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Einundfünfzigstes Kapitel

Ist kurz und unglücklich. – Je weniger davon gesprochen wird, desto besser.

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Ich hatte fast drei Monate in der Pflanzung gelebt. Mein Weibchen, denn als dies behandelte ich sie, hatte bedeutende Fortschritte in ihrer Erziehung gemacht – in meiner Liebe war dies nicht mehr möglich. Sie war schmiegsam unter meiner bildenden Hand, und ich begann so stolz zu werden auf das Lichterwerden ihres Verstandes, als ich es bereits auf ihre Person und auf ihre Liebe war. Meinem Vaterland hatte ich entsagt und mir treulich vorgenommen, für immer bei ihr auszuhalten; auch war ich fest entschlossen, das unlösliche Band gesetzlich knüpfen zu lassen, sobald ich in einem Lande anlange, wo die Ehe mit einem Geschöpfe, das in der Sklaverei geboren wurde, nicht als eine Schmach erschien. Mit derartigen Entwürfen trug ich mich allen Ernstes, aber das Geschick, die Bestimmung, oder mit was immer für einem hochtönenden Namen man Ereignisse bezeichnen mag, welche uns in einen Pfad zwängen, den wir nicht zu betreten wünschen, hatte es furchtbar anders beschlossen.

Ich enthielt mich gewissenhaft nach dem Schiffe oder auch nur nach der See hinzusehen; aber dennoch las ich deutlich aus dem Wechsel der Hoffnung, der Freude und der Furcht auf Josephinens süßem Antlitze, daß etwas höchst Wichtiges im Werke war. Man konnte mir nicht verhehlen, daß Matrosenabtheilungen nach mir spähten, denn ich hatte mich sogar für einige Tage mit Josephinen drei oder vier Meilen weit, oben in den waldigen Gebirgen, verbergen müssen. Eilen wir übrigens darüber weg, denn die Rückblicke sind sogar nach dieser langen Zeit noch höchst schmerzlich für mich. Die Nacht vor der Abfahrt der Eos wollte sie nicht schlafen – ihre unablässigen Thränen, die zitternde Hast, womit sie mich umklammerte und Stunden lang festhielt – Alles dies enthüllte mir das Geheimniß, das sie vor mir verbergen wollte. Sie wachte die ganze Nacht durch, wie eine Mutter über ihrem sterbenden erstgebornen Kinde – thränenvoll – ängstlich – aber von Erschöpfung und dem ungestümen Kampfe ihrer Gefühle überwältigt, wandte sie mit dem Grauen des Morgens ihr Antlitz von mir ab; ihre mich umschlingenden Arme erschlafften und im Gebete meinen Namen murmelnd, schlummerte sie ein. Ob wohl je der Schlaf ihr Auge wieder heimsuchte? Möge mir Gott verzeihen – ich weiß es nicht!

Ich beugte mich über sie und wachte bei ihr voll inniger Liebe bis zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Ich sprach eben glühenden Segen über sie, während sie in ihrer ruhigen Schönheit dalag, und statt meiner Gebete wiederholte ich abermals meinen Eid, sie nie zu verlassen. Aber irgend ein Teufel, der die Asche der Bitterkeit über den langen Pfad meines spätem Lebens streuen wollte, flüsterte mir jetzt zu: da die Fregatte schon einige Zeit abgesegelt sei, so könne mir keine Gefahr drohen, wenn ich ihr noch einen einzigen, letzten Blick nachwerfe; ja, dieser Gedanke nahm sogar die Gestalt einer Pflicht an.

Ich stahl mich aus dem Bette und schlich mich nach der Vorderseite des Hauses. Der Platz, wo das stattliche Schiff so viele Wochen vor Anker gelegen hatte, war leer – Alles still und verlassen. Ich begab mich nach einer höheren Stelle und erblickte noch in weiter Ferne unter den Krümmungen des romantischen Hafeneingangs für einen Moment die entweichenden Wimpel. Daraus zog ich den Schluß, daß Alles sicher und ich für immer von meinem Vaterland abgeschieden sei.

