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Einunddreißigstes Kapitel

Ein weiteres Geheimniß. – Alles ist überfroh, daß die Eos die Anker lichtet. Sie arbeitet gut durch's Wasser – ihre Offiziere durch den Wein. – Ralph mäßigt sich und thut sich etwas darauf zu gute. – Ein langer Ufermann macht einen kurzen Besuch an Bord – weil er nicht auf dem unrechten Gang gehen will.

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Ich muß nun auseinandersetzen, warum ich so plötzlich der Liebling des Offizierszimmers wurde. Der beleibte Gentleman, der mit dem Admiral und dem Kapitän an Bord gekommen war, hatte seine Wasserexkursion um meinetwillen unternommen, und über meine Ausstattung, meine Schiffskameraden und meine Bequemlichkeit Erkundigungen eingezogen. Aber dennoch war ich, obschon die am meisten dabei betheiligte Person, aus dem Wege geschafft worden, um nicht zufällig mit ihm zusammenzutreffen. Ich habe nie erfahren, wer er war, und glaube auch, daß es dem Kapitän nicht anders erging. Meine Schiffskameraden stellten ihre Vermuthungen, und ich die meinigen aus. Sie hielten ihn für eine bedeutende Person, obschon ich glaube, daß es nur der fette Steward oder ein sonstiger Fröhnerfettklumpen einer bedeutenden Person war, denn ich bemerkte, daß er sich scheute, mir in's Gesicht zu sehen, und daß viele seiner Manieren so ziemlich wie aus zweiter Hand aussahen. Wenn er noch lebt, so hoffe ich, daß gegenwärtige Blätter ihm zu Gesicht kommen werden.

Und nun brechen wir allen Ernstes auf. Wir haben den Nore Leuchtthurm im Rücken und der Lootse steht auf den Hängemattennetzen. Die Brise bläst die Segel – die edle Fregatte beugt sich vor ihr wie ein galanter Kavalier, um den Kuß seiner Schönen entgegenzunehmen – die Blöcke rasseln unter den durchfliegenden Tauen – die Leinwand buhlt bald da, bald dort um die Umarmung des Windes. Ich stehe auf dem Halbdecke und bewundere stumm die erstaunlichen Wirkungen dieser scheinbaren Verwirrung. Ich werde dahin gestoßen, dorthin kommandirt – springe bei Seite, um die Wirbel emporschießender Taue zu vermeiden; aber meine Behendigkeit ist umsonst, denn jetzt schlingt sich eine Brasse um meine Schienbeine, und dann versetzt das schlaffe Ende eines Leebrodwinner-Geitaus meinem Gesichte einen nicht sehr sanften Kuß. Der Kapitän und die Offiziere betrachten das edle Schiff mit größter Angelegentlichkeit und mustern jede seiner Evolutionen. Wie spricht es aufs Steuer an? Schön. Wie triftet es ab? Kaum bemerklich. Das Log wird wiederholt ausgeworfen – sieben, sieben und ein halb. Aufgepaßt! Der Kapitän will jetzt selbst manövriren lassen. Die Fregatte geht brav gegen den Wind, wie ein britischer Soldat in eine Bresche. – Sie dreht sich! Sie ist in ihrer Länge geblieben – hat nichts von ihrem Wege verloren! »Edel! Vortrefflich!« lautet der kaum unterdrückte Ruf; und dann ergeht sich das tapfere Häuflein der Offiziere in Visionen von Feinden, die eines Kampfes werth sind, von erfolgreichen Manövern, wiederholten Breitseitenlagen, Kämpfen und Sieg. Ihr Leben, ihre Ehre und den Ruf ihres Vaterlandes geben sie jetzt bereitwillig dem Schiffe anheim – es ist mit einemmale ihre Heimath, ihr Schlachtfeld und der Schauplatz ihres Ruhmes. Seht, wie wacker es sich gegen jene Widersee hält! In dem ganzen edlen Gebäude ist nicht ein Mann, der sich nicht freudig dazu bekennt – der es nicht liebt – der nicht alle seine Hoffnungen, seine Gefühle damit in Verbindung bringt. Der Doge von Venedig vermählt sich in seiner vergoldeten Gondel mit dem Meere; in Hermelin gekleidete Edle und in Juwelen prunkende Schönheiten stehen um ihn her – auch die Religion bleibt nicht mit ihren erhebenden Feierlichkeiten zurück; – aber alle diese Schaustellung ist nicht mit der Begeisterung jenes Morgens zu vergleichen, an welchem ungefähr dreihundert wackere Herzen sich jener Schönheit der See, der Eos, vermählten, als sie sich um das Nordvorland in die Dünen arbeitete.

