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Zehntes Kapitel

Ich werde egoistisch, und da ich mit mir selbst sehr zufrieden bin, ertheile ich guten Rath. – Ein Besuch und ein seltsames Gemenge von Tiraden, Thränen, Schulweisheit, Zärtlichkeit und einem Theekessel.

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Laßt mich nun das zehnthalbjährige Kind schildern, welches sich gezwungen sah, diese schrecklichen Ordalien durchzumachen. Wir wollen annehmen, daß ich unter den Händen des Tanz- und Exerciermeisters von einem gemeinen Gange kurirt wurde, ferner, daß auch mein Londoner Accent gänzlich verschwunden ist. Kinder von dem erwähnten Alter richten sich in ihrem Tone und Gespräche bald nach ihrer Umgebung. Ich war groß für meine Jahre, von sehr leichter, beweglicher Gestalt, und hatte ein Gesicht von fleckenlosem Teint. Mein Haar war blond, glänzend und theilweise von Natur gelockt. Mein Gesicht bot ein vollkommenes Oval und meine Züge hatten eine klassische Regelmäßigkeit. Ich hatte eine gute, natürliche Farbe, deren Tiefe mit jeder wechselnden Leidenschaft ebbte und fluthete. Ich war eines von jenen gefährlichen Subjekten, welche der Zorn stets bloß macht. Meine Augen waren entschieden blau, was man auch jetzt dagegen sagen mag, und der ganze Ausdruck meines Gesichtes trug einen mädchenhaften, obschon nicht gerade weichen Charakter. Meine Züge waren stets der Sitz irgend eines Gefühls oder einer Leidenschaft, und ich gewann durch meinen weiblich zarten Teint ein Aussehen von konstitutioneller Weichheit, die ich in Wirklichkeit nicht besaß. Ich war entschieden ein sehr schönes Kind – ein Kind, wie geschaffen, um die Liebe einer Mutter zu entzünden und zu erwiedern, obgleich mir die mütterliche Zärtlichkeit nicht zu Theil werden sollte. Dagegen war ich der zärtlichen Schonung einer Anzahl von männlichen Wesen preisgegeben, von denen Viele meine Lebhaftigkeit zügelten, meinen Geist demüthigten und mein Fleisch grausam zerfetzten. Mütter! wißt ihr, wie wenig Jahre des Glücks dem längsten und glücklichsten Leben zugewiesen sind? Verbittert daher nicht den größten Theil derselben, der in den Spielen unschuldiger Kindheit liegt, dadurch, daß ihr eure Kinder den Miethlingen und Fremden preisgebt. Wenn ihr euch von denselben trennen müßt, so laßt sie wissen, daß sie dennoch eine Heimath haben – nicht einen Ort, bestehend aus Mauern, Dächern, männlichen und weiblichen Dienstboten; alles dies macht noch nicht die Heimath aus. Die wahre Heimath des Kindes sind die Arme der Mutter.

Ich verweile so besonders lange bei meinen Schuljahren, um ernstlich den Leser auf die seltsamen Ereignisse vorzubereiten, welchen er in der Folge begegnen wird, und zweitens (was bei Weitem die wichtigste Rücksicht bildet, da ich Glauben zu finden hoffe und dessen auch sicher sein darf, wenn anders die Wahrheit Glauben verdient), um die Eltern zu warnen, damit sie ja den prunkhaften Ankündigungen der Schulmeister nicht unbedingtes Vertrauen schenken, sondern zuvor mit geduldiger Sorgsamkeit alle Einzelnheiten der Anstalt prüfen, da sie sich sonst leicht an einer Reihe von Grausamkeiten mitschuldig machen können, welche den Geist ihrer Kinder knicken und vielleicht das Leben derselben abkürzen. Leider erliegen die hoffnungsvollsten Gemüther am frühesten den nachtheiligen Wirkungen einer zu strengen Disciplin, während ein phlegmatischer, geistesarmer Sinn leicht den Zustand der Heimsuchung durchmacht. Der schlimme Thau, der die Rose zerstört, geht stets unschädlich über die zähen, am Boden liegenden Unkrautranken weg.

