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Vierundzwanzigstes Kapitel

Ein Unstern durch Wasser ist der erste Anlaß zu allen künftigen auf demselben. – Ralph kömmt, was Längen und Breiten betrifft, mit seinem Lehrer aus feiner Tiefe und findet in dem Manne mit der Stelze einen Nebenbuhler.

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Natürlich suchte und fand Mr. R. bald die Freundschaft von Mrs. Cherfeuil – und dann begann er seine Operation systematisch. Bald war er bemüht, sie durch Ueberraschung zu nehmen, bald suchte er sie durch Bitten zu überwältigen, und dann hoffte er wieder, sie durch ein verwickeltes Kreuzverhör in die Falle zu locken. Aber Alles war vergeblich – ihr Geheimniß, welcher Gestalt es auch sein mochte, blieb sicher in ihrem Busen verwahrt. Mit gut gespielter Einfalt erstattete sie meinem Freunde denselben unfruchtbaren Bericht über mich, mit welchem sie alle Frager zu bedienen pflegte.

Und welche Gedichte machten wir nicht miteinander – wie prophezeite er meine künftige Größe – und wie glühend beeiferte er sich nicht, Jedermann, der in mir nicht den künftigen Ruhm des Jahrhunderts sehen konnte, von seinem Irrthum zu überzeugen! Der gute Mann! Seine liebenswürdige Selbsttäuschung wurde ihm zu einer Quelle des reinsten Glückes – eines Glückes, das nie Jemand mehr verdient hatte. Trotz meiner Jugend konnte ich mir's oft nicht versagen, über seine Einfalt zu lächeln; denn während er sein Bestes that, mich durch sein unvorsichtiges Lob und durch seine ungeheuchelte Bewunderung meiner schülerhaften Arbeiten zum eitelsten, anmaßendsten Gecken zu machen, konnte er mir väterliche Vorlesungen halten über die Vortrefflichkeit der Demuth und die absolute Notwendigkeit der Bescheidenheit, da dies die Hauptbestandtheile eines großen Charakters seien.

Zu Hause fand jedoch die Korrektion von Seite meines stelzbeinigen Lehrers Statt; denn wenn ich von R... zurückkehrte und in meiner eigenen Einbildung, wie der arme Gil Blas, das achte Wunder der Welt war, so pflegte er mich bald in seiner feinen Phraseologie zu überzeugen, daß an mir eben »durchaus nichts Rares sei.« Da ich nun nahezu sechszehn Jahre zählte, so begann ich auch über meine künftige Bestimmung nachzudenken, als mit einemmale ein bedauerliches Ereigniß mir die Linie vorzeichnete, auf welcher ich meine unwirksamen Versuche, Berühmtheit zu gewinnen, machen sollte.

Ich habe bereits des schönen Wasserbehälters gedacht, der in der Nähe unserer Schule lag. Während der Vakanztage, wenn die übrigen jungen Gentlemen sich in ihren respektiven Heimathen befanden, pflegte ich mich mit einigen Dorfbekannten nach dem See zu begeben, um daselbst Schwimmübungen vorzunehmen.

An einem schönen Sommernachmittage befanden sich sowohl Mr. als Mrs. Cherfeuil in der Stadt. Ein kleiner Knabe, Namens Fountain, war gleichfalls die Ferienzeit über mit mir in der Anstalt geblieben, und als ich mich mit meinen Kameraden in der Mitte des Sees befand, stahl er sich uns unbemerkt nach und beging die Unvorsichtigkeit, sich gleichfalls auszukleiden und in's Wasser zu gehen. Einige müßige Spaziergänger schauten zu, und wie ich eben weit weg war, scholl der furchtbare Ruf über das Wasser hin; »Hülfe! Hülfe! er ertrinkt!« Mit furchtbarer Bestimmtheit, als dränge die Stimme unmittelbar in meine Ohren, hörte ich das Plätschern des armen Knaben und den erstickten Schrei: »Ralph Rattlin!« Er hatte sich an einem Orte, wo ich war, für sicher gehalten, weil ich ihn oft durch das tiefe Wasser getragen, als ich mich bemühte, ihn schwimmen zu lehren – eine Kunst, in welcher er nur allzu unvollkommen war. Ich schwamm alsbald aus Leibeskräften nach der Stelle zu, aber die Entfernung war zu groß; denn obgleich ich ein rüstiger, erfahrener Schwimmer war, zeigte mir doch, als ich an dem Flecke anlangte, welchen mir die Zuschauer andeuteten, kein Kreis oder Wellenschlag, wo unterhalb der Fläche eine menschliche Seele rang, um sich von ihrem sterblichen Thone zu befreien. Vier- oder fünfmal tauchte ich unter, verharrte mit verzweifelter Hartnäckigkeit unter dem Wasser und durchpflügte den schlammigen Boden, aber man hatte mir die unrichtige Stelle angedeutet.

