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Fünfunddreißigstes Kapitel

Ralph figurirt auf einem Balle, zeichnet sich aus und schläft nachher ein. – Er kehrt an Bord zurück, wo man sowohl seine Mühe als seinen Sand bedeutend unter ihrem Werthe anschlägt. – Undank des ersten Lieutenants.

————

Da ich meinen Geschmack noch nicht hinreichend hibernisirt hatte, um an Raleighs Wurzel, einfach mit Salz gewürzt, einen Hochgenuß finden zu können, so bat ich, mir etwas beizuschaffen, was einem englischen Gaumen besser behagen konnte. Ich gab meinen Wirthen Geld, worauf sie mir für Eier und Schinken besorgt waren. Ich hätte auch Geflügel haben können, indeß wünschte ich nicht, Gäste aufzuzehren, die zu dem gastfreundlichen Boden meines Nachenkiels ihre Zuflucht genommen hatten. Sie zahlten mir das überschüssige Geld heraus, und obgleich mehr vorhanden war, als ich und meine Jungen bedurften, so wollten sie doch an den Ueberresten nicht Theil nehmen, bis ich ihnen die Versicherung gab, daß ich sie ja doch nur wegwerfen müßte.

Dann kam der Whiskey – der wahre Lebensthau. Hievon machte ich jedoch keinen Gebrauch, denn ich habe schon früher angedeutet, daß ich mich für drei Jahre aller geistigen Getränke enthielt. Meine Jungen hatten keinen derartigen Entschluß gefaßt. Der große eiserne Topf wurde nun wie ein ehrlicher, alter Matrose, der seine Pflicht gethan hat, in die Ecke geworfen, worauf der Tambour und der Pfeifer sich auf den Kiel des umgekehrten Dingy setzten, ihre Musik anstimmten und

»nun ging's lustig rund im Tanze«.

Es kamen noch mehr Jungen und Dirnen herein, und eine Tour folgte der andern mit solcher Geschwindigkeit, daß trotz der häufigen Whiskeylibationen der Tambour kaum den Arm mehr rühren konnte und der Pfeifer sich fast schlagflüssig blies. Der Leser fragt, ob ich auch mitmachte? Natürlich – und noch obendrein recht lustig. Ich hatte so angenehme, blondhaarige, rosigte, hebeartige Lehrerinnen, die sich gerne gegenseitig die Augen ausgerissen hätten, um mich zu ihrem Tänzer zu kriegen. Dabei plapperten sie ihr Irisch so musikalisch und schlugen das königliche Englisch so bezaubernd zu Tode, daß sie, obgleich die Hitze und der Rauch der Kajüte fast unausstehlich waren, und der Whiskey die Farbe ihrer Lippen dunkelroth färbte, ganz entzückende strumpflose Geschöpfe waren. Man hat die richtige Behauptung aufgestellt, daß im gesellschaftlichen Leben die Extreme sich berühren. Diese Damen waren, glaube ich, so weit über die Gemeinheit hinausgegangen, daß sie nun an den überlegenen Ton und an die freimüthige Ungezwungenheit der oberen Klassen angränzten. Es fiel mir auch keinen Augenblick ein, daß ich mich in gemeiner Gesellschaft befinde, und ich konnte damals natürlich nur ein indifferenter Beurtheiler sein; aber ich habe seitdem oft darüber nachgedacht, und muß mir sagen, daß meine Gesellschaft an jenem Abend durchaus nicht gemein im herabwürdigenden Sinne des Worts war. Ich muß sie idyllisch, vielleicht auch roh nennen, aber Alles war natürlich und frei von Geziertheit. Nie wieder habe ich mit so leichtem Herzen getanzt. Während jenes festlichen Abends sah ich keine Spur von jener Kampflust, welche so unzertrennlich von irischer Heiterkeit ist, obgleich ungefähr ein Dutzend so hübscher »Buben« versammelt war, als nur je welche bei einer Donnybrookmesse die Härte ihrer Schädel versuchten.

