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Siebenundfünfzigstes Kapitel

Die neunschwänzige Katze bringt ein Geschichtchen an's Licht, das für Ralph sehr ärgerlich ist. – Die Fabel von den drei Krähen überboten. – Einer versprochenen ornithologischen Abhandlung wird ein plötzliches Ziel gesteckt, weil sich die Zweiflügler in bloße Zweifüßler umwandeln.

————

Sobald der arme Tropf in Haft gesetzt war, schickte er nach mir. Er fürchtete sich über die Maaßen, betheuerte wieder und wieder seine Unschuld und erklärte, daß er unter dem ersten Hiebe sterben werde; er sei nur aus Liebe zu mir an Bord des Kriegsschiffs gekommen und beschwöre mich daher um unserer Schulkameradschaft willen – ja, bei Allem, was ich liebe und was uns heilig sei, ihn von der Laufplanke zu retten. Er bearbeitete meine Nachgiebigkeit und ich versprach, meinen ganzen Einfluß aufzubieten, um ihm Verzeihung zu erwirken. Ich begab mich zu Mr. Farmer, aber alle meine Bemühungen verblieben fruchtlos. Der Schuldige verbrachte eine schlaflose Nacht in wahren Todesängsten. Ehe er zur Auspeitschung herausgebracht wurde, war Mr. Pigtop schon vollständig gerächt.

Die Vorbereitungen sind getroffen, die Matrosen aufgeboten und Josua Daunton wird in einem fast ohnmächtigen Zustande von den zwei Schiffskorporalen heraufgebracht; ein Dritter entkleidet ihn, denn er ist viel zu gelähmt, um es selbst thun zu können. Die Offiziere befinden sich am Rand des Halbdecks und die Seesoldaten stehen auf der Laufplanke unter dem Gewehr. Kapitän Reud schießt finstere Blicke, und auch die in der Regel leidenschaftslosen Züge des ersten Lieutenants bekunden Zorn. Schaudernd trete ich nach vorn und blicke hinunter. Die unstäten Augen des erschreckten jungen Menschen treffen im Nu, was sie höchst wahrscheinlich suchten – nämlich mich.

»Ralph Rattlin, legt ein Fürwort für mich ein bei dem Kapitän.«

Die Worte waren an sich einfach, wurden aber im Tone des ergreifendsten Nachdrucks ausgesprochen. Sie machten mich stutzig – ich meinte, die Stimme zu kennen: sie klang nicht wie die Stimme Josua Dauntons, des boshaften Schalks, der uns alle so wissenschaftlich gequält hatte, sondern wie die eines lieben, lang vergessenen Freundes.

»Ralph Rattlin, legt ein Fürwort für mich ein bei dem Kapitän – dies darf nicht geschehen.«

»Aber es soll geschehen, bei Gott,« rief der zornige Kreole.

»Kapitän Reud,« sagte ich, »laßt Euch nur dieses einzigemal erbitten.«

»Hochbootsmannsmate –«

»Oh, Kapitän Reud, wenn Ihr wüßtet, welche seltsame Sympathie –«

»Die Diebskatze.«

»In der That, Sir, seit er an Bord ist, hat er nie gestohlen –«

»Mr. Rattlin, noch ein Wort und Ihr geht nach dem Stengenkopfe. Tretet zurück, Mr. Stebbings – Douglas soll ihm das erste Dutzend aufzählen.«

Dieser Douglas war ein stämmiger, grobknochiger Hochbootsmannsmate, der linkhandig peitschte, und im Anlegen der neunschwänzigen Katze einen so eigenthümlichen Schwung hatte, daß jeder Knoten Fleisch mit sich nahm und bei jedem Schlage das Blut aus den Wunden sprudelte, wie bei Anwendung der Lanzette. Auch wurde die Qual dadurch verdoppelt, daß der erste Peitscher die Hiebe in einer Richtung führte, während sie von den späteren, rechthandigen Urtheilsvollstreckern in einer andern gekreuzt wurden und so die Haut in Rauten zerschnitten.

