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Fünfundsechszigstes Kapitel

Ralph trifft mit alten Freunden und alten Feinden zusammen. – Er hört einem sehr angenehmen Gespräch zu, bei welchem er selbst eine unfreiwillige Partei ist, und kriegt beinahe Gelegenheit, seiner Grogportion für immer zu entsagen. – Einem romanhaften Ergusse ist für Etwas Dank abzutragen.

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Es geht jetzt schnell mit meiner Erzählung vorwärts, denn ich wünsche in möglichster Geschwindigkeit über alle derartige betrübende Stellen in meiner Lebensgeschichte wegzukommen. Ich fühle es und fühlte es schon damals, daß etwas Lächerliches und Quälendes zugleich darin lag. Ich vermuthete, daß mein Handeln nicht natürlich, daß ich bemüht sei, mich viel zu sehr nach dem Charakter eines Romanhelden zu bilden, und – muß ich es bekennen? – Schon nach einer kleinen halben Stunde fand ich meinen Rachegürtel so kalt und unbequem, daß ich von Herzen wünschte, seiner wieder los zu sein. Freilich ein klägliches Zugeständniß, das traurig genug gegen meinen Heroismus absticht – aber der Eid, den ich aus freien Stücken und so feierlich abgelegt hatte, hinderte mich, die unangenehme Belästigung wegzuwerfen.

Obgleich meine Geschichte sehr romantisch gewesen ist, war ich doch nie zum Helden eines Romans geschaffen. Aus den wohlbetretenen Pfaden des gewöhnlichen Lebens hinausgewiesen, war ich stets bemüht, in dieselben einzutreten. In großer Gefahr bin ich zwar großer Anstrengungen fähig; aber ich hasse eine Wiederholung derselben, bin kein Freund der Mühe und habe einen Abscheu sogar vor dem Gedanken an körperlichen Schmerz. Warum habe ich mich damals einer solchen Widerwärtigkeit ausgesetzt? Weil ich ein Narr und eine wachsame Vorsehung so gnädig war, sogar aus meiner Thorheit für mich Sicherheit zu bereiten.

Il faut manger. Bei einem jungen, gesunden Menschen folgt leider auf einen tiefen Schmerz nur zu oft der unüberwindlichste Appetit. Trotz meiner hohen Racheentwürfe und meines gerechten Unwillens gegen Unterdrückung fühlte doch mein Magen eine gewisse Leere. Die Leiden der Seele konnte ich ertragen, die des Leibes aber nicht in so langer Dauer. Sogar die aufrichtigste und tiefste Zerknirschung würde mich nimmermehr veranlaßt haben, ein Mönch von la Trappe zu werden.

Ich begab mich daher mit überquellendem Herzen und einem prickelnden Gefühle von der Nothwendigkeit, meine Verdauung in Thätigkeit zu setzen, mit dem kleinen Mädchen in das erste Wirthshaus und ließ eine reichliche Portion Beefsteaks auftragen. Allerdings etwas Gemeines – aber wer wird sagen, daß es unnatürlich war? In der That hatte ich gerade so wenig Geschmack für etwas Anderes, als für das bestellte Mahl, daß ich sogar den Effekt der schönen Gelegenheit verabsäumte, den verwaisten Sohn im Einklange mit dem kleinen Kinde, das seine Freundin verloren, weinen zu lassen. Das wäre hübsch pathetisch gewesen, aber ich war zu hungrig, weshalb ich der Kleinen blos einen Schilling als Abschlagszahlung an der künftigen Gabe reichte und ihr sagte, sie solle nach ein paar Stunden wieder kommen, um mir Alles das mitzutheilen, was ihr von einem Gegenstande, der so viel Interesse für mich habe, bekannt sei.

Ich war betrübt und dinirte kräftig. Das Mädchen kam und ich schickte mich an, nach der Stadt zurückzukehren. Trotz der Sünde meines Appetits muß man übrigens nicht glauben, daß ich nicht auf's Tiefste ergriffen war, als ich ihren einfachen Bericht hörte. Es hatte den Anschein, als sei Alles, was Mr. Cherfeuil umgab, Lächeln, Glück und Sonne gewesen, bis eine Person erschien, in welcher ich der Beschreibung zufolge mit einemmale jenen Teufel Daunton erkannte. Dann war alles häusliche Glück für die arme Dame dahin. Die schlimmsten Gerüchte kamen in Umlauf, und der kleine Franzose, der zwölf Jahre lang ihr Schatten, ihr Sklave und Bewunderer gewesen war, wurde mit einemmale heftig und grausam. Nachdem man ihr einmal das schreckliche Wort Bigamie entgegengeworfen, erhob sie ihr Haupt nie wieder.

