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Vierunddreißigstes Kapitel

Ein kleines Boot mit einem großen Cargo. – Ralph triftet in das atlantische Meer hinaus – erreicht endlich Land und findet einen ächt irischen Willkomm – Kartoffeln und weit mehr Rauch als Möbelwerk.

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Dieses kleine Boot verdient immerhin mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit, da es so oft schon Cäsar und sein Glück, wie auch unsern Doktor und sein Fett getragen hatte. Es war vielleicht eines der kleinsten Fahrzeuge, die je den Wellen Trotz geboten, und erinnerte an dasjenige, in welchem Gulliver saß, als er auf dem Wasserfasse seiner Brobdignager Prinzessin seufzte. Oft und vielmal hatte es der fette Doktor mit scheuen Blicken von der Laufplanke aus betrachtet und, wenn er ein Boot verlangte, von dem ersten Lieutenant die wohlwollend lächelnde Antwort erhalten: »Doktor, nehmt das Dingy.« Weiter konnte man dem Dingy nicht zumuthen, als den Doktor einzunehmen, denn die Sorgfalt, mit welcher er sich sachte genau im Mittelpunkte der sehr kleinen Sternschooten niederließ hätte denen, welche dergleichen thun, als wachten sie über die Sicherheit der Staaten, zu einer schönen, moralischen Betrachtung Anlaß geben können. Wenn das kleine Fahrzeug, beladen mit diesem ungeheuern pharmakopöischen Depositorium über die Wellen humpelte, schien es fast aufrecht einherzuziehen und wie ein lebendes Ding über's Wasser zu gleiten, denn es hatte eine possirliche Aehnlichkeit mit einem jungen Affen, der auf zwei Beinen einherschreiten lernt und mit seinen langen Armen (Rudern) den unsichern Gang fester machen will. In der That war es so winzig, daß die zwei dazu gehörigen Knaben oft sowohl Salz- als frisches Wasser dadurch von sich abhielten, daß sie es in der Weise eines Schirms über ihren Köpfen aufpflanzten, so oft die Wolken allzu freigebige Libationen niedergossen. Dabei war der Pygmäenschwimmer stets mit möglichst bunten Farben bemalt und stand besonders bei dem ersten Lieutenant in Gnaden. Er liebte das Dingy in der That so sehr, daß er sich sorgfältig hütete, ihm je mit seinem eigenen Gewichte lästig zu werden.

Das Cove von Cork ist ein schöner Hafen mit einem etwas schmalen Eingange. Ich kann mich auf die Namen der Vorgebirge und Spitzen nicht mehr entsinnen; auch habe ich die irischen Angelegenheiten so satt, daß ich nicht einmal in das nächste Zimmer gehen und die Karte zu Rathe ziehen mag, denn es ist dort kaum eine einzige Stelle, die mir nicht unangenehme Rückerinnerungen böte. Ich ziehe es daher vor, aus meinem magischen Gedächtniß zu schreiben, welches mir nach einer Zeit von fünfundzwanzig Jahren Alles noch grün, frisch und schön wieder vergegenwärtigt.