Die Fregatte benahm sich in all' ihren Wendungen so wunderbar, daß der Kapitän, als wir in der Rhede Anker warfen, in der Wonne seiner Bewunderung alle Offiziere der Konstabelkammer nebst drei oder vier Midshipmen, unter die auch ich gehörte, zum Diner einlud. Es war ein heiteres Mahl. Der Krieg war eben im wildesten Toben, und mehrere französische Fregatten von dem Umfang der unsrigen, nebst vielen weit größeren, strichen auf den Meeren umher. Der republikanische Geist loderte unter der Bemannung derselben – und wir sehnten uns glühend, mit ihnen anzubinden. Bis jetzt war uns übrigens unsere Bestimmung noch unbekannt. Wir hatten jeden Sporn zu ehrenhafter Aufregung, und das Geheimniß warf über das Ganze jenen überwältigenden Zauber, der uns zwingt, die Unbekannte zu lieben und zu freien.

Aber dieses Mahl – anfangs so vernünftig und dann so gesellig, gestattete der geselligen Heiterkeit, endlich die Vernunft zum Geier zu jagen. Männer, welche eine Stunde lang sprachen und dachten wie Helden, sprachen in der nächsten, was sie nicht dachten und ließen mich denken, was ich nicht aussprechen mochte. Zwar wurde Niemand völlig betrunken als der Zahlmeister, der stets eine privilegirte Person ist, aber doch waren es nicht mehr dieselben Leute, wie bei dem Beginne des Zechgelages, wie denn auch ich bei dem Schlusse desselben nicht mehr der nämliche junge Mensch war. An jenem Abende faßte ich den Entschluß, nie mehr alkoholisches Getränk zu berühren, und so lange ich in der Flotte blieb, habe ich treulich an meinem Entschlusse gehalten. Es ist eine Thatsache – und ich bin zu Vielen bekannt, als daß ich in Betreff dieses Punktes eine feierliche Versicherung falsch geben könnte. Den Wein schloß ich allerdings nicht in mein Gelübde ein, aber auch diesen vermied ich stets, wenn es ohne den Schein der Ziererei geschehen konnte. Deshalb wankte auch meine Vernunft nie auch nur im mindestem aus ihrem Throne, und der Weinbecher brachte mir weder Freude noch Leid. Selbst wenn uns das stinkende, animalisirte Wasser in so kleinen Quantitäten gereicht wurde, daß unsere Kehlen es tropfenweise zählen konnten, suchte ich nie durch eine Zugabe von Branntwein seinen ekeln Geschmack zu verbessern oder seine Quantität zu vergrößern, selbst wenn es geistige Getränke in weit größerer Menge gab. Dieser Zug beweist wenigstens, daß ich eine ziemliche Portion von jener Unbeugsamkeit des Charakters hatte, die wir bei Andern, welche wir nicht lieben, Starrsinn, bei unsern Freunden Festigkeit, bei uns selbst aber Entschiedenheit nennen.

Tempus edax rerum. Ich ziehe diese Behauptung in Abrede, denn der alte Mummler wird ohne Unterlaß betrogen. Wie wenige Tapfere fallen reif in seinen zahnlosen Rachen! Nahrung für die Zeit? Leider sind sie die Nahrung von fast allem Andern geworden. Wie Viele wurden nicht »Futter für Pulver«, wie der ehrliche Jack meint, während eine weitere Schaar einem anderen Jack, den man den gelben nennt, zur Speise diente. Mehr als Einer hat schon ein Mahl für die Haifische abgeben müssen. Ja, die Zeit ist um sie, und sie um ihre Zeit betrogen worden. Wie Viele liegen begraben tief im Grunde des Meeres.

Wenn zuletzt die Posaune sie aus ihren endlosen blauen Tiefen wecken wird und die Neuerwachten die Salzwellen von sich schütteln, ist ihnen vielleicht die Hälfte ihrer Sünden mit ausgewaschen; dann können sie aber furchtlos von der Güte des Schöpfers die Erlassung der andern hoffen, denn wer unter ihnen hat im Laufe seines wilden Lebens nicht schwer gelitten in Erfüllung einer harten Pflicht, während er in der Ausübung eines heiligen Berufs seinen Tod fand? Für die zahllosen Todten sind nur wenige Thränen geflossen und keine Trophäen errichtet worden. Wie, keine Trophäen? Ja, sie können sich der Einen rühmen – der besten und unvergänglichsten – des vergangenen und gegenwärtigen Ruhms ihres Vaterlandes, für das sie gestorben sind. Diese kann ihnen nie abgenommen werden. Selbst wenn England dem allgemeinen Gesetze folgen sollte, das da Menschen zerstört und Reiche vernichtet – oder wenn es sich durch innere Parteikämpfe aufreibt, so wird doch der Ruhm der Vergangenheit unzerstörlich sein. Möge England stets nähren und ehren sein Geschlecht, und wenn dann auch sein Wohlstand schwankt, Unabhängigkeit und Ueberlegenheit wird nie von seinem schiffummauerten Ufer weichen.

Ich will nun einen Vorfall berichten, welcher zeigen soll, wie vor fünfundzwanzig Jahren ein Kriegsschiff zu einem Aequivalent für ein Gefängniß gemacht wurde, und wie unnütz es im Allgemeinen ist, in dieser Weise den Dienst zu rekrutiren. Der Vorfall ist zwar ein wenig episodisch, aber ich nehme keinen Anstand, ihn meinen Lesern vorzulegen, da er damals einen tiefen Eindruck auf mich geübt hatte.

