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Achtundvierzigstes Kapitel

Liaisons dangereuses. – Ralph verliert sich in das Dilemma der Liebe und bewundert das väterliche Benehmen von Seiten des Erzeugers seiner Dulcinea. – Er wird wüthend und weint, daß diejenige, welche ihn zum Sklaven gemacht hat, eine Sklavin ist.

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Um jene Zeit begann ich schon ein finsteres Gesicht zu machen, wenn einer mir die Rechte und Privilegien eines Mannes nicht zugestehen wollte. Namentlich wurde, seit ich meine Bajonnetwunde erhalten hatte, meine Eitelkeit auf dieses Ehrenzeichen ziemlich unerträglich. Der Ausdruck »Junker« war mir nun wie Wermuth – auf das Wort »Junge« sah ich mit souveräner Verachtung herab, und dann erst »der Knabe« – mit diesem war ich längst fertig. Ich betete aus dem Grunde meines Herzens um einen Bart, aber da er nicht kommen wollte, so pflegte ich, um diesen Mangel zu ersetzen, mich vor dem Ankleidespiegel in finstern Blicken zu üben. Alle meine Anstrengungen, mir die Außenseite der Mannheit zu verleihen, waren jedoch vergeblich, denn mein Gesicht blieb viel zu weiß und frauenhaft, obgleich meine Natur und die Festigkeit meines Körpers ganz meinen Wünschen entsprach. Nach der ersten Woche unsers Ankerns in dem Hafen von Aniana quartierte ich mich in der Stadt ein, und kehrte nicht wieder zurück, bis die Fregatte im Aussegeln begriffen war.

Wie kann ich mich jetzt einem so romantischen, so köstlichen und so zarten Gegenstande nähern – wie die Ereignisse berichten, die, indem sie mir bewiesen, daß ich ein Herz hatte, zuerst seine Kraft durch den süßen Wahnsinn des Entzückens zerstörten, und dann es, nachdem sie es in Schwäche gelullt, fast brachen? In früheren Zeiten hatte sich die poetische Gluth oft meiner bemächtigt; aber ihr Feuer war entzündet auf dem Altare der Eitelkeit, und ich sang um des Beifalls willen. Nun sollte sie durch die Liebe neu angefacht werden, aber nur in verborgener Wuth auszubrennen – um blos meiner eigenen Seele zugeflüstert zu werden; ein Gefühl, zu großartig für Worte – zu innig für das Lied – sollte mich verzehren. Ich erfuhr Verzückungen, die ich kein Glück nennen konnte, und ich lernte die bittere Wahrheit kennen, daß der Rausch der Empfindungen kein Segen ist.

Etwa eine Woche, nachdem wir uns in der Stadt und sehr Viele von uns sich ruhig in den Herzen sowohl, als in den Häusern der schönen Kreolinnen und Mischlinge einquartiert hatten, ging ich gleichfalls an die Küste, die Züchtigkeit als treue Führerin zu meiner Rechten, während Madame Versuchung mir boshaft von der Linken zuschielte. Ich sprach in den Wohnungen mehrerer meiner Kameraden ein, und war nicht wenig verwundert, wie geschwind sie sich mit allen Arten von häuslichem Comfort, Weiber und bisweilen große Kinderfamilien mit eingeschlossen, umgeben hatten. In diesen Anstalten lag mehr als schon bereit gehaltene Liebe, denn diese kann Einer allenfalls für bereit gehaltenes Geld kaufen; aber eine bereit gehaltene Nachkommenschaft, ein bereit gehaltenes Hauswesen und ein bereit gehaltenes Weib, ohne einen Stüber bereites Geld! – das war doch zum Erstaunen: aber englische Seeleute können Alles.

In Nummer 14, Rue Coquine, nahm ich auf vier Uhr die Einladung des Zahlmeisters zu einem Diner en famille an, worin man etwas ganz Natürliches fand.

»Meine Taube,« sagte er, »Ihr werdet uns etwas Fisch bereit halten. Mr. Rattlin liebt Fisch.«

»Gewiß, mein Theurer,« versetzte die Frau Zahlmeisterin pro tempore, eine ganze Batterie von Liebenswürdigkeiten abfeuernd.

»Erlaubt mir, Euch meine Schwägerin, Mademoiselle d'Avalonge, vorzustellen,« sagte der Zahlmeister, mich mit der ganzen Gelassenheit eines Familienvaters einer sehr gut gekleideten jungen Dame präsentirend.

