Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundsechszigstes Kapitel

Ralph beginnt eine Unterredung, die sein Fassungsvermögen ganz überschreitet, erfaßt aber doch mehr davon, als das Gespräch andeuten will. – Er fühlt sich geneigt, eine Liebeserklärung zu machen, hält aber doch ritterlich an sich.

————

»Mein wackerer Ralph,« sagte sie, indem sie mir beide Hände entgegen bot.

»Euer Schulknabenliebhaber,« versetzte ich, und eine Centnerlast von Bangigkeit war meiner Seele abgenommen, als ich ihre beringten Finger küßte.

»Bst, Ralph! Das sind eitle Worte – aber fragt mich nicht nach dem Grunde. Oh, mein lieber Knabe, macht Euch diesen Besuch bestens zu Nutzen –«

»Das will ich – das will ich – wie schön Ihr seid – wie so gar – so gar schön!«

»Bin ich's wirklich? – Es freut mich, dies aus Eurem Munde zu hören. Ralph, redet mit mir wie ein treuer, ein mehr als geliebter Freund – bei aller Liebe, mit der ich Euch überschüttet habe, sagt mir die Wahrheit. Theuerster Ralph, seht Ihr keine Veränderung an mir?«

»Ein wenig,« versetzte ich mit einem triumphirenden Lächeln; »ein klein wenig, denn für viel gab es nie Raum – Ihr seid ein wenig hübscher geworden, seit ich Euch zuletzt sah.«

»Ich danke Euch – Ihr habt mir durch die Ehrlichkeit Eurer Rede weit mehr Glück bereitet, als ich seit Tagen, seit Wochen, ja seit Monaten erfahren habe. Kommt näher, damit ich Euch ansehe, – Ihr, Ralph, habt Euch auch viel, sehr viel verbessert. Vielleicht liegt ein Bischen zu viel Nachdenksamkeit auf Eurer Stirne – Gedanken sind schlimme Runzelmacher – aber Ralph, Ihr seid nicht gut gekleidet. Setzt Euch zu mir her auf diesen Schemel. Ich liebte es stets, so mit Euren hübschen Locken zu spielen. Wenn sie nur um einen Schatten dunkler wären, denn das würde Euch recht gut stehen, da Ihr jetzt so mannhaft geworden seid. In der That, wenn ich in das edle Leuchten Eures Antlitzes blicke, so scheint mir die Wonne vergangener Stunden zurückzukehren und das Wort zuzuflüstern, das nur so wenig verstanden wird – Glück. Doch, Ralph, wir wollen wenigstens diesen Tag allein mit einander sein – Ihr sollt mit mir speisen – wir werden nicht unterbrochen werden. Ihr sollt mir erzählen von Euren Waffenthaten – ja, und auch von Euren Liebesabenteuern, Ihr böser Mensch. Zieht doch jene Klingel ein wenig an – aber nicht zu laut.«

Ich gehorchte, und dieselbe schöne Dame, welche ich zuvor gesehen hatte, leistete der Silberstimme des Metalls Folge. Sie glitt herein und beugte sich über Mrs. Causands Ruhebette, um sich flüsternd mit ihr zu besprechen. Als sie sich wieder entfernte, war ich etwas betroffen über den Ausdruck des tiefen Schmerzes aus ihrem Antlitze und über den ungekünstelten Blick des Mitleids, mit welchem sie ihre Gebieterin oder Freundin betrachtete. Sobald sie das Gemach verlassen, nahm ich meinen Schemel wieder ein und drückte leidenschaftlich die schöne Hand der Dame an meine Lippen, während sie, augenscheinlich erfreut über meine kindischen Zärtlichkeitsergüsse, auf mich niederblickte und sprach:

»Ja, Ralph, benützt die Zeit. Hand und Herz – Alles, Alles ist Euer Eigenthum für die kleine Weile, die mir noch zugemessen ist.«

Seltsame und sündige Gedanken begannen ihr Spiel in meinem Innern; die Spekulation war geschäftig, und Aussichten der Eitelkeit begannen vor meinen Augen zu tanzen. Alt genug, um meine Mutter zu sein! Was weiter? Mutter! Der Gedanke brachte eine schwarze Reihe von Ideen hervor, an deren Spitze der dämonische Daunton stand. Er hatte mir die Versicherung gegeben, daß die herrliche Frau vor mir die Liebe eines Sohnes von mir fordern könne. Ich fühlte tief, daß ich nicht da war, um eine lächerliche Rolle zu spielen.