Sie siechte dahin und starb. Zwar war es Daunton nicht gelungen, von ihr Geld zu erpressen – aber sein Anschlag war weit tiefer und höllischer. Er hatte sich – aber erst nach ihrem Tode – für ihren Sohn erklärt. Statt aber dadurch eine günstige Wirkung auf den aufgebrachten Wittwer zu üben, ließ sich's dieser nur um so angelegener sein, den Betrüger von sich fortzutreiben. Endlich bot sich Mr. Cherfeuil eine Gelegenheit, den Ort, der ihm jetzt so verhaßt war, und das Land, das ihn geschützt und ihm zu einem schönen Vermögen geholfen hatte, für immer zu verlassen, und er machte mit Freuden Gebrauch davon. Dieser Bericht vermochte meine unversöhnlichen Gefühle gegen diesen Daunton nicht zu erhöhen, denn mein Haß war über die Möglichkeit eines Zuwachses erhaben. Ich verabscheute ihn aus ganzem Herzen, aus allen meinen Kräften und mit ganzer Seele. Nach dem Gefühle des Hasses war der gewaltigste Drang meines Innern, mein und sein Geheimniß zu enthüllen, denn ich fühlte mich jetzt überzeugt, daß beide innig mit einander verflochten sein mußten.

Diejenigen, welche meinen Bericht für ein Gewebe gut oder übel erfundener Dichtungen halten, sind im Irrthume. Wäre dem so, so würden nicht einzelne Charaktere auftauchen, die ein paar bedeutungslose Reden halten, etliche unwichtige Handlungen vollbringen und dann für immer von der Bühne verschwinden. Der Autor würde sein Material nicht so sehr erschöpfen, um seine Rollen in dieser Weise zu vervielfältigen, sondern nur diejenigen Personen vor die Augen des Publikums bringen, welche zur Schürzung und Lösung des Knotens beitragen und im letzten Auftritte auf den Brettern versammelt werden können. – Allen Partieen würde poetische Gerechtigkeit – die einzige, welche zur Zeit in ihrer Vollkommenheit dasteht – widerfahren, und der Vorhang fiele nieder, nachdem der Held die treue und schöne Heldin geheirathet hat und für Beide nichts mehr zu gewärtigen steht, als eine lange Periode von Erdenglück. Da wir es aber hier mit nichts mehr oder weniger, als mit einer wirklichen Biographie zu thun haben, in der nichts verändert ist, als die Namen, und nichts falsch dargestellt wurde, als einige Lokalitäten, so darf der Leser auch nicht die befriedigenden Resultate eines Romans erwarten – keine fortgesetzte Reihe großartiger Handlungen, sondern nur alle die Wechselfälle des Alltaglebens, in welchen man das Hohe ohne Unterlaß lächerlich macht und das Wunderbare für übertrieben hält, wenn es auch gleich nur die bloße Wahrheit in sich birgt. Die wirklichen Thatsachen sind es hauptsächlich, welche die Kritiker mit der Idee des Unmöglichen verwirren. Wie abgeschmackt, werden sie sagen, anzunehmen, daß in unsern Tagen der Gesetztheit ein junger Mensch hingeht, um Verwünschungen über dem Grabe seiner muthmaßlichen Mutter auszurufen, daß er einen Theil kalter Grabeserde wie einen Gürtel um seinen Leib knüpft, und daß dann gerade dieser tolle Akt hintendrein das Mittel zur Erhaltung seines Lebens wird, während es doch weit natürlicher wäre, wenn er dadurch seinen Tod an einer Lungenentzündung fände – sie werden wiederholen: es ist ganz außer dem Laufe der Natur und rein unmöglich. Allen diesen habe ich jedoch nur in aller Ruhe zu entgegnen, daß ich eine positive Thatsache berichte, und zwar nur deßhalb berichte, weil sie eben so seltsam als wahr ist.

Nachdem ich Alles, was mir die Kleine zu entdecken wußte, angehört und sie gebührend belohnt hatte, schickte ich mich zu einem einsamen Spaziergang über die Orte an, die mir vordem so theuer gewesen waren. Die kalten Nebel des Abends sanken nieder, und ich fuhr so lange fort mich mit dieser melancholischen Beschäftigung abzuquälen, bis ich mich so unglücklich fühlte, wie nie ein sterbliches Wesen, das sich nicht geradezu zum Selbstmord gezwungen sah. Gegen fünf Uhr fing es an zu dunkeln, und sowohl an Körper, als an Geist erschöpft, begann ich den langen Berg an das Ende der Heide hinanzuklimmen, um nach London zurückzukehren.

