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Fünfundfünfzigstes Kapitel

Die Kunst, leicht Unfug zu stiften, die aber dem, an welchem sie versucht wird, schwer fällt. – »Der Himmel bewahre mich vor meinen Freunden! vor meinen Feinden will ich mich selbst in Acht nehmen«, sagen die ehrlichen Spanier und desgleichen auch der ehrliche Ralph.

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Nachdem wir unsere Kajüten mit invaliden Offizieren gefüllt hatten, segelten wir nach England ab. Wir nahmen ein Convoy mit uns und hatten eine jämmerliche Reise. Keines jener beseligenden Gefühle erfüllte mich, das gewöhnlich Jeden beglückt, der nach langer Abwesenheit nach der Heimath zurückkehrt. Ich war stumpf und reizbar – ein Gemische von Eigenschaften, die eben so unangenehm, als wiedersprechend sind. Ich begann, mit jener finsteren alten Rechnerin, der Zeit, Rechnung zu halten und fand, daß die Bilanz kläglich zu meinem Nachtheile stand. Was hatte ich eingetauscht für die drei sonnigen Jahre, welche das Alter zwischen Sechszehn und Neunzehn in sich schließt? Der Rückblick auf diese Periode erschien mir wie eine traurige Wüste, in der nur eine einzige, kleine Oase blühte. Aber die Betrachtung der letzteren war so blendend, daß sie, wenn mein geistiges Auge eine Zeit lang auf ihr gehaftet hatte, wie ein Blick in die Sonne alles Andere zu verdunkeln und unbestimmt zu machen schien.

Der ununterdrückbare Stolz, der jedem Herzen natürlich ist und in dem meinigen vielleicht nur zu üppig wucherte, trug gleichfalls dazu bei, meinen Geist mit einem unablässigen, stets weiter fressenden Widerwillen zu erfüllen. Ich begann die Bitterkeit des Unglücks zu empfinden, daß ich Niemand angehörte. Was war mir das Vaterland? Die Kette, durch welche der Mensch an dasselbe gebunden ist, besteht aus unzähligen kleinen, aber doch köstlichen Gliedern, die mir aber fast sammt und sonders abgingen. Vater, Mutter, Familie, ein Erbe, ein Eigenthum – dies sind die Gegenstände, die die Liebe des Menschen an einen bestimmten Erdfleck fesseln, und ich hatte mich keines desselben zu rühmen. Ich bedurfte in jener Zeit der Aufregung, mochte sie mich nun zum Guten oder Bösen führen, und wurde bald mit dieser Lebensnahrung bis zum Ekel übersättigt.

Als ich meinen sogenannten Schulkameraden an Bord der Eos brachte, hatte ich meinen Mephistopheles mit mir eingeschifft. Der frühere Diener der Midshipmanskajüte würde zu dem Besahnmars befördert und Josua Daunton mit gebührender Feierlichkeit in alle die Ehren eingeführt, deren sich der Aufwärter eines halben Dutzends wilder, unruhiger Midshipmen und ebenso vieler kranken Supernumeräre zu erfreuen hat. Er nahm förmlich das Tischgeräthe und den Mundbedarf des untermeerischen Etablissements unter seine Obhut. Zu Unterschlagungen war hier keine Verlockung vorhanden. Unsere kleine Gesellschaft bestand aus einem völlig demokratischen Staate, und wie es gewöhnlich bei derartigen Experimenten zu geschehen pflegt, so hatten wir eine Gütergemeinschaft, die der Gemeinschaft nichts Gutes brachte.

Zur Erbauung der neugierigen Leser will ich die Mobilien unserer Republick inventarisch aufnehmen. Hierunter gehört erstlich, denn auch dieser befand sich in steter Bewegung, der Speisesaal selbst, ein heißes, kleines, unreinliches Loch in dem Cockpit von ungefähr acht Fuß Höhe und sechs Fuß Breite. Er war zugleich das Frühstückzimmer und barg unsere Keller, welche nichts enthielten, sondern nur etwa zum Liegen oder, wenn es an Raum gebrach, zum Sitzen diente. Aus demselben Grunde, welcher die Römer veranlagte, einen Hain lucus zu nennen, trugen diese Kellerchen auch den Namen Vorschlüsse, weil nichts darin zu verschließen war, und es noch obendrein an Schlössern fehlte, um unsere nichtige Habe zu verwahren. In der Mitte stand ein eichener Tisch, in den mehr Namen, als je Rosalind dem Baumverderber Orlando zum Vorwurf machen konnte, ferner die Umrisse eines Schiffes und eine Anzahl von Quadraten eingeschnitzt waren, die als ein unbewegliches Damenbret dienten. Ferner besaßen wir einen einzigen zerbeulten Blechkrug ohne Nase und Handgriff, welcher so leck war, daß er kein Wasser hielt, etliche zinnerne Näpfe, sechs bis acht Zinkteller und eine vortreffliche eiserne Schüssel, den besten Freund, den wir hatten, denn er stand uns bei durch Sturm und Windstille, in dem geringschätzigen Fußstoße der Reffer und in den verächtlichen Schlingen und Pfeilen eines ergrimmten Geschicks. Aus der Schiffsküche faßte er Morgens unseren Cacao, Mittags unsere Erbsensuppe, und nach so vielfältigen Diensten verrichtete er auch noch den eines Waschbeckens, wann immer der Midshipmans-Packesel sich herabließ, seine Hände zu reinigen. Es ist Thatsache, daß wir bei unserer Ausfahrt nach England nicht ein einziges Stück Töpferwaare besaßen. Außerdem hatten wir noch eine Calabasche und etliche Gefäße, roh aus durchschnittenen Cocosnußschaalen gefertigt.

