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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Ralph beginnt seine öffentliche Laufbahn damit, daß er ein I. O. U. annimmt, obschon er kaum weiß, warum. – Er findet seinen künftigen Kapitän auf dem Boden einer Flasche. – Seine Hand wird zurückgewiesen.

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Die Wenigen, welchen meine Ausstattung zugewiesen worden, wußten so wenig, was meine Stellung forderte, daß ich drei Uniformen erhielt, deren jede den Löwen statt des Ankers auf den Knöpfen trug. Meine Ueberpflanzung von der Schule nach London geschah vermittelst des Postwagens; in der Hauptstadt angelangt, sollte ich im Temple einen Rechtsgelehrten aussuchen, der mich mit zwanzig Pfunden und einem Brief an meinen künftigen Kapitän versah, mir zugleich bemerkend, daß ich jährlich eine Summe auf ihn ziehen könne, welche mehr als den doppelten Betrag ausmachte, den man mir hätte anvertrauen sollen. Dann empfahl er mir, noch am nämlichen Abend die Post zu benützen und unverweilt auf mein Schiff zu gehen – ein Rath, welchen er damit schloß, daß er mir viel Glück und guten Morgen wünschte.

Ich war allerdings ein wenig erstaunt, mich in Mitte der ungeheuren Stadt so plötzlich allein zu sehen, und fühlte, daß ich von Stunde an anfangen müsse, ein Mann zu werden. Zwar kannte ich in London mehrere Personen, Eltern meiner Schulkameraden, aber ich war zu stolz, meinen Stolz vor ihnen zur Schau zu tragen, denn ich schämte mich zu gleicher Zeit an meiner Uniform, obgleich ich in derselben prunkte.

Ich speiste in dem Gasthofe, in welchen ich bei meiner Ankunft abgestiegen war, bestellte Alles, was ich wünschte, in demüthigem, halblautem Tone, sagte zu dem Kellner: »wollen Sie so gefällig sein, Sir,« zahlte meine Rechnung, ohne ihm ein Trinkgeld zu geben, weil ich ihn zu verletzen fürchtete, nahm meinen Platz in der Postkutsche und kam ohne Abenteuer nach Chatam, wo ich in dem Wirthshause übernachtete, in welchem die Kutsche einstellte. Wegen meiner Bastard-Uniform wußten die Leute des Hauses nicht, was sie aus mir und aus meinen Behauptungen, daß ich zur Flotte gehöre, machen sollten. Ich wünschte meine Beglaubigungsbriefe augenblicklich abzugeben, aber mein vorsorglicher Wirth rieth mir, ich solle mir Zeit zur Ueberlegung nehmen und zuvor – zu Mittag speisen. Ich folgte seinem Rathe.

Es ist ungewiß, wie lange ich wohl noch hätte im Unklaren bleiben müssen, hätte sich nicht ein Bruder Midshipman im Gastzimmer über mich erbarmt. Er redete mich an und half mir sehr freundschaftlich bei meiner Pinte Portwein, die ich mannhaft genug herbeibeschieden hatte. Er ging nicht sehr unbarmherzig mit mir um, aber was er an Spötteleien sparte, brachte er im Trinken herein. Ich enthielt mich mit vieler Festigkeit, seinem Beispiele zu folgen, und er lobte mit großer Wärme meine Mäßigkeit; vermuthlich war es ihm Ernst damit, denn jedenfalls schien dies eine Tugend zu sein, die er nicht zu üben vermochte. Gegen sieben Uhr begann mein neuer Freund ein ausführlicheres Verhör. Ich zeigte ihm mein Empfehlungsschreiben und erhielt von ihm die Mittheilung, in welchem Hotel der Kapitän wohne, zugleich mit dem Bedeuten, es sei durchaus nöthig, daß ich ihm unverweilt meine Aufwartung mache. Er sagte mir noch außerdem, ich dürfe mich ungemein glücklich schätzen, nur mit einem einzigen Offizier zusammengetroffen zu sein, während so viele durstige, arme Teufel umherzögen, um die Johnny Raws wie Schwämme auszudrücken. Was ihn selbst betreffe, so sei er ein Mann von Ehre, ganz ein Gentleman, und wolle seinen Antheil an den zwei Flaschen verzehrten Portweins, von denen ich keinesfalls mehr als vier Gläser getrunken hatte, bezahlen. Im Geheim mich preisend, die Bekanntschaft eines so uneigennützigen Ehrenmanns gemacht zu haben (ich hatte ihn nämlich zu einem Glas Wein gebeten, was in seiner Lesart so viel wie ein paar Flaschen bedeutete), forderte ich meine Rechnung, unter deren Ansätzen in großen Buchstaben »zwei Flaschen alten Portweins zu vierzehn Schillingen« verzeichnet waren.