Ich blieb beinahe drei Jahre in Mr. Roots Schule und will jetzt jene denkwürdige Periode in drei gesonderte Epochen abtheilen – in die der Trostlosigkeit, in die des Enthusiasmus und in die der Lüge. Nachdem ich durch grausame Züchtigung auf's Krankenlager geworfen worden war, mußte ich wenigstens sechs Wochen das Zimmer hüten, und in meiner Convalescenz äußerte der Arzt in nicht unverständlichen Ausdrücken gegen Mr. Root, wenn mir nicht die zarteste Behandlung zu Theil werde, könne ich leicht mein Leben verlieren – eine Aussicht, die allerdings sehr unwesentlich für Mr. Root gewesen wäre, hätte sich nicht die mathematische Gewißheit daran geknüpft, daß ihm dadurch zugleich ein guter Schüler entging: natürlich ein »guter Schüler« im Sinne des Schulmeisters, das heißt einer, für den gut bezahlt wird, und ohne Zweifel war ich sein allerbester. Man lehrte mich Alles – wenigstens sagten so seine Empfehlungskarten; er sorgte in allen Stücken für mich, und auch während der Ferien mußte ich in seinem Hause bleiben. Obgedachtem Winke zu Folge hörte er auf, seine grausamen Aufmerksamkeiten auf mich überzutragen; dagegen aber vernachlässigte er mich in einer Weise, die kaum weniger grausam war. Die Knaben erhielten den gemessensten Befehl, mich ungeschoren zu lassen, und gehorchten. Ich fand mich daher trotz der großen Umgebung allein.

Ein Gefühl von Verlassenheit bemächtigte sich meines jungen Geistes. Ich war matt und sank dahin wie der erschöpfte Vogel, der sich weit, weit draußen in der See auf ein Schiff niederläßt. Wie jenes arme Thierchen seine Flügel hängt und in friedliches Vergessen sinkt, hätte ich meine Arme falten und mich niederlegen können, um mit Freude zu sterben. Mein Herz verzehrte sich in heißer Sehnsucht nach einem Wesen, das ich lieben konnte, und härmte sich ab, weil es keinen Gefährten fand, um mit demselben im Einklange zu schlagen. Wie die Rebenranke sich dahin und dorthin windet, um für den Schmuck, den sie verleiht, eine Stütze einzutauschen, so erschöpfte sich meine jugendliche Thatkraft in vergeblichem Suchen nach Mitgefühl. Ich hatte nichts, was mich liebte, obgleich ich Vieles geliebt haben würde, wenn es mir gestattet worden wäre. Es waren viele anziehende Gesichter unter meinen Schulkameraden, denen ich mich mit sehnenden Blicken und einem thränenvollen Auge zuwandte. Wie knechtisch war ich bemüht, mir Aufmerksamkeit und einen freundlichen Blick zu erwerben! Ich hatte nichts zu geben, um die Liebe zu bestechen, als Dienstleistungen; aber diese wurden entweder zurückgewiesen, oder vielleicht mit Verachtung angenommen. Ich war der einzige Paria unter einer Zahl von zweihundertundfünfzig. Es haftete etwas Zweideutiges und Geheimnißvolles an mir, und der Schulmeister hatte mich durch sein Verbot völlig aus den Grenzen der Geselligkeit verwiesen. Mit Gleichgültigkeit ließ ich mich nun von den Unterlehrern über meine Aufgaben abhören – wenn ich mich schlecht aufführte, blieb ich unbestraft, im andern Falle aber unbeachtet. Mein Geist erlag mehr und mehr, und ich begann um die gefährliche Gönnerschaft der Dienstboten zu buhlen. Sie pflegten mich von dem Spielplatze abzurufen, der mir keine Freude bot, schickten mich aus oder übertrugen mir irgend einen leichten Dienst. Zu alle dem sah der Schulmeister durch die Finger, und was die Schulmeisterin betraf, so schien ihr auch nicht ein einzigesmal einzufallen, daß ich überhaupt nur vorhanden war. Mr. Root hatte augenscheinlich gegen diesen Stand der Dinge nichts einzuwenden, denn aus Rückficht für das Geld, das ihm für meine Erziehung bezahlt wurde, genehmigte er es in Gnaden, daß ich das Amt seines Küchenjungen versah. Ehe ich jedoch in diesen knechtischen Dienstleistungen völlig heruntergekommen war, trat ein glücklicher Umstand ein, der meinem Küchenamte ein Ende machte. Zu Mr. und Mrs. Roots großer Ueberraschung, da sie sich zu etwas der Art nie versehen hätten, erschien eines Tages eine Dame, welche mich zu sehen wünschte. Was zwischen den Partieen vorging, ehe ich in das Besuchzimmer gebracht wurde, weiß ich nicht, wohl aber erinnere ich mich noch, daß zuvor einige einleitende Abwaschungen beliebt und meine Kleider gewechselt wurden. Als ich eintrat, fand ich, daß es die »Dame« war. Sie war sehr reich gekleidet, und ich meinte, ich hätte nie zuvor etwas Schöneres gesehen. Der Auftritt, der nun stattfand, war ziemlich auffallend, weshalb ich ihn in seinem ganzen Umfang schildern will.