Ich sah dem Kapitän in's Gesicht, aber da war kein Erbarmen; ich blickte nach unten – auch dort war fast eben so wenig Leben. Nachdem der linkhandige Schotte seinen sehnigen Arm entblößt und seine Entfernung abgemessen hatte, um jetzt zum Schlage auszuholen, murmelte Daunton:

»Ralph Rattlin, ich kenne Euren Vater! Verhütet, daß Euer eigenes Blut in mir entehrt werde.«

»Diese Stimme! – Nein, die Katze soll zuerst mich treffen!« rief ich und wollte eben in die Kuhl hinunterspringen, um ihn mit meinen Armen zu decken. Die neben mir stehenden Offiziere hielten mich jedoch zurück und der Kapitän brüllte: »Er soll ein weiteres Dutzend für seine unverschämte Lüge haben – Hochbootsmannsmate thut Eure Pflicht.«

Die schreckliche Peitsche fiel, gleich zornigen Skorpionen, auf das weiße, zuckende Fleisch, und das Blut spritzte nach. Es war ein rachgieriger Streich, dem ein langer, lauter, schriller Schrei folgte. Aber ehe der zweite Hieb niedersank, fiel der Kopf des Gequälten plötzlich auf die rechte Schulter, und eine Bleifarbe verbreitete sich schnell über Gesicht und Brust.

»Er ist todt,« sagten die Umstehenden in halblautem Tone.

Der Arzt befühlte seinen Puls, legte die Hand auf die Brust, um nach dem Pochen des Herzens zu suchen, schüttelte den Kopf und bat, man möchte den Delinquenten losbinden. Man brachte ihn nach der Krankenstube, und der Doktor zweifelte lange an seinem Wiederaufkommen, bis es ihm endlich mit großer Mühe gelang, ihn wieder in's Leben zu rufen. Die Sache verhielt sich nämlich so, daß ihm nicht die Peitsche, sondern die Angst fast den Tod gebracht hatte.

Auch ich fühlte mich unaussprechlich elend. Die Worte, welche Daunton auf der Laufplanke gesprochen und das seltsame Interesse, das ich an ihm genommen hatte, gaben Anlaß zu Vermuthungen, die, wie ich wohl fühlte, nicht zu meinen Gunsten waren. Er hatte selbst erklärt, daß er von meinem Blute sei, und sowohl Offiziere als Mannschaft deuteten sich den Ausdruck dahin, als habe er sich für meinen Bruder bekannt. Zum erstenmal behandelte man mich jetzt mit Kälte, und ich fühlte, daß ich gemieden würde. Ein solches Benehmen ist herzzerschneidend und wird nur zu oft verhängnißvoll für ein junges, stolzes Herz, das wohl entrüstet gegen Unbill ankämpfen kann, aber in vorsichtiger, höflicher Verhöhnung und Vernachlässigung dahinwelken muß. Ich versank in nachhaltigen Kleinmuth. Dieser verwünschte Josua hatte zuerst meinen äußeren Menschen völlig zu Grunde gerichtet, und nun drohte meinem innern durch sein Benehmen, vielleicht auch durch seine Machinationen, große Gefahr. Man mied mich mit studirter Geringschätzung, um so mehr, da meine Tischgenossen stets den Spötteleien des Kapitäns und der übrigen Offiziere ausgesetzt waren, obschon meine Kameraden einstimmig der Ansicht waren, daß Meister Josua eigentlich gehangen werden sollte, in so ferne, was jetzt augenscheinlich sei, ihre Kleider nur durch seine Bosheit und seine chemischen Experimente zu Grunde gerichtet wurden. Sie Alle sehnten sich mit Ungeduld nach seiner Wiedergenesung, damit sie Zeuge sein könnten, wie Master Rattlins älterer Bruder den Rest seiner sechs Dutzend erhalte.

