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Vierundvierzigstes Kapitel

Das Pallisaden-Bankett und Major Flushfire's Wechselgesang auf den gelben Jack. – Wer fürchtet sich? – Der Sand in dem Stundenglase des Lebens läuft rasch ab, wenn er nicht mit Wein angenetzt wird.

————

Wir wollen die Geschichte des armen Lieutenant Silva in wenigen Worten abmachen. Man ließ ihm die Wahl, ob er vor ein Kriegsgericht gestellt, oder sich aus eine Schaluppe versetzen lassen wolle. Er zog das Letztere vor. Der Kapitän und seine Tischgenossen sahen ihn zwei Tage, nachdem wir in Port-Royal geankert hatten, die Fregatte verlassen. Der höhnische Kommandeur hatte es einzuleiten gewußt, daß, als seine Effekten in das Boot gehißt wurden, eine von den schweren, verdächtig aussehenden Kisten gegen die Kanone stieß und in Trümmer ging. Das Resultat war ganz, wie wir Alle erwartet hatten. Das Wasser wurde mit gebundenen Exemplaren der Expedition auf- und abwärts auf dem Rio de la Plate bestreut. Sie müssen zuverlässig eine sehr leichte Lektüre gewesen sein, da sie triumphirend umherschwammen.

»Ich bin begierig, ob sie sich ihren Weg nach Kingston hinaufpflastern werden,« sagte der Kapitän spottend.

Da der Autor sie nicht auflesen lassen mochte, so sanken sie nach einander unter und verschwanden, wie die Rückerinnerung an ihren Urheber, aus dem Geiste seiner Gefährten. Wir hörten einige Wochen nachher, daß er am gelben Fieber gestorben sei, und so wurde er mit seinen Büchern der Vergessenheit anheimgegeben, wenn nicht etwa gegenwärtiges Werk, das ihm einen kleinen Denkstein setzt, einem gleichen Geschicke entgeht.

Gelbes Fieber! Boshafter Henker der Tapfern! Wie soll ich dich passend anreden? Ich habe dir in dein gefallsüchtiges Gesicht geschaut, während dein Rachen unersättlich schien. Einmal legtest du sogar deine glühende Hand an meinen Leib, aber eine süße, weibliche Stimme scheuchte dich von deiner Beute zurück und die Flamme der Liebe loderte kräftiger, als sogar dein verödendes Feuer. Jetzt ist übrigens noch nicht die Zeit, hievon zu sprechen, sondern wir müssen zuvörderst die Begier schildern, mit welcher dich die meisten meiner Begleiter zu vermeiden suchen.

Kapitän Reud war augenscheinlich nicht nur in sein heimisches, sondern auch in sein natürliches Klima gekommen. Wie die Grille zirpte er nur um so lauter und lustiger, je heißer es war. Jung und unruhig, wie er war, bot er eine leibhafte Personifikation schadenfrohen Humors. Er erzählte Geschichten von dem Fieber, die eben so verhängnißvoll, als schaudererregend waren. Niemand konnte es überleben, der sich nicht akklimatisirt hatte, und keiner war im Stande, die Akklimatisation durchzumachen. Was mich betraf, so hätte ich mich vielleicht gleichfalls einschüchtern lassen, wäre ich nicht ohne Unterlaß mit den Ananasen beschäftigt gewesen. Die Furcht der Furchtsamen sollte übrigens erst noch die höchste Höhe erreichen.

Alle Offiziere, die auf dem Schiffe entbehrlich waren, wurden eingeladen, an der Offizierstafel des sechzigsten Regiments, das damals zu Kingston und Port-Royal den Dienst hatte, zu speisen. Da an demselben Tage Kapitän Reud zum Diner des Admirals nach dem Penn gebeten war, so mußten wir seiner scherzhaften Unterhaltung entbehren. Sämmtliche Lieutenants und Subalternoffiziere, nebst den meisten Midshipmen waren von der Partie. Der Meister übernahm die Aufsicht über die Fregatte. Denke dir jetzt, lieber Leser, uns Alle in rother und blauer Mischung an dem langen Tische, den kommandirenden Garnisonsoffizier, Major Flushfire, in Scharlach und Gold obenan, während unser lieber Doktor Thompson, ganz in Scharlach und Blau, den untersten Platz einnahm. Diese beiden Gentlemen hatten eine wunderbare Aehnlichkeit mit einander. Der Scharlach des Majors beschränkte sich nicht bloß auf seine Regiments-Uniform, sondern bedeckte auch sein Gesicht. Es befand sich kein kühles Plätzchen in dieser flammfarbigen Region, denn auch seine gelben Augen waren mit Blut unterronnen und seine Nase von reichem Vardolphian. Der Ausdruck seiner Züge deutete auf Durst, aber es war jovialer Durst – ein Durst, der nach Löschung, Hätschelung und Ermuthigung brannte, aber doch vor dem Wasser ein Grausen hatte. Wasserscheu war dem Major auf die Stirne geschrieben.

