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Fünfundvierzigstes Kapitel

Insubordination, auf welche Erhöhung folgt. – Ein Midshipman wird in die Luft gehißt und bietet eine praktische Vorlesung über Oscillation.

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Da es nicht meine Absicht ist, ein Tagebuch meines Lebens zu schreiben, das ganz wie alle andern Midshipmen-Leben in Westindien verlief, so übergehe ich einige Monate, während welcher Zeit wir leidlich gesund waren, viele Prisen machten, einige Kaper eroberten und das rasch gewonnene Geld in noch rascherer Weise verthaten.

In Betreff meiner Tischgenossen kann ich mich nur noch auf Wenige erinnern. Sie waren im Allgemeinen schrecklich unwissende Leute, die der Schule zu früh entwichen waren, hatten einen Widerwillen gegen Bücher und verspotteten alle Kenntnisse, die nicht gerade rein nautischer Natur waren. Ich hatte mit ihnen in Vertheidigung meiner Dreidecker (Worte aus dem Lateinischen und Griechischen abgeleitet) mehr Faustkämpfe durchzumachen, als bei irgend einer andern Gelegenheit, und entsinne mich noch, daß mir das Wort »Idiosynkrasie« zwei blaue Augen, meinem Gegner aber, welcher am Schlusse des Kampfes die Hauptluke hinunterstürzte, eine so hübsche »Luxation« eintrug, als ein Mensch von mäßigen Erwartungen nur wünschen konnte. Ich sah mich in der That genöthigt, mich in meiner Redeweise sehr in Acht zu nehmen, und hätte auch jenen Streit vermeiden können, wenn ich statt des anrüchigen Wortes Idiosynkrasie gesagt hätte, Mr. So und So habe eine »Backbordleiste in seinen Ideen.« Ich gestehe meinen Irrthum ein und will zugeben, daß ich mich schwer gegen die Eleganz versündigte; indeß mag mir einigermaßen zur Entschuldigung dienen, daß ich damals jung und thöricht war.

Demungeachtet gefiel mir meine Lebensweise recht wohl, und trotz meiner gelegentlichen Kämpfe mit meinen Tischgenossen, wenn ich unabsichtlich einen Dreidecker vom Stapel ließ, kann ich doch sagen, daß ich bei Allen beliebt war – ein Ausdruck, der gewiß nicht zu stark gewählt ist. Der Kapitän hatte Gefallen an mir, weil ich stets gut gekleidet, von gewinnendem Aeußern und ein sehr artiges Anhängsel für sein Gig war, wenn ich ihn als Adjutant bei seinen Besuchen am Lande begleitete; vielleicht hatte er auch einige bessere Beweggründe, obschon er mich einmal, ungeachtet seiner Freundlichkeit gegen mich, auf's Tyrannischste behandelte.

Der Doktor und der Zahlmeister hatten mich gern, weil ich mich auch über nicht nautische Gegenstände vernünftig mit ihnen unterhalten konnte. Der Meister betete mich wegen meines Talents zum Zeichnen fast an, denn ich entwarf ihm Risse zu dem Raum und den Stauungsplätzen der Wasserfässer, desgleichen auch Skizzen der Vorgebirge für seine Privat-Log-Arbeiten, die er mit seinem eigenen Namen zu versehen geruhte. Die übrigen höhern Offiziere hielten mich für einen trefflichen Burschen, und meine Tischgenossen liebten mich, weil ich stets wohlgemuth war – und ihnen Geld borgte.

Die gesammte Matrosenmannschaft würde Alles für mich gethan haben, weil ich – was gewiß sehr thöricht war – mehrere Monate lang bitterlich zu weinen pflegte, wenn einer von ihnen gepeitscht wurde; und als ich nachher diese Schwäche abgelegt hatte, suchte ich stets Mr. Farmer, den ersten Lieutenant, durch Bitten zu bewegen, daß er einen Theil der Strafe nachließ. War er in guter Laune, so konnte ich mir wohl eine derartige Freiheit erlauben, obschon ich bei dem Kapitän nie den Muth dazu hatte, da dieser trotz seiner Vorliebe für mich, stets sehr launenhaft und hartnäckig war.

