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Achtundzwanzigstes Kapitel

Ralph's Herz ist noch in der Heimath, sein Gasthausfreund aber auf der Wanderung. – Er kassirt sein I. O. U. ein und sieht den Aussteller zu Jedermanns Befriedigung, dessen eigene ausgenommen, erhöht.

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Ehe ich auf die seltsamen Abenteuer und die unvorhergesehenen Wechselfälle meines Seelebens eingehe, muß man mir ein paar einleitende Bemerkungen erlauben. Die königliche Marine als Dienst, oder die wackern Glieder, aus denen sie besteht, trifft keine Beschimpfung, wenn ich die Eigenheiten, Abgeschmacktheiten und sogar die Laster oder Verbrechen Einzelner rüge. Die menschliche Natur bleibt immer Menschennatur, ob sie an Höfen wedle, oder in der Einsamkeit philanthropische Betrachtungen anstelle. Geht man auf die See, so nimmt man dieselben Liebhabereien, Leidenschaften und Neigungen, mögen sie nun gut oder schlimm sein, mit sich, wie man sie am Lande besessen hat. Die Seeluft wandelt den Feigling nicht zu einem Helden, den Leidenschaftlichen nicht zu einem Philosophen, und den gemeinen Sinn nicht zu einem edeln Geiste um. 's ist zwar wahr, daß ein Feiger im Dienste selten seine Memmenhaftigkeit zu zeigen wagt, daß in den untergeordneten Graden die Leidenschaftlichkeit durch die Mannszucht gezügelt, und daß aus Scheu sogar die Gemeinheit die Außenseite eines bessern Gefühls annimmt. Aber trotz alledem bedeckt der blaue Rock, wie die Liebe, eine Menge von Sünden, und das blaue Wasser ist bis dato noch nicht zureichend erfunden worden, sie alle auszuwaschen.

Wir haben hier in Kürze auseinander gesetzt, was der Dienst nicht zu leisten im Stande ist; aber wenn er auch das Wesen des Menschen nicht ändert, modificirt er es doch zu einer gewissen Höhe – zu einem gewissen Adel. Fast allgemein erhebt er den individuellen Charakter, ohne im Stande zu sein, ihn je herabzuwürdigen. Die Welt ist übrigens nur allzu geneigt zum Generalisiren, und gerade dies hat der britischen Flotte vielen Schaden gethan. Man bildet sich einen Begriff, schafft sich ein Ideal (noch obendrein ein sehr abgeschmacktes), und beurtheilt dann darnach jeden Charakter. Selbst die Offiziere dieses schönen Dienstes haben sich stillschweigend in diese Täuschung gefunden und bemühen sich vergeblich, durch ein finsteres Stirnerunzeln gegen alle Schilderungen von Irrthümern der Einzelnen das zu heben, was einer so künstlichen Erhöhung nicht bedarf.

Wenn ich gezwungen bin, einen Kapitän für einen Thoren und Tyrannen zu erklären, so müssen die Offiziere in der That selbst Thoren sein, wenn sie daraus den Schluß ziehen, ich wolle einen allgemeinen Eindruck hervorbringen und damit sagen, daß alle Kapitäne entweder Thoren oder Tyrannen seien. Ich will den Krittlern nur damit zu verstehen geben, Tyrannei und Thorheit sei dem Menschen eingeboren, der Dienst aber verabscheue und unterdrücke die eine, während er die andere verachte und oft bessere. Der Dienst hat nie einen wackern Mann schlecht, oder einen schlechten noch schlimmer gemacht, sondern veredelt im Gegentheil stets den Einen, und bessert den Andern. Keines Falls ist es übrigens eine Schmähung, wenn ich sage, daß es vor einem Vierteljahrhundert (natürlich ist jetzt Alles vollkommen) unter vielen guten Menschen auch einige schlechte gab. Aus einer solchen Zeit schreibt sich nun meine wahrhafte Geschichte.