Unsern rothen Doktor haben wir schon früher geschildert. Er hatte immer sehr warm ausgesehen, war aber seit seinem Eintritt in die Tropen mehr als heiß – eigentlich dampfend geworden. Fast immer lagerte sich ein sichtbarer Nebel um ihn. Sein Gesicht zeigte nicht die staubige Gluth des Majors, sondern war feucht-heiß; seine Wangen schmorten ohne Unterlaß in ihrer eigenen Transpiration. Er war ein passender Croupier für unsern Wirth.

Zu beiden Seiten dieses edlen Paares befanden sich die langen Zeilen blasser und ängstlicher Gesichter (ich kann in der That nur mein eigenes ausnehmen, denn dieses war nie ängstlich, ehe ich an's Heirathen dachte, und erst dann bleich, als ich's mit der Schriftstellerei versuchte), deren Besitzer Einiges von der Qual des Tantalus erfuhren. Die Pallisaden, jene Sandgräber, die durch die stets wiederkehrenden Beerdigungen in einen reichen Compost umgewandelt wurden, lagen unmittelbar unter den Fenstern, und der Landwind kam dumpf und erkältend darüber her, in fühlbaren Stößen durch die Jalousien in das erhitzte Zimmer dringend. Hätte Einer den Kopf in das Mondlicht hinausgestreckt und hinuntergesehen, so würde er Hunderte von schaaligten Vampyren auf ihren langen, verdrehten Beinen gesehen haben, wie sie sich gräulich im Kreise bewegten und über die neuen Grabhügel hinkletterten, deren jeder die frische Leiche eines Land- oder Seekriegers barg. Die Landkrabben sind in ihrer kleinen Weise fast unermüdliche Resurrektionisten, erhalten aber für ihre Schuftigkeit die gebührende Wiedervergeltung, da sie ihrerseits gleichfalls verspeist werden. Sie sind ohne Zweifel eine vortreffliche Kost, und es kann nicht in Frage kommen, daß bei jenem denkwürdigen Diner ein doppeltes Bankett nach dem schönsten Grundsatze der Wiedervergeltung statthatte. Die epikuräische Krabbe unten schwelgte an dem Gericht Mensch, während der epikuräische Mensch oben sich die Krabbe auftischen ließ. Allerdings wußten die Gäste nichts davon – ich meine diejenigen, welche nicht die schaaligte Rüstung trugen, während die Gentlemen in den Panzerröcken recht wohl wußten, was sie trieben. Es war nämlich zu der Zeit, von welcher ich spreche, ein stereotyper Witz, die unerfahrenen neuen Ankömmlinge Landkrabben, durch irgend ein würziges Gewürz maskirt, verspeisen zu lassen. Gott sei Dank, daß darüber schon mehr als ein Vierteljahrhundert hingegangen ist. Wir hoffen, daß die geselligen Eigenschaften und die kulinarischen Veredelungen der Westindianer jetzt nicht mehr à l'écrivisse marschiren und à reculons fortschreiten.

Da saßen wir nun Alle, die Klugheit mit dem Appetite liebeln lassend, und die schönsten gelben Brühen mit den grausigen Gedanken an das gelbe Fieber würzend. Hin und wieder sah man einen liebenswürdigen Jüngling mit der Miene verzweifelter Tapferkeit einen Becher Bordeaux hinunterstürzen und dann über seine eigene Verwegenheit erblassen. Die Behutsamsten waren die schottischen Chirurgengehülfen und die bleichen jungen Fähndriche, welche die Flöte spielten. Die Midshipmen ließen ihrem Appetite durch die Angst keinen Eintrag thun; der Major und der Doktor aber hielten in ihrer Weise gleichen Tenor – das heißt, sie aßen und tranken à l'envie.

