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Siebenzigstes Kapitel

Der Schleier vor Ralphs geheimnißvoller Herkunft sinkt schnell nieder. – Seltsame Enthüllung und klarer Beweis, daß unsere Welt eine sehr schlechte Welt ist. – Ralphs Liebes-Symptome kommen rasch zum Schweigen.

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»Ralph,« sprach die Dame, als sie wieder allein war, »ich habe mein ganzes Leben über stets die sogenannten Scenen verabscheut und mit aller Macht heftige Erregungen von mir ferne gehalten. Ich will Euch nun meine Geschichte geben – vor Euch meine Beichte ablegen – Euch und Gott um Verzeihung bitten – und dann sterben. Nein, Unsinn – aber ich muß Euch sagen, daß Euer Geschick in sonderbarer Weise mit dem meinigen verflochten ist. Ich bekenne Euch unverhohlen, daß ich ein gefallenes Weib bin – aber wie nie die Schönheit, so hatte ich auch nie die Reue einer Magdalena. Meine Tugend erlag einem der Größten auf Erden, und ich glaube noch immer, daß dies ein herrliches Loos war. Ich glaube, daß Ihr mir eine tiefe Wunde schlagen wollt und will es in Demuth hinnehmen. Möge dies einigermaßen als eine kleine Sühne für einen einzigen großen Fehltritt betrachtet werden! Aber verschont mich, so lange Ihr's im Stande seid, mit dem Namen der Person, die Ihr mit so viel Bitterkeit beschrieben habt – vielleicht ist's zuletzt doch nicht der, welcher fast die einzige Galle war, die mir bis jetzt den Becher eines nur zu vergnügungsvollen Daseins vergiftet hat – eines Daseins, das leider sogar in dieser meiner eilften Stunde noch so viel Reiz für mich enthält. Aber sagt mir Alles, und dann werde ich im Stande sein zu beurtheilen, wie viel ich Euch zu enthüllen verpflichtet bin.«

Es hätte eine schöne Studie für den Psychologen abgegeben, die allmählige Erregung zu beobachten, welche dieses weltliche, prachtliebende Weib im Laufe meiner verhängnißvollen Erzählung mehr und mehr hinriß. Ich begann sie erst von jener Periode an, als Josua Daunton mich bat, ihm Zutritt zu der Eos zu gestatten. Der Anfang wurde kalt von ihr aufgenommen und ihre Züge bekundeten jene Spannung, die ich oft zuvor an solchen bemerkt hatte, welche allen ihren Muth zusammennehmen, um sich einer gefährlichen Operation zu unterziehen. Sie waren gewiß nicht leidensunfähig, denn in den starren Blick, den sie auf mich heftete, lag eine seltsame Unruhe, obgleich keine Bewegung.

Die ersten Symptome der Ergriffenheit bemerkte ich, als ich ihr schilderte, wie die Geißel auf Dauntons zuckende Schulter niedersank. Sie preßte ihre Hände fest zusammen und wandte ihre Augen aufwärts, als flehe sie den Himmel um Gnade oder Rache an. Ich bemerkte im Verlaufe, daß ihre Zuneigung zu mir allmälig ihren Boden verlor – daß sie wider Willen für meinen Todfeind Partei nahm; und als ich ihr von der Herausforderung erzählte, die er mir in dem Krankenzimmer entgegengeworfen, murmelte sie ein »recht so! recht so!« indem sie einen Namen beifügte, der nicht der meinige war.

Ich sprach von den Dokumenten, die er mir zum Beweise gezeigt hatte, daß er kein Betrüger sei, worauf sie entgegnete:

»Ralph, es ist genug – gleichviel welchen Namen Ihr ihm geben mögt. Er ist mein Sohn

»Und mein Halbbruder?«

»Oh nein, nein, junger Sir! So tief er auch gesunken ist, so strömt doch edleres Blut als das eines Rattlin in seinen Adern. Trotz seiner Herabwürdigung darf er sich weder von väterlicher noch von mütterlicher Seite seiner Abkunft schämen. Doch Ihr seid sein geschworener Feind – ich kann nun ruhig anhören, was Ihr zu sagen habt. Aber wie verworfen er auch sein mag, seine Mutter hätte er nicht verläugnen sollen.«

»Mrs. Causand,« fuhr ich in kälterem Tone der Stimme fort – »es scheint, daß Ihr – und zwar in höchst ungerechter Weise – Partei gegen mich genommen habt. In seinem Punkt habe ich gegen Euch oder die Eurigen gefehlt, da ich stets der angegriffene und verletzte Theil war. Ich will nicht länger durch eine Wiederholung der Verbrechen Eures Sohnes Euer Ohr kränken oder Eurem Herzen wehe thun. Er hat mir viel Leides zugefügt und sinnt auf noch mehr – setzt mich nun in die Lage, mir selbst Gerechtigkeit zu verschaffen, und über die Vergangenheit soll ewiges Schweigen meine Lippen versiegeln. Wißt übrigens, daß er mir alle meine Dokumente stahl – daß er beabsichtigt, sich vor meinem Vater – wer er auch sein mag – als dessen legitimer Sohn auszugeben und meine Person vorzustellen.«

