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Siebentes Kapitel

Ich erhalte gleichfalls eine Berufung – an der Thüre des Todes. – Ein großer Aufschwung im Leben. – Branden will keine Faullenzer in seiner Sägegrube haben – ist zu Grunde gerichtet und bewirthet den ehrwürdigen Mr. Cate mit einer Prügelsuppe.

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Alles dies war die Vorbereitung zu einem Ereigniß, das für mich von der größten Wichtigkeit war, und vielleicht bis auf diesen Augenblick einen unmerklichen Einfluß auf meinen Geist, wie auch auf meinen Charakter übte. Brandons Berufung erregte in unserem bescheidenen Kreise großes Aufsehen. Er hatte zwar Sorge dafür getragen, daß ich erfahren sollte, was ich unter Trunkenheit verstehe, und so dachte ich, daß er an dem Nachmittage seiner Erwählung betrunken gewesen sein müsse, obschon er seinen Zustand so gut zu verbergen verstand, daß es nicht den Anschein hatte. Ich hörte übrigens aufmerksam auf die Rede des Predigers, welche jenem Auftritte folgte, und alle Bedenken wurden mir benommen. Ich konnte nicht glauben, daß ein ernster Mann an einem Pulte etwas Anderes zu sprechen vermöge, als die Wahrheit, namentlich, wenn er so laut und zwei Stunden lang predigte. Mein Geist war ein eigentliches Chaos, und ich fing an, mich sehr elend zu fühlen. Einer der nächsten Sonntage führte die Krisis herbei. Mein Anzug war immer viel besser, als man von dem Sohne eines bloßen Tagwerkers erwarten konnte, und da ich damals ein blonder Knabe mit sanftem Gesichte war, so stach ich merkwürdig genug gegen den Haufen ab, der das Meetinghaus zu besuchen pflegte. Mr. Cate hatte sehr nachdrücklich die höllischen Regionen, die endlosen Qualen, das Feuermeer und die Gluthwellen geschildert, so daß zwei oder drei alte Weiber in Krämpfe ausbrachen und etliche junge ohnmächtig wurden; da machte er plötzlich in dem Strome seiner Beredtsamkeit und unter dem Stöhnen des Auditoriums: »der Herr sei uns gnädig!« Halt. Für eine halbe Minute trat eine Todtenstille ein, worauf er plötzlich seine Stimme erhob, auf mich deutete und rief: »Betrachtet dieses schöne Kind – seht, wie das reine Blut sein zartes Gesicht färbt – aber was ist es anders, als ein guter Bissen für den Teufel! Alle die Foltern und alle die Qualen, von denen ich gesprochen habe, werden über ihn kommen. Schaut ihn nur an – dort wird er brennen und voll Schmerz ächzen, wird immer und immer verzehrt und doch nie zerstört werden, wenn nicht die Erbsünde aus ihm gewaschen wird durch die ›Berufung‹ und er dadurch Aufnahme erhält unter die ›Erwählten‹.«

Bei dieser direkt an mich gerichteten Rede wurde ich weder ohnmächtig, noch überlief mich ein Schauder; ich weinte auch nicht, sondern fühlte mich damals nur ein wenig betäubt. Es stand einige Stunden an (die Worte des garstigen Mannes klangen noch immer in meinen Ohren), ehe ich meinen hoffnungslosen Zustand völlig zu begreifen vermochte. Ich blickte auf das neben mir brennende Feuer und zitterte – ging zu Bette, aber ohne zu schlafen. Nie wurde ein Kind mehr durch eine Geistergeschichte erschreckt, als ich durch jene Predigt, und ich lag keuchend auf meinem von Thränen benetzten Kissen. Endlich begann die Einbildungskraft ihren furchtbaren Zauber zu üben. Das Gemach erweiterte sich in einen dunkeln, endlosen Raum, und ich fing an, Wehrufe unter meinem Bette zu hören. Zuerst zuckten einige dunkle Körper durch die Nacht. Mein Bett begann zu schaukeln. Ich versuchte einen Psalm zu singen und meinte, die Worte kämen in glühenden Feuerstrahlen aus meinem Munde. Ich rief mir dann die Opfer vor den Altären Kains und Abels in's Gedächtniß, und gab Acht, ob meine in Feuer verwandelten Hymnen zum Himmel in die Höhe stiegen; aber ein kaltes Entsetzen durchschauerte mich, als ich entdeckte, daß sie ganz in derselben Weise aus meinem Munde flatterten, wie ich in unserer großen Bibel die Flammen auf dem Altare Kains abgebildet gesehen hatte. Dann kam ein ungeheurer Holzklotz, und setzte sich etwa sechs Zolle vor meinen Augen in der Luft fest. Eines Weiteren kann ich mich nicht mehr erinnern – ich lag in Fieberdelirien.