»Verwünschte Prellerei!« sagte mein bisher anonymer Freund. »Von allen Lastern ist mir die Prellerei am meisten zuwider. Ich will die zwei Flaschen allein bezahlen. He, Kellner, Feder und Tinte. Die Banken sind nicht mehr offen und ich habe nur eine Fünfzigpfundnote bei mir. Ihr sollt übrigens mein I. O. U. I. O. U., die Ueberschrift einfacher Schuldverschreibungen. I owe you – ich schulde Euch. haben. Ihr seht, daß ich es gerade auf ein Pfund gestellt – Ihr werdet mir daher den Ueberschuß, sechs Schillinge, herauszahlen. Euer Name, habt Ihr glaube ich gesagt, ist Rattlin – Ralph Rattlin. Ein guter Name – in der That ein sehr guter Zahlmeistersname. Da, Mr. Rattlin; Ihr habt, wenn Ihr an Bord kommt, nur dem Hauptschwappwascher dieses Stück Papier vorzuzeigen, und er wird Euch entweder harte Münze oder Getränk dafür geben.«

Ich gab dem Gentleman, der ein so großer Feind von Prellerei war, sechs Schillinge auf sein Papier heraus – es enthielt die Worte:

» I. O. U.
Zwanzig Schillinge.
Josiah Cheeks,
Generalmajor der berittenen Seemiliz –
auf Seiner Majestät Schiff, dem lustigen Blauanlaufer zu Dover.
Für Mr. Ralph Rattlin.«

Ich legte dieses kostbare Dokument sorgfältig in mein Taschenbuch unter meine Pfundnoten, die damals hauptsächlich im Lande kursirten; dennoch konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß mein Freund einen entsetzlich hungrigen Blick auf diese Papierstreifen werfe. Er hatte bereits eine sehr gewählte Rede als Einleitung zu der Bitte um ein Anlehen begonnen, als ich ihm schnell in's Wort fiel, indem ich ihm bemerkte, ich hätte meiner Pathe versprochen, keinen Penny auszuborgen, bis ich sechs Monate an Bord meines Schiffes gewesen sei, was auch wirklich der Fall war. Er lobte mein Pflichtgefühl, sagte, daß es durchaus nichts zu bedeuten habe, und versicherte mich, am nächsten Morgen werde er mehr haben, als er brauchen könne; es stünde mir dann eine Fünf- oder Zehnpfundnote zu Diensten. Nachdem er vergeblich versucht, mich in's Theater zu verlocken, pries er meine Hartnäckigkeit als eine Tugend und zeigte mir das Hotel, wo Kapitän Reud von Seiner Majestät Schiff, der Eos, wohnte.

Ich wurde angemeldet und augenblicklich in ein Gemach geführt, wo ich eines blaßgesichtigen, gedrungenen und gut gebauten kleinen Mannes, augenscheinlich nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig, ansichtig wurde. Er saß in der Mitte des Zimmers auf einer schwarzen Quartflasche, deren Hals sich auf dem Boden aufstützte, während ihr unterer Theil einen ziemlich unstäten Sitz bildete. Ohne mir irgend Aufmerksamkeit zu erweisen, gab er sich hin und wieder einen Schwung und drehte sich mit ausgebreiteten Armen wie ein Karoussel im Kreise. Dies war ohne Frage sehr unterhaltlich, und sein Gefährte, ein schöner Mann von ungefähr fünf- oder achtunddreißigen, bekannte sich augenscheinlich zu derselben Ansicht, wenn man aus einem lang fortgesetzten und lärmenden Applause einen Schluß ziehen durfte. Der kleine Kreisler war in eine einfache, aber schöne Uniform gekleidet und hatte eine einige goldene Epaulette aus der rechten Schulter, während der Andere einen Rock, prächtig mit breitem weitem Kasimir ausgeschlagen, trug.