Endlich gegen ein Uhr Morgens hatte der Whiskey meine Bootsmannschaft, und das Tanzen mich selbst gemeistert. Man machte nun aus einem Haufen von Ueberröcken ein Lager in der Ecke des Zimmers, und meine Augen schloßen sich allmählig im Schlafe, hin und wieder, ehe sie sich völlig versiegelten, noch einiger bloßer Beine und wohlgebildeter Knöchel ansichtig werdend. Dabei tönte fortwährend das Geklapper schwerer Holzschuhe und das Gequikse eines Dudelsacks, dem jetzt der schrille Ton der Pfeife, und das Rasseln der Trommel hatte weichen müssen.

Nachdem ich etwa eine Stunde eingeschlafen war, träumte mir von – ja, zuverlässig war es nur ein Traum – von krachenden Stöcken, schreienden Weibern und fluchenden Männern. Ein unbestimmtes Gefühl kam über mich, als ob Leute sich damit unterhielten, über meinen Körper weg zu springen, und zuletzt war es mir, als ob irgend eine weiche runde Gestalt mich mit ihren Armen umfinge. Ich war so sehr ermüdet, daß ich nicht aufwachen konnte; aber der letzte Theil meines Traumes verlieh mir eine so süße Idee von Glück und Sicherheit, daß ich wohl das Recht, welches jeder Novellenschreiber für seine drei Bände einmal in Anspruch nehmen kann, auch für mich benützen und sagen darf, ich sei »im Elysium« gewesen.

Ich lag im Schooße des Vergessens, bis ich Morgens um acht Uhr von einem meiner Jungen geweckt wurde, und stand dann erfrischt, obschon ein wenig steif, auf. Der harte Thon, welcher den Boden bildete, war säuberlich gekehrt, die Schweine und Hühner hatten das Gemach räumen müssen, und ein lustiges Feuer loderte in dem Kamine. Von der ganzen Gesellschaft des gestrigen Abends sah ich nur die zwei schönen jungen Männer, welche mich und mein Boot heraufgebracht hatten, das ältliche Paar und zwei blühende Mädchen, von denen die jüngste am Abend zuvor fast ausschließlich meine Tänzerin gewesen war. An einem der jungen Bursche bemerkte ich ein furchtbar geschwärztes Auge, das er zuverlässig Tags zuvor noch nicht gehabt hatte, während der Andere seine Schläfen sorgfältig verbunden hatte. Meine beiden Bootsjungen beschwerten sich, sie seien im Laufe der Nacht mit Fußtritten und Stößen regalirt worden; indeß bin ich doch nicht undankbar genug, auf ein so unbedeutendes Zeugniß die Behauptung zu gründen, der Tanz habe mit einem Gefecht geendigt. Auch maße ich mir nicht an, zu sagen, in welcher Weise ich vielleicht während der Balgerei beschützt wurde, wenn je eine solche stattgefunden haben sollte.