Der Berg war auf der Surreyseite so abschüssig, daß der Weg jetzt nicht mehr von Wagen befahren wird, dabei auch noch obendrein so gewunden, daß die Krümmungen bisweilen fast in rechten Winkeln verliefen. Hohe, mit undurchdringlichen Hecken bekleidete Dämme und schattige hohe Bäume machten ihn feucht und dunkel, und wie ich um eine der scharfen Ecken kam, trat mir ein stämmiger Kerl, dem in einiger Entfernung ein kleinerer Mann folgte, mit einem schweren Knittel entgegen. Er rief mir in rauher Stimme zu –

»He, Ihr Sir, wie viel Uhr ist es?«

»Kümmert Euch um Euer Geschäft und laßt mich gehen.«

»Nehmt das für Eure Höflichkeit!«

Und mit einem schweren Schlage seines Knittels schmetterte er mich zu Boden. Ich war nicht betäubt, fühlte mich aber sehr unwohl und außer Stande, aufzustehen. In diesem Zustande beschloß ich, mich ohnmächtig zu stellen; ich machte daher meine Augen zu und blieb stockstille liegen. Der stämmige Landstreicher setzte sein Knie auf meine Brust und rief seinem Gefährten –

»He, Mister, kommt und seht, ob ich da den rechten Kunden getroffen habe.«

Die angerufene Person kam herzu, und ich erkannte durch meine Augenwimpern Dauntons teuflisches, weißes Gesicht. Es war sehr dunkel, und um mich zu erkennen, sah er sich genöthigt, sein Gesicht dem meinigen so nahe zu bringen, daß sein glühender Athem gegen meine Wange brannte. Er war von Schrecken ganz außer sich und zitterte wie im Fieber.

»Er ist's,« versetzte er mit klappernden Zähnen. »Ist er betäubt?«

»Mister, das nehme ich für Beleidigung. Meint Ihr, daß John Gowles nach einem solchen Aufschüßling zwei Streiche führen müsse?«

»Bst! – wie gar, gar kalt es ist! Wo habt Ihr Euer Messer? Wollt Ihr es thun?«

»Ganz gewiß nicht. Da – er steht in Eurer Gewalt – ich habe noch nie einen Mord begangen. Nein, nein, ich muß an meine kostbare Seele denken. Ein Handel ist ein Handel, – mit meinem Theile bin ich fertig.«

»Gowles sprecht nicht so laut. Ich kann den Anblick von Blut nicht ertragen – und oh Gott! noch obendrein von diesem Blute – es würde mir auf die Hand spritzen. Schlagt ihn wieder über den Kopf – er athmet schwer, gebt ihm noch einen Streich!«

»Nein,« sagte sein Verbündeter verdrießlich. »Ich sag' Euch – ich will keinen Theil an diesem Mord haben.«

Während dieser interessanten Zwiesprache sammelte ich alle meine Thatkraft zu einer einzigen, verzweifelten Anstrengung, wollte aber warten bis das Messer erhoben würde, um es zu ergreifen und die Waffe gegen die Brust des einen Meuchelmörders zu kehren, dann aber es als Wehr gegen den andern zu gebrauchen.

»Wollte Gott,« sagte der Elende mit dem beabsichtigten Morde noch Gotteslästerung verbindend – »wollte Gott, daß meiner Hand dieses Geschäft erspart bliebe. Gebt mir das Messer. Wohin soll ich stoßen? Ich habe nicht die Kraft es weit hinein zu treiben.«

»Ich sag' Euch, Mister, will nichts zu thun haben mit dem Mord – kann Euch aber den Rath geben, seinen Hals zu entblößen und die Spitze just unters rechte Ohr hineinzustoßen.«

»Bst! wird es viel bluten?«

»Verdammt viel.«

»Schrecklich! – schrecklich. Haltet Ihr die Geschichte von Kain und Abel für wahr?«

»Für so wahr, als Gott im Himmel ist.«

»Dann wird das Blut meines Bruders Alles in Scharlach verwandeln, so lange ich lebe. Kann's denn nicht ohne Blut geschehen?«

