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Einundvierzigstes Kapitel

Ralph macht Bekanntschaft mit blutigen Werkzeugen und beugt sich unter den ehernen Boten des Todes. – Er lernt im Feuer stehen, wird aber dabei um ein Haar niedergeworfen.

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Wir preßten nun das Schiff mit jedem Stich Tuch, den wir setzen konnten. Wir hatten bereits den Namen unsers Freundes in der Ferne vernommen, der Jean Bart lautete. In der That trug zu jener Zeit fast jedes vierte französische Schiff in diesen Seeen, das sich mit dem Gurgelschneiden abgab, diesen Namen. Jean Bart hatte jedoch lange, ehe wir mit dem Prinzen William fertig waren, eine Wolke von Tuch (noch obendrein eine dunkle) ausgebreitet und seine Entfernung zwischen uns beträchtlich vergrößert. Es war eine Jagd todt vor dem Winde. Um neun Uhr frischte die Brise auf, was fast nicht anders sein konnte, da wir lange genug danach gepfiffen hatten. Um zehn Uhr bekamen wir von dem großen Mars aus Johnny Crapaud's Rumpf zu Gesicht und entdeckten nun, daß wir's mit keiner Fregatte zu thun hatten. Ich hatte schon zuvor nicht sehr Angst, muß übrigens bekennen, daß diese Kunde meinen Muth beträchtlich steigerte. Ich inspizirte sorgfältig den Zustand der mir anvertrauten vier Hinterdeckkanonen und schärfte nachdrücklich den Pulverjungen die Nothwendigkeit der Thätigkeit, Ruhe und Geistesgegenwart ein.

Doktor Thompson kam nun auf's Deck und klagte sehr über die Unordnung bei seinem Frühstück. Der launige Mann lud mich ein, zu ihm in den Krankenverschlag hinunterzukommen, damit sich mein Geist an den vortrefflichen Vorbereitungen aufheitere, die er getroffen habe, um meinen Schädel zu trepaniren oder mein Bein zu amputiren, im Falle mir eine Fatalität zustieße. Ich folgte ihm. Wegen der Fürchtenichtsschirme Schirme aus erstaunlich dickem Wollenzeuge. und anderer Vorsichtsmaßregeln gegen das Feuer war es zuverlässig der heißeste Ort, in dem ich noch je gewesen war. Das düstere gelbe, aber doch zureichende Laternenlicht warf ein trübes Entsetzen auf die verschiedenen gespenstischen, blutgierigen Instrumente, die prunkhaft auf der Platform aufgestellt waren. Gekrümmte Messer, denen man die Schärfe schon ansehen konnte, schienen mit gieriger Hast das Fleisch des Beschauers umarmen und trennen zu wollen, und Sägen grinsten mich an, deren Anblick allein, da ich ihren furchtbaren Dienst kannte, mein Haar sträuben machte. Da standen auch die drei Wundarztgehülfen, ohne Rock und Weste, die Hemdärmel aufgestreift, und mit ängstlichen Blicken der Beschäftigung entgegensehend. Der stämmige Doktor mit seinem ungeheuern runden, rothen Gesichte und seinen plumpen Spässen benahm dem Platze etwas von seinem romantischen Schrecken, vermehrte aber beträchtlich meinen Widerwillen, da mich der Mann lebhaft an einen Scharfrichter in voller Uebung erinnerte.

Ohne Zweifel hatte er mich in der freundlichen Absicht nach seiner Höhle gebracht, mich einzuschüchtern und sich an meiner Furcht zu freuen. Wie dem übrigens sein mag, ich nahm die Sache so kaltblütig, als es die Hitze des Ortes nur gestatten mochte. Die erste Lehre in der Tapferkeit besteht darin, den Schein derselben anzunehmen, und die zweite, sich diese Außenseite zu bewahren; dann wird man drittens einen ganz in jenem Muthe finden, der dem Manne ziemt.

Am Mittag hatten wir eine wechselnde Brise. Wir konnten nur bemerken, daß wir eine große Korvette jagten, obgleich wir, da sie uns ihren Stern zeigte, ihre Geschützpforten nicht zählen konnten. Die Eos schien durch das Wasser zu fliegen. Sie beugte sich nicht gegen die Wellen vor ihr, sondern warf sie entrüstet bei Seite. In ihrem majestätischen Stolze schien sie zu den Winden zu sagen: »Ich gehorche nicht eurem Impulse und warte nicht auf euren Beistand. Ich führe euch – folgt mir! Und du, See, ebne vor mir deine jämmerlichen Wellen. Laß sie meinem Pfade nachschießen – sie sollen sich beugen, wenn ich dahinschieße! Mit euch, ihr Wolken, will ich einen Wettlauf versuchen. Die fern entlegenen Inseln des Südens sollen unser Ziel und der Regenbogen unsere Siegeskrone sein!« Ah! sie hielt sich herrlich an jenem Tage!

Um ein Uhr begannen die Spieren zu ächzen und die Borgbrassen nachzugeben, aber Niemand dachte an ein Kürzen der Segel. Dahin! dahin! ist es nicht etwas Glorreiches, einen fliehenden Feind zu hetzen? Achill, pochte nicht deine eherne Brust von ununterdrückbarem Jubel, als du den fliehenden Hektor um die Mauern seines verlassenen Trojas jagtest? Aber kannst du, dem Himmel entstammter Krieger, deinen Wagen mit dem unsrigen vergleichen? Die beschwingten Winde sind unsere Renner – die Wellen des Oceans unsere Räder – und der unbegränzte Raum unsere endlose Bahn. Dahin! dahin!