Außer den Schiffsrationen war kein Mundvorrath vorhanden, und auch diese waren erbärmlich genug. Man sagt, Brod sei der Stab des Lebens, aber es ist nicht ganz angenehm, wenn man schon Leben darin findet und die Entdeckung machen muß, daß es mit der Kraft freier Ortsbewegung begabt ist. Alle andere Nahrung befand sich in dem gleichen Zustand eines Untergangs ins Leben. Hierin liegt durchaus keine Uebertreibung. Es ging bei uns unaufhörlich ab und zu, und in der ewigen Uneinigkeit, die zwischen uns herrschte, war wohl Jedermann für sich, obschon ich mit Bedauern sagen muß, daß Gott nur sehr wenig sich mit irgend einem von uns abzugeben schien. Die Desorganisation war so vollständig und unser Mangel so groß, daß nach der ersten Woche die überzähligen kranken Midshipmen dieser Kerzenlichthöhle des Hungers und des Schmutzes entnommen und an die Tische der Unteroffiziere vertheilt werden mußten.

Unsere Personen zu bedienen, für unsere Bedürfnisse zu sorgen und unsere Küchengemächlichkeiten in Obhut zu nehmen – dies war das Amt, in welches Josua Daunton gebührend eingeführt wurde. Es war höchst komisch mit anzusehen, wie unser früherer Diener seine Obliegenheiten auf den Nachfolger übertrug – die Feierlichkeit, mit welcher er ihm die eiserne Schüssel, das einzige Messer und die drei Gabeln ohne Spitzen, da jede nur mit einem einzigen Zinken versehen war, verabfolgte! Josuas Verachtung über die schmutzige Armuth der Republik, welcher er seine Dienste weihen sollte, war eben so unverhehlt, als seine Ueberraschung. Ich bat ihn wiederholt, sich in einer andern Eigenschaft auf dem Schiffe brauchbar zu machen, was er jedoch mit Entschiedenheit zurückwies.

Der seidenweiche, glattzüngige Josh mit seinem Londoner Dialekt brachte mich ohne Unterlaß in heißes Wasser. Anfangs schien er sich ausschließlich als meinen Diener zu betrachten, wofür er unaufhörlich zerdroschen wurde, und da ich in Gemäßheit seiner Berufung auf mich seine Partei ergriff, so hatte ich die Roth, die Drescher zu dreschen. Dies konnte nun nicht immer mit Bequemlichkeit abgethan werden, und Daunton hatte nur um so mehr zu leiden, je eifriger ich mich seiner annahm. Dennoch lag augenscheinlich weit mehr Bosheit, als Zuneigung in seiner Treue. Nichts wollte weder mir noch meinen Tischgenossen fernerhin zum Gedeihen gereichen. Er wußte es in der möglichst scheinbaren Weise einzuleiten, daß unsere fast unverderblichen Mahlzeiten verderbt wurden, zog für uns stets die allerschlechtesten Rationen und wälzte dann den Vorwurf auf den Zahlmeisterssteward. Brachte er uns unsere armselige Suppe, so glitt sein Fuß aus oder es prallte Jemand gegen ihn an – oder man hatte sie von dem Küchenfeuer genommen und in den Schweinetrog geworfen. Das Salzwasser fand auf ganz wunderbare Weise seinen Weg in die Rumflaschen meiner Tischgenossen, und meine tägliche Pinte Wein war bald sauer, bald schmutzig, bald sandig, oder hatte sonst einen Schaden, der sie untrinkbar machte. Mit Einem Worte, unter der Bedingung des guten Josua liefen die Midshipmen die größte Gefahr, wirklich Hungers zu sterben.

