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Zweiundvierzigstes Kapitel

's ist gut, einen langen Löffel zu haben, wenn man mit dem Teufel Suppe ißt. – Der Schuß des Kapitäns geht selten fehl. – Sehr zureichender Beweis, daß es nicht immer angenehm ist, ein reines Hemde auf dem Leibe zu haben. – Die beste Methode, eine Sache zu betrachten, besteht darin, sie in einem für die eigene Person vortheilhaften Lichte anzusehen.

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Es ist stets ein großer Beweis des Muths, wenn man kaltblütig im Feuer steht. Vermuthlich wünschte Kapitän Reud den Grad der Unerschrockenheit seiner Offiziere zu prüfen, indem er dem gejagten Schiff gestattete, uns mehrere gewichtige Einwendungen gegen weitere Fortschritte der Vertraulichkeit von unserer Seite entgegenzusetzen. Vor einem Vierteljahrhundert herrschten einige sehr sonderbare Begriffe in der Flotte, unter denen keiner gewöhnlicher war, als daß das Abfeuern des Buggeschützes die Eile eines Schiffes wesentlich beeinträchtige. Der Kapitän und der erste Lieutenant waren derselben Ansicht, weßhalb wir der Korvette ohne Schuß nachzusetzen fortfuhren, während sie, durch die Ungestraftheit ihres Kanonirens ermuthigt, nur um so rascher und mit größerer Genauigkeit feuerte, wie unser zerrissenes Segel- und Takelwerk zu bezeugen begann.

Ich wurde etwas ungeduldig über diese augenscheinliche Unthätigkeit von unserer Seite, und Mr. Burn, der Geschützmeister, schien meine Gefühle mehr als zu theilen. Unsere beiden Bugkanonen waren sehr imponirend aussehende Magnaten und konnten mit ihren Achtzehnpfündern einen Auftrag aus drei Meilen Entfernung besorgen, während wir jetzt doch kaum halb so weit von dem Gegner abstanden. Mr. Burn war ein großer Freund von zwei Dingen – von einem langen Schusse und von dem langen Messer. In allen Schiffen, in welchen ich je gesegelt, traf ich nie einen Mann, der so kaltblütig und unerschrocken lügen oder mit gleicher Sicherheit seine Kugel werfen konnte. In ersterem Punkte hätte der Baron Münchhausen keinen unwürdigen Nebenbuhler in unserem Geschützmeister gehabt, und würden Duelle mit Achtzehnpfündern ausgefochten, so hätte er gewiß sogar in Lord Camelford einen sehr höflichen Gesellschafter gesunden.

Der Geschützmeister brannte vor Ungeduld, dem Kapitän zu zeigen, was für einen werthvollen Offizier er in seiner Person besitze. Die beiden Kanonen waren längst bereit, und den Aufholer in der rechten, den Rand seines Glanzhuts aber in der linken Hand, sagte er ohne Unterlaß:

»Soll ich ihr jetzt eine Kugel geben, Kapitän Reud?«

Die Antwort sagte so herausfordernd stets dasselbe, wie die Rede eines Parlamentsmitglieds, das, um dem Beitreiber zu helfen, nur noch spricht, um Zeit zu gewinnen. »Wartet noch ein wenig, Mr. Burn.«

»Nun, Mr. Rattlin,« sagte der fette Doktor, der sich zu mir heraufpustete, »so seid Ihr also zum Ritter geschlagen worden – noch obendrein auf dem Schlachtverdecke – Ritter von dem Orden des leichten Duckens.«

Ich hatte des Kapitäns Glas vor meinem Auge und schaute über die Hängematten. Um an mich heranzukommen, mußte sich der Doktor mit beiden Händen an dem Hängemattengeländer halten und sein ungeheures, rundes, rothes Gesicht sah gerade über der Theerleinwand weg, auf welcher er sein Kinn aufstützte – kein übles Abbild einer zornigen Sonne, die ihr Antlitz über dem Rande einer dunklen Wolke durch einen Londoner Novembernebel blicken läßt.

»Nehmt Euch in Acht, Doktor,« rief ich ihm zu, denn ich hatte die feindlichen Kanonen aufblitzen sehen.

»Vom leichten Ducken,« entgegnete der neckende Doktor.

Dann aber flog der obere Theil seines Huts weg, und der Mann sank hinunter auf das Deck, gerade auf jenen Theil, den die Natur absichtlich breit geschaffen zu haben scheint, um Einem das Fallen leichter zu machen.

»Das ist jedenfalls kein leichtes Ducken,« sagte ich.

Der Doktor stand auf und rieb sich mit einem Eifer, der mich lebhaft an meinen alten Schulmeister, Mr. Root, erinnerte.

»Verfügt Euch auf Euren Posten, Doktor,« rief der Kapitän barsch.