Da ich mich streng an die Wahrheit halten wollte, so sah ich mich genöthigt, bisher fast ausschließlich die Form einer fortlaufenden Erzählung zu wählen, ohne jene großen Geschichtsschreiber nachzuahmen, welche ihren Königen und Generalen lange Reden in den Mund legen, die ohne Zweifel für die Gelegenheiten recht gut passen mochten, aber doch in einem gewissen Punkt mangelhaft sind – ich meine den, daß sie nicht gehalten wurden. Mein bisheriger Bericht beschränkt sich bloß auf Thatsachen und Eindrücke, weil es mir unmöglich sein würde, die gesprochenen Worte in's Gedächtniß zurückzurufen. Indeß wirkte doch jene Zusammenkunft so auffallend auf meine junge Einbildungskraft, daß ich mich vieler Reden und des Wesentlichen aus dem Gespräche vollkommen erinnern kann. Auf dem Tische standen Wein und Kuchen, und die Dame sah ein wenig verwirrt aus. Mr. Root bot der Kraft von vierzig Chesterfielden auf, um ja recht liebenswürdig zu erscheinen. Mrs. Root war sehr unruhig. Als ich schüchtern an der Thüre erschien, hielt mir die Dame ihre zarte weiße Hand entgegen und sagte, ohne aufzustehen:

»Komm' zu mir her, Ralph; kennst du mich nicht?«

Ich vermochte nicht weiter als in die Mitte des Zimmers vorzutreten, wo ich stehen blieb und in einen Strom von Thränen ausbrach. Jene süßen Töne von Zärtlichkeit – die ersten, die ich in neun Monaten gehört hatte – zuckten wie Feuer durch meinen ganzen Körper. Es war ein so ergreifendes Gefühl, daß ich es einen Segen hätte nennen mögen, wenn sich nicht das Bewußtsein meines elenden Zustandes verknüpft haben würde.

»Gütiger Gott!« sagte sie tief ergriffen; »mein armer Knabe, warum weinst du?«

»Weil – weil Ihr so gut seid,« versetzte ich, mit ausgebreiteten Armen auf sie zustürzend und zu ihren Füßen auf meine Kniee niedersinkend, wo ich mein Antlitz in ihrem Schooße begrub, und mich trotz meines Schluchzens überglücklich fühlte. Sie beugte sich über mich hin und ihre Thränen träufelten auf meinen Nacken nieder. Dies währte nicht lange. Sie richtete mich auf und küßte mich, während sie mich an ihre Seite zog, auf Wangen, Augen und Stirne. Ihr Antlitz wurde bald wieder heiter; dann wandte sie sich an den Schulmeister und sagte ruhig:

»Das ist doch sehr eigen, Sir.«

»Ja, Ma'am, Master Rattlin ist ein ganz eigener Knabe, wie es bei allen gescheiten Kindern der Fall ist. Er kann bereits seine fünf Deklensionen und die vier Konjugationen, Aktivum und Passivum. Na, Master Rattlin, deklinire der Dame das Adjektivum felix – komm', fange an: Nominativ – hic et haec et hoc felix

»Ich weiß nichts davon,« entgegnete ich stöckisch.