Die Dame und ich – wir fanden uns gegenseitig ganz bezaubernd, und hatten deß kein Hehl. Nach einigen weitern Komplimenten und einem sehr hübschen Gesang, den Mademoiselle mit der Guitarre begleitete, verabschiedete ich mich und versprach, pünktlich beim Diner einzutreffen. Ich war jedoch nicht pünktlich und sah die theuren Gesichter der Damen nie wieder.

Ich verließ die Stadt und streifte in das Innere, obschon ich mich immer mehr gegen die Seeseite hin hielt, und unsere kleine Flotte nicht aus dem Gesichte verlor. Die Umgebungen waren gut kultivirt und die Häuser in den verschiedenen Pflanzungen solid aus Stein gebaut. Aus jeder Wohnung, an der ich vorbei kam, erhielt ich bringende Einladungen, einzutreten und Erfrischungen zu mir zu nehmen, die ich übrigens stets ablehnte. Endlich erreichte ich ein schönes Gehölz, das augenscheinlich durch Menschenhand angelegt war, denn die verschiedenen Bäume standen in einer so schönen Ordnung, daß sie einen wahrhaft romantischen Effekt hervorbrachten. Ich fand den Schatten der hohen Mahagonibäume sehr angenehm, denn es war nun ein wenig nach Mittag, und ich schritt in dem Haine langsam auf und ab, meinen Stolz mit Vorstellungen aller Art nährend. Bald wünschte ich mir ein Abenteuer herbei, bald träumte ich mich selbst zu einem König; dann wandten sich meine Gedanken wieder mitleidig dem armen Reud und dem Elende zu, das wir in unserem ehrenwerthen Berufe täglich anrichteten, und im Hinblicke auf das lasterhafte Treiben unserer Leute fragte ich mich, ob es denn auch überhaupt Etwas gebe, das sich der Mühe des Lebens verlohne.

Ich erinnere mich noch wohl der sich drängenden, hochtragenden Gedanken jener einsamen, melancholischen Stunde. Es war mir, als sei ich genöthigt, meinen Geist zusammenzunehmen, ehe ich mich in eine unbekannte See geheimnißvoller Ereignisse stürze. Nachdem ich die Gegenstände der Betrachtung, welche mir meine Umgebung bot, erschöpft hatte, wanderten meine Gedanken nach der Heimath. Nach der Heimath? Hatte ich denn eine Heimath? Besaß ich Etwas, das mich liebte – irgend ein Wesen, das auch für mich in dem tiefen und ausschließlichen Sinne des Wortes ein Gegenstand der Liebe war? Sollte ich wohl je im Dasein ein Wesen finden, mit dem ich Freude und Leid theilen konnte, einen Pfühl für mein Haupt – einen Ruheplatz für mein Herz? Ich haßte Niemand und war Vielen sehr zugethan, aber mein Herz sehnte sich nach einem Gegenstande, auf den es alle seine Energie verwenden konnte. Ich glühete nach einem Geschöpf, das ich anbeten dürfte, und von dem ich in gleicher Weise verehrt würde. Ja, ich kann fast sagen, daß ich darum betete – und meine Bitte wurde mir augenblicklich gewährt.

In der Entfernung und weit unter der Stelle, wo ich stand, hörte ich Stimmen in heftigem Wortwechsel, unter denen häufig englische Seeausdrücke vorkamen. Ich brach aus meinem Versteck hervor, und gelangte auf einen geneigten Grund vor eine sehr achtbar aussehende Wohnung, der ganz von Siedhäusern und andern Nebengebäuden, wie sie für eine Zucker- und Kaffeepflanzung nöthig sind, umgeben war. Die Gruppe vor mir bestand aus einem kleinen, energischen, weißhaarigen Franzosen, zierlich in einen Nankinganzug gekleidet, der seinen breitkrämpigen Strohhut unterwürfig in der Hand hatte, und in unverständlichem Französisch zwei nicht zu meinem Schiffe gehörige Matrosen anredete, welche ein schüchternes, schönes Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren hin- und herzerrten. Mehrere grinsende Neger bildeten die theilnahmlosen Zuschauer des Austritts. Ich verstand im Augenblick, was hier vorging, und den Gentlemen in den Theerleinwandhüten schien bei der Sache nicht wohl zu Muthe zu werden, denn ihre Kopfbedeckungen flogen schneller ab, als eine Brambrise Zeit braucht, um von dem fliegenden Klüverbaume nach hinten zu wandern, wenn das Schiff vor einem einzelnen Anker liegt.

