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Dreiundfünfzigstes Kapitel

Ein Fieberanfall und ein Trank, den Liebe reicht, obschon er nicht gerade ein Liebestrank ist. – Was treiben die Aerzte, wenn die Menschen, trotz ihrer Kunst, sterben und ohne dieselbe kurirt werden? Ralph weiß es nicht.

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Ich muß übrigens wieder einen Rückschritt machen. Es erscheint vielleicht auffallend, daß ich so wenig von meinen Tischgenossen gesprochen habe, während man doch glauben sollte, daß für einen Midshipman die Angelegenheiten und die Charaktere von seines Gleichen besondere Bedeutsamkeit gewinnen müßten. Dies war Uebrigens aus den vorhin angedeuteten Gründen bei mir nicht der Fall. Außerdem war unsere Kajüte so ziemlich wie ein morgenländisches Karavanserei oder ein Pesthospital. Alle meine Kollegen starben, wurden befördert oder kamen auf andere Schiffe, so daß nur zwei mit mir nach England zurückkehrten. Man darf übrigens nicht glauben, daß es uns an jungen Gentlemen gebrach, denn bisweilen hatten wir unsere volle Zahl, bisweilen nur die Hälfte. Neue kamen – sie starben – und so weiter. Ehe ich noch Zeit gewann, Freundschaft mit ihnen zu schließen oder ihre Charaktere zu studiren, hatten sie ihren langen Schlaf unter den Pallisaden gesunden oder wurden in ihren Hängematten über Bord geworfen. Ein Gleiches traf auch bei den übrigen Offizieren zu, und der erste Lieutenant, der Doktor und der Zahlmeister waren die Einzigen, welche wieder mit uns nach England zurückkehrten. Namentlich waren sämmtliche Wundarztgehülfen, die mit uns speisten, vom Tode hingerafft worden. Ja, ich kann mich nicht einmal mehr auf die Namen oder die Persönlichkeit der Meisten erinnern, mit welchen ich aß, trank und handelte, da sie es so gar eilig hatten, einen Beweis für die Vergänglichkeit der Welt abzugeben.

Bis zur Wegnahme von San Domingo waren wir leidlich gesund. Nun aber mußten wir ein Regiment französischer Soldaten in das Gefängniß von Port-Royal geleiten, und diese brachten das Fieber in seiner schlimmsten Form an Bord; auch gelang es uns nicht, die Keime desselben wieder auszurotten, obgleich alle Gegenmaßregeln angewendet wurden, welche uns der damalige Stand der Wissenschaft an die Hand gab. Die Mannschaft wurde an Bord eines Holks geschickt, das Schiff gereinigt, geräuchert, und zum Schlusse sogar in den Norden nach New-Providence geschickt; aber alle diese Mittel waren unwirksam, denn das Fieber tauchte in fast regelmäßigen Zwischenräumen wieder auf und raffte Matrosen und Offiziere dahin.

Bisher war ich immer frei ausgegangen. Der einzige Anfall, der mich faßte, fand in dem Kapstanhause statt, denn so wurde der Platz genannt, wo wir während des Umlegens der Fregatte bivouakirten. Ich erwähne der Sache, nicht um mein Verhalten während der Krankheit als nachahmungswerth aufzustellen, sondern weil der Angriff sowohl, als die Schnelligkeit der Kur auffallend war. Ich hatte eine Pulverschuite von Port-Royal nach Kingston hinaufzuschleppen, und in Folge eines Versehens von Seite des Beischiffsführers waren die Decken des Boots zurückgelassen worden. Sechs oder sieben Stunden unter einer Sonne, die um Mittag senkrecht über den Köpfen stand, und während der größten Hitze des Tages zwischen den Sümpfen und Morästen, welche mit ihrer üppigen Vegetation Port-Royal von Kingston trennen, hinfahren zu müssen – dies ist eine hinreichende Ordalie, um eine europäische Konstitution zu erproben. Zum erstenmal schien mein Urstoff erliegen zu wollen.

Als ich Nachmittags gegen vier Uhr nach Port-Royal zurückkehrte, wandelte mich zuerst das eigentümliche Gefühl an, als ob etwas Schlüpfriges auf dem Boden unter meinen Füßen sei; es däuchte mich, als könne ich, wenn ich wollte, über die Oberfläche der Erde hingleiten, ohne meine Füße zu brauchen. Dann war ich, gegen die Gewohnheit eines Midshipmans, nach langem Fasten nicht sehr hungrig, wohl aber ungemein scherzhaft gestimmt, denn statt etwas Gutes zum Essen aufzusuchen, zog ich es vor, gute Späße zu machen. Bald begann ich zu fühlen, daß ich viel Unsinn schwätzte und eine Freude an demselben hatte. Endlich sagte mir aber doch das bischen Verstand, das mir noch geblieben war, es sei recht wohl möglich, daß ich mit dem ersten Besuche jenes Königs der Strecken, des safrangekrönten Jack, beehrt worden sei.