Ich glaube wahrhaftig, daß ich, je näher ich dem heimathlichen Ufer kam, in immer größere Niedergeschlagenheit versank, die vielleicht in melancholischen Wahnsinn ausgeartet sein würde, hätte nicht eine spornende und sehr gesunde Kränkung meine moralische Thatkraft und meinen halbbegrabenen Stolz wieder geweckt.

Auf der Heimfahrt wurden Kapitän Reuds geistige Verirrungen weniger häufig, wenn sie aber eintraten, nur um so überspannter. Er war fieberig, reizbar und grausam. Obgleich er mich nie hart anredete, so sprach er doch weit seltener mit mir. Seit langer Zeit hatte ich nicht mehr bei ihm gespeist, da er die geheimnißvolle Zerstörung meiner Garderobe für eine vollgültige Entschuldigung nahm; auch war er bei einer Gelegenheit so weit gegangen, mir auf's Zarteste eine Partie Leibweißzeug zum Geschenke zu machen, das unter Josua's sorgfältiger Obhut wie das Uebrige zu Grunde ging. Nachdem aber diese sehr furchtsame Person meine Verwandtschaft in Anspruch genommen hatte, las ich keine Berücksichtigung mehr in Reuds Blicken, und so oft er mich anredete, geschah es im Tone verächtlicher Härte, die zu jeder andern Zeit meine Gefühle verletzt haben würde, obschon sie mich damals nur wenig anfocht, weil ich mich für nichts interessirte.

Wenn ich sage, daß unsere Kleider nur noch in Lumpen bestanden, so darf der Leser die Worte nicht gerade buchstäblich nehmen. Da wir unsere Kleidungsstücke von dem Zahlmeister nahmen, brachten wir's unter Beihülfe des Schiffsschneiders dahin, daß wir ohne wirkliche Löcher in unserem Anzug auf dem Halbdecke erscheinen konnten. Dennoch waren wir ganz grotesk gekleidet, denn die Nachahmung unserer schmucken Uniform nahm sich schändlich aus und unsere Hüte befanden sich in einem kläglichen Zustande: sie waren mit Oelflecken besudelt, zerknüllt, genäht und formlos oder, besser gesagt, vielformig. Wie heillos außerdem auch unsere Ausstattung war, so hatten wir deren noch obendrein nicht einmal genug.

Eines Morgens, als wir uns mit unserem Convoy dem Eingange des Kanals näherten, trafen wir mit einer Fregatte, einem von Seiner Majestät Kreuzern, zusammen. Ich ging theilnahmlos auf dem Gange, das heißt, auf jenem Theile des Deckes hin und her, welcher das Halbdeck von dem Vorderkastell trennt. Kapitän Reud war mit den meisten seiner Offiziere oben; sie sehnten sich, Neuigkeiten von England zu hören und wieder eine englische Zeitung zu Gesicht zu bekommen. Die Schiffe näherten sich einander auf Rufweite, und nach den gewöhnlichen Fragen wurden drei oder vier mit Musketenkugeln beschwerte Zeitungen an Bord geworfen. Zwischen den Kapitänen beider Fregatten fand folgende Zwiesprache statt:

»Ich wünschte, Ihr ließet Euer Beischiff nieder und kämet zu einem Lunche an Bord,« begann Kapitän Reud die Unterhaltung.

»Wenn Ihr's befehlt, muß ich natürlich Folge leisten.«

»Oh, nicht doch! – ich will nicht das breite Kommodorewimpel aufhissen, wünsche aber von Herzen, daß Ihr kommen möchtet. Wir können unter Gemachsegeln weiter fahren.«

»Aber in der That, Kapitän Reud, die See geht etwas hoch – und seht Ihr nicht Mutter Carey's Küchelchen in Eurem Sterne?«