Als ich fand, daß meine Anstrengungen fruchtlos waren, rannte ich entkleidet, wie ich war, mit der Flüchtigkeit eines Windspiels in's Dorf und machte Lärm. Sobald ich jedoch die Leute dem See zueilen sah, jagte ich schon wieder voraus und begann auf's Neue mein Untertauchen. Mrs. A., die Gattin des oben erwähnten Parlamentsmitglieds, die sich bei jedem Werke der Menschenfreundlichkeit stets zuvörderst zeigte, fand sich bald in Begleitung vieler der achtbarsten Dorfbewohner an dem Ufer ein.

Sie verlor ihre Geistesgegenwart nie und rieth deshalb, ein Boot, das auf dem nahen Flusse lag und dem Besitzer des Hauptwirthshauses gehörte, über den zwischen beiden Wassern befindlichen Landstrich herüber zu tragen. Der Wirth wollte es nicht zugeben – ja, wahrhaftig, nicht zugeben – aber Mrs. A., die ihrer Stellung und ihren vielen Tugenden einen wohlverdienten und gebieterischen Einfluß verdankte, ertheilte die Weisung, das Fahrzeug mit Gewalt zu nehmen, worin ihr auch schnell und freudig Folge geleistet wurde. Während dies vorging, setzte ich männiglich durch mein langes Untertauchen in Erstaunen, und eine letzte Anstrengung wäre mir fast verderblich geworden, denn als ich wieder auf der Oberfläche erschien, strömte mir das Blut aus Mund und Nase.

Wieder am Ufer angelangt, fühlte ich mich so schwach, daß ich mich nicht mehr allein ankleiden konnte. Der Nachen begann nun den Boden mit Seilen zu durchstören – eine ebenso erfolglose Bemühung, die Leiche wieder aufzufinden, als meine eigenen gewesen waren. Der arme Fountain wurde erst am andern Tage von einem Neufoundländer-Hund aufgefunden, und zwar an einer ganz andern Stelle, als die war, an welcher wir ihn gesucht hatten. Wären die erschreckten Zuschauer, die am Ufer standen, nur im Stande gewesen, mir den Punkt richtig anzudeuten, wo der Knabe verschwunden war, so zweifle ich nicht, daß ich ihn in einer Zeit wieder heraufgebracht haben würde, die wenigstens noch der Möglichkeit Raum gegeben hätte, ihn wieder in's Leben zu rufen. Den Personen, welche noch nicht gesehen hatten, was Leute zu leisten im Stande sind, welche so zu sagen das Wasser zu ihrem eigenen Elemente machten, erschien meine knabenhaften Anstrengungen fast wie ein Wunder. Mein guter, alter Freund war gleichfalls zugegen; er bekundete eine seltsame Mischung von Furcht und Bewunderung, und trug mich, so groß ich auch damals war, fast in seinen Armen nach Hause – das heißt nach dem Schulhause, wo wir Alles in großer Bestürzung fanden. Mrs. Cherfeuil war eben angekommen und, als sie hörte, daß einer der Knaben ertrunken sei, mit einem einzigen, schmerzvollen Ausruf in Ohnmacht gesunken. Bei unsrem Eintritte in das Gemach lag sie noch besinnungslos da, und erst nachdem wir eine Weile ruhig gestanden, öffnete sie langsam ihre Augen. Sobald sie übrigens meine Anwesenheit bemerkte, sprang sie, vor Freude ganz außer sich, auf, riß mich in ihre Arme, legte ihr Haupt auf meine Schulter und brach in einen Strom leidenschaftlicher Thränen aus. Mr. R… warf mir ein triumphirendes Lächeln zu, und als er mich von der aufgeregten Dame wegführte, verabschiedete sie sich von mir mit einem Blicke so inniger Zärtlichkeit, so tiefen unaussprechlichen Glückes, daß ich hoffe, er möchte mir noch in meiner Sterbestunde gegenwärtig sein, denn er würde mir zuversichtlich den Schmerz des Scheidens leichter machen.