Am Eingang des Cove befanden sich zur Linken Befestigungswerke und Kasernen. Jenseits derselben, seewärts und gerade an dem Ellbogen des Landes, der die Mündung des Zuganges begränzt hatte unser erster Lieutenant von dem Hackebord der Fregatte aus einen weißen Strich Sandes entdeckt. Die übrige Küste war voll Klippen und von der See aus unzugänglich. Mr. Farmer führte mich nach dem Hinterschiff, machte mich auf die kaum noch sichtbare Stelle aufmerksam und trug mir auf, das Dingy mit Sand zu füllen und so schnell wie möglich wieder zurückzukehren. Stolz auf dieses Geschäft, ließ ich Nachmittags um vier Uhr, als eben die Fluth mit Wuth herauslief, das Dingy niederpfeifen, stieg, einen Feuereimer und zwei Spaten im Arme, mit gebührender Würde an der Schiffsseite hinunter, fuhr mit meiner Mannschaft ab und erreichte bald die Stelle. Das Boot wurde beladen; in der Zwischenzeit hatte jedoch die Fluth nachgelassen, und so leicht auch unser Fahrzeug war, konnten es doch drei Knaben nicht wieder flott machen, bis fast aller Sand wieder zu seinem natürlichen Boden zurückgekehrt war. Alles dies nahm viel Zeit in Anspruch. Es war fast dunkel, als wir wieder flott wurden, und der Wind blies nun stark vom Lande ab. Dazu kam noch ein starker Regen, und wir waren kaum von der Küste abgestoßen als uns die Ebbe in's atlantische Meer hinausfegte und wir in eine Lage versetzt wurden, die den Helden des Dingy sehr gefährlich werden konnte. Da saßen drei junge Bursche, deren Jahre zusammengerechnet kaum das eines Mannes von mittlerem Alter ausmachten, in einem sehr kleinen Boote, mußten gegen eine sehr hohe See ankämpfen und hatten eine tüchtige Kühlte hinter sich, die sehr günstig für uns gewesen wäre, wenn wir hätten nach Neu-York steuern wollen. Unsere vereinten Kräfte reichten nicht zu, gegen widrigen Wind und widrige See zu steuern; wir hörten daher bald zu rudern auf und warfen allen Sand aus dem Boote. Die Fluth mußte übrigens wieder kommen, und wir zählten auf das Niedergehen der Wellen und einen Wechsel des Windes. Ehe es jedoch ganz dunkel war, hatten wir das Land bereits aus dem Gesicht verloren, und ich begann mich etwas ungemächlich zu fühlen, da meine ganze Bootsmannschaft vom Steven an bis zum Sterne (keine große Entfernung) mich versicherte, daß wir zuverlässig versinken würden. In diesem jämmerlichen Stande unserer Angelegenheiten, in welchem wir vor Hunger und Kälte fast zu Grunde zu gehen vermeinten, kam ein hybernischer Kauffahrer, der mit Holz und Früchten, (nämlich Kartoffeln und Birkenreis zu Besen) beladen an uns vorbei und warf uns freundlich ein Schlepptau zu. Dieser Drogher war ein großes, halbgedecktes, kutterartig getakeltes Fahrzeug und schoß rasch durch das Wasser, so daß wir, während wir nachgeschleppt wurden, fast in den über uns herschlagenden Wellen ertranken und unser Dingy nur unter fleißiger Anwendung unserer Sandeimer vor dem Versinken retten konnten. Die hohe See ließ es nicht zu, aus unserem Nachen an das Schleppschiff zu gehen.

Aber denke man sich meine Gefühle, ehe dieser Beistand kam! Keine Lage hätte trost- und dem Anscheine nach hoffnungsloser sein können. Der Leser wird sich wohl vorstellen, welche wechselnde Empfindungen mein Innerstes durchwühlten. Der kürzlich verlassene grüne Spielplatz kam über die schwarzen, massenhaften Wellen heran und schien mir höhnend zuzuwinken. Doch ich will den Leser nicht durch eine lange Schilderung meiner Schrecken ermüden. Wäre ich in meiner Lage der Sohn eines Königs, oder auch nur der anerkannte Abkömmling eines Herzogs gewesen, so würde ich vielleicht Theilnahme finden; aber der neuemancipirte Schulknabe, der mit zwei eben von der Marinegesellschaft gezogenen Jungen im Begriffe steht, in einem kleinen Boote an der irischen Küste zu ertrinken, schließt kein besonderes Interesse in sich. Ich sehe meinen Irrthum ein, und wenn ich Effekt hervorbringen will, muß ich zuvor beweisen, daß ich der Sohn eines Herzogs oder eines Königs bin. Wie ganz am unrechten Ende habe ich also die Sache angegriffen.

Wie übrigens der Leser auch über mein Mißgeschick spötteln mag, so lag doch etwas Erhabenes in der mich umgebenden Scene. Die Kleinheit meines Nachens vermehrte die Größe der Wellen, und ich erfreute mich buchstäblich der interessanten Lage, welche die Autoren von Seeromanen, ohne vielleicht je zur See gewesen zu sein, als »berghohe Wellen aufthürmend« zu schildern bei eben. Eine einzige Woge zu jeder Seite begränzte meinen Horizont. Sie waren für mich absolute Wellenberge, und wenn unsere kleine Nußschaale auf einen Kamm hinaufgeworfen wurde, so ist die Metapher nicht sehr hyperbolisch, wenn ich sage, daß wir zu den Wolken emporzusteigen vermeinten. Wir konnten nicht auf eine Welle niederschauen, ohne wieder auf dem Rücken einer andern zu sitzen, während man doch in einem Schiffe von erträglichem Umfange, wie sehr auch die See wüthen mag, von den Schiffsdecken aus stets diesen Anblick hat, es müßte denn sein, daß hin und wieder irgend ein kurzlebender Riese seinen überwachsenen Kopf in die Höhe reckt. Doch ich darf nicht vergessen, daß ich im Schlepptau des Kartoffelschiffs liege.