Die Betheuerungen, die ich aussprechen wollte, erstarben auf meinen Lippen. Ich redete nicht, sondern drückte die Hand, die ich in der meinigen hielt, an mein Herz.

»Nun, Ralph,« sagte Mrs. Causand, »erzählt mir all' die Wunder, die Ihr erfahren habt – aber sprecht leise.«

Sie bedeckte dabei ihr Gesicht mit einem weißen und sehr dünnen Taschentuche.

»Warum, meine theure Madame, soll ich nicht in ein Antlitz blicken, das mir, wie Ihr wißt, so theuer ist? Und diese untergehende Sonne – wie herrlich! Wißt Ihr auch, daß ich bei ihrem Auf- und Niedergang oft an Euch gedacht habe? Kommt doch mit an das Fenster und betrachtet sie, ehe sie sich ganz hinter den Bäumen verliert.«

»Ralph, bei aller Liebe, die ich zu Eurer Mutter trug, – bei aller meiner Liebe zu Euch, sprecht nicht mit mir von untergehenden Sonnen! Ich fürchte ihren Anblick. Ihr heißt mich aufstehen – o Sohn meiner besten Freundin – wißt, daß ich es nicht vermag – ohne Beistand – ohne Gefahr. Ich liege auf dem Krankenbette – auf meinem Sterbelager – sagt man mir – mir – mir, deren nicht beeinträchtigte Schönheit Ihr eben noch prieset. Meine Tage sollen gezählt sein, aber ich glaube es nicht – nein – nein – nein – doch stille, leise! – Ich darf mich nicht aufregen – Ihr, mein lieber Junge, seid zuverlässig als der gesegnete Bote der Gesundheit zu mir gekommen – Eure Finger werden den Weiser der Uhr zurückdrehen – und Jahre, ganze Jahre des Glücks sollen für uns noch blühen.«

»Unerforschlicher Lenker der Dinge!« rief ich, »es ist unmöglich! Ihr wollt nur meine Liebe auf die Probe setzen – wollt nur Zeuge sein meines tiefen Schmerzes – und mir beweisen – doch diese Folter ist zu grausam. Sagt – oh sagt – meine theure Mrs. Causand, daß Ihr nur mit mir spielt – Ihr – Ihr, die Ihr jetzt der einzige Freund seid, den ich auf Erden habe.«

»Diese Erregungen, mein theurer Junge, würden mich geradezu tödten – das Ungeheuer ringt jetzt – eben jetzt mit mir. Gebt mir Eure Hand.«

Sie nahm sie und legte sie in die Gegend ihres Herzens. Die Erschütterung, die ich dabei erfuhr, wirkte wie ein elektrischer Schlag – das Herz zitterte unter ihrem Busen schnell wie das Flattern eines sterbenden Vogels – dann hielt es inne und fuhr dann wieder fort. Ich blickte ihr in's Gesicht und sah wieder für einen Augenblick die Blässe, welche mich bei meinem Eintritte so sehr überrascht hatte. Der Paroxismus war so kurz als heftig, und ihre Züge gewannen bald wieder die gewöhnliche Ruhe majestätischer Schönheit.

»Ihr wißt nun Alles, Ralph – die mindeste Aufregung setzt mein Herz in diese unerklärliche Wallung – und leider, leider! – wird jeder Angriff schmerzlicher, als der erste. Man sagt mir, ich gehe rasch dem Tode entgegen – aber ich glaube es nicht, kann es nicht einmal begreifen. Ich empfinde nirgends Symptome des Hinsterbens. Alles um mich athmet Gesundheit und Glück – – nur Ihr fehltet noch, um die Scene zu vervollständigen. Ihr seid hier – nein – nein – ich will nicht sterben. Wäre mein Haar gebleicht, meine Gestalt gebeugt und mein Teint hingewelkt, ja, dann – dann könnte ich mich darein finden – doch nein– es ist unmöglich – nein – nein – Ralph, ich bin noch nicht dem Tode nahe.«

»Ich flehe glühend zu Gott, daß dem nicht so sein möge. Auch mir scheint es unmöglich – und dennoch, selbst der Jüngste kann nicht immer entrinnen. Hoffen, trauen und bauen wir auf das Beste, obschon wir stets aus das Schlimmste vorbereitet sein sollten.«

»Aber ich bin nicht vorbereitet, rief sie mit einer Heftigkeit, die fast wie Trotz klang. Dann versank sie in eine tiefe Melancholie und fuhr trauernd fort – »und kann mich nicht vorbereiten.«

»Habt Ihr mit keinem Geistlichen Rücksprache genommen?« sagte ich, da ich eben nichts Anderes zu sagen wußte. »Ist dies vielleicht ein Buch, aus dem Ihr Euch göttlichen Trostes erholt?«

Ich nahm es auf; es war die populäre Novelle des Tages mit dem Titel: »Die aufgehende Sonne!« Welch' ein bitterer Hohn für ein Sterbebette.