Richtig, ich liege in meinem Bette. Da meine Betrachtungen, wenn ich sie auf die Umgegend von Chatam bezog, mir so wenig Tröstliches boten, so befahl ich meinem gehorsamen Geiste, nach Stickenham zurückzuwandern, mehr als halb geneigt, am andern Morgen den Köper dieselbe Richtung einschlagen zu lassen. Nicht daß es mir an Muth gebrochen hätte, aber ich fühlte mich durch Alles, was ich gehört und gesehen hatte, angewidert. Wie verschieden sind die scharfen, abreibenden Ecken, die uns an jeder Wendung unsers Pfades durch das wirkliche Leben zu den sonnigen Träumen der Einbildungskraft entgegentreten! Bereits hatte mein Degen aufgehört, mir durch seinen Anblick Wohlbehagen zubereiten, und meine Uniform, die mir zwei Tage früher so bezaubernd vorgekommen, sollte nun, wie ich vor ein paar Stunden gehört hatte, durch einen unklaren Anker besudelt werden. Wie freudig schwelgte in jener Nacht mein Geist bei den Wäldern, Feldern und Gewässern des romantischen Dorfes, das ich erst kürzlich verlassen hatte! Dann belebten seine freundlichen Bewohner in Schaaren den schönen Schauplatz, unter denen zuvörderst meine gute Schulmeisterin, meine liebevolle Pathe, stand. Von der ganzen geträumten Gruppe war sie die einzige, welche nicht lächelte. Erst jetzt, früher nicht, fühlte ich die Bitterkeit des Wortes: »Lebewohl!« Mein Gewissen warf mir vor, daß ich mich unfreundlich gegen sie benommen. Ich erinnerte mich nun tausend kleiner Kunstgriffe, die ich alle in meinem Uebermuthe starrsinnig vereitelt hatte, obgleich sie dieselben nur in Anwendung gebracht, um einige Minuten mit mir allein zu sein. Ich tadelte mich bitter über meine Verkehrtheit. Welche Geheimnisse hätte ich nicht vielleicht zu hören bekommen! Und dann rief mir aus dem Innersten meines Herzens eine Stimme zu, in die ich keinen Zweifel setzen konnte, daß sie es gewesen, welche die ganze Nacht vor meiner Abreise mein Bett umschwebt hatte. Meine Schulkameraden hatten alle tief geschlafen, und ich mußte thöricht genug sein, auch dergleichen zu thun, obgleich ich wachte. Ich gewann hiebei die eine Ueberzeugung, daß ich nie wieder unfreundlich handeln könne, ohne selbst mehr zu leiden, als mein Opfer. Ich erinnerte mich dann auch noch mit Bestimmtheit, obgleich ich es damals nur wenig beachtete, daß ihr mattes Lächeln, als sie bebend ihr »Lebewohl – Gott behüte dich!« aussprach, von einem gewissen ergriffenen Zucken begleitet war, das ihre persönliche Schönheit nicht eben erhöhete. Alle diese Dinge drängten sich jetzt mit der folterndsten Genauigkeit in meiner Erinnerung zusammen, und ich fühlte mich noch weit unwohler, wenn ich an den harten, herzlosen und höhnenden Ausdruck meines neuen Kapitäns dachte, »fromme Erziehung«. Während ich noch über die Unfreundlichkeit der Menschen Betrachtungen anstellte, beschlich mich der Schlaf mit seinem wohlwollenden Fittig, und ich erwachte am andern Morgen wohlgemuth, über meine Niedergeschlagenheit am vorhergehenden Abend lachend.

Während ich im Kaffeezimmer beim Frühstück war, wurde ich nicht wenig, und zwar auf eine sehr schmeichelhafte Weise, durch das Eintreten des Lieutenants Farmer überrascht. Er redete mich freundlich an und bedeutete mir, ich solle nicht wieder dem Kapitän zuerst die Hand anbieten, da es gegen die Dienstregel sei; dann setzte er sich an meiner Seite nieder und begann geduldig, à me tirer les vers du nez. Er war ein hübscher, tapferer Mann, und leidenschaftlich auf Beförderung versessen, was auch Niemand Wunder nehmen durfte, denn er hatte schon lange und mit vieler Auszeichnung gedient, war aber noch immer Lieutenant, obschon er mehr als vierzehn Jahre sowohl an Alter, als an Dienstzeit, über seinem Kapitän stand. War ich verwandt mit Mylord A...? Wußte ich etwas von Mr. Rose? Hatte ich keine Verwandte, welche Mr. Perceval kannten? u. s. w. Ich entgegnete unverholen, daß ich Niemand von einiger Bedeutung kenne, und daß mir von einigen meiner Freunde auf's Bestimmteste eingeschärft worden sei, mich mit Niemand auf meine Privatangelegenheiten einzulassen.

