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Sechsundfünfzigstes Kapitel

Süßer Vorgenuß eines Diners – Die Freude wird durch den ersten Schnitt verdorben. – Ein Anzug, der nicht zum Tragen taugt. – Josua Daunton probirt ein Paar eiserne Strumpfbänder, die sich leichter an- als ablegen lassen.

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Dieser Kobold, dieser Flibbertygibbet, tödtete uns zollweise. Endlich faßte einer der Meistersmaten, der nicht länger im Stande war, so ruhig und philosophisch zu hungern, wie es einem Manne von Muth geziemt – den Entschluß zu einer letzten Anstrengung, um wenigstens so oft als möglich in der Kajüte des Kapitäns oder der Offiziere zu diniren, zu frühstücken und zu soupiren. Da er fand, es sei genug neues blaues Tuch sammt Knöpfen und so weiter an Bord, um für ihn zu einem vollständigen Anzuge zu reichen, so machte er einen Einkauf zu ungeheurem Preise auf Credit und setzte die Schiffsschneider in gehörige Thätigkeit. Mittlerweile hatten wir mit unserem heimkehrenden Convoy die Ufer von Neufoundland erreicht. Es war nebelig und kalt – und wir froren in unseren Lumpen. In solcher Sachlage kann sich wohl auch ein Gutgekleideter vorstellen, welch' ein Segen ein neuer, warmer Anzug sein muß – namentlich, wenn derselbe substanzielle Frühstücke, Diners und Soupers im Gefolge hat, und unser freundlicher Tischgenosse, Mr. Pigtop, der achtbare Mate des Oberlofdecks, war im Begriffe, sich eine derartige Aussicht zu sichern. Er hatte bereits angefangen, über die Unvernünftigkeit umgehender Röcke zu raisonniren und fand das Paar Halbdeckhosen, welche, wie die Weiber der alten Briten, das gemeinschaftliche Eigenthum von sieben waren, durchaus nicht praktikabel. Der undankbare Wicht! In demselben Augenblicke hatte er den einzigen, auf dem Halbdecke producirbaren Rock an, der mein Eigenthum war und den er geborgt hatte, um auf's Deck gehen und rapportiren zu können, daß unten Alles richtig fei.

»Kapitän Reuds Kompliment an Mr. Pigtop, und er werde sich freuen, wenn dieser Gentleman ihn bei Tische mit seiner Gesellschaft beehren wolle.«

Englische Worte, wenn der eingeladene Reffer ein reines Hemd oder eine Chemisette und eine anständige Uniform hat.

»›Mr. Pigtops Kompliment an Kapitän Reud, und er werde sich glücklich schätzen, seine Aufwartung zu machen.‹ So, ihr Hunde,« sagte der sich blähende Pigtop, »kommt mir nur nicht wieder mit Kleider borgen. He, Josh, springt nach dem Vorderschiff und sagt dem Schneider, ich müsse Glock vier meine Uniform haben.«

Josh eilte mit einem sehr schlauen Grinsen auf dem talgfarbigen aber schönen Gesichte nach vorne.

Nun war dem Kapitän und den Offizieren die unerklärliche Zerstörung unserer Kleider sehr wohl bekannt, obschon sie dergleichen thaten, als hielten sie dieselbe nicht für so gar unerklärlich. Sie sagten, der Grund sei in sehr natürlichen Ursachen zu suchen – zum Theil in der Feuchtigkeit, zum Theil in den Motten, vornehmlich aber in unserer sprichwörtlichen Sorglosigkeit. Nun – ein Midshipman und sorglos! Aber gewisse Leute können ungestraft schmähen, und was sie auch denken mochten, sie freuten sich über unsere Klemme, sowohl in Betreff der Kost, als der Kleidung.

Eine Stunde, ehe das Diner des Kapitäns bereit war, wurde der vielbeneidete Anzug nach hinten gebracht und dem Mr. Pigtop gebührend anprobirt. An die Offiziere, oder wenigstens an Diejenigen davon, gegen welche er sich eine derartige Freiheit erlauben konnte, erging die Einladung, die Uniform zu beaugenscheinigen. Der Ausspruch lautete – als Schiffsschneiderarbeit ganz vortrefflich.

