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Vierzehntes Kapitel

Harte Worte als Vorläufer von harten Streichen. – Es steht ein Aufschlagen zu befürchten, aber nicht bloß von vielsylbigen Worten. – Ralph beginnt zu rasen. – Root leistet Widerstand und tritt mit der Peitsche auf.

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Während diese Bewegung in dem Schulzimmer vorging, war Mr. Root im Felde thätig und bemühte sich, unter Beihülfe der männlichen Dienstboten dem flammenden Haufen so viel wie möglich Brennstoff zu entreißen. Der Versuch war übrigens fast ganz vergeblich. Er versengte sich die Kleider, verbrannte die Hände, verlor im Tumult und in der Aufregung seinen Hut und brachte seine gepuderten Locken in eine klägliche Unordnung. Man rapportirte ihm (wir müssen uns jetzt der militärischen Phraseologie bedienen) die Demonstration, welche von den jungen Gentlemen des Schulzimmers an den Tag gelegt wurde, weßhalb er, die eben benützte Mistgabel in der Hand, zurückeilte und an dem Eingange seines Pandämoniums fast wie ein wahrer Teufel erschien. Er hielt eine Rede, welche mit Gabelstößen auf den Boden bekräftigt wurde und sich, obgleich sie nur wenig beachtet wurde, durch eine einzige Merkwürdigkeit auszeichnete. Er sagte nämlich nicht, die Jungen sollten einige seiner harten Worte aufschlagen, sondern hoffte, die jungen Gentlemen würden doch noch Anstandsgefühl genug haben, um zu gestatten, daß die Diener Messer und Gabeln sammt den übrigen Speiseaggredienzien abräumten. Dies wurde mit einem brüllenden: »Laßt sie herein, laßt sie herein!« genehmigt. Die Mägde und die beiden Schuldiener, von denen einer besonders verhaßt war, traten ein, und durften ihr Amt unter einer Todtenstille vollziehen. Dies spricht lebhaft für unser Ehrgefühl und für unsere Achtung vor den genehmigten Bedingungen unseres Vertrags, wenn man dabei bedenkt, daß der verabscheute Tom, das lebendige Werkzeug unserer Foltern, aus dessen Rücken sich die meisten von uns so oft gekrümmt hatten, unbelästigt und ungekränkt in die dunkelsten Ecken des Saales gehen konnte. Sobald die Tische abgeräumt waren, erscholl der jubelnde Ruf:

»Schließt ihn hinaus – schließt ihn hinaus!«

»Ich bin noch nie« – brüllte Mr. Root – »aus meinem eigenen Hause hinausgeschlossen worden, und werde mir's auch jetzt nicht gefallen lassen!«

Er war entschlossen, mannhaften Widerstand zu leisten und, wenn er fallen sollte, wie Cäsar auf dem Capitole mit Anstand zu fallen. Da nun aber in unsern unklassischen Tagen keine Togen getragen werden, so zog er sich zurück, um sich für den Kampf vorzubereiten, indem er seinen Kopf neu pudern ließ, zuvor aber seinen Gehülfen einschärfte, auf jede Gefahr hin ihre Stellung bei der Thüre zu behaupten.