Aus einer eigentümlichen Geberde und einem seltsamen Aufziehen seiner Nase bemerkte ich, daß der Geist des Unfugs oder des Wahnsinnes den armen Reud überwältigte. Die kranke Saite war berührt worden. Er grinste, focht mit seinem Sprachrohre, stieß die Mundöffnung desselben dem ersten Lieutenant in die Rippen, wofür er mit sehr gentlemanischer Miene um Verzeihung bat, schwang es dann sausend, daß es die Nasenspitze des Seesoldatenoffiziers blutend streifte, brachte es wieder an den Mund und fuhr fort –

»Da Ihr eben von Mutter Carey's Küchelchen sprecht, Kapitän Reeves, so denke ich, daß ich Euch doch noch an Bord verlocken werde. Ich habe sieben so merkwürdige Vögel in meinem Schiff, wie nur je ein Naturforscher welche gesehen hat.«

»Habt Ihr wirklich?« versetzte Kapitän Reeves, der sich selbst für einen großen Naturforscher hielt. »Pfeift die Beischiffe weg – ich werde im Augenblick bei Euch sein, Kapitän Reud. Bitte, darf ich fragen von welchem Genus?«

»Vom genus corvus,« antwortete Reud und sprang von den Hängemattennetzen nieder. »Schickt alle junge Gentlemen, just wie sie sind, in meine Kajüte. Sie sollen Alle heraufkommen – auch der Mate des Unterdecks – da ist Mr. Rattlin auf dem Gange.«

Einem Befehle an Bord eines Kriegsschiffes folgt stets der Gehorsam auf dem Fuß. Lange bevor Kapitän Reeves an Bord kam, standen wir sieben erbärmlich aussehende, halbverhungerte Reffer Seite an Seite in der Vorderkajüte, während der Steward und die Diener die Tafel mit allem Zugehör eines herrlichen Lunchs überluden.

»Was mag der Kapitän von uns wollen?« fragte der Eine.

»Uns zum Lunche bitten.«

»Pah! – Aber wie könnt Ihr in einer solchen Figur heraufkommen, Pigtop?«

»Seid nur Ihr ruhig, Staines, damit nicht der Kessel dem Topfe einen Vorwurf mache.«

»Ich will Euch sagen, was ich mir denke,« bemerkte ein Anderer; »der Kapitän ist im Begriffe, sich unsers ganzen Haufens als einer schlimmen Waare zu entäußern. Aber ich will nach England – ich gehe nicht.«

»Auch ich nicht.«

»Ja, meine theuren Freunde,« bemerkte ich; »so wahr wir als ein zerlumptes Refferregiment hier stehen, an dem sich sogar des Schwappwaschers Gehülfe schämen würde, er will uns mit allen unsern Vollkommenheiten dem Kapitän Reeves vorstellen.«

»Wenn ich dies dächte, würde ich Reißaus nehmen.«

»Reißaus?« versetzte Pigtop; »da möchte ich lieber jenem Huhne die Keule ausreißen.«

»Gesagt, gethan,« bemerkte ein Anderer, sich der verlockenden Delikatesse nähernd; denn der Steward und die Diener hatten die Kajüte verlassen, um ihre Vorbereitungen zu vervollständigen.

»Halt – wir dürfen nicht stipitzen. Das ist einer von Reud's Schwänken – ich glaube, daß ich zum Lunche des Kapitän eingeladen wurde. Mr. Pigtop, wollt Ihr Platz nehmen? – das heißt, wenn Ihr gleichfalls eingeladen zu sein glaubt – Ihr wißt, das ist Gewissenssache.«

»Ich glaube, eingeladen zu sein.«

»Und ich bin überzeugt davon.«

»Gut, wir haben keine Zeit zu verlieren – an unsere Plätze, Gentlemen. Himmel! sie kommen – das heißt, die übrigen Gäste kommen. Erlaubt mir in der Abwesenheit unseres wackeren Kommandeurs seine Gesundheit mit dreimal drei Hurrahs auszubringen!«