»Im Versuche einen schlechten Witz zu machen, einen guten Hut verderbt!« sagte er, und humpelte nach unten.

»Euer Beischiff, Kapitän Reud, ist ganz in Splitter gegangen,« meldete ein Unteroffizier.

Dies war der unfreundlichste Schlag gewesen. Da wir uns Barbadoes näherten, so hatte der Kapitän sein sehr schönes Beischiff über den Stern hereinhissen, auf die Dosten des Langboots setzen und in dieser Lage erst Tags zuvor sorgfältig malen lassen. Der ergrimmte Kommandant ergriff nun den Aufholer des einen Achtzehnpfünders und rief zu gleicher Zeit:

»Mr. Burn, wenn Ihr Euer Absehen genommen habt, so gebt Feuer.«

Die beiden Geschütze krachten zu gleicher Zeit, der Rauch wehte alsbald nach hinten und wir sahen die drei Stengen der Korvette niederstürzen. Ihr Fallen bot einen schönen Anblick. Sie kamen nicht ungestüm herunter, sondern beugten sich allmählig und anmuthig mit ihrer ganzen Tuchwolke. Ein Schwan, der in der Luft schwebt und mit zerschossenen Flügeln langsam niedersteigt, kann dem Leser einen annähernden Begriff geben. Aber nach dem Falle der Segelmasse war auch die Schönheit des Schiffes ganz zerstört. Wo zuvor ein edles Schiff ritterlich und triumphirend vor der Kühlte gesteuert hatte, stand jetzt nur noch ein Wrack, das mit Mühe seine Trümmer fortzuschleppen schien.

»Was haltet Ihr von diesem Schusse, Mr. Farmer?« fragte der kleine Kapitän voll Jubel. »He, Mr. Rattlin, wo ist Mr. Burns Kugel niedergefallen?«

» Eine von den Kugeln schlug ungefähr eine halbe Meile von dem Backbord in's Wasser, Sir,« versetzte ich, denn ich stand noch immer auf meinem Wachposten.

»Oh, Mr. Burn, Mr. Burn, was habt Ihr doch getrieben? 'ist wahrhaftig eine Schande und Schmach, Seiner Majestät Metall in dieser Weise zu vergeuden. Oh, Mr. Burn,« sagte der Kapitän mehr im Mitleid als im Aerger.

Mr. Burn machte ein lächerlich einfältiges Gesicht.

»Oh, Mr. Burn,« rief ich, »ist das Alles, womit Ihr Euer« Großthuerei rechtfertigen könnt?«

»Wenn ich je mit dem Kapitän wieder einen Schuß thue,« brummte der gekränkte Geschützmeister, »so lasse ich mich in einen Mörser stampfen und in Atome zerblasen.«

Nach einer Viertelstunde waren wir an der Seite des Jean Bart.

Die Korvette führte zwei und zwanzig Kanonen und eine Menge schmutziger Mannschaft. Wir nahmen die Meisten davon heraus, bemannten die Prise hinreichend mit unseren Leuten, und in zwei. Stunden hatten wir wieder Stengen aufgesetzt.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit war Alles in einem Stande, als ob nichts vorgefallen wäre, nur das Gig des Kapitäns und den Hut des Doktors ausgenommen. Wir holten mit unserer Prise den Wind und segelten in die Richtung, wo wir das Convoy gelassen hatten.

Ich bin nun im Begriff, einer sehr trivialen Anekdote zu erwähnen, da sie aber ein Beispiel von jenem Zusammentreffen der Umstände gibt, auf welches sich so viel Aberglauben gründet, so wird man mich vielleicht entschuldigen, wenn ich sie erzähle. Nach dem Sturze der Topstengen war sämmtliche Mannschaft des Jean Bart nach dem Raum hinunter geeilt, den Kapitän und zwei oder drei Offiziere ausgenommen. Ersterer hatte das Steuer ergriffen und hielt sein Schiff noch immer vor dem Winde. Als wir herankamen, breieten wir mehreremale zum Beilegen, ohne daß jedoch unserem Befehle Folge geleistet wurde, sei es, weil man ihn nicht hörte oder nicht verstand. Die Folge davon war, daß ein halb Dutzend Seesoldaten den Auftrag erhielten, Feuer zu geben. Dies hatte die gewünschte Wirkung. Von den vier oder fünf Personen, die sich auf dem Deck befanden, war nur der Kapitän getroffen. Die Kugel war durch seinen rechten Arm gedrungen. Er ließ nun augenblicklich das Steuer los, und das Schiff kam mit seinen in's Geviert gebraßten Raaen, sammt seinem umherhängenden Wrack, nicht in den Wind. Als die Wunde des französischen Kommandeurs in der Constabelkammer verbunden werden sollte, sacréte er ohne Unterlaß zwischen den Zähnen cette maudite chemisie. Die Kugel war ganz durch seinen Arm gedrungen, und keinen halben Zoll von der Wunde befanden sich zwei Narben, welche den Durchgang einer andern Kugel bezeichneten. Das Hemd, welches er trug, war mit den entsprechenden Löchern versehen.

