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Sechsunddreißigstes Kapitel

Ein Krankenanzug – Die Karten werden gut gespielt und mit einem Trumpf, aber die Volte ist in Gefahr. – Der Doktor endigt mit einem guten Herz, aber Ecksteine sind schneidende Gegenstände.

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Nach meinem Ausfluge zu den »wilden Irländern« waren zwei Tage verflossen, während welcher sich unser Arzt dicht in seiner Kajüte eingeschlossen hielt. Endlich schrieb er an den Kapitän einen Dienstbrief und bat um eine Beaugenscheinigung der höchst bedenklichen Rundheit seines Körpers. Der Kapitän schickte diesen Brief in Gemäßheit der Dienstgesetze, in welchem ein derartiger Fall vorgesehen war, an den Hafenadmiral, welcher den folgenden Tag für die schauerliche Inspektion anberaumte. Wie bereits gesagt, hatten der Kapitän und sein erster Lieutenant den Plan zu einem Gegenkomplott entworfen, und begannen nun, dasselbe in Vollzug zu setzen.

Sobald Doktor Thomson seine Antwort erhalten hatte, setzte er sich mit übermäßigen Dosen von Brechweinstein und anderen Droguen zu, um seinem runden, bisher röthlichen Gesichte, die Blässe der Krankheit zu geben. Seine Mitoffiziere konnten gar nicht begreifen, was zwei mechanisch aussehende Leute vom Lande mit schmächtigen Gesichtern den größten Theil der Nacht in seiner Kajüte gethan haben mochten, und wollten der Andeutung des Doktors, daß sie Würdenträger des Gesetzes seien und seine testamentarischen Verfügungen aufgezeichnet hätten, durchaus keinen Glauben schenken, trotz dem, daß er auf den verschmitzten Einfall kam, Herrn Farmer in einem Billete zu fragen, ob er, der Testator, im Falle eines plötzlichen unglücklichen Ereignisses, seinem Freunde, dem ersten Lieutenant, seine doppelläufige Vogelflinte oder seine prächtgen Mantonischen Duellpistolen vermachen solle. Mr. Farmer versetzte, daß er ihm für jedes derartige Andenken dankbar sein werde. Um zwölf Uhr war Alles bereit. Der Augenschein sollte in der Kajüte des Kapitäns statt haben. Der Doktor schickte nach seinen beiden Gehülfen, auf welche gestützt er nach drei Tagen zum erstenmale wieder zum Vorschein kam.

Kann dies der fröhliche, rothbackigte Doktor sein? Was ist das für ein todtblasses Gesicht, das unter den Schatten eines ungeheuren grünen Augenschirms hervorsieht? Die Lippen sind blau – die Mundwinkel hängend – und doch liegt ein triumphirender Hohn sogar in ihrer Kläglichkeit. Die Offiziere sammeln sich um ihn; er erhebt langsam seinen Kopf, blickt dann umher und schüttelt ihn trostlos. Seine Augen sind furchtbar mit Blut unterronnen, und seine Tischgenossen, namentlich die jüngeren, fangen an zu glauben, daß es mit seiner Krankheit ernst ist. Er wird allgemein mit wahrer mitleidiger Theilnahme begrüßt, nur der wetterfeste Meister, der witzige Zahlmeister und der starrköpfige erste Lieutenant machen eine Ausnahme. Der Invalid war in einen alterthümlichen Rostbeef-Uniformrock, der durch die Jahre flaschengrün geworden war, gekleidet; seine Weste hatte Schöße, wie man sie vor einem halben Jahrhundert trug, und seine Beinkleider trotzten aller Beschreibung. Er trug große, blauwollene Strümpfe, die außen über dem Knie geknüpft, aber in der Gegend der Wade sorgfältig in Falten gelegt waren, um die gesunde Muskulatur zu verbergen. So groß auch der Doktor war, erschienen doch alle seine Kleider, wie Shakespeare sagt: »um eine Welt zu groß«, obgleich wir die Citation nicht mit dem Nachsatze beendigen können, »um seines welken Fleisches willen«. Statt der zwei Rechtsgelehrten hatte der schlaue Schalk ein paar industriöse Scheerenhelden bei sich eingeschlossen, die ihm seinen dermaligen Anzug in möglichst weiten Dimensionen anfertigen mußten.

»Im Namen aller zehntausend Anstandstugenden, Doktor!« rief Mr. Farmer, »wer hat Euch denn diese Figur angefertigt?«

»Krankheit,« lautete die schlagflüssige Grabesantwort.