Je länger ich mit ihm segelte, desto mehr fand ich Gelegenheit, ihn zu fürchten, wo nicht gar zu hassen. Der arme Mann hatte keine Unterhaltung, weßhalb es nicht Wunder zu nehmen ist, daß er anfing, zu unablässiger Trunkenheit seine Zuflucht zu nehmen. Unter dem Einflusse des Weines war er dann heiter, muthwillig tyrannisch und sogar grausam, je nach der Laune des Augenblicks. Das Schlimmste dabei war, daß nach seinen Gelagen, wenn auch seine Füße wankten, doch seine Zunge nie schwer, sondern im Gegentheile sogar beredter als je wurde. Der Wein schärfte seine Verschmitztheit und erhöhte seine Lust am Unfug in einem wunderbaren Grade. Es war eine Noth für Alle an Bord, daß wir seinem Geiste keine gesunde Beschäftigung geben konnten. Ich sagte, daß er mir zugethan war, aber ich begann mich vor ihm zu fürchten, und es däuchte mich bald, daß ich nur die neckischen Liebkosungen eines Tigers zu erfahren habe. Zwar war noch nicht die mindeste Mißhelligkeit zwischen uns eingetreten, aber er hatte mich oft zum Nachtheile des Dienstes begünstigt und so der gerechten Manneszucht Hohn geboten, welche Mr. Farmer handzuhaben wünschte. Wer konnte auch einem Knaben einen Vorwurf machen, wenn er darauf sündigte? Dann war mir auch Kapitän Reud nothwendig, denn ich fand, daß ich die mir nur allzu reichlich zugestandenen Geldmittel nicht erheben konnte, ohne daß er meine Wechsel indossirt hatte. Die verborgene Kralle, welche so oft mit mir gespielt und mich durch ihr Hätscheln eitel gemacht hatte, sollte mich übrigens doch zuletzt verwunden. Sie fiel schrecklich auf mich nieder und drang tief in mein Innerstes ein.

Ich lernte von dem Zahlmeister Schachspielen – eine Unterhaltung, der ich mich mit Leidenschaftlichkeit hingab. Hin und wieder wurde ich auch zum Diner der Offiziere eingeladen, auf das ich wegen des zu erwartenden Spiels einen um so höhern Werth setzte. Eines Vormittags waren der Kapitän und ich sehr gesellig – nämlich er sehr gnädig und ich so witzig als möglich gewesen. Ich hatte ihm von meinen verschiedenen Unterlehrern erzählt und er an meinen Berichten ein wunderbares Wohlgefallen gefunden. Ich war in der Midshipmanskajüte, und eine volle Stunde, nachdem ich eine Einladung zum Mahle der Offiziere erhalten hatte, steckte der Steward des Kapitäns seinen unglücklichen Kopf zur Thüre herein, mir krächzend zurufend:

»Kapitän Reud läßt Mr. Rattlin sein Kompliment vermelden, und erbittet sich dessen Gesellschaft beim Diner.«

Ich antwortete unbekümmert und vielleicht etwas respektswidrig:

»Sagt dem Kapitän, daß ich heute mit den Offizieren speise.«

In keinem Fall kam mit eine Achtungswidrigkeit zu Sinne, und vielleicht berichtete der Kerl meine Antwort in boshafter Weise, denn ich konnte mich nachher nicht einmal erinnern, ob ich in derselben das Wort »Empfehlung« oder »Respekt« gebraucht hatte oder nicht, obschon es recht wohl möglich ist, daß ich in meiner Gedankenlosigkeit darauf vergaß.

Ich speiste in der Offizierskajüte, machte mein Spiel und war eben hoch erfreut über meine Geschicklichkeit, daß ich meinen Gegner in einer nicht bedeutend überlegenen Partie matt gemacht hatte, als auf die Abendposten getrommelt wurde. Ich hatte den meinigen an den vier hintersten Karronaden des Halbdecks, eilte hurtig hinauf, und da zu jener Zeit Hosenstege noch nicht erfunden waren, so hatten sich meine weißen Modesten am Beine hinauf bedeutend in Falten gelegt. Ich kam an dem Kapitän vorbei, berührte meinen Hut und begann meine Mannschaft zu mustern. Ohne mir eines Argen bewußt zu sein, warf ich einige verstohlene Blicke auf meinen Kommandeur, aus dessen Auge nicht die beste Laune hervorblitzte, denn er hatte sein kleines, gelbes Gesicht zu der Gestalt eines wohlzerhämmerten Messingthürklopfers verzogen. Die Gluth des gewöhnlichen Nachmittagsweins brannte auf seinen Zügen, aber ein Gefühl der Rachsucht bewältigte vollkommen die Aeußerungen der beginnenden Trunkenheit.