Wir vernahmen die Geschichte des Hemdes aus seinem eigenen Munde, und er erzählte sie den Offizieren folgendermaßen, ohne daß er sich zu schämen schien. Die wenigen französischen Schiffe, die sich damals auf den Meeren befanden, wurden ohne Unterlaß gejagt und konnten nur selten in einen von den wenigen freundlichen Häfen einlaufen, die ihnen offen waren. In Westindien war jeder Hafen in den Händen der Feinde, weßhalb denn auch Leinwand jeder Art ein großer Luxusartikel für die armen Franzosen wurde. Etwa zwei Jahre früher hatte der französische Kapitän einen englischen Kauffahrer geentert und in Besitz genommen, an dessen Bord sich die Leiche eines jungen Gentlemans befand, der Tags zuvor an einer Zehrkrankheit gestorben war. Eine alte Negerin hatte ihm abgewartet; die Jahre derselben standen mit ihrer Tätigkeit und Kraft in gar keinem Vergleiche, denn sie hatte schon den Vater und den Großvater dieses jungen Gentlemen gepflegt und fühlte eine Art hündische Zuneigung für jeden, der den Familiennamen trug. Die Leiche war von ihr in das beste Linnenhemd, das sie finden konnte, gekleidet worden.

Da es dem französischen Kapitän nicht einfiel, nach Antigua zu fahren, damit dem verstorbenen Pflanzer auf seinem Eigenthume die Beerdigungsfeierlichkeiten erwiesen werden könnten, so ließ er, unter den Verwünschungen der alten Negerin, der Leiche eine Kugel an den Fuß binden und über Bord werfen. Weil er übrigens zu einer Zeit, in welcher Leinwand so gar selten war, ein gutes Hemd nicht verlieren mochte, so hatte er es dem Todten abziehen lassen, denn er meinte, ein Stück alten Segeltuchs sei gut genug, um eine Leiche darin zu versenken. Das Entsetzen der Negerin über diese Entweihung überstieg alle Begriffe, und sie verfluchte den Kapitän mit aller Bitterkeit des Hasses und der Rache.

Unter Anderem wünschte sie ihm auch, so oft er das Hemd anziehe, solle es Schmach und Verderben über sein Haupt bringen, die Kraft seiner Rechten lähmen und sie mit seinem besten Blute färben. Um der Flüche der Greisin willen hatte er es in dem Zeitraume von einem Jahre nur zweimal angelegt, war übrigens jedesmal in dem rechten Arm verwundet worden und hatte bei beiden Gelegenheiten sein Schiff verloren.

Dreimal gilt bei derartigen Dingen in der Regel für verhängnißvoll; aber ob ihn sein Geschick in dieser Weise ereilte, kann ich nicht sagen, da ich nur für das eben Berichtete einzustehen vermag. Mich dünkt, aus dieser Anekdote ließe sich ein recht hübsches nautisches Drama unter dem Titel: »Das verhängnißvolle Hemd,« oder »der Fluch des Obea-Weibs« schmieden. Wenn irgend eine Theaterdirektion Etwas daran zu rücken geneigt ist, so stehen ihr die Geschichte und meine Talente ganz zu Gebot.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch trafen wir wieder mit unserem Convoy zusammen und fanden, daß Mr. Silva die vier von der Felucke gekaperten Schiffe wieder genommen hatte. Gegen Mittag stellte sich auch der Falke wieder ein. Er hatte die Felucke weit in den Wind verfolgt, als sich letzterer der große Schooner anschloß und in Vereinigung mit derselben unsere Kriegsbrigg scharf in die Mache nahm.

Sie sah allerdings sehr zerwettert aus und hatte auch mehrere Mannschaft verloren. In dem offiziellen Schreiben des Kommandeurs an den Kapitän Reud war jedoch all dies zur Genüge erklärt. Er hatte beide Schiffe geschlagen und zum Streichen gezwungen; da jedoch die Nacht eintrat, ehe er Besitz davon nehmen konnte, so waren sie schmählicherweise in der Dunkelheit entwischt. Das hatte nun übrigens nicht viel zu bedeuten, denn da sie gestrichen hatten, waren sie gesetzliche Prisen für jedes englische Schiff, welches sie nehmen konnte. Ich dachte damals, daß dies keinem Zweifel unterliege.

Am nächsten Tage thaten wir das Land an. Die niedrige Insel Barbadoes gewährt den Anblick eines schön kultivirten Gartens, und das theure Grün sah so erfrischend in dem heißen Lande aus, daß es mich an England erinnerte.

*

 


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