Wir wollen nun annehmen, die Gesundheit des Königs sei mit einem herzlichen und loyalen: »Gott segne ihn!« von allen Lippen nachgesprochen, ausgebracht worden. Dann kam ein Toast auf die Wohlfahrt der Flotte, für welchen der Doktor, den Mund mit einem Melonenschnitze gefüllt, den Dank darbrachte – dann ein Toast auf das Wohl der Armee, für den sich der Major, nachdem er seine Kehle mit einem Glase Branntwein geklärt hatte, bedankte – und endlich verhallte auch das » Rule Britannia«, welches die schwarze Musikbande mit so viel Nachdruck gedonnert hatte. Es folgte nun eine düstere Pause, die zuletzt von unserm ersten Seesoldaten-Lieutenant unterbrochen wurde. Dieser stand auf und schaffte sich die Angst, unter der er litt – wie das Gewissen, »mit noch leiser Stimme« – in folgenden Worten von der Brust:

»Major Flushfire, darf ich das Privilegium, das mir die gleiche Farbe unserer Röcke verleiht, in Anspruch nehmen und Euch um die Gunst Eurer Aufmerksamkeit bitten? Ah! He! – Aber dieser Landwind – beladen vielleicht mit den Keimen des gelben – Fiebers – mephitisch – und dergleichen – Ihr versteht mich, Doktor Thompson?«

»So gut, als Ihr Euch selbst.«

»Danke Euch – Männer von überlegener Erziehung – Sympathie – und dergleichen – Ihr versteht mich vollkommen, Major. Nun kommt dieser Nachtwind durch die halboffenen Jalousieen – Miasmen – und dergleichen. Doktor Armstrang, Doktor Thompson – ›Pilaster des Staates‹ – Ihr werdet mir die klassische Anspielung zugute halten – –«

»Ich nicht,« brummte der Doktor.

»Ah – wie Euch beliebt – so bescheiden – aber glaubt Ihr nicht, der Zug sei ein wenig gefährlich?«

»Meint Ihr den Zug, den Euch der Doktor aus seiner Arzneiflasche thun läßt, oder diesen hier?« versetzte der unaufmerksame, durstige Major mit einem tiefen Athemholen, als er den ungeheuern Tummler Sangarie wieder niedersetzte.

»Oh, Gott behüte, nein. Ich meine die Nachtluft, die durch das Fenster hereindringt.«

»Die beste Weise darüber zu verfügen,« sagte der Zahlmeister, dem zerschmelzenden Galen zunickend.

»Nein,« versetzte Major Flushfire höflich, »es liegt nicht die mindeste Gefahr darin – ich habe ihn gerne.«

»Gott behüte, Major,« sagte der Milizenlieutenant, »warum kömmt er denn stets in Stößen?«

»Ist mir nur desto lieber,« entgegnete der Major, den Kopf wieder in das Sangarieglas begrabend.

» De gustibus non est disputandum,« bemerkte Thompson.

»Sehr wahr,« entgegnete der Milizenoffizier mit einer weisen Miene. »Diese Eure Bemerkung paßt recht gut auf die Winde. Wir sollten ihnen den Eingang weg disputiren, wie Ihr in Eurem Latein sagt. Aber ist es auch recht, mein lieber Doktor, wenn wir Beide uns lateinisch unterhalten? Wir maßen uns dadurch einen ungebührlichen Vortheil über den Rest der Gesellschaft an.«

»Griechisch – Griechisch!« entgegnete der Zahlmeister.

»Ja, allerdings – es war Griechisch für Smallcoates,« murmelte Thompson.