»Ich will nichts mit dem Morde zu thun haben. Aber Mister, wenn Ihr so gar hasenherzig seid, so nehmt Euern kleinen Knaller da und schickt ihm eine Kugel recht in's Herz, 's ist dann ein Gentlemans Tod und wird das denkbar netteste kleine Loch geben; auch das Bluten hat nicht viel zu bedeuten; aber wohl gemerkt, dieser Mord geht ganz auf Euere Rechnung.«

In diesem kritischen Augenblicke, in welchem ich eben tief aufathmete, um meinen Körper zu einer augenblicklichen Anstrengung zu beleben, hörte ich zwei oder drei Stimmen in der Ferne einen unharmonischen Chor singen –

»Habe manchen Spaß gesehen,
Doch ich wollt', der Krieg wär' aus.«

»Jetzt oder nie,« sagte Josua, indem er seine Pistole hervorzog und den Hahn spannte.

Ich sprang im Nu auf meine Beine und ergriff das kleine Taschengewehr mit der linken Hand beim Laufe, während ich mit der rechten meinen liebenswürdigen Bruder packte. Es folgte nun ein Kampf. Die Mündung der Pistole war gerade gegen meine Brust gerichtet, als mein Gegner sie abfeuerte. Ich fühlte den scharfen Stoß der Kugel, der mir für einen Augenblick den Athem benahm, ließ aber die Kehle des Elenden nicht los. Das Gurgeln des Erstickens wurde auch seinem viehischen Begleiter vernehmlich.

»Potz tausend,« sagte der Kerl; »dieser ermordete Mann da erdrosselt meinen Mister noch in seinen Todesnöthen.

Und der furchtbare Knüttel sauste abermals auf meinen Arm nieder. Ich ließ los und sank auf's Neue zu Boden.

»Er ist ein todter Mann,« sagte Gowles. »Lauft was Ihr wißt und könnt, um Euer Leben zu retten! Aber wohlgemerkt, Mister, ich habe keinen Theil daran gehabt.« –

Und sie waren fast im Nu außer Hör- und Sehweite.

Bei dem Knall der Pistole hatten die lustigen Sänger nach Kräften ausgeholt. Sie standen schon um mich her, ehe noch die verhallenden Fußtritte meiner Mörder aufgehört hatten, die Stille der Dunkelheit zu unterbrechen. Eine Stimme, in welcher ich augenblicklich die meines alten Gegners, des Mistersmaten Pigtop, erkannte, redete mich an.

»He da, Schiffskamerad – seid Ihr auf einen Piraten gestoßen? Wie, 's ist Euch doch nicht der Wind ausgegangen?«

»Nein, aber ich glaube, mein Arm ist zerbrochen; auch habe ich eine Pistolenkugel zwischen den Rippen.«

»In welcher Richtung sind die Halunken abgeschoren? Sollen wir Segel aufklappen und Jagd machen?«

»Es nützt nichts. Einen davon kenne ich gut, sie werden mir nicht entkommen.«

»Ei, diese Stimme kenne ich. Ja – nein – hole mich dieser und jener, es muß Ralph Rattlin sein. Ja, wahrhaftig – er ist's und liegt hier auf seinen Balkenenden – ein Schuß in seinem Rumpf und eine von seinen Spieren zerwettert. Da wollte ich doch lieber, mein Grog würde mir für mein ganzes Leben über zu Wasser, als daß mir dies begegnen mußte.«

»Diesen Abend wenigstens habt Ihr Euern Grog nicht gewässert,« sagte ich, indem ich unter seiner und seiner Kameraden Beistand mich erhob. »Ich fühle mich übrigens nicht sonderlich beschädigt.«

»Ganz richtig, ganz richtig, Schiffsmate. Aber wir müssen einen Stopper über Alles klappen. Kleine Kugeln in der Brust sind schlimme Tischgenossen. Wir müssen aus meinem Bramsegel da ein Tourniquet für Euch machen.«

Er schlang, ohne auf meine Schmerzensrufe zu achten, sein Schnupftuch um meine Brust und zog es vermittelst seines Steckens so fest an, daß es nicht nur allen Bluterguß stopfte, sondern mir auch fast den Athem benahm. Meine linke Hand hielt noch immer die entladene Pistole umfaßt, die ich jetzt Pigtops Verwahrung übergab. Nach der weiteren Untersuchung fand ich, daß mein Arm keinen Knochenbruch erlitten hatte, und daß ich mich in Anbetracht der Umstände leidlich genug fortbewegen konnte. Dennoch fühlte ich bei etwas beschleunigterem Gehen einen heftigen Schmerz in meiner Brust und einen schwer beengten Athem.

*

 


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