»Das darf nicht sein – thörichter, wahnsinniger, verruchter Knabe! Oh, daß ich, seine Mutter, als Anklägerin gegen ihn aufstehen und als Feindin gegen ihn handeln muß; aber ich habe mich längst von ihm losgesagt – ihn fast verflucht. O, Ralph, Ralph! wäre er wie Ihr gewesen – aber von Jugend auf war er zu Bosheit geneigt – keine Schätze konnten seinen Hang zu Ausschweifungen befriedigen – und er hat sogar die Liebe einer Mutter erschöpft. Ich verweigerte ihm Geld und er stahl meine Papiere – ach, nie träumte ich, welch' einen schändlichen Gebrauch er davon zu machen beabsichtigte. Schont mich für eine kleine Weile, und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr je Eure Ferse auf seinen Nacken setzt – oh, so tretet leicht auf meinen armen William!«

Sie erlitt augenscheinlich einen neuen, weit schwereren Anfall, der jedoch ebenso schnell wie die übrigen vorüberging; zum erstenmal bemerkte ich übrigens jetzt, daß sie von ihren Arzneien Gebrauch machte. Nachdem sie sich hinreichend erholt hatte, fuhr sie fort:

»Ralph, weder Ihr noch sonst Jemand soll die Geschichte meines Privatlebens erfahren. Es ist genug für Euch, wenn Ihr wißt, daß ich fast von Kindheit auf bestimmt war, mit den Größten des männlichen Geschlechts zu verkehren. Schon früh wurde ich in jene glänzende Herabwürdigung verwickelt – denn so wird es der Zelot nennen, obgleich ich es nie für eine Herabwürdigung hielt. Auch der Schein wurde bewahrt, denn ehe mein unglücklicher Sohn das Licht erblickte, heirathete ich einen von den Pagen eines deutschen Hofes, der sechzig Jahre alt und hinreichend unterwürfig war, um ferne gehalten werden zu können. Für ein englisches Ohr klingt das wie ein Bekenntniß der Schande. Ich will mich vor Euch nicht rechtfertigen, Ralph, denn man belehrte mich eines Andern, und ich würde es jetzt nicht bereuen, selbst wenn ich könnte. Euer Vater, damals ein einziger Sohn, besuchte hin und wieder die Wohnung des Mannes, dessen Hauswesen ich vorstand, und – und, wohlgemerkt, Ralph, so Arges Ihr auch jetzt von mir denken müßt, ich stand nur mit einem Einzigen in Verbindung. Lacht nicht über mich, wenn ich Euch sage, daß zwischen mir und jener ausgezeichneten Person ein reines Verhältniß stattfand.«

Sie hielt inne und es kam mir vor, als ob ihre Stimme in seltsamer Weise unsicher werde. Die Behauptung erstarb aus ihren Lippen und ich gab keine Antwort. Ich war keineswegs erstaunt darüber, denn ich hatte nichts im Auge, als den Fortgang ihrer weiteren Mittheilung.

»Ich habe für die Welt gelebt,« fuhr sie fort, »und sie herrlich gefunden. Der Gatte meines Herzens und der Gatte der Ceremonie sind längst todt. Ich erfreue mich eines guten Auskommens – besitze weit mehr, als ich brauche – und doch spricht man mir von Sterben. Der morgige Tag wird mein Geschick entscheiden. Ich habe nach meinen Fähigkeiten ein gutes Leben geführt – dies ist keine Selbsttäuschung; aber sollte das Ergebnis) der morgigen Konsultation verhängnißvoll sein, dann soll der Rechtsgelehrte und der Geistliche« –

»Und warum nicht heute?«

»Weil heute noch uns – oder vielmehr Euch gehört. Eure Mutter war von guter, obgleich nicht hoher Familie, die Tochter eines angesehenen Gutsbesitzers in unserer Nachbarschaft. Sie war das älteste von vielen Kindern und das schönste Mädchen in der ganzen Grafschaft. Ihr Vater schickte sie nach London, wo sie eine Erziehung genoß, die nicht für ihre Stellung und für die Zeit paßte. Thörichterweise zog sie den fashionablen, üppigen Dienst in einer adeligen Familie der edlen Unabhängigkeit in ihres ehrenwerthen Vaters geräumigem Hause vor. Dies war ein Fehlgriff, der ihr zum Verderben gereichte. Ralph, ich liebte Eure Mutter – Ihr wißt dies – aber als Gouvernante in der Familie des Herzogs von E. haßte und fürchtete ich sie. Ich glaubte nicht, daß sie schöner sei als ich, aber er – er, den ich nie erwähnen will – begann dieser Meinung zu werden – und ich zitterte.