All' dies mag vielleicht als eitle Ruhmrednerei erscheinen, aber ich kann nicht anders. Die Wahrheit ist mir lieber, als meine blöde Verschämtheit, und ich vermuthe, der strengste Cyniker, der diesen Egoismus verurtheilt, würde unter ähnlichen Umständen ganz in der gleichen Weise handeln. Dieser Vorfall veränderte jedoch die ganze Richtung von Mr. R...s Ideen und brachte ihn auf andere Plane für meine Zukunft. Ich sollte nicht länger der künftige gekrönte Dichter sein und große Thaten besingen, sondern sie ausführen. Das Schwert sollte der Feder, der Held dem Dichter weichen. Verse waren zu weibisch und Reimereien ein Vergehen, das nur durch irgend einen besondern Anlaß entschuldigt werden konnte.

Es stand einige Zeit an, ehe er Mrs. Cherfeuil seine Ansichten beibringen konnte. Vergebens versicherte sie, daß die Lenkung meines Geschickes in andern Händen liege; er wollte keinen Augenblick darauf hören, blieb hartnäckig und hatte vermuthlich, dem Vorgefallenen zufolge, Recht. Er erklärte, der Flottendienst sei der einzige Beruf, der meinem Geist und meinen Fähigkeiten entspreche – eine Behauptung, die auch in dem Hauptquartier, wo es nur immer sein mochte – genehmigt zu werden schien. Ich für meine Person hatte nichts dagegen – um so weniger, da die ritterliche Haltung und die anmuthige Uniform meines jungen Freundes Frank A., der bereits in einigen harten Treffen mitgefochten hatte, meinen Wünschen einen neuen Sporn verlieh. Der stelzbeinige Riprapton erhielt nun die beneidenswerthe Aufgabe, mich in die Seemannskunst einzuführen, und wie dies von statten ging, läßt sich schon aus seinen eigentümlichen Begriffen von Länge und Breite entnehmen.

Kurz nachdem ich meine Studien unter seiner Leitung begonnen, oder vielmehr, nachdem er sich genöthigt sah, dieselbe unter meinen Auspizien zu verfolgen, wurde die Harmonie unserer Freundschaft durch einen Streit unterbrochen; ja, durch einen herzbrechenden Streit – und, seltsamer Weise, noch obendrein wegen einer Dame. Ich gab bereits zu, daß dieser Phönix von einem Unterlehrer der allgemeine Liebling des schönen Geschlechtes war, und beneidete ihn nie um sein Glück. Alle Welt weiß, daß ich seinen Anziehungsgaben stets gebührende Ehre zu Theil werden ließ und die Anmuth seines hölzernen Fortschrittes immer anerkannte – aber doch war er nicht allmächtig. Wilkes, dieser Inbegriff von aller Art Häßlichkeit, rühmte sich oft, er stehe nur um eine Stunde hinter dem schönsten Mann, der je existirt, soweit seine Stellung zu den Schönen in Frage komme. Rip hätte etwa von fünfundzwanzig Minuten und einen Bruchtheil sprechen können. In zehn Minuten konnte er die Weiber in eine gute Meinung von ihrem eigenen werthen Selbst hineinreden – eine leichte Sache, wie Einige denken mögen, da die Damen schon hübsch darauf vorbereitet sind; aber es ist ein Unterschied zwischen haben und es auszusprechen wagen. In zehn Minuten konnte er also durch Worte oder Handlungen seine Zuhörerinnen bewegen, daß sie ihre Meinung von der eigenen Vortrefflichkeit ausdrückten, weitere zehn Minuten brauchte er, um eine ähnliche Ansicht in Betreff seiner Persönlichkeit zu erzeugen, und die übrigen fünf pflegte er auf die Erklärung seiner Liebe zu verwenden; denn er war sehr rasch in seiner Ausführung. Damit war die Sache abgethan und die Eroberung im Reinen, da sie wenigstens als solche dargestellt wurde, mochte sie nun stattgehabt haben oder nicht – was ja doch auf dasselbe hinausläuft. Er hielt mehr auf den Ruhm, als auf den Genuß seiner Leidenschaften. In einer Hinsicht folgte er Chesterfields Rath mit wunderbarer Genauigkeit, indem er gegen jedes Frauenzimmer zwischen sechszehn und siebzehn eine Liebeserklärung wagte; denn mit Sr. Gnaden kam er zu dem sehr sachgemäßen Schlüsse, wenn man den Akt nicht als Ernst nehme, werde man ihn als ein Kompliment betrachten. Dieser stets bereite Verehrer eines jeden neuen Ankömmlings war übrigens so eifersüchtig, als er universell in seinen zarten Empfindungen war.