Meine Wirthe hatten mir zum Frühstücke nichts anzubieten, als eine dünne, keineswegs einladende Hafersuppe. Dennoch kostete ich ein wenig davon, aus Rücksicht für die hübsche Nora, welche sie für mich zubereitet und durch ein Stückchen Butter schmackhafter gemacht hatte – eine Delikatesse, welche Niemand als mir geboten wurde. Da es mir sehr daran gelegen war, bald fortzukommen, so küßte ich die Mädchen herzlich, drückte den Söhnen die Hände, und schickte mich zur Abreise an, nachdem ich zuvor, obschon nicht ohne viele Mühe, meinen Wirthen eine halbe Guinee aufgedrungen hatte. Ich wünschte den Namen der Leute zu wissen, die mich so gastfreundlich behandelt hatten, und wenn mir nach so langer Zeit mein Gedächtnis noch treu ist, so glaube ich wohl sagen zu dürfen, sie lieferten einen trefflichen Beweis von dem, was gute irische Kartoffeln hervorzubringen im Stande sind. Wir nahmen dann unsere Procession nach der Küste auf – ich mit dem Bootshaken vorne, während das Boot zwischen den beiden athletischen O'Tooles folgte, und die mit den Rudern bewaffnete Bootsmannschaft hintendrein kam. Wir waren bald flott und ließen uns den Kurs, den wir einzuschlagen hatten, weisen. Wind und See hatten sich gelegt und die Fluth war zu unsern Gunsten. Wir mußten ungefähr fünf Meilen um das Vorgebirge rudern, bis wir an dem kleinen sandigen Striche anlangten, von wo aus wir Abends zuvor unsere unfreiwillige Exkursion gemacht hatten. Ich war meiner Ordre eingedenk und steuerte, trotz der Vorstellungen meiner Begleiter, einwärts, um das Dingy fast bis an das Schanddeck mit dem Sande zu beladen, um dessen willen wir so viel Gefahr ausgestanden hatten. Gegen Mittag langte ich wohlbehalten neben der Fregatte an – sehr zum Erstaunen Aller an Bord, die uns schon für verloren gegeben hatten. Auch war bereits zwischen dem Kapitän und dem ersten Lieutenant um meinetwillen eine Kälte eingetreten, die jedenfalls mir selbst einen warmen Empfang in Aussicht stellte.

Mr. Farmer hatte den ganzen Tag zuvor soviel mit Einnehmen von irischem Ochsen- und Schweinefleisch, desgleichen mit vorsorglichen Wasserladungen für ein etwaiges Bedürfniß des Konvois zu thun gehabt, daß ihm die Sandexpedition ganz außer Acht kam und er sich erst Abends acht Uhr unserer erinnerte, als wir bereits, wie es im Liede heißt:

»weit, weit draußen in der See«

waren. Mr. Silva, der zweite Lieutenant erbat sich die Gunst, in einem Boote nach dem Rehbock fahren zu dürfen – einer der zwei Achtzehn-Kanonenbriggen, welche uns als Konvoizusammentreiber begleiten sollten. Da man den Kapitän nicht so bald an Bord erwartete, so zögerte Mr. Farmer nicht, dem Gesuch mit seinem gewöhnlichen: »nehmt das Dingy,« zu entsprechen. Aber das atlantische Weltmeer war ihm bereits zuvorgekommen und das Dingy nicht zurückgekehrt. Man hatte es zum letztenmale an dem Sandstriche, nach dem wir geschickt worden, gesehen. Die Barke und der Kutter wurden augenblicklich bemannt und nach uns ausgeschickt. Sie erreichten leicht den Platz, wo ich meine Ladung eingenommen, und fanden daselbst auch den Sand aufgewühlt, aber weiter nichts. Nicht ohne bedeutende Anstrengung kehrten sie in dem Gegenwinde wieder zurück und erstatteten natürlich einen sehr entmutigenden Bericht. Als der Kapitän an Bord erschien, gerieth er in großen Zorn.

Schneckenförmig kroch ich an der Schiffsseite hinauf, ohne mit mir im Klaren zu sein, ob ich den Helden oder den Schuldigen spielen sollte, bei dieser Gelegenheit mir eine Rede zusammenbläuend, die das Geschick der »verlornen Erfindungen« theilen sollte. Ich sah den Kapitän und Mr. Farmer auf dem Decke hin- und hergehen, aber Beide halten entschieden ihre Amtsmiene angelegt. Ehrerbietig langte ich daher an meinen Hut und begann mit einem Schafsgesichte:

»Ich komme an Bord, Sir, und –«

»Ihr junger Galgenstrick! Ich habe gute Lust – –«

»Zu was, Mr. Farmer?« legte sich Kapitän Reud in's Mittel.