Dies war ein Stich für Herrn Farmer, obgleich er sich nicht gekränkt zeigte, denn er war ein wackerer, edler Mensch, obschon ein wenig leidenschaftlich und etwas zu starr an der Disciplin hängend. Er sagte mir, er zweifle nicht, daß wir gut mit einander auskommen würden, und meinte dann, es werde passend sein, wenn ich nach dem Dock-Yard gehe und an dem Landungsplatze nach dem Kutter der Eos frage, der daselbst Vorräthe einnehmen werde. Ich solle mich dem Offizier des Boots vorstellen und werde dann von demselben zwei oder drei Matrosen erhalten, die mein Gepäcke besorgten; überhaupt sei es am Besten, wenn ich mich sobald wie möglich einschiffe. Ferner bedeutete er mir noch, er werde wahrscheinlich vor mir an Bord sein; wenn dies aber nicht der Fall sei, so solle ich das Billet, welches er mir Abends zuvor gegeben, dem kommandirenden Offiziere überliefern.

Dieser letztere Eindruck war günstiger, als der frühere. Ich zahlte meine Rechnung und fand meinen Weg nach dem Chatamer Dock-Yard. Ich staunte über die Großartigkeit der Werke, über die Ordnung, Reinlichkeit und Regelmäßigkeit, die überall herrschten, und über die gigantischen Schiffe auf den Stapelblöcken.

Unter der Zurechtweisung eines Gentleman, der einen Verdienstorden um die Schienbeine trug und mir freundlich eine Dominoschachtel zum Verkauf anbot, erreichte ich den Landungsplatz, wo ich unter andern Booten, welche hier warteten, eine zwölfruderige Barke anlangen sah. Die Sternbänke waren mit Offizieren besetzt, unter denen sich namentlich einer mit einem rothen, runden Gesichte, scharfen, blinzelnden Augen und einer sehr gemächlichen, ehrenhaften Korpulenz auszeichnete. Er trug einen verbrämten Schiffshut, dessen Eckenrosetten auf den mit schweren Epauletten versehenen Schultern aufsaß. Sein Gesicht sah so feurig und roth unter dem großen Hute hervor, daß mir die obere Partie des Mannes wie eine große Kohle vorkam, deren untere Hälfte sich im Zustande der Verbrennung befindet. Er landete mit den andern Offizieren, und nun bemerkte ich erst, daß er gichtlahm war und an einem Stocke gehen mußte, dessen Elfenbeingriff wie ein Diminutiv-Widderhorn aussah. Unter dieser Gruppe von Offizieren erkannte ich auch meinen Freund aus dem Kaffeehaus, den Generalmajor der berittenen Seemiliz, welcher außerordentlich scheu und in diesem Augenblicke ganz in geologische Studien vertieft zu sein schien, denn er konnte seine Augen nicht von der Erde aufschlagen. Ich drängte mich jedoch hastig an dem Hafenadmirale (denn diesen Rang behauptete der alte Podagrist) vorbei und sagte zu dem verschämten Meistersmaten:

»Ah, Generalmajor! ich bin ungemein erfreut mit Euch zusammenzutreffen. Seid Ihr diesen Morgen auf der Bank gewesen, um Eure Fünfzigpfundnote auszuwechseln?«

»Was wollt Ihr? Ich kenne Euch nicht,« versetzte mein Freund mit einem so schneidenden Blicke, daß er mich, wären seine Augen ein Schwert gewesen, mitten entzwei gehauen haben würde.

»Ihr kennt mich nicht? Pah – Ihr scherzt nur, General Cheeks.«

Die umgebenden Offiziere begannen nun sehr lustig zu werden, und der Hafenadmiral schenkte der Sache große Aufmerksamkeit.

»Ich sage Euch, daß ich nichts von Euch weiß, junger Mensch,« entgegnete mein Gentleman, indem er die Arme kreuzte und eine großartige, befremdete Miene anzunehmen versuchte.

»Nun, das ist doch ziemlich kühl. Ihr wollt also in Abrede ziehen, daß Ihr gestern Abend zwei Flaschen Portwein mit mir trankt, und daß Ihr mir für zwanzig Schillinge, die Ihr mir abborgtet, Euer I. O. U. gabt? Seid so gut, mir jetzt mein Geld zu geben,« ich wurde nachgerade zornig; »denn da ich den Hauptschwappwascher nicht kenne, so möchte ich den Gentleman weder um Münze, noch um Getränk bemühen, ohne ihm zuvor förmlich vorgestellt zu sein.«

Bei dieser Wendung wurde das feurige Gesicht des Hafenadmirals noch feuriger, sein kleines Auge noch blitzender und sein Stock mit dem Ebenholzgriffe erhob sich zitternd, nicht vor Furcht, sondern vor Zorn.

