augenblicklich für verloren. Er machte sein Testament, schlug eine entschieden fromme Richtung ein, und kam mit einer Rumflasche unter dem einen und einer Bibel unter dem anderen Arm in die Midshipmanskajüte, um zu sehen, ob er nicht eine Art periodischer Erbauungsstunden zu Stande bringen könne. Er war herzlich willkommen; aber da wir uns so lange mit den Präliminarien beschäftigten, daß es nicht einmal zur Eröffnung des Hauptpunktes kam, so erschien er am nächsten Tage blos mit der Bibel, und nun waren die jungen Gentlemen mehr als je von ihren Dienstpflichten in Anspruch genommen. Diejenigen, welche die Deckwache hatten, konnten, obschon wir wohlbehalten vor Anker lagen und das Wetter höchst unfreundlich war, nicht daran denken, ihre Posten zu verlassen; die Mittel- und ersten Wachen mußten sich schlafen legen, um pünktlich und offiziermäßig ablösen zu können, wenn die Reihe an sie käme; und nur ein einziger sehr junger Gentleman erklärte Mr. Shields, denn so hieß der Meister, er halte es für gar nicht am Orte, wenn Jemand anders, als ein Pfarrer Bibelvorlesungen halte, die dann jedenfalls in der Kirche und an Sonntagen statthaben müßten.

Dieser zweite Versuch des guten Mannes machte der Sache ein Ende. Ob sich sein Andachtsanfall abnützte, oder seine Liebe zur Flasche zunahm, kann ich nicht sagen; soviel ist übrigens gewiß, daß wir nicht mehr von Andachtsstunden hörten, sobald Mr. Shields' erste Gluth vorüber war. Auch muß ich ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er noch am nämlichen Abend nach dem Fehlschlagen seines frommen Versuchs, als die Marineoffiziere boshafter Weise seine Frömmigkeit der Furcht zuschreiben wollten, beim vierten Glas Halbundhalbgrog mit einer Verwünschung, welche die dickste Diele hätte spalten sollen, versicherte, er habe sich blos deshalb zu seinem Andachtseifer hinreißen lassen, weil er das Wohl der armen Seelen jener verblendeten, schriftläugnenden Thunichtgute und fluchenden Galgenstricke im Auge gehabt habe: Bezeichnungen, unter denen er natürlich mein sehr achtbares Ich und meine hochverehrlichten Tischgenossen meinte. Nun trug sonst das Benehmen dieses wetterfesten Seemanns durchaus keinen Anflug von Kleinmuth, denn nie hat ein tapferer Mann ein Schiff in's Treffen geführt; aber er hatte eine große Vorliebe für Northumberländer Würmer, und da alle seine Ahnen seit unvordenklichen Zeiten ganz anständig von diesem Gezücht verzehrt wurden, so hielt er es für erschütternd und freventlich, daß er, der letzte der Shields, durch die unheilig aussehenden Kinnladen der Landkrabben zerfleischt werden sollte – eine Thierart, die er nirgends in der Bibel erwähnt finden konnte. Außerdem wußte er, daß alles Fleisch Heu war, und da er glaubwürdig berichtet worden, Personen, die in Westindien stürben, würden stets im Sande begraben, so glaubte er, dies sei eine Verhöhnung der heiligen Schrift, denn wie fruchtbringend auch sein Körper sein möchte, so würde er wenigstens dort nie wieder zu Heu werden. Gegen das Sterben in der gewöhnlichen Weise hatte er nicht viel einzuwenden, denn er war durch eine schnöde Keiferin von einem Weibe geplagt, welche augenscheinlich keine Lust zeigte, selbst zu sterben; aber aus den erwähnten Gründen stund es ihm gar nicht an, in Portroyal seinen Tod zu suchen und innerhalb der Pallisaden begraben zu werden.

Es gab jedoch eine andere Person, welche die westindische Station nicht von dem religiösen Standpunkte aus betrachtete, wie unser Meister; eben so wenig theilte sie die Freude unsers Kapitäns, das Murren der Marineoffiziere, den Widerwillen sämmtlicher Lieutenants, den Abscheu meiner Tischgenossen, oder die Gleichgültigkeit meiner unbedeutenden Person. Sie zog sich die Sache in bedächtige Erwägung und gerieth auf den Gedanken, zu Erhaltung eines langen Lebens unverweilt todtkrank zu werden. Natürlich mußte sie besser, als irgend ein Mann an Bord, wissen, wie krank sie war, denn sie bestand in Niemand anders, als in dem Doktor selbst. Er war kein bloßer Flottenwundarzt, sondern ein regelmäßiger M. D. mit einem englischen Diplom. Er wußte so gut als irgend Einer, den Werth des Lebens zu würdigen, und ließ sich's in der That viele Mühe kosten, sich die Mittel zu sichern, um es zu verlängern. Er war ein kleiner, runder, sehr korpulenter Mann, mit einem großen, angenehm aussehenden Gesichte von sehr hoher Farbe – einer Farbe, welche nicht in dem Roth der Unmäßigkeit, sondern in der Gluth trefflicher Gesundheit bestand. Seine Physiognomie war allenthalben nicht mit bloßen Pockennarben, sondern mit eigentlichen Pockengruben bedeckt, und erinnerte an eine große Fläche Kiesboden, in den viele Löcher gegraben waren; sie war eben so roth, so durchhöhlt und so strahlend, wie ein derartiger Landstrich an einem sonnigen Tage. Ich brauche nicht zu sagen, daß er ein jovialer Bonvivant war, in welcher Eigenschaft er übrigens stets die Klugheit vorwalten ließ. Sogar am Schiffsborde gelang es ihm, seine Frühstück-, Mittag- und Abendtafel mit Delikatessen zu besetzen. Er war kein gemeiner Kochkünstler, und ein eben so feiner Gourmand, wie der selige Doktor Kitchener – ein Mann, zu dessen Ehre ich wohl eine kleine Episode einflechten möchte, wenn nicht mein armer Schiffsgenosse, Doktor Thomson, eben darauf wartete, daß ich ihn von seiner Krankheit heile.