Ich nahm mein Taschenbuch heraus, schrieb ihre Namen nieder und befahl ihnen, sich augenblicklich an Bord ihres Schiffes zu begeben. Sie gehorchten oder schienen es wenigstens zu thun, warfen aber im Abgehen noch manchen zögernden, sehnenden Blick zurück, während sie mich als Sieger auf dem Wahlplatze ließen. Der Dank für meine Paladinschaft, welche das schöne, blasse Wesen gegen die sehr zweideutige Rohheit seiner Bewunderer geschützt hatte, bestand in einem innigen Blicke der Dankbarkeit von Seiten der Geretteten, begleitet von einem vergnügten Händeklatschen der Schwarzgesichter. Auch Monsieur Manuel, der Vater, verhielt sich nicht stumm, und als er fand, daß ich französisch sprechen konnte, erschöpfte er das ganze Wörterbuch seiner reichen Sprache, um seine Verbindlichkeit auszudrücken, obschon ich kaum glauben konnte, hier überhaupt einen Dienst geleistet zu haben, denn ich hatte weder Schläge ausgetheilt, noch mich einer Gefahr bloßgestellt: meinem einfachen Worte war Gehorsam geleistet worden. Da ich jedoch den Strom seiner Dankbarkeit nicht hemmen konnte, so beschloß ich, die Richtung desselben abzuleiten, indem ich seinen dringenden Bitten, ihn nach seinem Hause zu begleiten, um mich nach meiner gefahrvollen Heldenthat zu erfrischen, Folge gab.

Wir saßen bald in dem kühlsten Zimmer seiner Wohnung, wo allem Luxus Westindiens aufgeboten wurde, um meinen Gaumen in Versuchung zu bringen. In fünfzehn Minuten hatte er mich mit seiner Abkunft, seinen Besitzungen und seiner Geschichte bekannt gemacht. Er versicherte mich mit vielen Gestikulationen und einigen Betheurungen, daß er nichts mit dem Raubgesindel in der Stadt drunten gemein habe – daß er dasselbe verachte, denn es bestehe aus lauter Piraten, Piratenhehlern, Revolutionären und Republikanern – daß er aus vollem Herzen und mit ganzer Seele ein Royalist und eifrig dem vieux regime zugethan sei – daß er die Pflanzung von seinem Vater geerbt habe und unter die Wenigen gehöre, welche in der Schwarzenempörung verschont geblieben – daß er zu Paris erzogen worden und nun seit fünfunddreißig Jahren auf seinem eigenen Grund und Boden ansäßig sei, daß er kein Weib habe oder je gehabt habe, auch keine Familie besitze, als die neben ihm sitzende Josephine, die sein theures einziges Kind sei.

Er fügte nicht bei: »eine Sklavin und die Tochter einer Sklavin.«

Ich faßte sie nun zum erstenmal fester und mit tiefer Erregung in's Auge – es war die Wallung des Mitleids. Ich hatte hinlängliche Zeit in Westindien gelebt, um das Verhältniß zu würdigen, in welchem sie zu ihrem Vater stand. Er fuhr übrigens fort, zu berichten, wie sie ihm von einer schönen Mulattin geboren worden sei, für die er eine große Summe gezahlt habe. Auch dies focht sie nicht an und goß kein Erröthen über ihre Wangen – die Ruhe der Unschuld, nicht die der Gleichgültigkeit, lagerte auf ihrem Gesichte.

Ich fühlte mich von lebhaftem Mitleid ergriffen und suchte sie mit ins Gespräch zu ziehen. Sie war unwissend – oh, wie gar unwissend – hatte keine Vorstellungen, die sich über den Bereich des Gutes, auf welchem sie lebte, hinauserstreckten, und was sie wußte, hatte sie von der Negerrotte, die auf der Pflanzung arbeitete, gesammelt. Der ganze Unterricht, den der Vater ihr gegeben, beschränkte sich darauf, daß sie ein paar Weifen auf der Guitarre nach dem Gehör spielen und einige altfranzösische Lieder singen gelernt hatte. Dennoch war sie daran gewöhnt, sich als eine Dame bedienen zu lassen, hatte Sklaven zu ihrer Aufwartung und war stets sehr ausgesucht, bisweilen sogar reich gekleidet. Ich entdeckte bald, daß die Abgeschiedenheit in ihrem talentvollen Geiste ein Gemisch von Begeisterung und Melancholie hervorgerufen hatte. Sie zählte wenig mehr als fünfzehn Jahren – ein Alter, das jedoch in jenen tropischen Himmelsstrichen dem von einundzwanzig in Europa entspricht. Ihre Gestalt war vollkommen entwickelt, leicht gerundet und ungemein rührig; dabei erschienen alle ihre Bewegungen so anmuthig, wie das sanfte Schwellen einer Welle. Im raschen Gange hüpfte sie, während sie bei langsamer Bewegung dahinzuschweben schien. Ihren Unterricht in der Anmuth hatte sie den Wäldern abgewonnen, und ihre Uebungsschule waren die spielenden Wogen des Oceans.

