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Achtunddreißigstes Kapitel

Pflastersteine werden bisweilen Stolperblöcke. – Eine Disputation über figürliche Redeweise endet damit, daß Ralph auf dem Stengenkopfe figurirt. um daselbst seine Ansicht über den Gegenstand zu erweitern.

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Mit Tagesanbruch des nächsten Morgens lichteten wir die Anker. Unter vielen Kanonenschüssen und der Entfaltung zahlloser Segel brachten wir das ganze Konvoi gegen Mittag aus der Bucht, und zwei Kriegsbriggen bildeten die Nachhut; bald, nachdem wir das Land außer Sicht verloren, trat schlechtes Wetter ein, in welchem der arme Gubdins, wie bereits früher erwähnt wurde, zu Grunde ging. –

Als wir Madeira erreichten, hatte sich die Schiffsmannschaft in gute Ordnung gefügt und sich dem Grundsatze anbequemt, welcher sie in den Stand setzte, wie Ein Mann zu handeln. Unsere Matrosen waren junge, schöne Leute, und Dank sei es dem Nepotismus des Flottenschatzmeisters, zu Zwanzigen und Dreißigen aus verschiedenen Schiffen gezogen.

Wir begannen uns gegenseitig in unsere Charaktere zu finden, und den des Kapitäns zu studiren, dessen Hauptsünde in der Schadenfreude bestand. Von Natur aus war er zwar nicht boshaft, aber in einem Grade rücksichtslos, daß man wohl glauben konnte, er besitze wirklich ein böses Herz. Es machte ihm den größten Spaß, die Leute in eine beengende und lächerliche Lage zu setzen. So hatte er sich zum Beispiel gar bald die fettesten Meister der Kauffahrer ausgefunden, und als wir weit genug gegen Süden gelaufen waren, um das Sitzen in einem offenen Boote sehr lästig zu machen, pflegte er bei leichten Winden einem seiner lustigen Freunde das Signal zu geben, daß er an Bord kommen solle – dies namentlich dann, wenn der Kauffahrer ziemlich weit im Sterne war. Nun begann Kapitän Reuds Belustigung. Nach zwei Stunden hartem Rudern sah man den Meister, von Schweiß triefend, bis auf Rufweite herankommen, worauf Reud abzuhalten befahl; kam dann das Boot bis an die Sternleiter heran, so wurden die großen Marssegel der Fregatte erschüttert, und im Nu befand sich der Nachen um eine halbe Meile im Stern. Dem zweiten Versuche folgte ein gleiches Fehlschlagen, und der Kapitän betrachtete inzwischen das Elend des armen Mannes mit so entzücktem Kichern, daß man sich des Gedankens an einen Affen, der eben einen nicht wieder gut zu machenden Unfug angestiftet hatte, nicht erwehren konnte.

In der Regel quälte er indeß sein Opfer nicht länger, als bis zur Stunde des Mittagmahls. Die Fregatte legte dann in Wirklichkeit bei, und der halbvergehende Schiffer kam an Bord, wo ihn der Kapitän mit der studirtesten Höflichkeit empfing. Ich bewundere noch die Gravität, mit welcher er die Unmöglichkeit zu beklagen pflegte, Seiner Majestät Schiff, die Eos, durch etwas Anderes, als einen Anker und einen guten Haltegrund zum Stilleliegen zu bewegen. – Nein, sie wollte nicht beilegen, sondern mußte entweder vorwärts oder zurück – an eine Ruhe war gar nicht zu denken. Während solcher Entschuldigungen konnte der mystifizirte Seemann seinen Kommodore blos ansehen, ohne in's Klare zu kommen, wer von Beiden der Narr sei.