Nachdem wir in den Dünen die Nacht über geankert hatten, segelten wir am andern Morgen den Kanal hinunter, ohne bei Spithead Halt zu machen. Unser schließlicher Bestimmungsort war für uns immer noch ein tiefes Geheimniß. Während unserer Fahrt befiel uns in der Höhe eines Küstentheils, dessen Namen ich mir nicht mehr vergegenwärtigen kann, gegen Mittag eine Windstille. Da die Fluth gegen uns war, so näherten wir uns ein wenig dem Ufer und warfen Anker. Wir hatten noch nicht lange dagelegen, als wir ein Uferboot auf uns zurudern sahen, welches bald nachher neben uns hielt und ein sehr eigenthümliches Cargo von Thieren, zum Genus homo gehörend, an Bord hatte. In den Sternschooten saß ein in großer Wichtigkeit sich blähender Magistratsschreiber. Auf dem Hinterdost, dem Schreiber gegenüber, befanden sich zwei Konstabeln von regelmäßigem Devonshirer Schlag, deren Jeder zwischen seinen Beinen einen langen Stab mit den vergoldeten Anfangsbuchstaben des Königlichen Namens trug.

Zwischen diesen bedeutsamen Pfeilern des Staates saß ein großer linkischer junger Mensch in einem weißen Zwilchkittel, der vorn und auf den Achseln mit Blut befleckt war. Der Bursche heulte laut hinaus und erhob von Zeit zu Zeit seine gefesselten Hände mit einer wahrhaft pathetischen, sägeartigen Bewegung. Obgleich sich der Wind gelegt hatte, strömte doch die Fluth stark und die See ging hoch genug, um die Bewegung des Bootes sehr unangenehm zu machen. Als es neben der Fregatte an einem Tau befestigt wurde, begannen die Personen in den Sternschooten gegen einander zu baumeln, und die Stäbe verloren und gewannen abwechselnd ihre senkrechte Stellung – so zwar, daß der Kopf des Schreibers ernstlich bedroht wurde und dessen Gesicht zu erblassen begann. Der Kapitän und viele der Offiziere sahen über die Laufplanke nieder, und nun folgte nachstehendes Gespräch, das von dem Offiziere der Wache eröffnet wurde:

»Uferboot – ahoi!«

»Im Namen des Königs,« versetzte der Schreiber unter vielen bedrohlichen Schluchzern, indem er ein Blatt Papier hervorzog, »bringe ich hier einen Volontär, der in seiner Majestät Flotte dienen soll.«

Dabei deutete er auf den Heuler im Zwilchkittel.

»Gut,« sagte der Kapitän; »so schlagt ihm sein Eisen ab und gebt ihn herauf.«

»Bin nicht so keck, Sir – mein Leben ist mir lieber. Er ist der grausamste Wilddieb in der Gegend und hat erst kürzlich einem von des Squires Oberförstern beinahe den Schädel eingeschlagen.«

»Just ein Bursche, wie wir ihn brauchen,« entgegnete der Kapitän. »Aber Ihr seht, er kann mit so festgeschlossenen Händen nicht an der Seite heraufkommen, und vermuthlich droht Euch keine sonderliche Gefahr von dem Freiwilligen, da Ihr zwei so derbe Konstabeln bei Euch habt, die mit ordentlichen Stäben bewaffnet sind.«

»Ja,« erwiederte der Schreiber, »ich glaube nicht, daß ich viel Gefahr von dem Uebelthäter zu erfahren habe, nun ich mich unter dem Schutze der Fregattenkanonen befinde.«

Durch diese Rücksicht einigermaßen ermuthigt, ließ er den Wilddieb entfesseln, woraus er mit den Konstabeln und dem Gefangenen an Bord kam und auf dem Halbdeck erschien.

Dies wurde jedoch nicht ohne viel Schwierigkeit und einigen Verlust bewerkstelligt, welch' letzteren die betreffende Partie wohl bis zu ihrem Sterbetage beklagte, wenn nicht allenfalls durch den Vorfall dieses bedauerliche Ereigniß früher herbeigeführt wurde. Einer der Konstabeln ließ nämlich beim Heraufsteigen seinen Stab fallen – seinen vielgeliebten Stab, ihm theuer wegen mancher zärtlichen Rückerinnerung an unterdrückte Tumulte und ergriffene Uebelthäter: das edle Zeichen der Amtsgewalt schwamm mit der Fluch dahin und war bald weit, weit im Sterne. Das Entsetzen des Ehrenmannes über dieses Ereigniß war im höchsten Grade komisch, und der Bewahrer des königlichen Friedens hätte kein ungekünstelteres Leid an den Tag legen können, um so mehr, da der Magistratsschreiber nicht zugeben wollte, daß man in dem Boote dem Verluste nachsetzte, denn er war angelegentlich bekümmert, das einzige Verbindungsmittel zwischen ihm und dein Ufer nicht von der Hand zu lassen.

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