»Ihr habt also in der Offizierskajüte gespeist, Mr. Rattlin?«

»Ja, Sir,« entgegnete ich, ehrerbietig den Hut berührend, denn die Blicke des Fragers wollten mir durchaus nicht gefallen.

»Und Ihr habt Euch nicht einmal herabgelassen, das Kompliment zu erwiedern, das ich Euch mit meiner übelangebrachten Einladung zum Diener sagen ließ?«

»Kann mich nicht erinnern.«

»Mr. Rattlin, in Anbetracht Eurer Unwissenheit kann ich Euch eine persönliche Kränkung vergeben – aber, bei dem lebendigen Gott, Achtungswidrigkeit gegen den Dienst will ich nicht übersehen. Ihr junger, schuftiger Hund, was soll das heißen, daß Ihr in dieser ungeordneten Kleidung auf Eurem Posten erscheint? Seht Eure Hosen an, Sir.«

»Der Kapitän ist in Leidenschaft,« dachte ich und beugte mich ruhig nieder, um das anstößige Kleidungsstück nach den Schuhen hinunterzuziehen.

»Mr. Farmer, Mr. Farmer, seht Ihr diesen jungen Galgenstrick?« rief der Kommandeur. »Zum Teufel, er macht mein Halbdeck zu einem Ankleidezimmer – und noch dazu, während er auf dem Posten steht – was gleichbedeutend mit der Parade ist. Hieher, Bursche; ho – ho – mein junger Gentleman. Ja wohl da, ein junger Gentleman – dieser eingebildete kleine Bastard!«

Das Wort brannte tief in mein junges Herz und wirkte so erschütternd auf mein Gehirn, als ob eine Pulverexplosion innerhalb meines Schädels stattgefunden hätte; sie ging aber augenblicklich vorüber und machte einer unnatürlichen Ruhe Platz.

»Erlaubt, Sir,« sagte ich, indem ich mit bedächtiger Entschlossenheit auf ihn zuging, »wie könnt Ihr wissen, daß ich ein Bastard bin?«

»Da höre man den unverschämten Buben! Darf ich fragen, Sir, wer Euer Vater ist?«

»Oh, daß ich's wüßte!« entgegnete ich in Thränen ausbrechend, »aber ich danke Gott, daß Ihr's nicht seid.«

»Nach dem Stengenkopf, nach dem Stengenkopf! Wo ist der Hochbootsmann? Hinauf mit ihm, hinauf mit ihm!«

Der Hochbootsmann konnte erst herankommen, als ich schon einige Webelinien des Haupttakelwerks hinangestiegen war, und so rettete mich sein absichtliches, wohlwollendes Zögern von der Schmach eines Schlages. Ich blickte zweimal in das klare, blaue, durchscheinende Wasser nieder, und eine gewaltige Versuchung bemächtigte sich meiner, denn es schien mir zur ewigen Ruhe zu winken; aber als ich auf das Schiff niedersah und die winzige, eingeschrumpfte, gelbsüchtige Figur unter mir bemerkte, so sagte ich zu mir selbst:

»Nein, nicht wegen eines solchen Geschöpfes.«

Ehe ich noch das große Mars erreicht hatte, dachte ich: »diesen Morgen noch liebte er mich! – arme Menschennatur!« – und als ich die Stengenkreuzbäume erreichte, hatte ich vergeben. Es war ein Mangel in meinem Leben (wie Shakespeare es nennt), daß es mir stets an Galle gebrach. Gott weiß, wie viel ich verziehen habe, blos weil ich es unmöglich fand, zu hassen.

Aber ich sollte noch mehr versucht werden.

Ich hatte mich kaum auf den Kreuzbäumen niedergesetzt, den Kapitän entschuldigt, mir meinen eigenen Mangel an Vorsicht zum Vorwurf gemacht und mich der Hoffnung hingegeben, daß sich beim Frühstück eine Versöhnung herstellen lasse, als eine schrille Stimme mißtönig in meine Ohren drang.