Ich konnte bemerken, daß beide Partieen tief in das mannigfarbige Delirium des vielen Trinkens versenkt waren. Ich sah zuerst den Einen, dann den Andern an, unschlüssig, welchen ich als meinen Kapitän begrüßen sollte. Indeß konnte ich keine üble Meinung fassen gegen einen Mann, der so herzlich lachte, und ebensowenig gegen den Andern, der sich glücklich zu fühlen schien, wenn er aus sich selbst einen Kreisel machen konnte. Ich ersah den Vortheil einer Pause in dieser seltsamen Schaustellung, und händigte dem Ersteren, welcher das imponirende Aussehen hatte, mein Beglaubigungsschreiben ein; dieser überantwortete es dann unverweilt dem eigentlichen Kapitän Reud. Ich wurde sehr gnädig aufgenommen und mußte einige Fragen der Höflichkeit beantworten, worauf man mir ein Glas Wein eingoß.

Meine Anwesenheit wurde bald durchaus nicht mehr berücksichtigt, und der Kapitän begann mit seinem ersten Lieutenant in einem Jargon, der mir ganz unverständlich war, über alle nur erdenkliche Gegenstände zu sprechen. Die Flasche flog mit wunderbarer Geschwindigkeit auf dem Tische hin und her, und der Kapitän wurde immer rechthaberischer, während sich zu gleicher Zeit die Nachgiebigkeit des Lieutenants steigerte. Endlich begann der kleine Mann mit der Epaulette eine sehr schlüpfrige Geschichte. Mr. Farmer warf einen bedeutungsvollen Blick auf mich, worauf sich Kapitän Reud in einem so scharfen, schrillen Tone an mich wandte, daß ich fast nicht glauben konnte, sie komme von der Person, die so anmuthige Histörchen zu erzählen wußte und so hübsch auf einer Quartflasche zu kreiseln verstand.

»Hört Ihr, Junker, Ihr werdet Eure Siebensachen morgen mit dem Frühesten in ein Fährboot schaffen und zeitig genug an Bord gehen, um für den Tag viktualisirt werden zu können. Sagt dem kommandirenden Offizier, der Schiffsschneider solle Euch den Fluch Gottes aufnähen – (ich fuhr entsetzt über diese Gottlosigkeit zurück) – diese Pudel von Eurer Jacke trennen und Euch gehörig mit einem unklaren Anker ausstatten.«

»Ja, Sir,« versetzte ich; »aber ich hoffe, der Schneider wird nicht so gottlos sein, da ich ja dem Gentleman nichts Böses wünsche.«

»Fromme Erziehung,« sagte der Kapitän.

»Wir wollen ihn schon nach Oben blicken lehren,« meinte der Lieutenant, der sich mühete, originell zu sein.

»Ein nicht übel gebauter junger Hund,« fuhr der Kapitän fort, mich beifällig anblickend.

»Darf ich fragen, wer er ist?« fragte der Letztere bei Seite.

»Bst!« entgegnete Kapitän Reud, den Finger an seine Nase legend und einen sehr mysteriösen Blick voll tiefer Bedeutsamkeit versuchend; »aber wenn ich ihn im blauen Wasser draußen habe – und wäre er des Königs Sohn – wie meint Ihr, Farmer?«

»Natürlich, dann ist er also der Sohn von was Rechtem, Sir?«

»Wahrscheinlicher der Sohn von Niemand – nach den Gesetzen des Landes wenigstens, in dem er vom Stapel gelassen wurde. Aber ich will kein Wörtchen darüber athmen, oder auch nur entfernt, daß er illegitim ist. Wie ein britischer Seemann verschmähe ich, das mit einem Seitenwinde zu thun, Farmer, was nicht offen geschehen darf. Uebrigens hat jedes Ding zwei Seiten. Ein papistischer Priester darf auch in England nicht heirathen, und der Normanne Wilhelm war um kein Haar schlechter, weil seine Mutter nie vor dem kanonischen Geländer stand. Gebt den Wein herüber, Farmer; ich hasse den Mann – den Schurken, der sich mit Andeutungen abgibt. 's ist verächtlich – verdammt verächtlich. Ich liebe es übrigens nicht, daß man mir nur zur Hälfte vertraut – werde scharfen Lugaus halten über den jungen Burschen – bei mir ist ein Geheimniß stets vollkommen sicher.«

