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Erstes Kapitel

Ich beginne ein Leben sonder Gleichen mit einem Gleichnisse. – Abfahrt mit vier Pferden. – Mein erstes Auftreten findet in einer Postkutsche unter dem Schutze der »Krone« Statt.

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Das Buch, das ich zu schreiben gedenke, soll sich streng an die Wahrheit halten; es soll bona fide eine Selbstbiographie werden, und da die Lesewelt das Neue liebt, so wird eine Autobiographie, die nicht ein Jota Dichtung enthält, wohl die größte Neuigkeit sein, die ihrem ekeln Gaumen je geboten wurde. Da viele von den Ereignissen, welche ich zu schildern haben werde, eigentümlich und sogar auffallend sind, so erlaube ich mir zuerst einen kleinen moralischen Erguß, von der Gosse in der untern Themsestraße entnommen, welche meine geneigten Leser lehren wird, nicht vorschnell Thatsachen als unmöglich zu erklären, wenn ihnen dieselben ungewöhnlich erscheinen.

Treten wir mit jenem alten Gentleman unter das Portal der St. Markuskirche, denn der Regen drischt die Straßen, bis sie eigentlich weiß aussehen, und die Gosse vor uns ist zu einem kaum durchwatbaren Bache angeschwollen. Die Gosse gibt ein Bild von dem Strome des Lebens – und zwar von einem schmutzigen, erschöpfenden, wenn wir nach dem Aussehen des alten Gentleman schließen dürfen. Alles wird in den gemeinsamen Kloak, das Grab, fortgerissen! Welche Blasen mit hinunterschwimmen! Alles, was hübsch in der Mitte der Strömung sich befindet, scheint ruhig und triumphirend dahin zu segeln – viele unfläthige Trümmer treten in den Abzugsgraben mit einem Pomp und einer Würde ein, nicht unähnlich den Leichenceremonien eines großen Herrn. Doch ich habe es mit jenem kleinen Spane zu thun; eben erst ist er auf eine oder die andere Weise aus der Hauptströmung gestoßen worden – aber seht jetzt, welche Possen er spielt. Wie unstät er in seinen Bewegungen ist und in was für seltsame Ecken und Löcher er gestoßen wird. Dieselbe Erscheinung treffen wir auch im Leben. Ist ein Wesen einmal aus dem gewöhnlichen Laufe des Daseins gestoßen, so hat es recht viele und seltsame Abenteuer durchzumachen, ehe es wieder in die allgemeine Strömung eintreten kann und in stiller Ruhe nach dem Grabe hinschwimmen darf, das uns allen gemein ist.

Am zwanzigsten Februar 17– Abend sieben Uhr fuhr eine vierspännige Postchaise in vollem Galopp an der Thüre der Krone zu Reading an. Der Tag war ungestüm zu Ende gegangen, denn ein anhaltendes Gewitter mit Schloßen und Regen hatte männiglich, was eine Heimath besaß, genöthigt, daselbst Schutz zu suchen. Als der Wagen mit einem sehr folgenreichen Rucke Halt machte und die Tritte mit jener klappernder Hast niedergelassen wurden, welche von den Postillonen beliebt wird, wenn sie vier Pferde vor ihre ledernen Böcke kriegen können, schien der einzige Insasse sich nur noch weiter in seine dunkle Ecke zurück zu drängen, statt mit Hast heraus zu eilen, um die Behaglichkeit eines lodernden Herdfeuers gegen das dumpfe Gefängniß einer gemietheten Chaise zu vertauschen.