Ich kann den Leser versichern, daß vor fünfundzwanzig Jahren, als wir die Seen fast von jedem Feinde gesäubert hatten und das britische Wimpel eine wirkliche Geißel war, welche jeden Gegner auf dem Ocean peitschte – die »jungen Gentlemen«, bisweilen auch gepeitscht und weit öfter junge Galgenstricke genannt, als mit irgend einem anderen Ehrentitel belegt wurden. Alles dies hat sich nun zum Bessern gewendet. Man wirft nicht mehr mit Schimpfworten umher, und das Peitschen kommt weniger in Anwendung; auch zweifle ich nicht, daß im nächsten Krieg das, was an uns selbst erspart blieb, gehörig an unsern Feinden geübt wird. Ich erwähne dies, damit der Leser ja nicht mich für roh halte, wenn ich hin und wieder die Rohheit der Schiffssitten aus jener Zeit schildere.

»Ihn zu strafen, weil er eine ganze Nacht ohne Urlaub ausgeblieben ist.«

»Das ist allerdings ein großer Fehler,« versetzte bei: Kapitän schlau. »Sprecht, Mr. Rattlin, was hat Euch veranlaßt, Euch also zu versündigen?«

»Erlaubt, Sir, es bedurfte durchaus keines Anlasses. Ich wurde regelmäßig hinausgeblasen, und nun bin ich eben so regelmäßig – –«

»Gut, Sir, ich will Euer Freund sein und nicht zugeben, daß Ihr Euern Satz zu Ende bringt. Wenn's erlaubt ist, Mr. Rattlin, so möchte ich mir wohl die Frage herausnehmen, wo Ihr in der letzten Nacht geschlafen habt?«

»Bei den zwei Misses O'Toole,« versetzte ich, denn die jungen Damen stacken mir noch stark im Gedanken.

»Ihr junger Bruder Lüderlich, wie, bei zweien zumal?« entgegnete der Kapitän grinsend.

»Ja, Sir,« antwortete ich, »denn ich begann nun mich sicher zu fühlen; »und bei Mr. und Mrs. O'Toole, bei Mr. Cornelius O'Toole, mit dem rothen Haar, und Mr. Phelim O'Toole, mit dem blutrünstigen Auge – bei den Hühnern, den Schweinen und der Bootsmannschaft.«

»Und wo ist diese Zeit über das Boot geblieben?«

»Hat auch bei uns geschlafen, Sir.«

Ich berichtete sodann in aller Kürze, was mir zugestoßen war, und der Kapitän belustigte sich sehr über meine Erzählung.

»Ihr habt also,« erwiederte er, »den Sand mitgebracht? Eure Beharrlichkeit verdient in der That Lob.«

Ein Eimer voll Sand wurde heraufgeboten, und Mr. Farmer ließ ihn verächtlich durch seine Finger laufen. Dann wandte er sich zornig an mich und rief:

»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, Sir, mir statt Sandes, so schaaligtes, kieseligtes Zeug zu bringen?«

»Erlaubt, Sir, ich bin nicht schuld daran, daß er so gewachsen ist, und habe nur meinem Auftrage Folge geleistet, indem ich ihn herbrachte.«

Ich hielt es nämlich für sehr ungerecht, daß man mir einen Akt der Natur zum Vorwurfe machen wollte, um so mehr, da drei Leben in Gefahr gesetzt wurden, um ein paar Körbe werthloser Erde beizuschaffen.

Der Kapitän war derselben Ansicht, denn er bemerkte ganz kalt gegen Mr. Farmer:

»Ich dächte, Ihr hättet Euch zuerst von der Qualität des Sandes überzeugen sollen, ehe Ihr danach fortschicktet; auch hätte dies beim Einbruch des Abends und mit dem Beginnen der Ebbe unterbleiben können. Junger Herr, Ihr werdet heute an meiner Tafel speisen und mir Eure Geschichte mit den O'Tooles ausführlicher erzählen.«

*

 


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