Ein leichter Anflug von Gewissensbissen durchdrang mein Inneres; dann aber wurde ich froh. Der Morgen war frisch, die Luft belebend und ich beschloß nach dem schönen, sandigen Gestade hinunterzugehen, um mich des Seewindes zu erfreuen, der eben über die Bai hinsäuselte. Zu diesem Ende mußte ich links über einen Landrücken gehen, und als ich das Gestade erreicht hatte, blieb ich einige Minuten mit verschlungenen Armen stehen. Dieser Spaziergang war mir so lange verwehrt gewesen, daß ich mich dessen jetzt nur um so mehr erfreute. Ich wollte eben wieder umkehren, um das Nest aufzusuchen, wo ich meine Taube in glücklicher Sicherheit verlassen hatte, als ich zu meinem Entsetzen die Eos-Pinasse erblickte, die voll bemannt die schäumenden Wellen vor sich hertrieb und, unter ihren sechzehn Rudern rauschend, rasch um den Felsenvorsprung herumkam, der das östliche Horn der kleinen Bai bildete. Ihr Schnabel stieß bald aus dem Sande auf, und der dritte Lieutenant, ein Meistersmate und der Offizier der Seesoldaten mit vier Gemeinen sprangen alsbald an's Ufer. Für ein paar Augenblicke war ich von Schrecken ganz gelähmt; dann aber eilte ich plötzlich aus Leibeskräften den Berg hinan. Ich brauche nicht zu sagen, daß meine Verfolger scharfe Jagd auf mich machten. Ich hatte keine andere Wahl, als gerade aus zu rennen und mußte dabei unglücklicherweise einen felsigen Berg hinan, der unmittelbar von dem Ufer aus aufstieg und mit jener abscheulichen Pflanze, dem Opontia-Cactus, bedeckt war. Man konnte mich deutlich sehen und rief mir zu, wenn ich nicht beilege, werde man Feuer auf mich geben. In dem Zeitraume von drei Minuten, ehe ich noch ganz außer Athem war, befand ich mich in den Händen der Nachsetzenden – als Gefangener.

Ich bat – kniete – weinte. Es war vergeblich. Ich habe kaum den Muth, niederzuschreiben, was nun stattfand – es ist so gar schrecklich – gräßlich! In ihrem Nachtkleide, das lange Haar wie hinter einem Kometen herfliegend, und die nackten, sonst so schon weißen Füße mit Blut bedeckt, stürzte Josephine mit dem Rufe: »Ralph, Ralph!« den Berg hinunter. Ihre Stimme durchdrang mein Innerstes wie ein Dolchstich. Hinter ihr her kam ihr Vater und eine Anzahl männlicher und weiblicher Neger. Ehe sie mich erreichen konnte, hatte man mich in die Sternschooten des Bootes geworfen.

»Stoßt ab! stoßt ab!« rief der erste Lieutenant, und das Boot war augenblicklich in Bewegung. Wie ein überwiesener Verbrecher oder ein auf der That ertappter Mörder begrub ich mein feiges Haupt zwischen den Knieen und schloß die Augen. Nicht um Königreiche hätte ich zurücksehen können – aber meine Ohren – meine Ohren standen offen. Das Boot war kaum zehn Ellen von dem Gestade abgestoßen, als ich ein Plätschern hinter uns und zu gleicher Zeit einen Ruf des Entsetzens sowohl von der Bootsmannschaft, als von dem Ufer aus vernahm – darunter die schrille Stimme des unglücklichen Vaters, welcher ausrief: »Josephine, mein Kind!« Ich blickte für einen Moment auf, wagte es aber nicht, zurückzusehen. Jeder im Boote wischte sich mit der einen Hand die Thränen ab, während die andere widerstrebend das Ruder führte.

»Vorwärts! vorwärts!« brüllte der Lieutenant, indem er ungestüm mit dem Fuße stampfte. »Vorwärts! oder bei Gott, sie holt uns ein!«

Das arme Mädchen schwamm mir nach.

»Rattlin,« sagte Selby, sich zu mir niederbeugend und in mein Ohr flüsternd. »Rattlin, das ist nicht zu ertragen. Wenn es mich nicht selbst das Leben kosten könnte, so würde ich Euch augenblicklich wieder an's Land setzen.«

Ich konnte ihm nur durch einen langen, krampfhaften Schauder antworten. Oh, der schrecklichen Qual jener Augenblicke.

Dann erschollen die lauten heulenden Flüche der Neger hinter uns. Die Matrosen ruderten rüstig zu, die Pinasse schoß um den nächsten Landvorsprung, und die arme Kämpferin im Wasser war nicht mehr zu sehen. Ich habe nie wieder Nachricht von ihr erhalten. Ich verließ sie, mit den Wellen des Oceans ringend – meine erste und meine letzte – meine einzige Liebe!

Ich wurde in einem Zustand von Betäubung an Bord gebracht und gleich einem Kranken an der Seite hinaufgeführt. Niemand machte mir Vorwürfe oder redete mich an. Ich war sowohl körperlich als geistig in einem höchst leidenden Zustande. Mit einem Gefühl von Freude begab ich mich nach meiner Hängematte, hoffend, bald von ihr umschlungen zu werden und mein Grab in der tiefen, blauen See zu finden. Anfangs gewährte es mir Trost, mir die glücklichen Stunden, die ich mit Josephinen verlebte, zu vergegenwärtigen; aber da das Ende stets zu demselben schrecklichen Punkte führte, so wurde mir diese Beschäftigung verhaßt. Dann bemühte ich mich, alles Erlebte aus meinem Gedächtniß auszutilgen – mich zu überreden, daß die Ereignisse nicht wirklich gewesen, daß ich sie nur geträumt oder vor langer Zeit in irgend einem alten Buche gelesen habe. Aber der Geist war nicht so leicht zu täuschen – mein Gewissen nicht so bald zum Schweigen zu bringen.

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