»Allerdings,« erwiederte der arglose Milizenoffizier. »Major Flushfire,« fuhr er fort, indem er sich wieder auf die Beine erhob, »darf ich mir abermals die Ehre Eurer Aufmerksamkeit erbitten. Doktor Thompson hat eben vermittelst einer Citation aus einem griechischen Autor, ich weiß nicht gewiß, ob aus dem Virgil oder dem Paracelsus, bewiesen, daß das Eindringen der Nachtluft in ein heißes Zimmer höchst nachtheilig ist und in – in – und dergleichen. Ihr versteht mich vollkommen. Wäre es wohl zu viel, wenn wir bäten, daß alle Fenster geschlossen würden?«

»Potz Kamin und Ofen!« rief der Vorsitzer, von seinem Stuhle auffahrend. »Schaut mich und den würdigen Doktor Thompson an. Sind wir Leute danach, die an einer Wiederholung des schwarzen Lochs von Calcutta eine Freude haben könnten? Den Sangarie, Quasha! Alle Welt! Schon der Gedanke daran erstickt mich!«

Und er begann dem Sangarie auf's Neue seine Huldigungen zu erweisen.

»Und mich bringt er zum Zerschmelzen,« entgegnete der Doktor, sein Gesicht mit dem Taschentuche abfegend.

»Fürchtet Ihr den Schnupfen zu kriegen?« sagte der Zahlmeister zu Mr. Smallcoates.

»Den Schnupfen kriegen? – Ei, der Gentleman soll lieber zu seinem Weine greifen,« bemerkte der Major.

»Ich muß gestehen, daß ich mich nicht so sehr vor dem Schnupfen, als vor dem Fieber fürchte. Ich glaube, Major, Ihr seid schon drei Jahre in diesem auffallend mit Hitze und Kälte wechselnden Klima, und möchte daher, mein theurer Sir, mich durch Eure Erfahrung belehren lassen, welches die beste Lebensweise ist? Einige rathen Mäßigkeit sogar bis zur Abstinenz an, während Andere meinen, das Fieber lasse sich am besten durch Teufelspunsch, Crambamboli und ein sorgloses Leben abhalten. Ich glaube in der That, daß ich allen meinen Tischgenossen aus dem Herzen spreche, und möchte Euch daher um Eure Nachsicht bitten, Major.«

»Ich denke,« versetzte der Mann des Durstes, »Ihr solltet Euch da zuerst an die Fakultätsherren, nicht aber an einen alten Soldaten wenden, wie ich bin. Sie haben viel Erfahrung im Abfertigen von Fieberfällen.«

»Aber wenn wir entweder an der Lebensweise oder an dem Doktor sterben sollen,« versetzte der Zahlmeister, »so möchte ich doch wissen, welche Diät die Abfertigung am wenigsten beschleunigt, da uns die Weise des Doktors ohnehin bekannt ist.«

»Nun, ich will keine direkte Antwort, wohl aber Thatsachen angeben, und meine Tischgenossen können für die Wahrheit derselben einstehen. Vor fünf Jahren, nicht vor drei, bin ich mit einem Bataillon dieses Regiments herausgekommen. Wir hatten im Ganzen fünfundzwanzig Offiziere und stellten ganz dieselbe Frage, die ich eben aus Euerm Munde vernommen habe. Da theilten wir uns denn in zwei nahezu gleiche Partieen. Zwölf von uns hielten sich an Wasser, Mäßigkeit und alle Arten von Präservativen, die übrigen Dreizehn, unter denen auch ich mich befand, führten ein Schlaraffenleben, aßen, wenn sie hungrig oder nicht hungrig waren, tranken mit und ohne Durst, und qualifizirten, um den Durst hervorzurufen, den Klaret mit Branntwein. Das Wasser war im Allgemeinen vergessen oder wurde im Punsche durch Madeira ersetzt. Diese letztere Abtheilung war, wie Jack Fallstaff, dem Unfuge zugethan, in mondhellen Nächten auf Bretterverschlägen zu schlafen, in der Mittagssonne zu jagen, Wettrennen anzustellen und bisweilen – hem – auch in die Wette – zu trinken.«

Hier machte der würdige Krieger eine Pause und schien durstiger als je zu werden, denn er schmälte mit Quasha, daß er seinen Sangarie nicht genug mit Branntwein versehen, und schluckte ihn mit der Miene eines Alexanders hinunter, als dieser den verhängnißvollen Becher leerte. Dann blickte er mit der Miene selbstbewußter Ueberlegenheit umher. Der blasse Fähndrich wurde noch blässer – die sentimentalen Lieutenants geriethen noch tiefer in ihre Sentimentalität – Viele stießen ihren Wein und Punsch zurück und zeigten sich plötzlich als eifrige Bewerber um den Wasserkrug. Der Seesoldaten-Lieutenant entwickelte einen mehr als ängstlichen Ausdruck – den der Bestürzung – auf seinem Gesichte und ließ sich stockend vernehmen:

»Und – so – so – Sir – die bonvivants – verblendete – arme verblendete Gentlemen! Alle zu Grund gegangen – aber – verzeiht mir – delikate Frage – bis auf Euch selbst, mein guter Major?«

»Ganz recht, Mr. Smallcoates – und zwar in dem Zeitraum von achtzehn Monaten.«

Ein merklicher Schauder überflog die ganze Gesellschaft, sowohl Soldaten, als Seeleute. Das reine Element wurde mehr als je begehrt, und diejenigen, welche ihren Bordeaux nicht geradezu abwiesen, wässerten ihn. Der unverwüstliche Major jedoch kräftigte seinen Sangarie nur noch mehr mit Branntwein.

»Aber,« fuhr Mr. Smallcoates, sich aufheiternd fort, »die mäßigen Gentlemen entkamen Alle der Ansteckung – ohne Zweifel

»Ich bitte um Verzeihung, sie starben Alle im Laufe des Jahres. Ich allein bin von jenen Offizieren übrig geblieben, um die Geschichte erzählen zu können. Das Jahr acht war furchtbar. Die armen Bursche!«

Die Stimme des guten Majors stotterte; er beugte sich viel länger über seinen Sangarie, als nöthig war, sich des Trankes zu erfreuen.

Starres Entsetzen flog von Gast zu Gast. Selbst der Mund des rothen Doktors zog sich schief. Auch mir war nicht ganz wohl zu Muth bei der Sache.

»Aber ich lebe,« sagte der Major, sich aus seinen bittern Erinnerungen aufraffend, »und der Branntwein ist noch eben so belebend, der Wein eben so erfrischend als je.«

»Der Major ist wenigstens noch am Leben,« bemerkte der Seesoldaten-Lieutenant sehr weise. »Ist das Branntwein vor Euch, Mr. Farmer? Darf ich Euch darum bemühen? – Es wird mir auf diesen Bordeaux in der That ganz kalt im Magen. Ja,« wiederholte er, nachdem er einen Tummler, hälftig aus Branntwein, hälftig aus Bordeaux bestehend, hinuntergegossen hatte – »der Major ist noch am Leben – und – ich auch.«

»Der Major ist noch am Leben!« ging es rund um die Tafel. »Laßt uns seine Gesundheit aus vollen Gläsern trinken!«

Der Major dankte und erbot sich zu einem Liede. Ich bat mir's von ihm aus, und der Leser kann es singen, wenn er Lust dazu hat, während ich mich damit vergnüge zu berichten, wie es der Major gesungen haben wollte.

»Gentlemen,« sagte er, »erweist mir den Gefallen, ein Glas mit Limonade zu füllen, und wenn ich rufe, ›Chorus‹, so steht ihr mit den Gläsern in der Hand auf und singt; dabei dürft ihr aber nicht vergessen, daß zum Schlusse jedesmal das Glas geleert werden muß: Keine Nagelprobe hintendrein, und kein halbvolles Glas zuvor. Nun drauf los, meine Jungen!«

Und mit einer Stimme, die sogar die Landkrabben aus ihrem Geschäfte aufgestört haben mußte, begann er zu brüllen –

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
In der Dschungeln feuchter Wüstenei!
Ich bleib nüchtern und gerade,
Trinke – trinke Limonade,
Fang mich – geh, dein Werk ist Stümperei, Gelber Jack!

Dennoch kam der Dieb, der schlaue,
Packt mir meine rechte Hand,
Wie ich kämpfe, wie ich ringe,
Hilft mir doch kein Widerstand;
Faßt mich an mit glühn'der Faust,
Trink ich gleich nur Limonade.
Grinst mir grimmig zu, und ich
Bin doch nüchtern und gerade!«

Chor (mit sich steigerndem Lärm).