Möge der phantasiereiche Leser das Auge seines Geistes alle die schönen Skulpturen des Alterthums überfliegen lassen und sich ein personifizirtes Bild jener gebieterischen Göttin entwerfen, welche die Alten unter dem Titel der Juno verehrten. Die Gestalt muß hoch, fehlerfrei in ihren Verhältnissen, voll Majestät und bezaubernder Anmuth sein – die Umrisse voll, aber nicht schwellend, und so weit wie möglich fern von den modernen Begriffen des Enbonpoint – hiezu noch die Brüste einer Venus, ehe sie ihren Erstgebornen, den leichtbeschwingten Gott, an's Licht gefördert – und dann kann man sich ungefähr eine Vorstellung von der Figur der Mrs. Clausand bilden. Ihr Gesicht war von jenem Style der Schönheit, welchen Frauen, die sich selbst für sehr zartgebaut halten, unter dem Namen keck zu verlästern pflegen – ein Styl übrigens, den alle Männer bewundern und die meisten lieben. Fünfunddreißig Jahre hatten nur mit schärferer Hand jene Anziehungen gezeichnet, die jede Phase der Liebenswürdigkeit durchgemacht haben mußten und nun, ohne anscheinende Matronenhaftigkeit, mit den Zeichen einer lange dauernden Reife gestempelt zu sein schienen. Die Bewunderung, die sie erregte, war allgemein. Ging sie vorüber, so blieben die Männer stehen, um ihr nachzusehen, und die Frauen flüsterten sich hinter ihrem Rücken zu. Erst nach dem Eintreffen dieses Wundervogels hörte ich zum erstenmale, daß Damen künstliche Körperteile trügen, und ich erfuhr jetzt, daß der Neid, oder der Wattirer fast jedes Glied an Mrs. Causands Leibe verbessert hatte. Alle Lästerzungen des Dorfes waren darüber einig, daß eine solche Vollkommenheit nicht natürlich sein könne, da jedoch, wenn alles dieses Gerede der Wahrheit gemäß war, der Gegenstand ihrer Kritik eben so kunstreich sein mußte, wie Mr. Ripraptons links Bein, und der Dame selbst nichts mehr belassen blieb, als eine belebte Thonfigur, so begann ich zu glauben, daß es mit derartigen Versicherungen doch nicht so ganz seine Richtigkeit haben könne, um so weniger, da Mrs. Causand in allen Geberden und Bewegungen eine wunderbare Leichtigkeit zeigte. So oft sie austrat, zeigte sich auch mein alter Freund, Mr. R..., der eine um so wärmere platonische Zuneigung zu ihr hegte, da ihn jeder Besuch in den Stand setzte, männiglich, wer ihm zuhören mochte, mit einer langen Geschichte über den König von Preußen zu unterhalten. Wie nun jede Dame Aufmerksamkeit und Höflichkeit als eine sich von selbst verstehende Sache erwartet, so ließ sie sich auch in gleicher Weise die ihr gezollten Huldigungen als etwas ganz Natürliches gefallen. Ueberhaupt war sie, ohne Uebertreibung, eine Frau, die man mit einer gewissen Andacht betrachten konnte – gleichsam als Zoll, den man dem Geiste der Schönheit und dessen göttlichem Schöpfer abtrug, ohne gerade das Individuum sinnlich in's Auge zu fassen.

Ihr erstes Erscheinen brachte sogar Mr. Rips bisher furchtlos geschwätzige Zunge für eine halbe Minute zum Schweigen – eine unwillkürliche Schaustellung von Bescheidenheit, für die er sich nachher in ganz entsetzlicher Weise wieder schadlos hielt. Secundum artem ließ er alle Batterieen seines Zaubers gegen sie spielen. Er rollte seine Augen mit einem Ungestüm nach ihr, das fast herzbrechend war, verbeugte sich und brachte sein lebendes Bein in jede nur erdenkliche gewinnende Attitüde; aber seine Hauptkraft lag in den Schmeichelreden seiner Zunge, die sie alle mit stoischer Gelassenheit hinnahm. Sie pflegte ihm zuzulächeln, wenn er einen guten Einfall vorbrachte, wie man etwa einen Schauspieler auf der Bühne ermuthigt, ließ sich auch je zuweilen herab, einige seiner an sie gerichteten Komplimente zu verbessern, und wenn ihr leichtes Wesen ihn etwa im Debüt einer seiner schönsten Reden überrumpelte, konnte sie wohl den Schlußsatz für ihn wieder aufnehmen, und sich dann in eine selbstgefällige Lauscherstellung versetzen.

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