»Reginald Rathelin – liebte sie und warb um sie; mit Eifer ging ich in seine Entwürfe ein – denn sein Erfolg war meine Sicherheit. Miß Daventiy wies mich anfangs zurück, aber endlich überwand ich ihr Widerstreben – viele Damen nahmen mich, aus Ehrfurcht vor dem Range meines Beschützers, trotz meiner zweideutigen Stellung, bei sich auf und wir wurden Freundinnen. Die schöne Gouvernante ließ sich entführen – ich vermittelte die Sache – und sie wurden vermählt. Ich selbst war Zeuge der Trauung.«

»Gott sei Dank!« rief ich glühend aus.

»Reginald war wild und ausschweifend, arm und grundsatzlos – er beschwatzte seine Gattin, daß sie wieder zu ihrer dienstbaren Stellung in die Familie des Herzogs zurückkehrte. Im Laufe der Zeit wurde eine andere Reise nöthig – damals als Ihr zu Reading geboren wurdet.«

»›Eine kleine Weile und noch eine kleine Weile,‹ lautete die unablässige Ausflucht des Gatten auf ihre Bitten. ›Dann will ich dich mit Stolz vor der ganzen Welt anerkennen, meine theure Elisabeth.‹«

»Meine arme Mutter!«

»Ungefähr zwei Jahre nach dieser Vermählung wurde Sir Luke, der Vater Reginalds, krank, und die Vernachlässigung des Gatten steigerte sich nun in einem Grade, daß sie als fast gänzliche Verlassung betrachtet werden konnte. Eure Mutter hatte einen ebenso stolzen, als liebevollen Sinn. Sie schrieb an den Vater Reginalds – der Herzog trat zu ihren Gunsten in's Mittel – und sie verlangte nun Veröffentlichung ihrer Ehe; aber der künftige Erbe vereitelte alle unsere Bemühungen. Er bekannte sich selbst für einen Schurken und gestand, daß er Eure Mutter durch eine falsche Trauung hintergangen habe.«

»Und er, mein Vater – aber Ihr, Ihr, ihre Freundin

»Er täuschte mich gleichfalls und erklärte, der Mann, der die Trauung vollzogen, sei nicht ordinirt gewesen. Er forderte uns auf, das Gegentheil zu beweisen. Sein Vater, in den Vorurtheilen des Adelstolzes erzogen, forderte seinen Sohn nicht auf, Eurer Mutter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern beschwichtigte sein Gewissen, indem er reichlich für Euern Unterhalt sorgte. Damit glaubte er seine Pflicht erfüllt zu haben und starb, nachdem er zuvor das Sakrament genommen.«

»Euer Vater nun, Sir Reginald, freiete um die reichste Erbin in den drei zunächst gelegenen Grafschaften und wurde mit Geringschätzung zurückgewiesen. Wir verbündeten uns nun gegen ihn – der Sitz seiner Vorfahren wurde ihm verhaßt – und er ging in's Ausland. Sein fürstlicher Palast wurde verschlossen, seine Güter blieben unter der Verwaltung eines filzigen Hausmeisters und die Welt vergaß den Mann, der sich selbst seiner Heimath entfremdet hatte.«

»Dann bin ich also leider doch illegitim.«

»Und wenn auch? – Doch ich kann mir denken, daß Ihr jetzt mehr für Euch selbst, als für Eure arme Mutter fühlt.«

»Oh nicht doch! erzählt – erzählt mir von ihr!«

»Nach dieser Blosstellung lebte sie einige Jahre geachtet in der Familie des Herzogs, freilich unter einem andern Namen. In das elterliche Haus wollte sie nicht mehr zurückkehren, und der Mann, den sie als ihren Verführer betrachtete, ließ nichts mehr von sich hören, obschon man zugeben muß, daß er eifrige Sorge für sein Kind trug. Er bestellte Agenten, die über Euer Wohl wachen mußten, obgleich ich fest glaube, daß er Euch in seinem Leben nie gesehen hat.«

»Ich vermuthe, daß er einmal, als ich in Roots Schule war, den Versuch machte; aber ehe ich zu ihm gebracht wurde, schlug ihn sein Gewissen und er floh wie eine Memme vor seinem eigenen, schwer gekränkten Sohne.«

»Recht wohl möglich. Das Gerücht sagte, er habe England mehreremale unter strengem Incognito besucht. Aber ich muß innehalten – der Abend schwindet schnell dahin. Laßt mich ein wenig ausruhen – dann wollen wir Licht bringen und das Diner auftragen lassen.«

Sie sank auf ihr Ruhebett zurück und schien wieder zu schlummern.

*

 


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