Dreimal hatte der diensteifrige Gastwirth seinen wohlgepuderten Kopf verneigt und bei jedem Bücklinge mit der Fläche seiner Hand die Regentropfen abgewischt, welche sich auf der Centralglatze seines Hinterhauptes festsetzten, ehe die fremde Person zu bemerken schien, daß ein Mann existirte, wie der Gastwirth zur Krone, oder daß dieser Wirth gar an dem Kutschenschlage stand. Endlich nahm ein dicht verschleiertes Frauenzimmer, die wie eine Sultanin in ihre Shawls begraben war, zitternd den dargebotenen Arm an und wankte in das Hotel. Bald nachher kehrte der Wirth, von einem Lastträger, einem Kellner und einem Stallknecht begleitet, zurück, gab auf das Geheiß der Dame jedem der Postillone ein schönes Trinkgeld und fragte nach dem Passagiergepäcke. Es war keines vorhanden! – Bei dieser Ankündigung fühlte sich der Wirth, wie er sich später ausdrückte, »wie vom Donner gerührt,« obgleich man nie recht verstehen konnte, was er damit meinte, da jede Veränderung in seiner wunderlichen, fetten Figur nur als Verbesserung erscheinen konnte. Während er verwirrt im Regen dastand, den er doch so leicht hätte vermeiden können, langte von Seiten der Dame ein anderer Auftrag an, frische Pferde zu bestellen und dieselbe mit der Chaise zum augenblicklichen Aufbruch bereit zu halten. Noch mehr Geheimniß und Verlegenheit. In der That, wenn die vereinten Ursachen den ehrenwerthen Gastwirth noch länger im Freien zurückgehalten hätten, so würde er wohl statt eines einträglichen Geschäftes zuverlässig seinen Tod an Erkältung, treuer Pflege seiner Gattin und eifriger Behandlung des Doktors geholt haben. Zum Glücke fiel es übrigens einem der Postillone ein, daß man zur Unterhaltung nicht gerade des Regens bedürfe und Schloßen gar schlimme Schlüssel zu einem Geheimnisse seien; die ganze Mannschaft verfügte sich deßhalb in das Schenkzimmer, um den Gegenstand mehr nach Gemächlichkeit der Herren, welche sich dabei betheiligt meinten, besprechen zu können.

»Ihr habt also ihr Gesicht nicht gesehen?« fragte der Wirth zur Krone.

»Würde sie nicht von Adams Großmutter unterscheiden können,« versetzte der Postillon, der die Deichselpferde geritten hatte; »ich hörte sie übrigens schluchzen und stöhnen, wie ein Rad, dem's an Schmiere fehlt.«

»Kannst wohl so sagen,« versetzte der andere Postillon, ein zusammengeschrumpftes Männlein, das seine gute sechzig auf dem Rücken haben mochte; »wir Postjungen erleben oft gar sonderbare Anblicke. Ich konnt's nicht mit ansehen, daß sie in dieser Weise litt, und hatte fast so viel Mitgefühl mit ihr, als wäre sie ein Gaul gewesen.«

Der Wirth gab den beiden Postillonen force de complimens für die Zartheit ihrer Gefühle, deren Wärme er vollkommen zu würdigen wußte, da er jedem seine Guinee, das Geschenk der Dame, gewechselt hatte. Als er sie in einem passenden Zustand – das heißt in der Mitte ihres zweiten Glases Grog – fand, machte er in seinem Kreuzverhör fort und erfuhr von ihnen, daß sie Auftrag erhalten hätten, an einem gewissen Orte auf einer ausgedehnten Haide, etwa zwölf Meilen entfernt, zu warten. Dort hätten sie kaum eine Stunde geharrt, als eine Privatequipage anlangte, welche die fragliche Dame und einen Gentleman enthielt. Die Dame selbst sei dicht verschleiert aus einem Wagen in den andern herüber verpflanzt worden, worauf sie Befehl erhalten hätten, in vollem Galopp dem Orte ihrer Bestimmung, wo sie sich jetzt befänden, zuzufahren.

Dieser Bericht schien die Bedenken des Wirthes zufrieden zu stellen, die natürlich keineswegs pekuniär, sondern blos moralisch waren. Da stürzte mit einemmale mit glühendem Gesichte die Wirthin herein, und der arme Mann mußte ihrem kleinen Gewehrfeuer Stand halten, während er nur mit Puder Powder bedeutet im Deutschen Pulver und Puder. darauf zu antworten vermochte, der noch obendrein zur Zeit gewaltig feucht war.