Wozu nützt es, ihr Antlitz zu schildern, denn Jeder denkt, daß in derartigen Angelegenheiten der Autor nach Kräften seine Einbildungskraft in Anspruch nimmt und der Leichtgläubigkeit der Leser Alles zumuthen zu dürfen glaubt. Obgleich eine Sklavin, hatte sie doch nur wenig schwarzes Blut in sich, und in ihrem Teint war gar nichts davon zu bemerken. Sie war zwar nicht blond, aber ihre Haut sehr durchscheinend, sehr rein und von blendendem Weiß. Ich habe etwas der Art auf den zarten chinesischen Gemälden gesehen, welche die abgeschiedenen Damen jenes sehr abgeschiedenen Reiches darstellen, und möchte wohl glauben, es sei ganz jene bleibende Tinte, welche die römische Kaiserin zu erlangen bemüht war, als sie sich jeden Tag in Milch badete. Roth war nicht vorhanden und es mußten wohl ergreifende Bewegungen obwalten, um diese Farbe auf ihre ruhig sinnigen Wangen zu pressen. Ihre Züge waren nicht gemeißelt, und hätte ein Bildhauer versucht, sie im reinsten Marmor nachzubilden, so würde er entdeckt haben, daß es mit dem Meißeln doch nicht gehen wolle. Sie waren von der Gottheit gebildet. Ich will auch schweigen von ihrem üppigen Haare, das mit der Nacht wetteiferte, von ihren Lippen und jenen Augen, die eine ganze See von Melancholie in ihren kleinen Gränzen einzuschließen schienen – Augen, in welchen die Liebe einen halb ertränkten Frohsinn zu unterstützen kämpfte.

Als ich mich mit ihr unterhielt, blickte sie mir vertrauensvoll in's Gesicht. Unablässig schien sie mich mit ihren schwarzen Augen an sich zu ziehen, als wollte sie sagen: »Komm' näher zu mir, damit ich dich verstehe. Bist du nicht etwas ganz anderes, als die Geschöpfe, die ich um mich sehe – ein Wesen, das mich lehren kann, was ich bin, und zugleich im Stande ist, mir Etwas zu geben, um es zu verehren, anzubeten und zu lieben?« Wenn ich mit ihr zu sprechen fortfuhr, steigerte sich ihre Aufmerksamkeit zu einem ruhigen Entzücken, obschon eine heilige Schwermuth stets ihre Gefühle in feierlicher Knechtschaft zu halten schien.

Mein Name, mein Stand und meine Lage waren dem Vater und der Tochter bald mitgeteilt. Als der Erstere sah, welche Wonne wir gegenseitig in unserer Gesellschaft fanden, ließ er uns wie ein kluger Vater allein. Mein Französisch war viel reiner und grammatikalisch richtiger, als das ihrige, obschon sie weit geläufiger sprach, als ich. Trotz dieses Mangels von beiden Seiten verstanden wir uns übrigens vollkommen, und wir waren kaum zwei Stunden allein mit einander gewesen, als ich ihr erklärte, daß ich sie sogar um ihrer Unwissenheit willen liebe, während sie mir versicherte, daß sie mich liebe, weil – weil – der Leser wird wohl nie den Grund errathen – weil ich dem guten Geist so ähnlich sei, der sanft durch den Wald wandle und die Fiebernebel sammle, ehe sie die Wohnungen der Menschen erreichten.

Ich fragte sie natürlich, ob sie denn dieses Wesen gesehen habe. Sie antwortete verneinend, kannte es aber doch so gut, als ob sie es wirklich mit Augen geschaut hätte; denn die alte Jumbila, eine Negerin, habe ihr so oft davon erzählt, daß ihr sein Bild so lebhaft vor der Seele stehe, wie das ihres Vaters.