»Aber, Mr. Stubbs,« fuhr der Quälgeist etwa fort, »es ist jetzt fast Glock sechs – und Ihr habt vermutlich noch nicht gespeist. Wie lange habt Ihr zu dieser kleinen Entfernung gebraucht, Mister Stubbs?« fügte er mit einem bedeutenden Nachdruck auf das Wort Mister bei. Sechs Stunden? Gott behüte mich – wahrhaftig, ich würde die faulen Stricke in Eurem Boote mit einem Tauende heimsuchen. Ihr müßt hungrig sein – und bei Euern Begleitern, den armen Teufeln, ist's vermuthlich der gleiche Fall. He, Mr. Rattlin, ruft sie herauf, setzt einen Wächter in das Boot, und sorgt dafür, daß es im Sterne nachkömmt. Sagt meinem Steward, er solle ihnen etwas Solides nebst einem Glas Grog verabreichen. Mister Stubbs, Ihr werdet mit mir speisen.«

Und die Sache endigte damit, daß der Beschwatzte gegen das Ende des Zwielichts in einem Zustande nach Hause geschickt wurde, der ihn mehr Sterne am Himmel schauen ließ, als die Astronomen bis jetzt noch entdeckt hatten.

Aber diese Schiffer waren doch nur ein sehr bescheidenes, obgleich fettes Wild für unseren gelbhäutigen Plagegeist. Er machte sich daher auch an unsern dritten Lieutenant, den er durch eine Reihe von Verfolgungen fast in Wahnsinn hetzte, dabei aber dieselben so schlau zu maskiren und in so gentlemanischer Weise anzubringen wußte, daß eine Beschwerde von Seiten des Geplagten kein Mitleid, sondern nur Spott und Gelächter erweckte. Dieser Offizier war ein portugiesischer Edelmann, Namens Silva – das Don wollte uns nie über unsere englischen Lippen gehen – der in früher Jugend in unseren Dienst getreten war, und daher unsere Zunge so gut wie ein Einheimischer sprach. Wir hatten ihm den Beinamen des »Pflästerers« gegeben, und pflegten ihn, wenn er im Dienste abwesend war, nie anders zu bezeichnen. Man darf übrigens nicht glauben, daß er dieses Sobriquet um deßwillen erhielt, weil die Gentlemen in Zwilchhosen, wenn er über die Straße ging, ihre Rammblöcke bei Seite legten und ihm Gottes Segen wünschten, denn er war eine leichte, elegante und ausgezeichnet schöne Figur. Ich gehörte damals als jüngster Midshipman zu seiner Wache, und war besonders wohl bei ihm daran. Das Unglück seines Lebens bestand darin, daß er ein Buch geschrieben hatte – nur eine einzige Sünde, die ihm aber stets anklebte, ihn durch die Hälfte der Dienstschiffe hetzte, und ihn zuletzt aus dem Dienste trieb. Er hatte übrigens dieses Buch nicht nur geschrieben, sondern auch drucken lassen, und veröffentlichte es selbst, da dieses Geschäft Niemand glücken wollte. Sein Buchhändler hatte zwar einen Versuch gemacht, aber nur mit dem kläglichsten Erfolge. Don Silva bot es daher stets aus, ohne je ein Exemplar davon zu verkaufen. Seine Kajüte war mit mehreren alten Kisten von großem Gewicht ausgekleidet, auf denen der abscheuliche Argwohn ruhte, daß sie die unverkauften Bücher enthielten.

So viel ich von der Sache erfahren konnte, brachte es nie Jemand weiter, als bis in die Mitte der zweiten Seite seines Bandes – natürlich den Setzerjungen, den Corrector der Presse und den Autor selbst ausgenommen. Er borgte mir sein Werk, aber so gerne ich auch lese, erlag ich doch dem Versuche an dem unpassirbaren Eingange. Das Buch war vielleicht gut – wenigstens kann Niemand das Gegentheil behaupten; aber gerade diese paar Seiten enthielten etwas, was wohl geeignet wäre, Einen abergläubisch zu machen, einen verfänglichen Zauber, den Niemand brechen oder überwinden konnte. Ich wollte, es wäre mir damals der Gedanke gekommen, meine Lektüre von hinten zu beginnen und rückwärts zu lesen, da ich zuverlässig dann im Stande gewesen wäre, mich durch das Ganze durchzuarbeiten; das Buch hatte eine gewinnende Außenseite und eine leidliche Dicke. Nie hat eine taube Nuß mehr zum Knacken eingeladen, als dieses Werk zum Aufmachen und Lesen. Der Titel lautete: »Eine militärische Schiffsexpedition, auf- und abwärts auf dem Rio de la Plata, von Don Alfonso Ribidiero da Silva.«