»Du fauler, schläfriger, nichtsthuender, plaudersüchtiger Tagedieb! Da ist die Dame ganz erschrecklich krank. Man hat nach dem Doktor geschickt, und sein Wagen wird vor der Thüre sein, ehe du deine garstige Nase aufblässt, und meine gesegneten zehn Gebote jücken mich, sie dir ein Bischen blutig zu zeichnen, – du taugenichtsziger – – ah!«

Mit sehr de- und wehmüthiger Stimme quickste der Wirth heraus:

»Hast du das Gesicht der Dame gesehen?«

»Ihr Gesicht? So, nach ihrem Gesicht gelüstet's dich? Und noch obendrein nach dem Gesicht einer Dame! Habe ich nicht Gesicht genug für dich, du Spottgeburt von einem Menschen?«

Was die Frau Wirthin sagte, war ohne Zweifel richtig, denn sie hatte Gesicht genug für zwei nur halbwegs anständig begabte Weiber, und wäre obendrein im Stande gewesen, noch Jedermann, der einen Theil des seinigen verloren hätte, auszuhelfen. Wie dem übrigens sein mag – ich will höflicher sein, als die Frau Wirthin, und dem Leser mittheilen, daß noch Niemand im Hause das Gesicht der Dame gesehen hatte oder überhaupt zu sehen kriegen sollte.

Als dieses Wortgefecht eben einen ernstlichen Charakter anzunehmen begann, kam der Arzt an. Er war noch nicht lange mit der Unbekannten allein gewesen, als er nach einem Wundarzt schickte, und dieser ließ sodann eine Wärterin herbeirufen. Droben war so viel Gewühl, Unruhe und Heimlichthuerei, daß der Wirth bereits in Erwägung zu ziehen anfing, welchen von den beiden Leichenbestattern, die zu seinen Freunden gehörten, er mit dem mutmaßlichen Geschäfte beglücken sollte; zugleich rieb er sich die Hände, denn es kam ihm auch der Gedanke an das Leichenschauergericht und das damit in Verbindung stehende Mittagessen. Die Wirthin war beinahe rasend, als sie sich von dem vermeintlichen Sterbebette ausgeschlossen sah. Man rief hastig nach heißem Flanell und warmem Wasser – Gegenstände, welche sie als ein sicheres Zeichen der herannahenden Auflösung betrachtete.

Auf der Treppe, welche zu dem Gemache der Dame führte, standen zu Hauf der Wirth, die Wirthin, das männliche Dienstpersonal und die Mägde, welche sämmtlich in größter Spannung auf das schreckliche Getümmel im Innern horchten. Endlich trat für einige Minuten eine Todtenstille ein. Die Lauscher schauderten.

»'s ist Alles mit ihr vorüber,« rief ein zartherziges Geschöpf, das die Wärmpfannen besorgte, mit dem Schürzenzipfel nach dem Augenwinkel fahrend. »Die arme Dame! 's ist Alles mit ihr vorüber!«

Es war genau um zwei Uhr am Morgen des einundzwanzigsten Januars, als sich ein schrilles Geschrei vernehmen ließ. Bald nachher riß die Wärterin die Thüre auf, und in ihren Armen zeigte sich die neue Ausgabe eines Refferembrios, der von seinen Lungen sehr mannhaften Gebrauch machte und sämmtliche Anwesenden belehrte, daß Jemand aufgetreten war. Das vermeintliche Todtenbette hatte sich zu einem Bette des Lebens umgewandelt, und ein neues Wesen war geboren, zu klagen, zu sündigen und zu sterben, wie Myriaden vor ihm geklagt, gesündigt und den Tod gefunden hatten.

*

 


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