Ehe ich über den nun folgenden Kampf Bericht erstatte – einen Kampf, dessen man in der Stadt, wo er vorfiel, stets eingedenk sein wird, und von dem jeder der Betheiligten, selbst wenn er glücklich genug war, in einen wirklichen Krieg verflochten zu werden, sein ganzes Leben über mit ehrenhafter Begeisterung spricht – ist es nöthig, das Schlachtfeld ausführlich zu beschreiben. Die Schule war ein Parallelogramm, das eine Ende gekrümmt, und ungefähr von dem Umfange einer mäßig großen Kapelle. An dem gekrümmten Ende, welches gegen das Feld hinausging, befanden sich drei große, sehr hoch gebaute Fenster, die nach Weise der Kirchen Spitzbogen hatten. In der einen Seitenwand waren ähnliche Fenster angebracht. Von den Häusern aus kam man durch eine Vorhalle in die Schulstube, und die Vorhalle selbst führte vermittelst einer breiten Treppe nach dem Spielplatze. Der Saal hatte nur eine einzige große Flügelthüre, aber über dieser befand sich ein geräumiges, durch sechs Säulen gestütztes Orchester, auf welchem sich eine prächtige Orgel befand. Diese Gallerie hatte gleichfalls einen Zugang vom Hause aus, der durch einen höher gelegenen Boden vermittelt wurde. An dem Thürende des Saals befand sich also ein etwa zwölf oder vierzehn Fuß großer Raum, der durch die sechs Orchestersäulen begränzt wurde und eine niedrigere Decke hatte, als das übrige Gelaß. Diesen Posten hatten die Lehrer und Gehülfen eingenommen – ohne Frage eine sehr starke Stellung, da sie den einzigen Ausgang beherrschte. Das ganze Gebäude lag auf steinernen Säulen, so daß die Knaben bei unfreundlichem oder regnerischem Wetter unter dem Schulsaale spielen konnten. Die Fenster standen hoch von dem Stubenboden und natürlich noch viel höher von dem Boden draußen ab: sie waren daher nur leidige und gefährliche Communikationsmittel, um entweder eine Flucht, oder Beischaffung von Succurs und Munition bewerkstelligen zu lassen, im Falle sich der Kampf in eine Blokade umwandelte. Im Ganzen war der Saal ein großes, und bei passender Ausstattung prachtvolles Gemach, das auch zu den monatlichen Konzerten und den gelegentlichen Bällen benutzt wurde.

Die Zeit entschwand. Es schien, daß wir die eingeschlossene Partie bilden sollten, während doch der Schulmeister hinausgeschlossen werden sollte. Der rebellische Haufen war so groß, als nur irgend ein Radikaler hätte wünschen können, und bis jetzt so unorganisirt, daß ein torristischer General seine Freude daran gehabt haben würde. Mr. Root erschien übrigens nicht, und da es inzwischen dunkel geworden war, so zündeten die Knaben die verschiedenen Lampen an. Gegen sechs oder sieben Uhr entstand ein Gewühl unter der gelehrten Wache an der Thüre, bis endlich Mr. Reynolds, der Hauptlehrer in den klassischen Sprachen, nachdem er etlichemal auf den silbernen Deckel seiner großen hörnenen Schnupftabacksdose geklopft hatte, in einer sehr zweckmäßigen, mit lateinischen und griechischen Brocken gespickten Rede, zu wissen verlangte, was denn eigentlich die jungen Gentlemen wollten. Die Antwort erschallte aus fünfzig Kehlen zumal: »Hinaus auf's Feld – wir wollen das Feuerwerk loslassen!«

Nach einer Pause wurde die Kunde überbracht, daß dies nicht genehmigt werden könne, wenn übrigens der Rest der Schule ruhig zu Bette gehe, so solle allen jungen Gentlemen über fünfzehn Jahren erlaubt sein, bis eilf Uhr nach der Stadt hinunterzugehen. Der Vorschlag wurde mit Rufen der Entrüstung zurückgewiesen. Wir hatten nun viele Führer, und das Geschrei: »brecht die Thüre auf!« war wahrhaft schrecklich. Die kleineren Knaben zogen sich allmählig zurück, und die Jünglinge bildeten eine gedrängte Vorderlinie, den sechzehn Lehrern entgegentretend, deren Position durch die Orchestersäulen verstärkt und deren Nachhut durch das Gesinde des Hauses gekräftigt war. Bisher waren die Schüler waffenlos, mit gekreuzten Armen und mit verzweifelter Ruhe dagestanden. Endlich ließ sich eine Stimme weit aus dem Hintergrunde (woraus sich die Tapferkeit ihres Eigenthümers erklären läßt) mit dem Rufe vernehmen:

»Warum fangt ihr nicht an, die Thüre zu erzwingen?«

Jetzt rief Monsieur Moineau, ein französischer Emigré, von dem wir die gallische Sprache lernen mußten –

»Ihr sollt nicht erzwing dies Thür, nie – jamais, jamais – meine artig garçons, mes chers pupilles, sein ihr gut und ruhig – geh jetzt zu Bette – les feux d'artifices! bah! Das sei überhaupt nix werth – ihr geh zu Bett. Ah, ah, demain – all ab' congé – ein, zwei halb Feiertag – aber ihr erzwing dies Thür – par ma fois, loyautéjamais – ihr geh inaus, eins, zwei, drei, tout – geh über die corps von Antoine August Moineau.«

Wir riefen dem tapferen Burschen ein herzliches Hurrah für seine Loyalität zu. und ich zweifle nicht, daß er sich auf seinem Posten hätte zu todt treten lassen, wenn ihm gestattet worden wäre, zu bleiben. Er hatte mit dem Unglücke seines Königs, der eben erst auf dem Schaffote gefallen war, seinen Rang, sein Vermögen, kurz Alles verloren, nur nicht seine Selbstachtung, und in seiner Anhänglichkeit für hergebrachte Autorität schmerzte es ihn bitter, sich genöthigt zu sehen, wider Willen den Heldenmuth zu ehren, wenn ihm derselbe entgegentrat.