Um zwei Uhr hatte sich der Jean Bart mit seiner Breitseite so weit über den Wasserspiegel gehoben, daß wir sie von den Decken aus sehen konnten. Der Appetit des Doktors und Zahlmeisters war in gleichem Verhältnisse gestiegen. Sie machten vereint einen trostlosen Besuch in der Schiffsküche. Alle Feuer waren ausgelöscht. Die Hühner gackerten und die Schweine grunzten in dunkler Sicherheit unter den Wasserfässern. Unglückliche Menschen! es war keine Aussicht auf ein Diner vorhanden. Sie sahen sich zu der ärgerlichen Abstinenz des kalten Geflügels und des Schinkens genöthigt, ohne das trockene Zeug mit etwas Anderem, als Claret, Burgunder und der kleinen Troste anfeuchten zu können, den sie aus dem besten Branntwein, in preiswürdigster Mäßigkeit mit filtrirtem Wasser gemischt, erholten.

Um drei Uhr hatten wir den Jean Bart voll im Gesicht und konnten nun von der Fockraa aus die Bewegungen seiner Mannschaft auf dem Decke unterscheiden. Der Meister briet seine sehr rothe Nase über einem Sextanten in den Fockstagsegelnetzen und berichtete, daß der Franzmann seine zwei langen Messingbuggeschütze nach hinten schaffe. Nach einer weitern halben Stunde hörten wir die besagten Messingbeller selbst krachen und unmittelbar darauf das Zischen der Kugeln, von denen die eine weit am Schiffe vorbeiflog, die andere aber durch unser Focksegel schlug und beinahe die Nase unseres achtbaren Meisters gestreift haben mußte.

Die meisten Offiziere, mich selbst mit eingerechnet, standen auf dem Vorderkastell. Obgleich es nicht die erste Kugel war, die ich hatte im Ernst abfeuern sehen, war es doch zuverlässig die erste, die je an mir vorbeizischte. Ein derartiger Gruß bildet stets eine denkwürdige Epoche in dem Leben eines Soldaten oder eines Seemanns. Dem Risse nach, den die Kugel in das Focksegel gemacht hatte, mußte sie kaum zwei Ellen über meinem Kopfe hingeflogen sein. Ich war nicht wenig verblüfft. Jedermann weiß, daß eine Kugel ein sehr lautes Geräusch macht, und als der erlauchte Fremde mit so viel Pomp und Ceremonie an Bord kam, konnte ich natürlich aus reiner Höflichkeit nichts Anderes thun, als mich verbeugen, wofür mir übrigens der erste Lieutenant eine hübsch sausende Ohrfeige versetzte.

Meine zornigen Blicke, meine geballten Fäuste und meine drohende Haltung sagten ihm deutlich, daß es nicht Mangel an Muth war, was mich zu der Verneigung veranlaßt hatte. Ich war eben im Begriffe, leidenschaftlich auszurufen: » Sir, ich – ich – ich –;« Kapitän Reud legte mir jedoch sanft seine Hand auf die Schulter und sagte:

»Mr. Rattlin, was fällt Euch ein? Indeß muß ich Euch bemerken, Mr. Farmer, daß dieser Schlag nicht verdient war. Ich, Sir,« fügte er bei, indem er sich stolz in die Brust warf, »habe mich vor der ersten Kugel gleichfalls geduckt. Manch' wackerer Bursche, der sich vor der ersten beugte, hat ritterlich bis zu der letzten ausgehalten. Was konntet Ihr anders von einem bloßen Knaben erwarten? Und ihn zu schlagen! Pfui. Wenn der Junge schwache Nerven hatte, und wäre er dabei so brav wie Nelson und so edel wie Euer Namensvetter, so würde ihn dieser schnöde Streich für immer einschüchtern.«

»Sie machen sich abermals schussfertig,« lautete die Meldung von der Fockraa.

»Da, Rattlin,« fuhr der Kapitän fort, »nehmt mein Glas, setzt Euch auf die Mattentücher und sagt mir, ob Ihr ausfindig machen könnt, was sie treiben.«

Zwei Blitze, der Rauch und dann das Sausen des Schusses, welchem der laute dröhnende Knall und das Anschlagen des Metalls unmittelbar unter mir folgte! Eine der Kugeln hatte den Ankerarm in den Fockputtingen getroffen.

»Da, Mr. Farmer,« sagte der Kapitän triumphirend; »habt Ihr das gesehen? Ich wußte es – ich wußt' es ja, Sir. Er rührte sich nicht – und nicht einmal das lange Rohr, das er an sein Auge hielt, zitterte. Oh, Mr. Farmer, wenn Ihr das edelmüthige Herz habt, das ich Euch zutraue, so schlagt nie, nie wieder einen jungen Menschen, weil er sich bei der ersten oder vielleicht sogar bei der fünften Kugel bückt.«

»Ich hatte Unrecht,« lautete die demüthige Antwort, »und bedaure, daß ich Euch Anlaß zu diesem öffentlichen Verweise gab.«

»Nein, Farmer,« entgegnete der kleine Creole in sehr gütigem Tone; »ich wollte Euch keinen Verweis erteilen, sondern nur eine Vorstellung machen. Den schärfsten Verweis hat Euch Mr. Rattlin selber gegeben.«

Ich hätte in jenem Augenblick den kleinen gelbhäutigen Kapitän, trotz seiner mir bekannten Bosheit, umarmen mögen, und blieb unbewegt im Kartätschenfeuer der Zwanzigkanonenbatterie stehen.

Aber war ich nicht wirklich erschrocken über das Pfeifen der Kugel?

Ja, ein wenig.

*

 


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