Ich war einige Wochen schwer krank und siechte nachher noch lange Zeit. Als ich meine Umgebung wieder zu unterscheiden vermochte, fand ich mich in einem neuen Hause, das in Red-Croß-Street, unfern von der St. Lukaskirche, stand. Meine Pflegeltern hatten einen Laden aufgethan, und ihre Handthierung trug das Gepräge einer sehr achtbaren Gemüsehandlung. Mr. Brandon hatte sich in einen kleinen Holzhändler umgewandelt, und besaß Sägegruben hinter dem Hause, nebst Leuten, welche er darin beschäftigte. Der überraschendste Wechsel war jedoch, daß sich der ehrwürdige Mr. Cate gleichfalls im Hause befand. Brandon arbeitete als Meister eifriger, als dies je in seiner Gehülfenzeit stattgefunden hatte. Meine Pflegemutter zehrte in Sorgen ab und schien nie glücklich zu sein; ich selbst aber fühlte mich so geschwächt, daß ich damals von nichts, was um mich vorging, Notiz nahm. Die schöne Dame stellte sich nicht wieder ein. Ich pflegte meine Zeit damit zu verträumen, daß ich an Engel oder Cherubim dachte, oder Psalmen auswendig lernte. Ich glaube, daß ich, wie mein Pflegevater, meine Berufung gehabt hatte, bin aber überzeugt, daß ich nach derselben nicht schwächer am Geiste, als am Körper war. Als ich endlich wieder Kräfte genug fühlte, um im Freien umherspringen zu können, wurde ich abermals in meine Tagsschule geschickt, und ich kann mich nur noch erinnern, daß ich jeden Tag um eilf Uhr nach Hause laufen mußte, um von Brandons eine Perücke voll Kartoffeln zu holen; der ehrwürdige Pädagog nahm nämlich ganz kaltblütig seine Perücke ab und vertauschte sie gegen eine rothe Schlafmütze, bis ich mit dem Vorrathe wieder zurückkam.

Zu Hause gewannen die Angelegenheiten nunmehr einen sehr kläglichen Anblick. Endlich schickte eines Tages der Exekutionsbeamte seine Leute in den Laden, welche sämmtliche Gemüse wie Zwiebelschalen umherwarfen. Sie führten Mr. Brandons Diehlen, Bohlen und sonstiges Zimmerholz fort; auch begnügten sie sich hiemit noch nicht, sondern zogen auch das Beste von dem Haushaltungsgeräthe an sich. Meine Pflegemutter nannte Mr. Cate einen Teufel im Kirchenrocke. Ihr Gatte aber benahm sich wie gewöhnlich, wenn er beleidigt war, und da er selbst kräftig genug war, so ertheilte er dem ehrwürdigen Herrn sehr unehrerbietig eine tüchtige Tracht Schläge. Der Hirte hatte dem Schäflein hübsch blutige Rünste zu verdanken. Nachdem Brandon seinen Pastor fast umgebracht hatte, trennte er sich von der Heerde und ließ ihm schriftlich eine feierliche Abschwörung der Caterianischen Grundsätze zugehen. Wie er dazu kam, sich in ein so kostspieliges und unüberlegtes Unternehmen, als der Gemüs- und Holzhandel war, einzulassen, wie er sich nachher so tief verstrickte, und wie viel der Prediger dazu beigetragen hatte, ihn zu betrügen, habe ich nie deutlich verstehen können. Dem sei übrigens wie ihm wolle, meine Pflegemutter sprach lange Zeit nachher nie von dem ehrwürdigen Gentleman, ohne ihren Schürzenzipfel vor die Augen zu bringen, während ihr Gatte die Erwähnung seines Namens mit den kräftigsten Verwünschungen begleitete. Wir zogen in unsere alte Straße zurück, sahen uns aber genöthigt, in eine schlechte Wohnung zu kriechen, da es an Mitteln gebrach, ein achtbares Haus zu miethen.

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