»Stengenkopf da oben!«

»Sir.«

»Höher hinauf, Sir – höher hinauf.«

Ich zögerte. – Der Befehl wurde unter furchtbaren Drohworten und Verwünschungen wiederholt. Das Bramtakelwerk hatte keine Webelinien. Den ganzen Tag über war es furchtbar heiß gewesen und der Theer schwitzte an den Wänden; ich mochte daher meine schönen, weißen Beinkleider nicht verderben, indem ich an den Tauen hinankletterte. Als ich jedoch bemerkte, daß er in eine eigentliche Wuth gerieth, so kletterte ich nach dem Bramstengenkopfe hinan, hielt mich mit einem Arme an der Stenge fest und blieb auf den Bugen des Takelwerks stehen. In Folge dieser Heldenthat gewannen meine Beinkleiber ein Aussehen, als hätten sie dazu dienen müssen, den vergossenen Inhalt eines umgeworfenen Theereimers aufzuwischen. Aber auch hier, auf dem hohen schwindligen Maste sollte ich nicht lange unbelästigt bleiben. Mein Erstaunen und Entsetzen überstieg alles Maaß, als ich Kapitän Reud noch immer schreien hörte:

»Höher hinauf!«

Die Bramstange stand nackt da, nichts daran befestigt, als das Oberbramsegel und die Signalziehtaue, welch letztere durch das Truck gingen. Meine weiblichen Leser müssen nämlich wissen, daß das Truck der knopfartige Gegenstand ist, welcher sich an dem Ende aller Masten befindet. Selbst wenn ich es versucht hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, die gut geschmierte Stenge hinanzuklimmen, obschon allerdings geübte Matrosen und auch jene würdigen Personen, die bei Jahrmärkten um Hammelskeulen klettern, um einige Zolle weiter hinaufgekommen wären.

»Was will der Tyrann damit?« sagte ich halblaut. »Er weiß, daß ich dies nicht kann, und weiß eben so gut, daß ich, wenn ich es versuche an diesem schlüpfrigen Stock wahrscheinlich meinen Halt verlieren und in die See stürzen muß. Wenn er meinen Tod haben will, so soll dies auf eine unmittelbarere Weise geschehen. Ihm vergeben? – Nimmermehr! Ich will ihm anfangs Trotz bieten und mich hintendrein rächen.«

Abermals kam jene tödtliche Ruhe über mich, welche auch die ruhigsten Charaktere zur Verzweiflung treibt, und namentlich blondhaarigen Personen eigenthümlich ist. Wenn bei Solchen die Blässe fest und unnatürlich wird, darf man sich vor ihnen in Acht nehmen. Sie drängen die Rachsucht eines ganzen Lebens in ein paar Augenblicke zusammen, und wie kurz auch der Paroxismus sein mag, wird er doch nur zu oft für sie selbst und für ihre Opfer verhängnißvoll. Ich begann kaltblütig das Takelwerk hinunterzusteigen, und die schwärzesten Gedanken drängten sich in bestimmter blutiger Ordnung durch mein Gehirn. Ich sah mich um, ob ich nicht irgendwo eine Waffe auflesen könne, aber die Idee war nur augenblicklich, und ich unterdrückte sie mit gewaltsamer Anstrengung. Endlich erreichte ich das Deck, während der wüthende Kapitän in stummer Ueberraschung mein freches, subordinationswidriges Betragen mit ansah. Die Matrosen standen noch auf ihren Posten und theilten das Erstaunen ihres Kommandeurs, aber, wie ich überzeugt bin, keines seiner übrigen Gefühle.

Nachdem ich auf dem Decke angelangt war, ging ich auf Kapitän Reud zu und sagte durch die vor Zorn geschlossenen Zähne langsam und bedächtig:

»Tyrann, ich verachte Euch. Ich komme, um mit Vorsatz einen Akt der Meuterei zu begehen. Ich stelle mich zur Haft und verlange, von einem Kriegsgericht abgeurteilt zu werden. Ich will mich Allem unterziehen, um von Euch loszukommen, glaube übrigens nicht, daß Ihr mit all Eurer Bosheit im Stande seid, mich hängen zu lassen. Ich betrachte mich als unter Arrest.«

Dann wandte ich ihm den Rücken, um die Halbdecklucke hinunterzugehen.

Kapitän Reud hörte mich bis zum Ende stillschweigend an und ließ mich sogar ungehindert die Hälfte der Treppe hinuntersteigen. Dann aber raffte er sich aus seinem Erstaunen auf, sprang vorwärts und stieß mich mit dem Fuße heftig auf den Rücken, daß ich auf das Hauptdeck stürzte. Ich hatte beträchtlichen Schaden genommen; aber ehe ich die Midshipmans-Kajüte erreichte, ergriffen mich zwei Seesoldaten und schleppten mich nach dem Hauptdecke zurück. Abermals stand ich vor meinem ergrimmten Verfolger, Haß und Trotz in meinem Gesichte.