»Du hast viel zu erlernen, meine Süße,« dachte ich, »und ich werde mich überglücklich schätzen, dein Lehrer zu sein.«

Mit Sonnenuntergang kehrte Monsieur Manuel zurück und führte uns nach einem anderen Gemache, wo ein nicht unelegantes Diner für uns aufgetragen war. Der englischen Gewohnheit zu Folge blieben wir, nachdem Josephine sich entfernt hatte, bei vortrefflichem Bordeaux sitzen. Ich ersah diese Gelegenheit, ihm in möglichst zarten Ausdrücken Vorwürfe über die schreckliche Unwissenheit zu machen, in welcher er ein so liebliches Wesen hatte heranwachsen lassen.

Seine Antwort bestand in einer Grimasse – in einem Ziehen der Schultern über den Kopf, einem Spreizen der Finger und einem sehr pathetischen » Que voulez vous

»Ich will Euch sagen, Freund Manuel,« entgegnete ich, denn sein Wein hatte mich erwärmt, seine Tochter aber noch mehr, »daß ich sie wenigstens lesen und schreiben gelehrt und daß ich ihr die wichtige Wahrheit beigebracht hätte, sie besitze eine unsterbliche Seele – eine Seele, die für ihren Schöpfer ebenso kostbar ist, als für sie selbst. Ich hätte keinen so abergläubischen Unsinn bei ihr aufkommen lassen, den ihr die Vorstellungen von Obeismus, Nebelgeistern und all dem verderblichen Kauderwelsch von Zaubern und Fetischen bieten. Ich würde sie, mein theurer Manuel, zu einer passenden Gesellschafterin für mich selbst gemacht haben, denn mit so viel Schönheit und einer solchen Seele könnte sie, wie ich fest überzeugt bin, das Bild weiblicher Vollkommenheit so nahezu verwirklichen, als es der armen Sterblichkeit gestattet ist.«

» Que voulez vous?« klang seine Entgegnung wieder in meine Ohren. Diesmal aber fügte er einen kleinen Versuch zu Rechtfertigung seiner sehr schuldhaften Versäumniß bei. Er gab mir die Versicherung, daß nach den geselligen und rechtlichen Gesetzen eine Person ihrer Klasse, und wenn sie alle Eigenschaften eines Engels besäße, nie in weiße Gesellschaft aufgenommen werden oder sich anders, als mit einem Farbigen, vermählen könne. Das Licht der Erziehung, behauptete er, würde sie nur mehr auf ihre eigene Herabwürdigung aufmerksam machen. Er fühle allerdings das innigste Mitleid mit ihr, und schaudere bei dem Gedanken an seinen Tod, denn dann werde sie ohne Frage mit den übrigen Negern des Besitzthums verkauft und in jedem Betracht als Sklavin behandelt, obgleich sie so zart gehalten worden sei. Dies war nun zuverlässig der Fall – denn ihre langen, weißen Finger und ihre sammtweiche Hand legten ein hinreichendes Zeugniß dafür ab.

»Aber könnt Ihr sie nicht in Freiheit setzen?« fragte ich.

»Unmöglich. Schon zur Zeit als die Insel mehr geordnet und besser regiert war, als jetzt, waren die gesetzlichen Hindernisse fast unübersteiglich, aber gegenwärtig ist's eine reine Unmöglichkeit. Wenn ihr Engländer die Stadt verlaßt, so zweifle ich ohnehin nicht, daß unsere blutdürstigen Feinde, die Spanier, welche unsere nächsten Nachbarn sind, kommen und den Platz in Besitz nehmen, denn ihr habt unsere Forts zerstört und fast die ganze männliche Bevölkerung gefangen fortgeführt. Freilich kümmere ich mich keinen Sous um die Räuber, die Ihr ausgerottet habt, aber ich habe mich dann der spanischen Obrigkeit zu unterwerfen, und ihre Sklavengesetze sind noch strenger, als die unsrigen, obgleich die Spanier ihre Sklaven weit besser behandeln, als dies von irgend einer andern Nation behauptet werden kann. Nein, es gibt keine Hoffnung für die arme Josephine.«