»Aber die Kleider, die Kleider – diese unbegreiflichen Kleider!«

»Sind gut genug, um darin zu sterben.«

»Aber ich zweifle,« meinte der Zahlmeister, »ob sie oder ihr Träger gut genug sind, zu sterben.«

Es folgte nun ein Gelächter, das sich übrigens nicht auf die Person fortpflanzte, die zu dieser Bemerkung Anlaß gegeben hatte. Der Doktor schüttelte traurig den Kopf und sagte:

»Die Leichtfertigkeit einer rohen Gesundheit, das unüberlegte Lachen einer kräftigen Jugend!«

Nicht ohne Mühe wurde er die Leiter hinaufgebracht und mit aller Würde eines Leidenden auf einen Stuhl der Vorderkajüte gesetzt; seine beiden Gehülfen traten ihm rechts und links stumm an die Seite.

Es wird zwölf – halb ein – ein – zwei Uhr. Der Kapitän kömmt an Bord – die Offiziere erhalten die Meldung – die Seite wird bemannt – der Hochbootsmann pfeift – und der kleine, große Mann erscheint, von Mr. Farmer begleitet, in der Kajüte. Obschon auf eine Täuschung vorbereitet, fährt sogar er überrascht zurück, als er des Patienten ansichtig wird.

Seine beiden Hände je auf die Schulter eines seiner Gehülfen aufstützend, erhebt sich der Doktor mit einer asthmatischen Anstrengung von seinem Sitze.

»Nun, Doktor, wie geht's Euch?«

Der Doktor schüttelt den Kopf.

»'s ist weit bei Euch gekommen, wie ich sehe.«

Ein abermaliges Schütteln, in welchem sich Leiden und Hoffnungslosigkeit in der beredtesten Weise ausdrücken.

»Ich höre von meinem Freunde da« (der Kapitän und Mr. Farmer waren bisweilen für eine halbe Stunde Freunde), »daß Ihr in christlicher Vorsorge Euer Testament gemacht habt, 's ist freilich wahr, mein lieber Doktor, daß wir kaum drei Monate mit einander umgegangen sind, aber auch diese kurze Zeit hat mir die beste Meinung von Euren geselligen Eigenschaften, Eurer ärztlichen Geschicklichkeit und der großen Tiefe Eures Verstandes beigebracht. Er ist tief – sehr tief! Ihr müßt mich nicht unter die Klasse der gemeinen Legatenjäger zählen, aber doch wäre es mir lieb, ein Andenken zu erhalten von einem so vortrefflichen Manne und tüchtigen Offizier, der so unerschrocken in der Erfüllung seiner Pflichten ist.«

»Hier ist meine Tabaksdose,« sagte der Doktor mit einem matten Anfluge von Bosheit; »denn obgleich das Kauen des Krauts einen bösen Athem nicht kuriren kann, so ist es doch im Stande, denselben zu verbergen.«

Der Kapitän fing Feuer. Es war ein Stoß mit einem zweischneidigen Schwerte. Der Kapitän trat sehr pünktlich in Betreff seiner Person, und schon der Gedanke an das Kauen von Tabak erschien ihm als ein Gräuel, obgleich er in Wirklichkeit schlimm von dem Leiden behaftet war, aus das der Doktor hindeutete. Die Geschmeidigkeit seines Wesens war für einen Augenblick zerstört, und er vergaß ganz und gar die Achtung, die er einem Sterbenden schuldig war.

»Zum Henker mit der Tabaksdose, und hole der Teufel den – na, schon gut – nein, nein, Doktor; 's ist besser, Ihr laßt die Tabaksdose mit Euch begraben, denn nach Euch könnte sie doch Niemand mehr brauchen. Aber wenn ich mich so weit erdreisten darf und Ihr mir die große Freiheit einer Wahl gestatten wolltet, so möchte ich Euch ersuchen, bitten, ja sogar anflehen, mir den ganzen Anzug, in dem Ihr jetzt steht, zu vermachen. Solltet Ihr so rücksichtsvoll, so gütig und so edelmüthig sein, bei Gott, so lasse ich ihn ausstopfen und als eine Rarität aufbewahren.