Unser schlauer, ärztlicher Beistand hatte kaum erfahren, in welche Richtung unser Schiff steuern sollte, als er beim Diner seinen Teller und Wein unberührt stehen ließ und sich sehr ergreifend über untergrabene Konstitutionen, Neigung zu Hautwassersucht und die trüglichen, gefährlichen Außenseiten einer blühenden Gesundheit vernehmen ließ. Beim Souper erklärte er sich für einen verlornen Mann, hielt seine sehnige Faust Jedem hin, der nach seinem Puls greifen wollte, und schickte nach seinem ersten Gehülfen, der ihm für die nächste Nacht ein furchtbar langes Recept bereiten sollte – natürlich zum Besten des nächsten besten unglücklichen Fisches, der neben Bord schwamm. Nach dieser Schaustellung, und während Doktor Thomson einen Becher Gerstenwasser schlürfte, beklagte sich der ehrenwerthe Mr. B., unser jüngster Lieutenant, laut über Unwohlsein, worauf der Doktor ihm in schwacher und zitternder Stimme eine lange Vorlesung über Patriotismus, Gehorsam gegen die Gebote der Pflicht und Hingebung hielt. Er schloß dieselbe folgendermaßen:

»Beim Himmel, zeigt mir den Mann, der vor seiner Pflicht zurückbebt, und ich will Euch zeigen, daß er im Herzen eine Memme ist, wie dick er auch äußerlich thun mag! Ich bin sehr krank – fühle, daß ich einem frühen Grabe entgegensinke – aber was liegt daran? Ich würde mich nur zu glücklich schätzen, wenn ich noch auf dem Sterbebette meinem Vaterlande nützlich werden könnte. Mein Körper, Mr. Farmer – Mr. Wade, dieser, mein armer Tempel birgt einen heimtückischen Feind – eine seltsame, schreckliche und verzehrende Krankheit. Für die Sache der Wissenschaft und im Interesse des Vaterlands sowohl, als überhaupt der ganzen Welt, ist es nöthig, daß mein Tod, den ich nächstens zu erleiden haben werde, in England statthabe, damit ich nach meiner Auflösung von den ersten Aerzten secirt, untersucht, und ein neues Licht in dem gegenwärtig dunkeln Pfade der Heilkunst aufgesteckt werde. Meine Symptome werden mit jedem Augenblicke schlimmer. Gentlemen, Tischgenossen, Freunde, ich muß euch für diese Nacht verlassen – ach, ich fürchte, nur zu bald für immer; ihr aber müßt nie vor eurer Pflicht zurückschrecken. Wenn dies die letzten Worte sein sollten, die ihr aus meinem Munde hört, so wage ich, wie unbedeutend ich auch sein mag, zu hoffen, daß ich euch ein schönes Vorbild von Selbstaufopferung gegeben habe. Gott behüte euch Alle – gute Nacht – und haltet treu an eurer Pflicht.«

Natürlich waren die Personen, welchen diese Anrede galt, ungemein erbaut von dem Vortrage des Doktors, und der dritte Lieutenant bemerkte mit kläglicher Stimme:

»'s ist also keine Aussicht mehr für mich. Der fette Spitzbube setzt sich selbst auf die Invalidenliste. Ich glaube nicht, daß ich jetzt meine Leber mit einer Krankheit zu bemühen brauche, denn der Heuchler wird Niemand im Schiff erlauben, leidend zu sein, als sich selbst.«

Der Gentleman hatte richtig gerathen. Doktor Thomson blieb den ganzen nächsten Tag in seiner Hängematte liegen und wurde pflichtlich dem Kapitän als gefährlich krank gemeldet. Nun war unser erster Lieutenant ein edler, offener, aber doch zugleich verschmitzter Mann, der Kapitän dagegen ein so schadenfroher, boshafter, kleiner Teufel, wie nur je einer über einen Schalksstreich gegrinst hat. Sie beriethen sich über den Fall mit einander und kamen bald zu einer entschiedenern Ansicht, als dies bei solchen Gelegenheiten in der Regel unter Fakultätsherren der Fall ist. Während übrigens der Doktor eifrig bemüht ist, sich verzweifelt und fast hoffnungslos krank darzustellen, ferner der Kapitän und Mr. Farmer darauf sinnen, ihn wider seinen Willen plötzlich gesund zu machen, will ich Anlaß nehmen, meine ersten Heldenthaten zu erzählen, die ich verrichtete, als mir das erste unabhängige Kommando anvertraut war. Jason zog mit seinen Argonauten aus, um das goldne Vließ zu holen, Columbus wollte mit seinen Heroen dem Herrscher von Spanien eine Welt schenken, und ich ruderte mit zwei kleinen Knaben aus der Bucht, um den lebensgefährlichen Auftrag auszurichten, im Nachen etwas Sand beizuschaffen. Nichts hebt eine Biographie mehr, als passende Vergleichungen; aber ich zweifle, ob Jason oder Columbus, wie sie einmal für die Fahrt nach unbekannten Meeren unter Segel waren, die begeisterte Gluth empfanden, welche mich belebte, als ich die Pinne des Nachens erfaßte, obgleich dieselbe nur ein Stock war, nicht größer, als der, mit welchem ich vor einigen Monaten noch meinen Reif zu schlagen pflegte.

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