Ich habe bereits angedeutet, daß meine Schiffskameraden sich gegenseitig unbekannt waren. Nach unserer Ausfahrt von Cork hatten wir uns kaum in die Ordnung gefunden, als Mr. Silva, »seiner nachmittägigen Gewohnheit gemäß«, sein Buch zu veröffentlichen begann. Er erbat sich die Erlaubniß, es seinen Tischgenossen nach dem Diner vorlesen zu dürfen, was denn auch in Gnaden genehmigt wurde. Mit geschmeidiger Freimüthigkeit bestand er darauf, im Verlaufe die Ansichten seiner Zuhörer vernehmen zu wollen, und begann – aber der verschmitzte Zahlmeister hatte schon in Betreff des ersten Satzes – ja, sogar über den Titel, seine Bedenken. Er erbat sich Belehrung darüber, was das wohl für eine Expedition sein könne, die blos auf- und abwärts gehe. Der Doktor kam jedoch bei dieser Krisis dem Don zu Hülfe und meinte, der Fluß werde wohl Wendungen gehabt haben. Der Leser sieht daraus, daß es auf Kriegsschiffen scharfe Kritiker gibt.

In der Mitte der zweiten Seite erschien jedoch die verhängnißvolle Stelle: »nachdem wir uns auf dem Flusse unseren Weg gepflastert hatten Pave his way hat im Deutschen die Bedeutung: sich einen Weg bahnen – lautet aber wörtlich übertragen: »seinen Weg pflastern.«.« Da erhob sich denn alsbald eine Debatte, und es folgte eine scharfe Disputation. Der Opponent war natürlich der Zahlmeister, und in Betreff dieses Punktes ging der Doktor zu dem Feind über. Alle Lieutenants folgten seinem Beispiele, der Schiffsmeister hielt sich neutral und der Marineoffizier schlief ein; der arme Silva stand also allein in seiner Glorie, und sollte den ungleichen Kampf bestehen, bei welcher Gelegenheit er nach Autorenweise bald die Geduld verlor.

Fünf-, sechs-, siebenmal wurde das Buch auf's Neue begonnen, aber das Auditorium konnte, wie die Miethkutschen, nicht über die Steine wegkommen. Das Buch und die Debatte wurde stets im Zorne geschlossen, sobald der Autor seinen Weg zu pflastern begann. Da er die Phrase mit väterlicher Zärtlichkeit festhielt, so wurde er allgemein nur der »Pflästerer« genannt.

All dies kam gebührendermaßen zu den Ohren des Kapitäns. Er schrieb unverweilt an Don Silva, erbat sich seine Gesellschaft zum Diner, und ersuchte ihn namentlich, sein vortreffliches Werk mitzubringen. Natürlich trug der kleine Mann Sorge dafür, daß auch der Doktor und der Zahlmeister zugegen waren. Der Claret wurde aufgetragen, und der Amphytrion warf sich in eine Kritiker-Attitüde, ließ aber dabei ein gar verdächtiges Schielen in dem Winkel seines Auges blicken. Unser Freund begann mit innerlichem Jubel seine Vorlesung, aber an der denkwürdigen Stelle wurde, der Verabredung gemäß, augenblicklich Lärm gemacht.

Während des Hin- und Herstreitens schien Kapitän Reud unentschieden zu sein, und bemerkte, daß er in der Sache nur ein Urtheil abgeben könne, wenn er zuvor den früheren Styl und Zusammenhang gewürdigt habe; er bat daher den Autor zu wiederholten Malen mit verlockender Höflichkeit, wieder von vorne anzufangen. Natürlich ging es nie weiter, als bis zu dem Pflaster. Nachdem der geköderte Autor seine anderthalb Seiten sechs- oder siebenmal abgelesen, lächelte der Kapitän auf's Freundlichste und sagte im einladendsten Tone:

»Lest es nun jetzt nur noch ein einziges Mal; wir brauchen Euch dann nicht weiter zu bemühen, denn wir können's dann auswendig.«

Da man einig geworden war, den Autor nicht über diese Stelle wegkommen zu lassen, bis er ihre Abgeschmacktheit und Thorheit zugestanden hätte, so kann sich Jeder, der das genus irritabile kennt, leicht denken, daß Don Silva nie über den Rubicon kam. In dieser Weise wurde der arme Bursche gequält, und so oft er zum Diner in der Kajüte eingeladen wurde, erging zugleich auch das Gesuch an ihn, er solle seine Expedition mitbringen, damit man doch endlich einmal das Ganze höre.

Die beste und imponirendste Weise der Schriftstellerei besteht darin, irgend eine weise Lehre aufzustellen und sie nachher durch Beispiele zu belegen. Auch ich will dieser trefflichen Methode folgen. – Es ist unklug, wenn ein Midshipman mit dem Lieutenant der Wache disputirt, so lange drei hohe, unbesetzte Stengenköpfe da sind. Q. E. D.

Eines Morgens mit Tagesanbruch, nachdem Abends zuvor in des Kapitäns Kajüte ein scharfes literarisches Scharmützel stattgefunden hatte, winkte mir Mr. Silva lächelnd auf das Halbdeck hinüber. Das Wetter war schön und wir befanden uns in den Passatwinden.

»Mr. Rattlin,« sagte er, »Ihr habt mein Buch noch nicht gelesen. Ihr seid noch sehr jung, aber dennoch ist die gute Erziehung an Euch nicht zu verkennen.«

Ich verbeugte mich geschmeichelt.

»Ich will es Euch borgen – Ihr sollt es lesen und mir als ein junger und verständiger Gelehrter Eure aufrichtige Meinung abgeben. Vermuthlich habt Ihr den trivialen, thörichten und ärmlichen Einwurf gehört, der gegen eine Stelle auf der zweiten Seite erhoben wurde« – er nahm dabei das Buch aus seiner Tasche und begann zu lesen, bis er zu dem Pflastern des Flusses kam. Dann ließ er sich in eine lange, rechtfertigende Erörterung ein, in welcher er zu beweisen suchte, daß in figürlichen Phrasen eine große Breite des Ausdrucks nicht nur zulässig, sondern oft auch elegant sei.

Ich gab dies zu, erlaubte mir aber doch, mit der Art seiner Anwendung nicht einverstanden zu sein, da wir bei dem Gebrauche figürlicher Ausdrücke keine ungereimten Bilder oder gezwungene Ideen hervorrufen dürften. Der Schriftsteller begann warm zu werden und machte meinen demüthigen Vorstellungen dadurch ein Ende, daß er mich mit den pompösen Worten nach der Lee hinüberwies:

»Ich will Euch was sagen, Sir, Eure Freunde haben ihr Geld weggeworfen und Eure Lehrer ihre Zeit sehr unnütz verwendet; denn wißt, Sir, daß für jedes Fortschreiten, in welcher Weise und Gestalt es auch geschehen mag, keine passendere Phrase in Anwendung kommen kann, als das Pflastern des Weges. Schickt die Marsgasten hinauf, daß sie die Bramsegel lösen.«

Eingeschüchtert, aber nicht überzeugt, wiederholte ich die nöthigen Weisungen. Sobald ich jedoch die Matrosen auf den Webeleinen sah, kreischte ich aus voller Macht:

» Pflastert euern Weg das Takelwerk hinauf – pflastert euern Weg, ihr faulen Pelze.«

Die Marsgasten machten für einen Augenblick halt, grinsten mich erstaunt an und kletterten dann wie ein Haufen farbiger Teufel hinauf.

»Mr. Rattlin, pflastert Euern Weg nach dem Stengenkopf hinauf und bleibt dort, bis ich Euch wieder herunterrufe,« rief der Lieutenant zornig.

Und so hatte ich meiner Vorliebe für die figürliche Ausdrucksweise zum erstenmale das Vergnügen, auf dem Stengenkopfe zu sitzen, zu danken.

*

 


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