»Ich sagte Euch's ja, daß er ein eigener Knabe sei,« nahm der Pädagog, mit einem sehr ungeschickten Versuche zu lächeln, wieder auf.

»Das Sonderbare, das ich meine, besteht darin,« versetzte die Dame, »daß er eine wohlwollende Behandlung so auffallend findet.«

»Wohlwollende Behandlung? Gott behüte mich, liebe Madame,« entgegneten Beide zumal; »Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie gerne wir das liebe kleine Wesen haben.«

»Erst gestern,« fuhr Mrs. Root fort, »sagte ich der Gattin des Herrn Aldermann Jenkins – wir haben die fünf Jenkinse in der Anstalt, Ma'am – daß Master Rattlin der süßeste, gentilste und schönste Knabe in der ganzen Schule sei.«

»Auch habe ich erst gestern gegen Doktor Duncan (unsern schätzbaren Rektor, Madame) geäußert,« fügte Mr. Root bei, »Master Rattlin habe ein so ungemeines Talent gezeigt, daß wir gelegentlich das Größte von ihm erwarten dürfen. Er befindet sich noch keine zehn Monate in der Anstalt, und doch ist er bereits im Phädrus – in der Regel-de-tri – und der französische Sprachlehrer gibt ihm das schönste Zeugniß. Allerdings hat er noch nicht mit dem Sprechen angefangen, aber doch sind seine Fortschritte im Französischen ganz unbegreiflich. Monsieur le Gros dringt nämlich darauf, daß seine Zöglinge zuerst durchaus Meister der Sprache werden, ehe er auf die Konversation übergeht. Und sein Tanzen, meine theure Madame – oh, es würde Euerm Herzen wohlthun, ihn tanzen zu sehen. Diese Anmuth, diese Schwungkraft und dieses Geschick in seinen Bewegungen –«

Es trat eine Pause ein, worauf Beide mit einem lange gedehnten, sentimentalen Seufzer ausriefen:

»Und wir Beide haben ihn so gar gern!«

»Es freut mich, so viel Gutes von ihm zu hören,« versetzte die Dame. »Ich hoffe, Ralph, daß du Mr. und Mrs. Root gleichfalls liebst, da sie so freundlich gegen dich zu sein scheinen.«

»Nein, ich liebe sie nicht.«

Mr. und Mrs. Root erhoben ihre Hände mit flehentlicher Geberde gen Himmel.

»Mich nicht lieben!« riefen sie gemeinschaftlich in einem so beweglichen Tone tief empfundener Ueberraschung und des verletzten Gefühles, daß sie zuverlässig ihr Glück als sentimentale Schauspieler gemacht haben würden.

»Komm' her, junger Herr,« sagte Mr. Root. »Sieh' mir voll in's Gesicht. Du bist zwar ein eigener Knabe, aber doch glaubte ich in der That, daß du mich liebtest. Fürchte dich nicht, Ralph, denn ich möchte dir um keinen Preis wehe thun; du weißt, ich habe dir nie ein Leides zugefügt. Nun sage mir, mein lieber Knabe,« er ging allmälig vom Schrecklichen in's Zarte über, »sage mir, mein lieber Knabe, warum du dir einbildest, daß du mich nicht gerne hast. Ihr seht, Madame, daß ich die Aufrichtigkeit ermuthige und zu allen Zeiten darauf sehe, die Knaben ihre Herzensmeinung aussprechen zu lassen. Warum liebst du mich nicht, mein guter Ralph?«

Dabei zwickte er mich heftig in die Ohren, that es aber doch in einer Weise, daß es in den Augen der Dame nur wie ein gnädiger Scherz erschien, indem es für mich selbst einen sehr verständlichen Wink abgab. Ich blieb stumm.