»Ich bitte, Sir,« sagte er zu mir, »wer ist dieser?« er deutete dabei auf meinen Freund; »und wer seid Ihr?«

»Dieser Gentleman, Sir, muß entweder ein Betrüger sein, oder Josiah Cheeks, Generalmajor der berittenen Seemiliz auf Seiner Majestät Schiff, dem lustigen Blauanlaufer zu Dover,« dabei händigte ich dem Admiral die Schuldverschreibung ein; »und ich, Sir, bin Ralph Rattlin, und eben im Begriffe, mich auf Seiner Majestät Schiff, die Eos, zu begeben.«

»Für die Wahrheit der letzteren Behauptung dieses jungen Gentlemans, kann ich einstehen,« sagte Kapitän Reud, der nun mit Lieutenant Farmer herankam.

»Ist dies Eure Handschrift, Sir?« rief der Admiral dem verblüfften Meistersmaten in einer Stimme zu, die schlimmer war, als der Donner; denn sie klang fast eben so laut, aber dabei unendlich widerlicher. »Ich sehe es Eurem verdammten Blicke ab, daß Ihr den Schurken gespielt und diesen armen, unschuldigen Knaben zum Narren gehabt habt.«

»Ich hoffe, Sir, Ihr haltet mich nicht für einen Narren, weil ich nicht glaubte, daß ein englischer Offizier einer Lüge fähig sei.«

»Wohl gesprochen, Junge, wohl gesprochen – ich sehe – dieser Halunke muß sowohl den Schurken, als den Narren auf sich sitzen lassen.«

»Ich habe nur einen Scherz damit beabsichtigt, Sir,« versetzte der soi disant Mr. Cheeks, indem er seinen Hut abnahm und ihn demüthig in der Hand hielt.

»Löst augenblicklich Eure Note ein oder ich stoße Euch wegen Betrugs aus dem Dienste.«

Der Delinquent stöberte eine Zeitlang in seiner Tasche, brachte aber nichts zum Vorschein, als drei Pence, einen Tabacksstopfer und eine unbezahlte Wirthshausrechnung. Er sah sich genöthigt, zu bekennen, daß er das Geld nicht bei sich habe.

»Eure Fünfzigpfundnote,« sagte ich. »Die Bank muß jetzt offen sein.«

Der Generalmajor sah mich an.

Es war gut für den Aussteller des I. O. U's., daß die Heiterkeit, welche durch den ganzen Vorgang hervorgerufen wurde, dem alten Admiral nicht gestattete, so streng zu verfahren, als er sonst wohl gethan haben würde. Er trug deshalb dem Kapitän des Schuldigen, der gleichfalls in der Barke mit an's Ufer gekommen war, auf, mir die zwanzig Schillinge zu geben und sie dem Schuldner auf Rechnung zu stellen; zugleich solle er aber denselben bis zu Sonnenuntergang auf dem Stengenkopfe verlüften lassen und ihm bedeuten, er dürfe sich überglücklich schätzen, daß er nicht degradirt und vor den Mast gesetzt werde.

Ich wollte eben, sehr zufrieden mit dieser summarischen Rechtspflege abziehen, als ich fand, daß ich doch nicht so ganz davon kommen sollte, denn der alte Gentleman begann nun eine Breitseite gegen mich zu eröffnen, weil ich nicht die Admiralitätsuniform trug. Lieutenant Farmer kam mir jedoch sehr freundlich zu Hülfe und gab dem Admiral eine genügende Erklärung.

Ich wurde sodann nach dem Boote des Eos gewiesen. Der Beischifffahrer und ein paar Matrosen gingen mit mir, um mein Gepäcke abzuholen, und in weniger als einer halben Stunde ruderte ich das Medway hinunter nach dem Schiffe. Im Vorbeifahren betrachtete ich mir einen furchtbaren Vierundsiebenziger, und beim Aufblicken entdeckte ich, wie Generalmajor Cheeks langsam in dem neugetheerten Hauptstengentakelwerk zu den Stengenkreuzbäumen, gleich einer widerspenstigen Schnecke, hinaufkletterte. Es war ein bitter kalter Tag am Schlusse des Novembers, und ich zweifle nicht, daß seine Betrachtungen ebenso bitter waren, als das Wetter. Praktische Späße haben bisweilen sehr schlimme praktische Folgen.

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