Letzteres legte gut auf der Hafenmündung ab, ohne sie jedoch erreichen zu können; es lavirte deshalb wieder und wieder bis gegen zehn Uhr, um welche Zeit wir in dem Dingy halb erfroren und fast ganz ertränkt waren. Der Mond ging nun hinter fliegenden Wolken auf. Der ehrliche Pat, der die Schaluppe kommandirte, kürzte das Schlepptau und rief uns zu, wir seien vor einer kleinen sandigen Bucht: wir sollten daher den Schlepper loslassen, einwärts rudern und unser Boot über den Hochwasserstand hinaufholen. Wir befolgten diesen Rath und erreichten ohne viel Schwierigkeit abermals die terra firma.

Ich kann nicht umhin, hierorts eine kleine Betrachtung über die eigenthümlichen Ereignisse einfließen zu lassen, welche das irre Leben eines Matrosen mit sich führt. Bei der erwähnten Gelegenheit waren augenscheinlich drei Leben, darunter das eines künftigen Paragons der Reffer, gerettet worden, und weder die Geretteten noch die Retter kannten gegenteilig auch nur ihre Namen, oder konnten ihre Gesichter deutlich unterscheiden. Wie viele gute und wackere Thaten verrichten nicht wir Matrosen, ohne daß die gleichgültige Welt etwas davon erfährt. Des Seemanns Leben ist eine Reihe alltäglichen Heldenmuths.

Wir waren also an der Küste von Irland, ohne zu wissen, an welchem Theile derselben, und hatten die treffliche Aussicht, die Nacht unter dem großartigsten, zur Winterszeit aber ungemächlichsten Dache von der Welt zu verbringen. Die zwei Jungen baten mich um die Erlaubniß, sich nach einem Hause umsehen zu dürfen; ich hatte mir jedoch vorgenommen, wenn ein Verlust stattfinden sollte, müßten wir Alle mit einander verloren gehen, denn ich mochte nicht Gefahr laufen, meine Bootsmannschaft zu verlieren und mich selbst – allein zu finden. Ich verweigerte daher meine Einwilligung und erklärte ihnen, es sei meine Pflicht, bei meinem Boote zu bleiben; die ihrige aber lege ihnen auf, bei mir auszuhalten. Dies war nun eine leidliche Festigkeit in Anbetracht der Tauche, deren ich mich erfreut hatte, wie auch des Hungers, der Kälte und der Mattigkeit, die im Augenblicke ihren wohlthätigen Einfluß auf mich übten.

Dieser erfreuliche Zustand sollte jedoch nicht lange währen. Ein frischfarbiger Irländer mit einem wunderbar breiten Gesichte, das nur durch dessen breite Schultern übertroffen wurde, kam heran und begrüßte uns in einer so breiten Mundart, daß darin, wie in dem Groge des Hochbootsmanns, ein Merlpfriem hätte schwimmen und ein hörnerner Löffel aufrecht stehen können. Die Folge davon war, daß wir einander nicht verstehen konnten. Er ging daher fort und brachte einen derben Bruder mit sich, der das Englische etwas eleganter radbrechte. Die sprichwörtliche Gastfreundlichkeit der Irländer erlitt in den Personen meiner irischen Freunde keinen Glimpf, denn sie luden uns aufs Dringendste nach ihrer Wohnung ein, und wir konnten ihren Blicken ansehen, daß ihr Anerbieten der ächte Sprößling einer wohlwollenden und edlen Seele war. Dennoch beharrte ich darauf, mein Boot nicht zu verlassen. Nachdem ich ihnen meine Einwendung nachdrücklich zu verstehen gegeben hatte, entgegnete mein friesrockiger Freund, der das »elegante Englisch« sprach:

»Oh Jerum, und ist nicht auch dies ganz willkommen? Kommt mit, ihr kleinen, winzigen Schnäbel, mit Eurem Offizier – wollt ihr nicht?«

Und ehe ich noch recht begreifen konnte, was die beiden Gentlemen im Schilde führten, hatten sie das meinem Kommando anvertraute Schiff Seiner Majestät umgedreht und rüttelten mit so wenig Schwierigkeit, als gälte es blos ein Vogelkäfig zu reinigen, den Sand und das Wasser heraus. Nachdem dies geschehen war, richteten sie den Nachen wieder auf; der Eine davon faßte ihn am Bug, der Andere am Sterne, und so schwenkten sie ihn zwischen sich, wie zwei Wäscherinnen einen Korb schmutzigen Weißzeugs. Ich muß gestehen, daß ich mich sehr gekränkt fühlte, als ich mein Kommando so geringschätzig behandeln sah, und mein Verdruß steigerte sich Noch mehr, als sie mir freundlich bedeuteten, wenn ich müde sei, könne ich mich in mein Schiff setzen: sie wollten mich in demselben weiter tragen. Ich lehnte jedoch dieses Anerbieten ab und zog es vor, zu Fuße zu gehen.