»Oh, dann ist's also ein Geheimniß, wie ich sehe,« versetzte Mr. Farmer. »Ihr werdet jetzt gut thun, zu gehen, Mr. Rattlin, und morgen des Kapitäns Befehlen nachkommen.«

Das Wort Mister tönte scharf, aber doch nicht unangenehm in meinen Ohren: es war das erstemal, daß mir diese Ehre zu Theil wurde. Ich hatte hier nun abermals Gelegenheit, den Schmutz der Knabenschuhe abzustreifen und kühn den Mann zu spielen. Ich nahm daher meinen Muth zusammen, um zu entgegnen, daß ich den Inhalt von des Kapitäns Befehle nicht ganz verstanden habe; ich bitte daher um eine Erklärung.

»Wahrhaftig,« erwiederte Kapitän Reud; »'s ist weit mit dem Dienste gekommen, wenn der jüngste Offizier meines Schiffes mich um eine Erklärung meiner Befehle angeht, statt ihnen Folge zu leisten.«

»'s wird wohl gut sein, wenn ich ihm ein Billet an den kommandirenden Offizier mitgebe, da ich vielleicht nicht an Bord bin, wenn er ankömmt.«

Das Billet wurde geschrieben und mir übergeben.

»Gute Nacht, Mr. Rattlin,« sagte der Kapitän.

»Gute Nacht, Sir,« versetzte ich, sehr zutraulich näher tretend, um meinem kleinen Kommandeur die Hand zu reichen.

Dieser Schritt von meiner Seite warf ihn mehr zurück, als die größte Bö mit der schönen Fregatte, die er kommandirte, gethan haben würde. Das Vorurtheil des Rangs und der Stolz auf seine Stellung kämpften mit seinem Sinne für die gewöhnlichen Höflichkeiten des Lebens. Er streckte halb seine Hand aus, zog sie wieder zurück – bot sie abermals dar und nahm sie auf's Neue an sich! Er sah in der That sehr verdutzt aus. Endlich steckte er sie, als ob er aller seiner Thatkraft aufgeboten hätte, um muthig zu handeln, entschlossen in seine Tasche und sagte:

»Schon gut, junger Herr. Macht, daß Ihr zu Bette kommt.«

»Das heißt, derb die Thüre gewiesen,« murmelte ich, als ich das Zimmer verließ.

Aus diesem kurzen Vorfalle zog ich, so jung ich auch war, schlimme Ahnungen in Betreff des Kapitän Reud. Ich fühlte wohl, daß ich gegen irgend eine Regel der Etikette verstoßen haben mußte, wußte aber auch, daß er gegen die Gebote der Humanität gefehlt hatte. Es lag eine Kleinlichkeit in seinem Benehmen und eine Unschlüssigkeit in seinem Wesen, die durchaus nicht im Einklange mit meinen unverdorbenen Begriffen von der wackern Haltung eines britischen Seemanns stand.

Als ich in meinem Bette lag, überarbeitete mein Geist sämmtliche Scenen des entschwundenen Tages. Nichts, was mir begegnet, wollte mir so recht gefallen. Ich war unzufrieden mit der Sicherheit meines Freundes Josiah Cheeks, des Generalmajors in der berittenen Seemiliz, auf Seiner Majestät Schiff dem lustigen Blauanlaufer zu Dover. Eben so wenig gefiel mir die Aufnahme, die ich bei Kapitän Reud von Seiner Majestät Schiff, der Eos, gefunden, trotz seiner Geschicklichkeit, auf einer Flasche im Kreise zu sausen; und auch das halb beschützende, halb übermüthige Benehmen des ersten Lieutenants, Mr. Farmer, wollte mir nicht zusagen. Aber all' dies war nichts in Vergleichung mit dem Aerger über die derben Winke, die Kapitän Reud über das Geheimniß meiner Geburt so freigebig umhergeworfen hatte.

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