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
In der Dschungeln feuchter Wüstenei!
Wir sind nüchtern und gerade
Trinken – trinken Limonade.
Fang uns – geh, dein Werk ist Stümperei, Gelber Jack!«

»Gläser mit Sangarie!« schrie der Major und sang weiter –

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
In dem gift'gen Sumpf, der dich gebar!
Sangarie – die Gottesgabe –
Ist's, womit mein Herz ich labe,
Trotzend deiner tödtlichen Gefahr, Gelber Jack!

Doch der Teufel blieb und krallte
Tief in meine Seit' sich ein.
Glühend lag ich da und schaudernd;
Sollt' mein Müh'n vergeblich sein,
Zu entkommen seiner Faust –
Trotz der süßen Gottesgabe
Sangarie, die länger nicht
Meinem Herzen ward zur Labe?«

Chor (noch lauter).

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
In dem gift'gen Sumpf, der dich gebar!
Sangarie – die Gottesgabe –
Ist jetzt uns'rer Herzen Labe
Trotzend deiner tödtlichen Gefahr, Gelber Jack!«

Nachdem der Sangarie, gut und stark gewürzt, hinuntergegossen war, wurde die Aufregung wilder, und der Anführer unseres Gelages rief nun aus Leibeskräften:

»Wein, Gentlemen, Wein – randvoll!«

Dann fuhr er fort:

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
Bei dem Schwarzen tief im Höllenpfuhl!
Laßt den Wein im Glase blinken;
Jack, o Jack, mich will bedünken,
Daß ich doch dein Mühen mach' zu Null, Gelber Jack!

Doch er kam zum drittenmale.
In's Gehirn mir Wahnsinns Glut
Gießend, daß der Arzt vergebens
Pflastert und die rothe Fluth
Meines Bluts entströmen ließ:
Hand, Herz, Seite – wie ich denke –
Müssen bald verloren sein,
Trotz dem, daß ich Wein nur trinke.«

Chor.

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
Bei dem Schwarzen tief im Höllenpfuhl!
Laßt den Wein im Glase blinken!
Jack, o Jack, uns will bedünken,
Daß dein Mühen dennoch wird zu Null, Gelber Jack!

»Branntwein!« brüllte der Major – »Branntwein! Eine Memme, wer vor diesem Rufe zurückbebt!«

Außer mir war keine Memme da; meine Jugend galt jedoch als ein genügender Entschuldigungsgrund, um meine Theilnahme an den Orgien der Nacht abzulehnen. Der Major nahm mit glühendrothem Gesichte wieder auf:

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
Schnell in der Verdammniß Ewigkeit;
Denn mit Branntwein will ich retten
Mir das Herz und deinen Ketten
Trotzen, gegen deine Wuth gefeit, Gelber Jack!

Und ich griff zum Branntweinglase
Und der Jack gibt Fersengeld.
Morgens, Mittags und am Abend
Branntwein meine Kehle schwellt.
Dann der Nachttrunk, drauf der Schlaf:
Glaubt mir, meine wackern Knaben,
Schnellstens flieht der gelbe Jack
Vor des Feuergeistes Gaben.«

Chor (tumultuarisch).

»Gelber Jack, gelber Jack!
Such dein Versteck – such dein Versteck
Schnell in der Verdammniß Ewigkeit,
Denn mit Branntwein können retten
Wir das Herz und deinen Ketten
Trotzen, gegen deine Wuth gefeit, Gelber Jack!«

Endlich wurde »der gelbe Jack« so laut hinausgedonnert, daß die Töne wohl im Stande gewesen wären, die Opfer desselben aus den Pallisaden zu wecken. Die Gesellschaft war zu Allem aufgelegt, namentlich aber am meisten zu irgend einer Teufelei. Unser erster Lieutenant bedeutete mir, daß die Jolle warte, um die jüngern Offiziere an Bord zu nehmen, und ich faßte den Wink des rücksichtsvollen Mannes auf, schon zur Genüge verwundert über die Scene, die ich bisher mitanzusehen hatte.

Ob in dem Verschwörungsgesang der vorigen Nacht irgend eine geheime Kraft lag, kann ich nicht entscheiden. So viel ist übrigens gewiß, daß am nächsten Tage, obschon es unter den Offizieren an schwerem Kopfweh nicht fehlte, sich doch keine Spuren des gelben Fiebers blicken ließen.

*

 


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