Pigtop schwamm in Wonne. Bei Josh Daunton war es der gleiche Fall, aber nur in seiner ruhigen, unterwürfigen Weise. Unser Neid stand ganz im Verhältnisse zu dem Anlaß. Josh war ein vortrefflicher Barbier und erbot sich, den glücklichen Dinergast zu rasiren, was denn auch angenommen wurde. Aber jetzt kam ein Wendepunkt des Glückes, und für den armen Maten begann eine lange Reihe von Nöthen. Daunton hatte zuverlässig keine Schuld daran, aber alle Rasirmesser waren wie Sägen. Das Blut rieselte über Mr. Pigtops schwarzes Gesicht, aber die Barthaare blieben hartnäckig stehen. Der Leidende fluchte – ach und wie schrecklich! Die Zeit entschwand schnell. Nach einem furchtbaren Schwure, der fast im Stande gewesen wäre, eine eichene Bohle zu spalten, erwiederte Josua in seiner gedämpften, einschmeichelnden Stimme:

»Mr. Pigtop, ich bitte – versucht die Rasirmesser selbst, Sir. Mein Herz blutet mehr, Sir, als euer Gesicht – macht den Versuch, Sir, denn ich meine, ich höre den Diener des Kapitäns die Lucke herunterkommen, um zu melden, daß das Diner bereit sei.

In der Verzweiflung ergriff der hungrige Mate die Rasirmesser: da er aber gar zu hastig war, so machte er sogar noch schlechtere Arbeit als Josua, denn wo dieser blos Kerben gemacht hatte, brachte Pigtop klaffende Schnitte an. Es wurde nun nach dem Schiffsbarbier geschickt, der sich jedoch entschieden weigerte, sich mit der blutigen Oberfläche zu befassen.

Aber Josua Daunton war der wahre Freund – der Freund in der Noth. Mit Mr. Pigtops Erlaubniß wollte er hingehen und eines von Doktor Thompsons Rasirmessern borgen.

Das Erbieten wurde dankbar angenommen. In der Zwischenzeit traf die Ankündigung des Diners ein. Es ist ungefähr eben so weise, den hungrigen Tiger von seiner neuerlegten Beute zurückzuhalten, als wenn ein Midshipman den Kapitän eines Kriegsschiffs beim Diner warten läßt. Reud wartete nicht.

Indeß that das frische Rasirmesser in Josuas gewandter Hand wunderbare Wirkung. Der bisher untraktirbare Bart verschwand rasch, und Josuas Zunge bewegte sich sogar noch glatter, als sein Rasirmesser. Barbiere, in ihrem Amt begriffen, haben, wie die Mitglieder des Unterhauses, das Privilegium der Rede und sind nachher nicht verantwortlich für das, was sie gesprochen haben. Während ihrer Funktion sind sie allmächtig, denn wer möchte wohl Händel anfangen mit einem Manne, der einem mit dem Rasirmesser über die Carotis gleitet? Mr. Pigtop wenigstens war sicherlich nicht der Mann dazu. Unter dem beredten Schwingen seines Instruments sprach Josua folgendermaßen:

»Mr. Pigtop, ich habe große Achtung vor Euch – in der That sehr große Achtung, Sir. Wenn Ihr auch bisher nicht mein guter Freund gewesen seid, so weiß ich doch, daß Ihr es noch werdet, denn Ihr seid nicht wie die anderen flüchtigen, jungen Gentlemen. Ich habe Achtung vor den Jahren, Sir – große Achtung vor den Jahren, und Ehre einem Gentleman von mittlerem Alter. In der That, Sir, es muß eine große Herablassung von Euch sein, daß Ihr in der Stellung eines Meistersmaten auf der Fregatte bleibt, während Ihr doch unter die ältlichen Gentlemen gehört – «

»Verd–!«

»Da haben wir's! – Es war in der That sehr unklug von Euch, den Mund aufzuthun. Ihr wißt, es ist nicht meine Schuld, daß der Pinsel hineinging. Freilich, einige Leute lieben den Geschmack des Seifenschaums – halten ihn sogar für sehr gesund, kann ich Euch versichern. Stoppeln von Eurem Wuchse, Sir, brauchen stets ein doppeltes Auftragen der Seife – sprecht doch nicht. Oh, Sir, Ihr seid ein glücklicher Mann – ganz ungemein. Euer Gesicht wird so glatt werden, wie geborgtes Geld. He, Junge, eilt die Hinterlucke hinauf und sagt dem Kapitänssteward, Mr. Pigtop werde in der Kajüte eintreffen, sobald man nur ein Rasiermesser schwingen kann, oder ehe ein weißes Roß grau werde. Erlaubt mir, Euch bei der Nase zu fassen – sie ist die ächte und gerechte Handhabe des Gesichtes, Sir, und gibt Einem so zu sagen, eine Art Kommando über den ganzen Kopf, so daß man ihn nach allen Richtungen des Kompasses drehen kann. Ihr seid in der That glücklich, Sir, und sehr zu beneiden. Gestern wurde eine von des Kapitäns Schildkröten geschlachtet – Jumbo ist ein Koch, ein ganz vortrefflicher Koch – ein Löffel voll von der heutigen Suppe wird das Lösegeld eines Königs werth sein – einen Metzen Märzenstaub. Doch was sage ich? Ich möchte diesen Löffel voll nicht für hundert Scheffel davon geben. Nehmt meinen Rath, Sir, und schöpft Euch zweimal Suppe, Sir. Ich will kein ehrlicher Mann sein, wenn nicht den jungen Gentlemen, als man sie über das Hauptdeck trug, das Wasser in Strömen aus den Mundwinkeln lief; ihre Zungen hingen so lechzend heraus, wie bei einem Rudel hungriger Hunde in Cribblegate, die dem Schubkarren des Katzenmetzgers folgen. Nur noch ein Strich über Eure Oberlippe und Ihr seid so glatt, wie ein neugebornes Kind. Weil wir eben von den Lippen sprechen – wenn der erste Löffel voll jener Schildkrötensuppe darüber gleitet – – der Teufel! Ich nehme Gott zum Zeugen, daß es Zufall war – das Rollen des Schiffes!«