»Wollt Ihr augenblicklich nach der Mastspitze hinauf?«

»Nein, ich will nicht. Ich betrachte mich als Gefangenen.«

»Ihr weigert Euch, zu gehen?«

»Ja.«

»Quartiermeister, die Signalziehtaue! Nehmt Mr. Rattlin in die Schlinge!« Dem Befehl wurde Folge geleistet. »Jetzt zieht den meuterischen Schuft nach dem Knopfe hinauf.«

In einem Nu war ich an eine dünne, weiße Leine befestigt, bimmelte in der Lust und langte endlich an dem Knopfe der Bramstange an, an den ich fest angeklemmt wurde. Wird man's wohl glauben? Vielleicht nicht – aber dennoch ist meine Angabe völlig wahr. Kein Offizier suchte diese schändliche Rohheit zu verhindern, und ich litt über die Maaßen. Die Sonne war noch heiß, der Hut mir bei meinem unfreiwilligen Hinansteigen vom Kopfe gefallen und die Bewegung auf jenem hohen Punkt furchtbar, da das Schiff unter Marssegeln vor dem Winde lief. Ich fühlte mich fürchterlich übel. Das Tau, das meine Brust umschlang wurde mit jedem Augenblicke quälender und für meine Lungen beengender. Jeder Athemzug ging schwieriger und noch ehe ich zehn Minuten gelitten hatte, wurde ich ohnmächtig. Sobald der Kapitän mich hatte hinaufziehen sehen, ging er nach seiner Kajüte und hinterließ den strengsten Befehl, mich nicht wieder herunterzulassen. Nach der Entfernung des Kapitäns beriethen sich der erste Lieutenant, der Doktor, der Zahlmeister und die Wachoffiziere über meine Lage. Der gutmüthige Doktor wartete jedoch das Resultat nicht ab, sondern ging alsbald hinunter und erklärte dem Kapitän, daß ich den Tod davon haben würde, wenn ich bleiben müsse, wo ich sei. Wer die Flotte jener Zeit kennt, kann sich die Antwort denken – bei andern ist's wohl nicht möglich – »so soll er hin- und zum Teufel fahren!« Der gute Doktor kam trostlos auf das Deck zurück. Mr. Farmer rief mich nun mehreremale an, erhielt aber natürlich keine Antwort. Ich hörte ihn zwar, aber in dem gleichen Augenblicke entschwanden mir die Sinne. Die See mit ihrem weiten Horizont tanzte vor meinen verschwimmenden Blicken, während ich in meiner furchtbaren Lage hin- und herbimmelte, und der Himmel nahm an der schwindelnden Bewegung Theil. In der ganzen Schöpfung meinte ich allein noch vorhanden zu sein: ich war krank bis zum Tode und hin und wieder beschlich mich ein wirkliches Sterben, soweit das Gefühl dabei zur Sprache kam.

Da Mr. Farmer keine Antwort erhielt, so schickte er einen der Topgasten hinauf, um nach mir zu sehen. Dieser hatte kaum das Bramstengentakelwerk erstiegen, als er mich für todt rapportirte. Ein Schrei des Entsetzens erscholl über das ganze Deck, der Kapitän eilte herauf – er bedurfte keiner Meldung. Ganz außer sich vor Reue weinte er wie ein Kind und half mich eigenhändig niederlassen. Dann nahm er mich auf die Arme und trug mich nach seiner Kajüte hinunter. Er trauerte über mir wie ein eigensinniger Knabe, der sein Lieblingslamm, oder ein leidenschaftliches Mädchen, das ihre Taube getödtet hat. Es stund lange an, ehe meine Athemwerkzeuge wieder zum Spielen gebracht werden konnten. Ich erholte mich nur langsam, und erst spät konnte ich meine Vorstellungen wieder ordnen. Eine Hängematte war für mich in der Kajüte aufgeschlagen worden, und ich versank erschöpft in tiefen Schlaf. Ein wenig nach Mitternacht erwachte ich bei voller Besinnung und ohne einen andern Schmerz, als den der Strieme, welche durch das um meine Brust geschlungene Tau veranlaßt worden war. Vor einem Tische, das Gesicht von einer einzigen Laterne beleuchtet, saß der Kapitän. Seine Züge drückten tiefen Gram und herbe Gewissensbisse aus. Er saß regungslos da, die Augen auf meine Hängmatte geheftet, ohne daß er mein Gesicht in dem tiefen Schatten, in welchem ich lag, sehen konnte. Ich bewegte mich; – er näherte sich mit frauenhafter Zartheit meiner Hängematte und flüsterte leise:

»Ralph, mein lieber Junge, schlaft Ihr?«

Die Töne seiner Stimme drangen beschwichtigend in meine Ohren, wie die Musik eines mütterlichen Gebetes.