In dieser Weise zogen Offiziere, Bootsmannschaft, Führer, Boot und Ruder mehr als eine halbe Meile landeinwärts. Endlich entdeckte ich im Mondscheine eine Reihe von Erdhügeln, die ich anfangs für Aufwürfe hielt, unter denen man in England Winters die Kartoffeln zu begraben pflegt.

Ich wurde übrigens bald enttäuscht, denn man bezeichnete mir den Ort als eine Stadt mit einem so furchtbar auszusprechenden Namen voll As und Ghas, daß ich ihn trotz aller meiner Versucht nicht über die Lippen bringen konnte, und wenn es mir auch gelungen wäre, so würde ich mich doch, mir selbst zum Troste, beeilt haben, ihn sobald wie möglich wieder zu vergessen.

Ich hoffe, daß die »schönste Bauernschaft in der Welt« jetzt ein besseres Unterkommen gefunden hat, als es vor einem Vierteljahrhundert der Fall war, denn man muß sagen, sie ist eine schöne Bauernschaft, so weit die physikalische Organisation in Betracht kömmt, und verdient wenigstens Wohnungen, wie sie für menschliche Wesen passen; aber was ich sah, als ich in jener Nacht das Schlammgebäude meiner Führer betrat, setzte mich in nicht geringes Erstaunen. Erstlich bestanden die Wände durch und durch aus Straßenkoth und waren innen so rauh als außen. Möbel waren nicht vorhanden, und die einzige Gerätschaft, deren ich ansichtig wurde, bestand aus einem großen kugelförmigen eisernen Topfe auf Füßen, gleich dem Pechkessel eines Zimmermanns. Besagter Topf war bei meinem Eintritte mit heißen, frischgesottenen, mehligten Kartoffeln in der Schale angefüllt. Rund umher saßen zwölf oder vierzehn Personen beiderlei Geschlechts und verschiedenen Alters, aber nicht über fünfundzwanzig Jahre zählend. Der Topf stand auf der Erde, welche den Stubenboden bildete, und die Leute hockten im Kreise darum her. Neben dem Feuerplatze befand sich ein ältlicher Mann und eine ältliche Frau, beide auf dreibeinigen Schemeln sitzend, die man vielleicht Möbel nennen könnte; aber sie waren so rauh und schmutzig, daß der Leser oder die Leserin, wenn sie davon hätten Gebrauch machen müssen, ohne Frage den Bußschemel weit vorgezogen haben würden.

In dem Kreise um den Topf befand sich ein krummbeiniger Tambour und ein dickköpfiger Pfeifer, beide zu der nahe gelegenen Kaserne gehörig und in die Montirung ihres Regiments gekleidet. Sie standen auf und salutirten vor meiner Uniform. Man bewillkommte uns mit frohem Jubel. Mein Boot wurde gleichfalls hereingebracht und mit aufwärts gekehrtem Boden an eine Wand gerückt; aber alsbald saß eine Legion von Hühnern auf dem Kiele aus, während ein halb Dutzend große und kleine Schweine mit ihren Schnauzen unter das Schanddeck bohrten, ob sie nicht allenfalls eine gastronomische Entdeckung machen könnten. Zwei recht hübsche Dirnen zogen mich alsbald zwischen sich in den Kreis und hatten mit ziemlich wildenartiger Gastfreundschaft, ehe ich mich's versah, meine Backen mit glühend heißen Kartoffeln vollgestopft. Nie gab es eine fröhlichere Gesellschaft. Ich, mein Hans Däumling von einem Boot und meine Miniaturmannschaft bildeten, wie ich wohl merken konnte, obgleich meine Wirthe in ihrer Muttersprache redeten, den Gegenstand ihrer anhaltenden und ununterdrückbaren Gelächterausbrüche. Demungeachtet waren sie keineswegs roh und zeigten mir jene Art von Achtung, welche Dienstboten dem Lieblingskinde ihres Gebieters zu erweisen pflegen; das heißt, sie waren sehr geneigt, mich zu patronisiren, und mir, sogar gegen meine Wünsche, alle Arten von Gefälligkeiten zu Theil werden zu lassen. Meine beiden Knaben, welche ich so oft des imponirenden Titels meiner Bootsmannschaft gewürdigt habe, wurden in eben so freundlicher Weise bewillkommt, obschon man sie nicht mit der gleichen Achtung behandelte.

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