»Könntet Ihr sie nicht nach Frankreich schicken?«

» Sacré Dieu! Man hat dort alle meine Verwandten, alle meine Freunde – Alles, Alles guillotinirt; und außerdem, mein Freund, ich habe mir nie Geld gemacht, indem ich mich bei jenen langen, niedrigen Schoonern betheiligte, die Ihr unter Eure Obhut genommen habt. Zwar besitze ich an geborgenem Orte ein paar Kistchen mit Dublonen, aber dann bin ich doch wieder an diesen Ort gebunden und könnte aus Ermanglung eines Käufers mein Besitzthum nicht veräußern. Auch bin ich von einer so höllischen Schurkenbande umringt, daß ich mich nicht mit meinem baaren Gelde einschiffen könnte, ohne ermordet zu werden. Nein, wir müssen uns zu Rom in die Römerweise schicken.«

»Du bist mir ein sauberer Römer,« dachte ich und versank in eine kurze Träumerei, die aber bald auf's Angenehmste unterbrochen wurde, als ich Josephine mit einem Korb voll Blumen in der Hand vor die offenen Jalousieen treten sah. Sie blieb einen Augenblick stehen, warf einen freundlichen Blick auf ihren Vater und lächelte mir zu. Es war das erste frohe – in Wahrheit frohe Lächeln, das ich auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht gesehen hatte, und senkte sich tief in mein Herz, die entzücktesten Gefühle in demselben weckend.

»Gott behüte sie – ich liebe sie zärtlich,« sagte der alte Mann, »und ich will Euch einen Ueberzeugenden Beweis davon geben, mein junger Freund Rattlin. Aber freilich – ihr Engländer habt mir das Ganze verderbt, indem ihr ihn mit fortgenommen habt.«

»Wen?«

»Den Kapitän Durand. Jener große, schwarze Schooner war sein Eigenthum. Ja, er würde sie gut behandelt haben,« fuhr Monsieur le pére nachsinnend fort, »und wollte mir's schriftlich geben, daß er sie nie im Felde arbeiten oder peitschen lassen wolle.«

»Wen im Feld arbeiten – wen peitschen lassen?« entgegnete ich voll Erstaunen.

»Natürlich Josephinen. Hättet Ihr ihn nicht zum Gefangenen gemacht, so würde ich sie im nächsten Monat für zweihundert Dublonen an ihn verkauft haben.«

»Nun, so möge Euch doch Gott verdammen, Ihr schändlicher, unnatürlicher Schurke!« rief ich aufspringend und den Tisch sammt dem Wein gegen Monsieur Manuels väterlichen Schooß umstürzend. »Wenn Ihr nicht als mein Wirth dastündet, so würde ich Euch an der Kehle fassen, und Ihr müßtet mir auf den Knieen zuschwören, daß – daß – daß Ihr die arme Josephine nie als Sklavin verkaufen wollt. Sie peitschen!« rief ich schaudernd und die Thränen traten mir in's Auge. »Ich könnte ebenso gut daran denken, die älteste Tochter einer Kaiserin zu peitschen.«

»Beruhigt Euch, mein Sohn,« sagte der alte Sklavenhalter, bedächtig die Ueberreste des Desserts von sich abstreifend – beruhigt Euch, mein Sohn.«

Die Worte »mein Sohn« drangen mit einem fremdartig erfreulichen Tone in's Innerste meines Herzens. Die Ideenverbindungen, die sich daran knüpften, waren so beseligend – ich ließ ihn ruhig ausreden.

»Gebt Euch zufrieden, mein Sohn,« fuhr er fort, »und ich will Euch beweisen, daß ich dadurch nur für ihr Bestes sorge. Der alte Obrist, unser früherer Gouverneur, würde mir dreimal so viel für sie bezahlt haben; aber ich konnte nichts Besseres thun, als sie einem wohlwollenden Manne überantworten, der sie gut behandeln und, wie ich glaube, auch lieben würde. Wenn ich sie für eine geringe Summe weggäbe, bliebe ein Brandmal auf ihr haften.«

Und so erbärmlich auch alle diese Gründe scheinen mochten, gewann ich doch die Ueberzeugung, daß der Mann wirklich im Interesse der Armen zu handeln glaubte, indem er seine eigene Tochter verkaufte. Welch ein schändliches, verdammungswürdiges und verderbliches geselliges System muß nicht herrschen, wo ein derartiger Zustand der Dinge existirt! Leser, dieselbe Sklaverei besteht noch – in dem freien und erleuchteten Amerika.

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