Kapitän Reud, Reeves und unser erster Lieutenant traten in demselben Augenblick ein, als wir Alle mit geleerten Gläsern dastanden. Die Stellung der drei Gentlemen bei ihrem Eintritte war eigentlich theatralisch. Mr. Farmer hatte sein Lachen unterdrückt, indem er die Hand vor den Mund hielt; Kapitän Reeves sah äußerst possirlich und sehr verlegen aus, während Kapitän Reud, unser unschätzbarer Kommandeur, eine eigentlich schreckliche Miene machte. Die Unverschämtheit überstieg seine ganze Fassungskraft. Seine wilden Blicke beunruhigten meine Tischgenossen so sehr, daß sie wie ein Häuflein besiegter Hähne von dem Tische wegschlichen. Ich selbst war eben damals in einer Stimmung, die mich nichts fürchten ließ und gleichgültig gegen Alles machte. Statt mit einem Danke für die Ehre, die man ihm in seiner Abwesenheit erwiesen hatte, zu beginnen, fand der Ausbruch folgendermaßen statt:

»Ha, Rattlin« – ich stand noch bei dem Glase, das ich eben geleert hatte, verbeugte mich und behauptete meine Stelle – »ihr Schurken! – wie könnt Ihr es wagen – wie könnt Ihr Euch unterstehen, meinen Wein zu stehlen?«

»Sir, ich stehe hier als Euer Gast und warte darauf, daß Ihr mich Platz nehmen heißt. Ich bin in der Meinung hieher gekommen, daß ich zum Lunch nach der Kajüte gebeten sei. Es kommt selten vor, daß so viele Midshipmen sich bei der Tafel ihres Kapitäns zusammentreffen, ohne daß ein anderer Offizier gegenwärtig ist. Die Lage war neu. Ich hoffe, Kapitän Reud, daß Ihr sie nicht unangenehm machen werdet. Wir ergriffen die goldene Gelegenheit, um mit Wärme und den gebührenden Ehren in Eurer Abwesenheit Eure Gesundheit zu trinken. Ich für meine Person bin mir keiner Verfehlung bewußt, wenn nicht etwa allzugroße Liebe zu meinem Kommandeur dafür gedeutet wird. Was meine Tischgenossen von ihrem Benehmen denken mögen, daß sie von Eurer Tafel zurückweichen, weiß ich nicht zu sagen. Bis jetzt fühle ich mich nicht unwürdig, einen Platz an derselben einzunehmen. Wenn daher in Betreff der Einladung ein Irrthum stattfand, so will ich mit Freuden wieder abtreten.«

Während dieser meiner keckstirnigen Rede, der Wirkung meiner gänzlichen Gleichgültigkeit über die Folgen, hatte ich, ohne mich von meiner Stelle am Tisch zu entfernen, meine Augen fest auf Kapitän Reud gerichtet. Ich beabsichtigte keine Kränkung, wünschte aber auch nicht bittend zu erscheinen. In welchem Lichte sie übrigens auch betrachtet werden mochte, so übte sie doch die Wirkung, allmählig die zornigen Falten von der Stirne des Kapitäns zu zerstreuen; obgleich ein gewisser Grad von Strenge noch immer zurückblieb. Nachdem ich in der erbaulichen Aussicht geschlossen, entweder mit Arrest belegt oder nach dem Stengenkopfe geschickt zu werden, hörte ich ihn zu meiner frohen Ueberraschung deutlich, aber doch nicht sehr herzlich sagen –

»Mr. Rattlin, Ihr kennt Euren Platz – Eure Tischgenossen kennen den ihrigen gleichfalls. Kapitän Reeves, Mr. Farmer, Rattlin – ich bitte, Plätze zu nehmen.«

Die sechs Eisenfresser standen mir gerade gegenüber zwischen den zwei Kanonen der Kajüte, durcheinander wie ein Häuflein eingeschüchterter Schafe. Ich war leidlich hungrig, belustigte mich aber doch ebenso sehr an dem Tantalusausdrucke ihrer Gesichter, als an den guten Speisen, mit denen ich mich reichlich bediente.