»Ich sage Euch, mein theurer Ralph, daß Ihr mich nicht aufregen dürft. Sprecht von Allem, nur nicht von meinem herannahenden Tode – denn wißt, daß ich entschlossen bin, nicht zu sterben. Morgen wird über meinen Zustand eine Konsultation statthaben, zu welcher sich die ersten Aerzte der Welt vereinigen werden. Ralph, verbündet Euch nicht mit der übrigen Welt, um mich zu einem unzeitigen Tode zu verurtheilen,«

In der That unzeitig.

Sie hatte nun augenscheinlich zu viel gesprochen und schloß ihre Augen, um sich, wie es schien, eines friedlichen, erfrischenden Schlummers zu erfreuen. Ich blieb an ihrem Lager sitzen und bewachte sie. War ich denn wirklich in einem Krankengemache? – Sollte es möglich sein, daß die Tage dieser vollendeten Schönheit gezählt waren? Ich blickte umher – es däuchte mich unglaublich. Die Gestalt, welche so still, so lebensvoll und doch so todtenähnlich war, in's Auge fassend, stellte ich Betrachtungen über den trügerischen Schein der Dinge an.

Endlich erwachte sie – wie ich zu bemerken glaubte, wieder sehr gekräftigt.

»Mein theurer Ralph,« begann sie, »warum seid Ihr nicht in Trauer?«

»Ich verstehe Euch – und sehe jetzt, daß Ihr in Schwarz gekleidet seid. Ich will Euch nicht beunruhigen – aber doch möchte ich mir eine einzige Frage erlauben – oh, beantwortet sie mir aus Mitleid – war sie meine Mutter?«

»Kann der Tod uns unserer Eide entbinden?«

»Meine theure Dame, ich bin nicht Casuist genug, um diese Frage zu beantworten; aber wißt Ihr auch, daß ich in der letzten Zeit ein verzweifelter Charakter geworden bin? Ich schreibe mich Mann und will die Richtigkeit der Unterschrift mit meinem Leben beweisen. Ich habe auf meinen Beruf – auf jede Aussicht – ja, auf jeden andern Gedanken verzichtet, der mir und der Enthüllung des Geheimnisses meiner Geburt in den Weg treten könnte. Sie ist die einzige Aufgabe meines Lebens – der ganze Zweck meines Daseins.«

»Ralph, das ist zur Zeit ein thörichter Gedanke. Harret des Laufs der Ereignisse.«

»Das will ich nicht, denn es ist mir vielleicht möglich, ihn zu lenken. Durch dieses hassenswerthe Geheimniß wurde ich verunglimpft, beschimpft – ein Elender hat sich die schändliche Frechheit erlaubt, Euch und mich zu brandmarken – mich als das Kind der Schande und Euch als die ehrlose Mutter – –«

»Wer – wer – wer?«

»Ein kleiner, schöner, blaßgesichtiger, glattzüngiger Schurke mit einer Stimme, die ich jetzt zum erstenmal erkenne – ein Feigling – ein Betrüger, der, ohne Zweifel unter vielen andern, den Namen angenommen hat –«

»Um Gottes willen, haltet inn', Ralph!« Und zum erstenmal setzte sie sich in ihrem Ruhebette auf. »Der Scheidepunkt eines ganzen Lebens ist zur Hand – ich muß ihn durchmachen und wenn ich auf der Stelle sterben sollte. Klingelt noch einmal nach Miß Tremayne.«

Die sanfte, stille Dame war bald wieder an Mrs. Causands Seite. Nach einem kurzen Flüstern stellte sie einige Arzneien auf den kleinen Arbeitstisch zu den Häupten des Ruhebettes und brachte zum Schlusse ein ziemlich großes Paket mit Papieren herbei. Dann bat sie Mrs. Causand auf's Angelegentlichste, sich ruhig zu verhalten, verbeugte sich leicht gegen mich und verließ das Gemach.

*

 


 << zurück weiter >>