Soll ich zu dem Doktor gehen? dachte ich. Nein – ich habe zwar die beste Meinung von Doktor Thompson – aber es ist Schade, daß er das gelbe Fieber nicht kuriren kann. Freilich sind wir die besten Freunde und er wird mir's übel nehmen; aber ich habe stets bemerkt, daß alle diejenigen, welche zu dem Doktor gehen, nach den Hängematten spazieren müssen. Von da geht's zum Spital – und von dem Spitale nach den Pallisaden.

So lang es daher noch Zeit war, entschied ich mich, eine entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Ich ging zu dem Dock-Yard-Thore hinaus und begab mich zu einer hübschen, matronenhaften, freien Mulattin, die mir eine Mutter – und auch noch etwas mehr war. Sie besaß einiges Vermögen und eine Anzahl junger Neger, die sie an die Majestät zu vermiethen pflegte, um in höchst Dero Dock-Yard zu arbeiten und daselbst gegen gewisse Berücksichtigungen die Seiten und Kiele von Seiner Majestät Kriegsschiffen zu kalfatern.

Ungeachtet dieser vertrauten Beziehung zwischen Seiner Majestät und ihr verschmähte sie es doch nicht, für Seiner Majestät Flottenoffiziere die Hemden und Strümpfe zu waschen oder waschen zu lassen, das heißt, wenn ihr diese Offiziere gefielen. Nun war sie freundlich genug, mich ganz besonders zu lieben, und zwar, obgleich sie sehr niedlich und noch nicht sehr alt war, in ganz gebührender und platonischer Weise. Sie war auch eine große Freundin des Gebens von Würdebällen, und wenn sie in vollem Putze auftrat, war Miß Belinda Bellarosa eine sehr verführerische Person. Ein Unteroffizier war ihr ein Greuel. Sie hatte bereits an viele Meistersmaten Körbe ausgetheilt, und ich weiß »für wahr« (um mich ihres eigenen bezaubernden Idioms zu bedienen), daß mehrere Lieutenants die ehrenhaftesten Anträge gemacht hatten.

Zu Miß Belinda also nahm ich meinen Weg, obgleich ich ihn kaum finden konnte, da mich eine seltsame Art von Delirium überwältigte. Sobald sie mich sah, rief sie aus:

»Ah, Garamity! Er erwischt für gewiß – es brech' mein Herz ihn zu seh'. Ihr wiß, ich liep' Massa Rattlin, wie mein eigen Pickaninny. So helf' mir Gott, er sehr schlimm!«

»Meine Königin zahlloser Inseln! theure Herzogin der Dublonen! heirathet mich diesen Abend noch und ihr werdet morgen eine fröhliche Wittwe sein!«

»Hör' ihn! hör' ihn! Wie sprechen von heirathen mich?«

»Oh theure Bella, wenn Ihr mich nicht mit Güte tödten wollt, was soll ich thun? Ich kann diesen verzehrenden Schmerz in meinem Kopfe nicht ertragen. Ihr seid stets eine so freundliche Seele gegen mich gewesen. Vergebt meinen Unsinn, ich konnte nicht anders. Laßt einen Eurer Diener mich zu dem Doktor führen.«

»Nie, nie, Doktor!« Und sie spie mit großer Verachtung auf den Boden. » Ah, Massa Ralph, ich liep' Euch theuer – Ihr schlaf' hier heut' Nacht – ich verlier' mein Reputation – gleichviel Euch das. Warum du nicht lauf, Dorkas, um von Massa Jacksons Keller eine gute Flasch' Portwein zu holen? Sag ihm, für mich, Missy Bellarosa. Du Phöbe, du ander farbig' Weibsbild da, warum du nicht nehm' Massa Ralph und leg' ihn in best' Bett? Ihm schlecht, für gewiß – hurtig, oder arm' Buckra Junge stirbt.«

Demgemäß wurde ich unter dem Beistand der beiden schmutzigen Mädchen in ein Bette gebracht und der Anweisung meiner gütigen Wirthin gemäß mit einer erstickenden Anzahl von Decken überhäuft. Bald nachher – meine Sinne waren kaum im Stande, die Gegenstände zu erkennen, trat meine liebe Doktorin mit zwei weiteren Negermädchen ein (dies natürlich zu Wahrung ihrer Reputation), goß den Portwein, auf dessen Oberfläche ein weißes Pulver schwamm, in eine Porcellanschaale und nöthigte mich, dieselbe auszutrinken. Dann verabschiedete sie sich von mir mit einem Blicke ächt mütterlicher Liebe, indem sie zugleich den beiden Wärterinnen den Austrag ertheilte, eine weitere Decke über mich zu werfen und mich ja nicht aus dem Bette zu lassen, wenn ich aufzustehen versuchen sollte. Dann begann die verzehrende Gewalt des Fiebers und schoß mir Glutströme durch meine Adern. Ich hatte einen Vorschmack von jenem Zustande, dem, wie ich hoffe, wir Alle entrinnen werden, einen Einzigen ausgenommen – den des ewigen Glühens und nie sich Verzehrens. Aber obgleich in einem solchen Leiden Augenblicke die Dauer von Menschenaltern annehmen, so währte das meinige doch nicht langer, als eine halbe Stunde. Der Schmerz ging in einen Traum über – in einen höchst sonderbaren Traum, den ich nie vergessen werde, so lange mein Gedächtniß noch eine einzige Vorstellung bewahren kann.