»Nein, Kapitän, Reud, aber ich bin sehr durstig.«

Im Nu war er mit etwas schwachem Wein und Wasser an meiner Seite. Ich nahm die Erfrischung aus der Hand dessen, den ich vor ein paar Stunden noch in meinem Grolle hätte erschlagen können.

»Ralph,« sagte er, indem er das Glas zurücknahm, »Ralph, sind wir Freunde?«

»Oh Kapitän Reud, wie konntet Ihr einen armen Jungen, der Euch stets achtete und so sehr liebte, also behandeln!«

»Ich war wahnsinnig – aber Ihr vergebt mir, Ralph?«

Er nahm meine nicht widerstrebende Hand.

»Freilich, freilich – aber erweist mir dafür nur eine einzige, kleine Gunst.«

»Alles, Alles, Ralph – ich will Euch nie wieder nach dem Stengenkopfe schicken.«

»Oh, ich meinte nicht das; ich hätte Euch nicht in Zorn bringen sollen. Straft mich – schickt mich nach der Stenge – fangt Alles mit mir an, Kapitän Reud, nur nennt mich keinen Bastard mehr.«

Er gab keine Antwort, sondern drückte nur glühend meine Hand; dann zog er sie an seine Lippen, küßte sie – ja bei meiner Seele, das that er – und murmelte nach einer Pause leise: »gute Nacht!« Als er sich in die Hinterkajüte nach seinem Bette begab, hörte ich ihn deutlich rufen: »Gott, vergib mir – wie schwer hab' ich diesem Knaben Unrecht gethan!«

Am andern Tag waren wir bessere Freunde als je, und während der drei Jahre, welche wir noch bei einander blieben, fiel kein vorwurfsvolles Wort, kein zorniger Blick zwischen uns.

Der Leser wird mir gestatten, über diesen für mich so denkwürdigen Vorfall drei Bemerkungen zu machen. Erstlich hatte ich damals nicht die Macht, jene natürlichen Gefühle des Zornes zu herbergen, die doch Jeder in sich tragen sollte, um sich gegen Unbill und Kränkung zu schützen oder sie zu ahnden. Ich weiß, daß die meisten meiner männlichen und auch viele meiner weiblichen Leser mein Benehmen für kleinmütig und niedrig halten werden. Indeß strömte doch noch gewissermaßen die Muttermilch in meinen Adern, mit der sich kein böses Blut vermischen konnte, und ich kann nur sagen, daß ich jetzt, nun ich entweder besser oder schlechter geworden bin, ein viel entschiedeneres Verfahren gegen Kapitän Reud eingeschlagen haben würde.

Meine zweite Bemerkung betrifft den Punkt, daß der Kapitän wirklich ein gutes Herz besaß, aber dennoch einen der schlagendsten Belege, die mir je bekannt geworden, abgab, wie demoralisirend eine falsche Erziehung wirkt und wie gefährlich es ist, jungen und unwissenden Personen eine große Macht zu vertrauen. Nie besaß ein Mann mit angeborenen guten Gefühlen eine umwölktere moralische Vorstellungsweise.

Schließlich muß ich noch andeuten, daß meine Schilderung ja nicht als übertrieben oder als eine Schmähschrift auf den Flottendienst betrachtet werden möge. In letzterer Hinsicht können das gentlemanische Benehmen, die väterliche Sorge für die Mannschaft und die strenge Gerechtigkeit, welche wir bei Tausenden von Kapitänen bemerken, durchaus nicht verunglimpft werden durch eine einzelne tyrannische Handlung, von einem einzelnen Mitgliede ihres wackeren Standes verübt; und was die Uebertreibung betrifft, so möchte ich daran erinnern, daß in demselben Jahre und auf derselben Station, auf welcher mein Aufziehen nach dem Truck stattfand, ein anderer Postkapitän einen Midshipman theerte und federte, um ihn in diesem Zustand als einen gefiederten Zweifüßler mehr als sechs Wochen in seinem Hühnerstalle einzusperren. Diese letztere Thatsache wurde durch die gekränkte Partei veröffentlicht, da sie den Dienst verließ und ihren Quälgeist vor den Civilgerichten um schwere Entschädigung belangte. Mein Ungemacht wurde nie über den Gränzen unserer Fregatte ruchbar.

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