»Nun, Ralph, sprich dich offen aus. Gewiß, Niemand wird dir etwas dafür zu Leibe thun. Warum liebst du Mr. Root nicht?« sagte die Dame.

Ich schämte mich, von der Ruthe zu sprechen, und betrachtete die später mir zu Theil gewordene Vernachlässigung als eine Gunst. Ich wußte wohl, daß ich ihn von ganzem Herzen haßte, aber nicht, was ich sagen sollte, weßhalb ich zu stottern anfing, bis ich endlich den unglücklichen Satz herausbrachte:

»Weil er eine so häßliche, garstige Stimme hat.«

Mr. und Mrs. Root brachen in ein langes, augenscheinlich für geraume Zeit nicht unterdrückbares Gelächter aus. Als sich dies endlich einigermaßen legte, rief der Schulmeister:

»Da haben wir's, Madame; sagte ich Euch's nicht, daß er ein eigener Knabe sei? Komm' her, du kleiner Schalk. Ich muß dir für deine Drolligkeit einen Kuß geben.«

Das Ungeheuer zog mich zu sich heran, und als sich sein Gesicht dem meinigen näherte, sah ich einen wahren Wolfsblick in seinen Augen, so daß ich fürchtete, er wolle mir die Nase abbeißen. Die Dame nahm durchaus nicht Theil an dieser Scherzhaftigkeit, und da es schwer ist, Jovialität ganz auf eigene Kosten zu bestreiten, so fing die Partie an, ziemlich trübselig zu werden. Was ich unwillkürlich über die Stimme meines Schulmeisters gesagt hatte, war eigentlich Wermuth für ihn. Sie war lange die Zielscheibe für die Witzeleien seiner Bekannten gewesen, und was nun folgte, sollte ihm das noch unerträglicher machen, was ihm vorher schon bitter genug war. Der Besuch stellte viele Fragen, und die Antworten schienen die Dame weniger und weniger zu befriedigen. Ihre Miene wurde bekümmert, bis endlich ein plötzliches Licht ihr Antlitz überstrahlte und sie nun in höflichem, freundlichem Tone Mr. Roots eigene Kinder zu sehen wünschte. Mr. Root machte ein Schafsgesicht und Mrs. Root blickte bekümmert drein. Der schale und abgedroschene Witz, ihre Familie sei so groß, daß sie sich der Zahl von zweihundert und fünfzig rühmen könnten, fiel geistlos zu Boden, und abermals überflogen die Schatten der Täuschung, ja sogar der Trostlosigkeit die Züge der Dame.

»Wo warst du, Ralph, als ich kam?« fragte sie. »Ich mußte lange auf dich warten.«

»Man wusch mich und legte mir meinen zweitbesten Anzug an.«

»Aber warum wurdest du zu dieser Tageszeit gewaschen – und warum kleidetest du dich anders?«

»Weil ich meine Hände und mein anderes Gewand beschmutzt hatte, als ich den Thekessel in Mr. Matthews Zimmer hinauftrug.«

Mr. und Mrs. Root erhoben abermals erstaunt ihre Hände.

»Und wer ist Mr. Matthews?« fuhr die Dame fort.

»Der zweite lateinische Lehrer; er wohnt in der Dachstube und liegt krank zu Bette.«

»Woher hast du den Theekessel genommen?«

»Aus der Küche.«

»Und wer gab ihn dir?«

»Molly, eines von den Mädchen.«

Ueber diese Enthüllung gerieth Mr. Root in den größtmöglichen Zorn – und da wir die Redefigur lieben, welche man einen Climax nennt – Mrs. Root in einen noch viel größeren. Sie wollten die Dirne augenblicklich aus dem Hause jagen, wollten dies und jenes thun – bis endlich die Dame sie mit ruhigem Ernste bat, überhaupt gar nichts zu thun.