Es däuchte mich, ich sei plötzlich aus dem Bette gerissen und in die Mitte einer endlosen Sandebene gesetzt worden. Sie begrenzte den Horizont wie ein glattes Meer. Nichts war da zu schauen, als der weiße, glühende Sand, der tiefblaue, wolkenlose Himmel und unmittelbar über mir die ewige Sonne, die, wie das Auge eines zürnenden Gottes, unerträgliche Feuer auf mein unbeschütztes Haupt niedergoß. Endlich öffnete sich mein Schädel und aus dem Innern meines Kopfes schien ein prachtvoller Tempel aufzusteigen. Säulen auf Säulen, Kapitäle auf Kapitälen, und wie sich das Gebäude also babelartig zum Himmel aufthürmte, erweiterte es sich gleichermaßen in die Breite. Im Innern sah ich die hohe, endlose, gewundene Treppe, die weiten, marmorgepflasterten Höfe; auch fehlte es nicht an einem majestätisch sprudelnden Springbrunnen, dessen kühle Wasser meine dürren Lippen neckten, während rings um lange Reihen schöner Statuen dastanden. Das Gebäude fuhr fort, sich zu vergrößern, bis der ganze Himmel damit angefüllt war und seine Gränzen fast den ganzen Horizont beschrieben.

Ich kämpfte lange, um mich unter dieser überwältigenden Last aufrecht zu erhalten. Sie drückte schwerer und schwerer auf mein Gehirn und der Schmerz wurde unerträglich; aber noch immer versuchte ich, mich ritterlich aufrecht zu halten, dabei einen Stolz und einen Trotz bekundend, die fast den Charakter vermessener Anmaßung trugen. Endlich fühlte ich mich völlig überwältigt und rief: »Gott des Erbarmens erlöse mich! Die Last ist zu schwer, als daß ich sie zu tragen vermöchte.« Dann begann eine Verwüstung in diesem Tempel, der mein Kopf war und doch zugleich auch nicht. Die ungeheuren Säulen stürzten zusammen, die brechenden Bogen krachten und das reiche Gebälk stürzte mit einem Getöse, das lauter als der schwerste Donner tönte, auf das Marmorpflaster nieder. Wirre quetschten mich die Trümmer – die Natur konnte nicht weiter und mein Traum entschlief.

Die Sonne stand in ihrer Mittagshöhe, als ich am andern Morgen gesund erwachte. Meine Kräfte waren erneut und noch obendrein in jenem glücklichen Zustande, der sogar den bloßen Akt des Lebens entzückend macht. Ich fand nichts Merkwürdiges, als daß ich reichlich geschwitzt hatte.

Miß Bellarosa empfing mich triumphirend bei m Frühstücke, und ich selbst war voll Dankbarkeit. Ich fühlte großen Hunger und war so muthwillig, wie ein Schulknabe, der eben einen Vakanztag erhalten hat.

»Eh, Massa Ralph, denk', mich heute nicht heirathen – warum Ihr nicht sag' Ja dazu?«

»Weil Ihr mich nicht haben wolltet, theure Bella.«

»Versucht – Ihr frag' mich,« sagte sie, mich mit einer Zärtlichkeit anblickend, die nicht ganz so mütterlich war, als ich wünschen konnte.

»Theuerste Bella, wollt Ihr mich heirathen?«

»Für wahr?«

»Für wahr.«

»Danke, Massa Rattlin, danke; Ihr mach' mich sehr glücklich; aber für wahr, nein. Wär't Ihr fünfzehn Jahr älter oder ich fünfzehn Jahr jünger, vielleicht – aber dank' Euch viel für das Komblement. Nun geht und sagt Bukra Doktor.«

Da ich nun meinen freundlichen Arzt nicht mit meiner Hand belohnen konnte, die ich, beiläufig bemerkt, nicht angeboten haben würde, wenn ich nicht einer Zurückweisung sicher gewesen wäre, so sah ich mich genöthigt, ihr ein so kostbares Geschmeide, wie ich es nur kaufen kennte, zum Andenken aufzudrängen. Meine schwarzen Wärterinnen beschenkte ich mit einer Handvoll Münze.

Ich weiß nicht, ob ich diesen Fieberfall sehr nosologisch beschrieben habe; so viel aber ist gewiß, daß die Sache sich genau so verhielt.

*

 


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