Der Wein ging im Kreise. Kapitän Reud wurde sehr gnädig und Kapitän Reeves brannte vor Verlangen, die sieben merkwürdigen Vögel von dem genus corvus zu sehen, die sein Wirth aus dem Westen mitgebracht hatte. Ich konnte mir wohl denken, was noch kommen sollte, und vermochte daher nicht, über die wiederkehrende Güte meines Kapitäns warm zu werden.

Kapitän Reeves sprach von nichts Anderem, als von Vögeln, und namentlich von den erwähnten sieben Vögeln.

»Wo sind sie?«

»Oh, ganz in der Nähe.«

»Groß?«

»Fünf bis sechs Fuß hoch.«

»Gütiger Gott! Aber die müssen ungeheuer fressen können.«

»Sind allerdings sehr gefräßig;« und dabei warf mir der schalkhafte Kreole einen recht jovialen Blick zu. »Sie machen mir viel Kosten und Widerwärtigkeit.«

»Aber Vögel von dieser Größe müssen sehr schwerfällig beschwingt sein. Fliegen sie in ihrem natürlichen Zustande?«

»Träge genug; aber ich habe sie sehr oft in der Luft gesehen.«

Der Naturforscher war völlig mystificirt; aber Kapitän Reud wollte seine Raritäten nicht vorzeigen, weil er, wie er sagte, fürchtete, wenn der ehrenwerthe Gast seine Neugierde befriedigt habe, werde er nicht länger das Vergnügen seiner Gesellschaft und das Glück haben, ihm die Flasche hinreichen zu können. Vergebens versuchte unser Kommandeur, ihn auf Gegenstände zu bringen, die für Personen interessant sind, welche nach dreijähriger Abwesenheit wieder einen Besuch in England machen. Er konnte von nichts sprechen, als von dem genus corvus.

»Auf mein Wort, Kapitän Reud,« sagte er, »ich möchte nicht gerne ungeduldig erscheinen, aber der Wind frischt auf. Ich muß wieder an Bord meines Schiffes zurück und wünschte nur, daß ich einen von diesen Ungeheuern Vögel mitnehmen könnte.«

»Ich trete Euch mit Freuden die ganze Sippschaft ab.«

»Danke Euch, Kapitän Reud,« versetzte ich, indem ich aufstand und ihm meine beste Verbeugung machte.

»Ein scharfer Junge, meiner Seele!« sagte Reud.

»Ich danke Euch von Herzen, für Eure Güte,« entgegnete Reeves. »Ich will eine Abhandlung darüber schreiben.«

»Die wäre ich wohl auch zu lesen begierig,« bemerkte ich, mich an den Naturforscher wendend.

»Das könnt Ihr, mein guter Junge, das könnt Ihr,« sagte er, mich sehr freundlich aus den Kopf pätschelnd. »Er ist in der That ein scharfer Junge, Kapitän Reud; er wünscht, meine Abhandlung zu lesen. Wenn das Werk fertig ist, schicke ich die Vögel an die Linneische Gesellschaft, von der ich ein unwürdiges Mitglied bin. (Er legte einen großen Nachdruck auf das Wort unwürdig.) Zuerst müssen sie aber in Pidcocks Menagerie (es gab damals noch keine zoologische Gärten), natürlich unter der Bedingung, daß sie, wenn sie tobt sind, gut ausgestopft werden.«

»Das könnten sie eher bei Leben brauchen,« sagte Reud in großer Heiterkeit, beim er war jetzt ganz in seinem Elemente.

Unser erster Lieutenant wußte durchaus nicht, auf was der Kapitän hinauswollte, und machte ein sehr einfältiges Gesicht, indem er versuchte, klug auszusehen. Pigtop und Kompagnie zwischen ihren Kanonen glotzten wie jene weißen, delikat aussehenden Ungeheuer mit vier Füßen und eben so vielen Pfötchen, die man in der Regel mit ihren merkwürdig hervorstehenden Augen um Weihnachten in den Läden der Geflügelhändler sieht. Wer könnte wohl in diesen Tagen der Verfeinerung ein gestochenes Ferkel in einer weniger weitschweifigen Paraphrase zeichnen?