»Kapitän Reud, ihr seid allzu gütig. Mr. Staples,« er wandte sich hülflos an seinen Assistenten, »holt mir doch augenblicklich ein Brausetränkchen. Entschuldigt mich, wenn ich Platz nehme – ich fühle mich sehr schwach – Ihr seid so gütig – daß ich mich ganz überwältigt fühle.«

»Nein, noch nicht,« versetzte der Kapitän in trockenem, aber bedeutungsvollem Tone, »'s kömmt vielleicht noch so weit, wenn Ihr mehr von mir wißt, aber jetzt – oh nein! Ich will übrigens mein Bestes thun, um Euch zum Danke zu verpflichten. Es thut mir leid, Euch mittheilen zu müssen, daß der Admiral die Beaugenscheinigung bis morgen um zwölf Uhr verschoben hat, und ich hoffe, daß Ihr dann eben so gut vorbereitet sein werdet, als jetzt. Ihr braucht nicht kleinmüthig zu werden, Doktor, denn Ihr habt den Trost zu wissen, daß Euch die ganze Widerwärtigkeit einer Untersuchung erspart bleiben wird, wenn Ihr in der Zwischenzeit mit Tod abgeht. Mittlerweile vergeßt mir die alten Kleider nicht – den Invalidenanzug. Mein Schreiber soll mit Euch in die Kajüte gehen und als Codicill zu Eurem Testament ein Memorandum darüber aufsetzen. Ihr überlaßt mir doch auch diese Schuhe mit hohen Quartieren, den breiten Spitzen und den Messingschnallen?«

»Wenn Ihr mir versprechen wollt, sie selbst zu tragen.«

»Nein, nein; aber diese Zusage will ich Euch geben, daß ich sie anlegen will, wenn ich mich auf die Krankenliste setzen lasse; auch will ich sie Mr. Farmer und jedem andern Freund bei einer ähnlichen Gelegenheit borgen.«

»Ich hoffe,« sagte Mr. Farmer, »daß ich nie in des Doktors Schuhen stehen werde.«

»Ich hoffe, Ihr werdet's nicht – und auch nicht in denen des Kapitän Reud.«

Der tapfere Befehlshaber wandelte auf diese Bemerkung hin sein Gelb in Schwarz um, denn der Wink war aus vielen Gründen besonders unangenehm. Als er bemerkte, daß er in diesem Witzsegeln wie eine irische, mit Heu beladene, Barke leewärts gedrängt wurde, so brach er das Gespräch mit den Worten ab:

»In Anbetracht Eurer Schwäche, Doktor, werdet Ihr besser thun, Euch nach Eurer Kajüte zurückzuziehen. 's ist zuverlässig der ehrlichste Rath, den ich Euch geben kann, wenn ich zugleich meine nahe Aussicht auf das höchst werthvolle Legat, das Ihr mir zu hinterlassen gedenkt, in's Auge fasse.«

Mit allen gebührenden Vorsichtsmaßregeln, bald zögernd, bald wieder ausruhend, erreichte Doktor Thomson seine Kajüte, und ich zweifle nicht, daß er trotz seiner Schwäche im Hinuntergehen gleich O'Connell ein Gelübde zum Himmel that, wenn je Kapitän Reud unter seine chirurgischen Klauen falle, sollten sogar die thätigen Operationen des Doktors Sangrado, trotz ihrer Schnelligkeit, nur Faulpelze sein in Vergleichung mit der Eile und der Energie, mit welcher er der ersehnten Gelegenheit entgegenstreben wolle.

Als er allein war, hörte man ihn vor sich hinmurmeln:

»In meinen Schuhen stehen – die unwissenden Laffen! Ich werde einen davon, wo nicht Beide, noch in ihren Leichentüchern sehen. In meinen Schuhen stehen! 's ist zwar wahr, die Schnallen sind nur Messing, aber dennoch sind es Schuhe, deren Riemen aufzulösen sie nicht werth sind.«

Wieder ein Tag des Fastens, des Brechweinsteins und der irritirenden Augensalbe für den Doktor, an welchem der Kapitän, ohne Zweifel im geheimen Einverständniß mit dem Admiral, den gleichen Possen spielte. Die Beaugenscheinigung wurde sechsmal von einem Tage auf den andern verschoben. Die Zögerung muß eine Periode schweren Aergers und körperlicher Leiden für den manövrirenden Doktor gewesen sein.

So oft er Mittags in der Kapitänskajüte erschien, hatte er in einem kläglichen Zustand seine anderthalb oder zwei Stunden zu warten und dann den spöttischen Gruß des Kapitäns: »Noch nicht todt, Doktor?« nebst den Scherzen über den Invalidenanzug anzuhören. Das Elend getäuschter Erwartung und die Leiden, die er sich selbst aufzulegen genöthigt sah, hatten ihn, wie er nachher gestand, fast schon am dritten Tage überwältigt, und man muß ihm lassen, daß der ausdauerndste Muth dazu gehörte, eine ganze Woche einem solchen Märtyrerthum Trotz zu bieten. Hätte der Possen noch einen Tag oder zwei länger fortgedauert, so würde er sich in die unangenehme Wahl versetzt gesehen haben, entweder ernstlich krank zu werden oder augenblicklich zu vortrefflicher Gesundheit zurückzukehren.

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