Oftmals, nachdem wir die Gestikulationen eines Diners ohne zu essen durchgemacht hatten, saßen wir in unserem dunkeln, heißen Loche über unseren ungenießbaren Getränken und Eßwaaren, die hungernden Köpfe auf die schmerzenden Ellenbogen aufgestützt und dem Fortschreiten eines lebendigen Zwiebackstückes zusehend, während Master Daunton, der Sklave unserer Lampe – beiläufig bemerkt, diese war eine in einem Flaschenhals steckende, erbärmlich schwindsüchtige Zahlmeisterskerze, neben welcher sich ein Hellerbinsenlicht ganz stadträthlich ausgenommen haben würde – ich sage, während dieser Sklave unserer Lampe in Mitte des gesegneten Himmelslichtes, das von oben in diesen Abgrund herunterdrang, auf den Leisten der Kabellucke saß und sehr bedächtig seinen Privatlebensmittel-Vorrath herausnahm, dabei höhnend und mit wohlgefälliger Selbstzufriedenheit Angesichts seiner Gebieter mit den Kinnladen wackelnd. Der Gegensatz war zu heillos – die Bosheit, die darin lag, zu quälend. Während er seinen schönen, weißen amerikanischen Zwieback kaute und über der würzigen deutschen Wurst mit den Lippen schmatzte, murrten wir über faule Knochen und moderigen Zwieback, den wir nicht schlucken konnten und doch vor Hunger nicht aufgeben mochten. Es war eine schwunghafte Wiederholung aller Tantalusnöthen.

Gegen mich war der Schurke sehr unterwürfig und eifrigst bemüht, mir seinen Dienst aufzuzwingen. Er löste meinen Hängemattenmann in seiner Obliegenheit ab; aber wie es nur immer zugehen mochte, nichts wollte gedeihen, an was er Hand anlegte. In der dritten Nacht wichen die Nägel, welche die vorderen Klampen an dem Decke befestigten, und ich glitt köpflings hinunter. An der Stelle, wo mein Kopf aus das Deck treffen mußte, stand des Zimmermanns Pechkessel mit einer Axt in der Mitte, deren Schneide nach oben gekehrt war. Niemand wußte, wie diese Geräthschaften hieher gekommen waren, und wäre ich, wie es junge Gentlemen bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich zu halten pflegen, hinausgeschossen, so würde ich zwar nicht geköpft, aber doch durch die Axt getödtet worden sein. Ich schlief nicht, als das Weichen der Hängemattenstränge stattfand, weßhalb ich mich an meinen Nachbar, den fetten alten Wundarztgehülfen, anklammerte; dieser packte die Hängematte des Nächsten und so stürzten wir Drei mit einem Lärm auf das Deck, welcher sogar den Seesoldaten-Offizier aufweckte, der, wie Jedermann weiß, stets der beste Schläfer an Bord ist. Zum Glück für mich fiel ich seitwärts aus meiner Hängematte heraus.

Zunächst übernahm der in Alles sich fügende Josua die einzige Obhut über meine Kiste; aber obgleich ich nichts vermißte, war doch in kurzer Zeit Alles ruinirt. Die Motten fraßen die unerklärlichsten Löcher in meine besten Uniformen, meine Schuhe platzten, wenn ich sie anzog, meine Stiefel kriegten Risse in das Oberleder, und durch meine Strümpfe sahen Ferse und Zehen heraus.

Der diensteifrige Josua erwies seinen sechs anderen Gebietern die gleiche Aufmerksamkeit, und sogar mit noch besserem Erfolg, so daß zugäblich zu dem Verhungern auch alle Wahrscheinlichkeit in Aussicht stand, daß wir bald zu völliger Nacktheit reducirt werden dürften, was nicht sonderlich angenehm war, wenn man bedenkt, daß wir im Monat Januar aus den tropischen Breiten England zusteuerten. Im Laufe von sechs Wochen war unsere Refferbande so zerlumpt, hager und ausgehungert, wie man nie zuvor eine ähnliche auf irgend einem von Seiner Majestät Kriegsschiffen getroffen hat. Wir hatten nur noch einen einzigen guten Hut und eine einzige tragbare Uniform, und es war belustigend, mit anzusehen (natürlich nur für die Betreffenden nicht), wie diese Kleidungsstücke der Reihe nach von dem Einen auf den Andern übergingen. Ein Glück für die armen Sieben, daß wir Alle nahezu von gleicher Größe waren. Um unsern Unstern noch zu erhöhen, wurde es uns um unseres zerfetzten Anzugs willen nicht mehr so gut, hin und wieder zu einem Diner in der Kapitänskajüte oder in dem Offizierszimmer eingeladen zu werden.

Mittlerweile wurde Josua Daunton immer glatter, krasser und fetter. Er gedieh bei unserem Elend und wußte zuletzt seine Rolle so gut zu spielen, daß er dem Zerdroschenwerden entging. Er besaß in hohem Grade das, was man in der klassischen Sprache des Cockpit ein »gutes Mundwerk« nennt. Nie hatte er Unrecht, und er wurde nachgerade bei den Individuen sehr beliebt, die er so schonungslos tyrannisirte, während Jedes davon sich selbst für den Tyrannen hielt. Alles dies mag wohlgenährten, am Lande erzogenen jungen Gentlemen und Damen sehr unwahrscheinlich dünken, aber Midshipmen sind stets sorglos und träge – das heißt für ihre Person. Im eigentlichen Dienste sind sie allerdings auch sorglos, aber im entsprechenden Grade thätig. Die Freundlichkeit, mit welcher uns Josua alle Mühe abnahm, ließ uns bald fast nichts mehr, womit wir uns bemühen konnten.

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