»Ich sehe, es ist hier ein Irrthum vorgegangen,« sagte sie. »Es ist nichts so gar Unrechtes, und liegt auch keine Schande für Ralph darin, daß er seinem kranken Lehrer dienstfertig an die Hand geht, und wenn er auch in einer Dachstube liegt. Es ist mir sogar lieb, wenn sein Mitgefühl für die Leiden Anderer ermuthigt wird; denn Gott weiß, es gibt in dieser Welt der letzteren nur zu viel, und des ersteren viel zu wenig. Freilich bin ich der Ansicht, daß es eine weniger herabwürdigende Methode geben dürfte, dem Kranken Aufmerksamkeit zu erweisen: doch wir wollen dies bewenden lassen, da ich weiß, es wird nicht wieder vorkommen. Ihr seht, Mr. und Mrs. Root, daß dieses arme Kind von sehr zarter Konstitution ist; er ist freilich stark gewachsen – viel mehr, als ich erwartete, oder wünschte – aber er scheint schüchtern und niedergeschlagen zu sein. Ich lebte in der Hoffnung, daß Ihr selbst auch mit einer Familie gesegnet seid: eine Mutter kann der andern vertrauen. Wenn ihr aber auch nicht Eltern seid, so habt ihr doch Elternliebe kennen gelernt. Ich zweifle nicht, daß ihr die Kinder liebt – (›O sehr‹, lautete die Antwort des Ehepaars in einem Athem) – sonst würdet ihr euch nicht diesem Berufe zugewendet haben. – Ich bin die Pathe dieses Knaben und fürchte leider, daß kein näherer Verwandter erscheinen wird, um seine Ansprüche an ihn geltend zu machen. Er hat keine Mutter, Mrs. Root, wenn Ihr nicht diese Stelle übernehmen wollt; und ich beschwöre Euch, Sir, laßt den Vaterlosen in dem Lehrer einen Vater finden. Behandelt ihn nur ein Jährchen oder zwei mit Wohlwollen, und ich will getrost zu der Vorsehung aufblicken, daß sie für das Uebrige Sorge trage. Obgleich ich es nicht liebe, das Quäkerthum auf die Bühne zu bringen, so möchte ich doch so eindringlich als möglich zu euch sprechen, da vielleicht leider mehr als ein Jahr entschwinden wird, ehe ich diesen armen Knaben wieder sehen kann. Ich beschwöre euch deßhalb, sorgt für seine Gesundheit und für seinen Frohsinn. Erlaubt mir nun, Euch Lebewohl zu sagen, da ich noch einige Worte des Abschieds an mein Pathchen zu sprechen wünsche, und sollte ich um seiner Mutter willen über ihn weinen, so wißt ihr, daß sich eine Dame nicht gern mit rothen Augen sehen läßt.«

Die Zartheit dieses matten Versuchs zu einem Scherze ging ganz an dem schulmeisterlichen Paare verloren. Sie nahmen die Worte buchstäblich und Mr. Root begann zu rufen:

»Ah du mein Himmel – ja – Wasser!«

Uebrigens traten sie doch ab und ließen mich mit der Dame allein. Sie nahm mich auf ihren Schooß, und wir umarmten uns gegenseitig mit Innigkeit. Dann klingelte sie nach Molly. Sie redete freundlich mit dem Mädchen, ohne jedoch Fragen an sie zu thun, welche ihre Dienstherrschaft bloßstellen konnten, und gab ihr dann eine halbe Guinee mit dem Auftrage, unter dem großen Haufen auf mich Acht zu haben und mich ja nicht wieder in die Küche kommen zu lassen, was sie als einen besondern Beweis von des Mädchens Dankbarkeit fordere. Außerdem versprach sie das Geschenk zu verdoppeln, wenn sie bei ihrem nächsten Besuche finde, daß ihrem Wunsche willfahrt worden sei. Das Mädchen war sowohl in Folge des Benehmens der Dame, als um der Gabe willen augenscheinlich sehr ergriffen, und entfernte sich mit einem Knixe. Auch muß ich ihr nachsagen, daß sie, so lange sie an der Schule war, dem Wunsche meiner Pathin pünktlich entsprach.

*

 


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