Josua Daunton lag vor Mr. Pigtop auf den Knien, während dieser, vor Schmerz ganz außer sich, die fast aus seinem Gesichte getrennte Oberlippe hielt, indem zugleich das Blut in Strömen durch seine Finger rieselte.

Doktor Thompson war bald mit schwarzem Heftpflaster zur Stelle, um dem fast entlippten Meistersmaten beizuspringen. Nachdem das Nöthige besorgt war, bot der arme Kerl einen traurigen Anblick. Dennoch überwand der große Hunger, welcher durch die von dem boshaften Josua so arglistig heraufbeschworne Vision einer Schildkrötensuppe zur Wuth gesteigert worden war, das Gefühl des Schmerzes, und Mr. Pigtop, der sich in dem breiten, von dem rechten Nasenloche bis zum linken Mundwinkel laufenden Pflasterstreifen ganz gräulich ausnahm, beeilte sich, die neue Uniform einzuweihen.

Inzwischen hatte Josua durch Versicherungen und Thränen männiglich überzeugt, daß der schreckliche Schnitt bloße Wirkung eines Zufalls gewesen sei, denn das Schiff rollte noch immer sehr. Was der Kapitän und seine Gäste in der Kajüte oben mit der Schildkrötensuppe anfingen, brauchen wir nicht zu berichten, da gedachte Suppe nicht bestimmt war, Mr. Pigtops verwundete Lippe zu erfreuen.

Als der hungernde Gentleman in seiner Hast zum erstenmal in die neuen Beinkleider fuhr, entdeckten die Umstehenden mit größtem Erstaunen, daß sie in der Mitte der Beine durchlöchert waren. Der Meistersmate hätte eben so gut versuchen können, sich in Spinnweben zu kleiden, denn die leichteste Bewegung ließ den vermürbten Stoff in Fetzen niederfallen. Weste und Rock waren in demselben Zustande – es gebrach ihnen an dem Principe des Zusammenhangs. Männiglich war in Erstaunen verloren, Mr. Pigtop ausgenommen, dessen Ueberraschung der Wuth Platz machte. Der heutige Schnitt in die Lippe war ein großes Unglück für Josua Daunton. Der freundliche Doktor war bei dem Ankleideversuch noch zugegen und besichtigte die vermürbten Kleider, bei welcher Gelegenheit er die Entdeckung machte, daß sie an verschiedenen Stellen mit einer ätzenden Flüssigkeit gesättigt worden waren, welche den Glanz des Tuches nicht nur nicht beeinträchtigte, sondern sogar noch erhöhete.

Während dieses Vorganges hatte Kapitän Reud mit seinen Gästen das Diner verzehrt, und da er gerade nicht in der angenehmsten Stimmung war, so ließ er Mr. Pigtop sagen, er solle sich bis Mitternacht nach dem Stengenkopfe begeben, weil er den gebührenden Respekt so sehr außer Acht gelassen habe, um auf eine angenommene Einladung nicht zu erscheinen. Da half kein Appelliren, und der verwundete, zerlumpte und ausgehungerte Mensch, der sich so sehr auf die Schildkrötensuppe gefreut hatte, mußte gehorchen. Josua machte ein sehr trostloses Gesicht; als aber Doktor Thompson eine Untersuchung anstellte, kam der Grund der Kleiderverderbniß bald an's Licht. Der junge Mensch, der die Schiffsapotheke unter Obhut hatte, gestand nach einigem Stocken, daß er für gewisse Gläser Grog die schädliche Flüssigkeit an Daunton abgegeben habe. Während daher einer der Gebieter von dem Stengenkopfe aus die Sterne betrachtete, konnte man mit dem Zerstörer der Refferuniformen nichts Besseres anfangen, als daß man ihn in die Lage versetzte, unter dem Halbdecke die Schönheit seiner Beine in dem Schmucke zweier zierlicher Bilboes zu bewundern.

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