Halten wir übrigens mit der Allgemeingährung inne, um zu mir selbst zurückzukehren. Wie die Rebellion sich steigerte, war es mir, als gewänne ich die Elemente zu einem neuen Leben. Meine Glieder zitterten vor Freude. Jubelnd eilte ich da und dort hin – stieß drei oder vier ältere Knaben auf die Seite – knirschte mit den Zähnen, stampfte und ballte die Fäuste. Ich wünschte eine Rede zu halten, konnte aber im Uebermaaße der Gedanken keine Worte finden. Nichts wäre damals im Stande gewesen, mich einzuschüchtern; ich grinste trotzig denen, die mich jüngst noch verachtet, in's Gesicht und fühlte mich trunken von Kampflust. Die Furchtsamen gaben mir ihr Feuerwerk, die Muthigen zollten meiner Entschlossenheit Beifall, und während ich von Einem zum Andern ging, mehr durch Geberdungen als durch Worte sie ermahnend, wurde ich endlich belohnt, denn ich hörte den ermutigenden Ruf: »Recht so, Ralph Rattlin!«

Ich fürchte nicht, zu lange bei dieser Begebenheit zu verweilen, denn sie muß den liebenswürdigen Personen, welche man »die heranwachsende Generation« nennt, interessant genug sein, um so mehr, da in der neueren Geschichte ein »Ausschließen« eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Leider werden wir in diesem Betracht nie mehr zu den guten alten Zeiten zurückkehren, obgleich wir wieder wohlbehalten unter den gütigen eines Whiggouvernements murren. Erstatten wir übrigens über ein »Ausschließen« Bericht, damit die Radikalen sehen und erkennen mögen, welch' ein leichter Schritt vom absoluten Despotismus zu absoluter Ordnungslosigkeit ist, wenn die Extreme sich berühren.

So war der Stand der Dinge, und die Knaben ermuthigten sich gegenseitig, als zu unserem Erstaunen Mr. Root, neugepudert und von zwei befreundeten Nachbarn begleitet, auf dem Orchester erschien und eine unzusammenhängende Rede begann. Ich war damals zu aufgeregt, um darauf zu achten; aber überhaupt konnte man sie auch in dem Tumulte nicht hören. Nun vermochte ich mich nicht länger zu halten und ich – sogar ich, obgleich ich bei Weitem nicht in der ersten Reihe stand, schrie laut auf: »Laßt uns hinaus, oder wir setzen das Schulzimmer in Brand und wenn wir verbrennen, werdet Ihr wegen Mordes gehangen werden!« Ja, ich sprach diese Worte – ich, der ich jetzt eigentlich vor meinem eigenen Schatten erschrecke – ich, der ich, wenn ich einen stämmigen bärtigen Burschen auf mich zukommen sehe, bescheiden mich auf die andere Seite ducke – ich, der ich während des ganzen Kometenjahrs in ewigem Zittern lebte!

»Gott behüte mich!« rief Mr. Root, »es ist der landstreicherische Rattlin! Ich hab' den kleinen Thunichtgut erst vor acht Stunden gepeitscht, und nun spricht er davon, mein Haus niederzubrennen. Da hat man den Dank! Aber ich will der Sache mit einem Male ein Ende machen – junge Gentlemen, ich will der Sache schnell ein Ende machen! Ich komme hinunter, um die Rädelsführer und jenen galgenstrickigen Rattlin festzunehmen. Ja, die Anstifter und Häupter sämmtlicher Klassen sollen gepeitscht werden; den Uebrigen will ich verzeihen, wenn sie ruhig zu Bette gehen und all' ihr Feuerwerk hergeben.«

Nach diesen Worten stieg er mit seinen Freunden hinunter, und eine Viertelstunde nachher zeigte er sich, mit einer furchtbaren Peitsche bewaffnet, im Kreise seiner Trabanten an der Thüre.

*

 


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