»Ein Spaß, natürlich – ein sehr guter Spaß,« sagte der gelehrte Ornithologe. »Ich habe wohl sonst wo etwas Aehnliches gelesen – aber gleichviel; er ist gut, woher er auch kommen mag.«

»Aber ich denke fast,« entgegnete Reud, »daß es diesen Vögeln nicht anstehen wird, wenn sie nach ihrem Tode ausgestopft werden.«

»Possen – was können sie sich daraus machen? Apropos, nun Ihr sie an Bord und in einem Zustande der Gefangenschaft habt, führen sie noch immer den Prozeß der Inkubation fort?«

»Ohne Unterlaß. Sie brüten Tag und Nacht in einem fort–«

»Barmherziger Himmel! was?«

»Unfug.«

»Ihr macht Euch über mich lustig – bitte, laßt mich sie einmal sehen.«

»Erstlich müßt Ihr erlauben, daß ich mein Anerbieten, den ganzen Haufen an Euch abzutreten, zurücknehme – übrigens sechs davon sind Euch von Herzen gegönnt. Es ist mir lieb, wenn Ihr die schmutzigen Kreaturen mit Euch nehmt. Den Siebenten will ich um früherer guter Gefühle willen für mich behalten, obgleich ich vermuthe, daß er nicht ganz von so guter Zucht ist, als ich vordem glaubte.«

Dies war Wermuth für mich. Mit glühender Stirne erhob ich mich von meinem Stuhle und fluchte in meinem Innern über Josua Daunton und seine Zunge.

»Ich werde Euch den Vorzug nicht einmal Dank wissen, Kapitän Reud,« sagte ich, »sondern bitte, mit den Andern abgeliefert zu werden.«

Reud bemerkte, daß sich die Zweideutigkeit nicht weiter fortführen ließ, und ging nun auf eine Erklärung über.

»Seid kein Narr, Rattlin, sondern setzt Euch nieder. Kapitän. Reeves, die sieben Merkwürdigkeiten gehören dem Vogelgeschlechte an, und tragen noch tue spezifische Bezeichnung Scheuche. Das eine Exemplar sitzt an Eurer Seite, die andern sechs stehen dort zwischen den Kanonen. Wenn Ihr je schönere Specimina von Vogelscheuchen gesehen habt, so will ich sie auszehren, vorausgesetzt, daß Ihr sie so gut röstet, als ich Euch geröstet habe.«

Und dann erging er sich eine Minute in seinem dumpfen Kichern – die vollkommenste Freude, deren sein boshaftes Inneres fähig zu sein schien.

»Kapitän Reud,« begann ich, »sagt mir, Sir, ob ich, als ich vor nicht ganz sieben Monaten zwischen Euch und dem Tode stand, eine weiße Feder zeigte.«

»Bei meiner Seele, nein, Ihr thatet's nicht.«

»Dann, Sir, erlaubt mir, Euch zu sagen – sofern ich dabei betheiligt bin, finde ich, daß es Eurem Scherz eben so an Witz, als an gutem Geschmack fehlt.«

»Halt – nehmt Euch in Acht –«

»Ich bin mit der jungen Vogelscheuche, die eben gekrächzt hat, ganz der gleichen Meinung,« sagte Kapitän Reeves, der ein ernster Mann war und es nie leiden konnte, wenn man ihn selbst zum Stichblatt eines Witzes machte. »Mit Eurer Erlaubniß will ich an Bord zurückkehren und nach meinem eigenen Geflügelstalle sehen.«

Der fremde Kommandeur verließ nach einem Austausche förmlicher Verbeugungen die Kajüte, wobei ihm Reud noch nachrief:

»Ihr werdet doch die Abhandlung nicht vergessen, Reeves?«

*

 


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