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Sechsundvierzigstes Kapitel

Ralph betritt die Regionen der Romantik und der Kaperei – wird in dieselben durch einen französischen Piloten, malgré lui, eingeführt. – Ein ungelegener Besuch.

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Bald nach der ungesetzlichen Aufhebung des Habeas Corpus, welche ich in dem letzten Kapitel berichtet habe, beschäftigte sich die Abtheilung der Flotte, welche ihre Station in Westindien hatte, sehr eifrig mit Eroberungen derjenigen Inseln, welche noch im Besitz der Franzosen waren. Einige ergaben sich fast ohne Kampf, bei anderen mußte der Sieg mit dem Verluste vieler Leben erfochten werden. Da Jeder, der einen Verleger finden konnte, über jene Ereignisse, von der Wegnahme des kleinen Deseada an bis zu der Unterwerfung der großartigen Insel Quadeloupe und der herrlichen, alten, steingebauten Stadt Domingo, ein Buch geschrieben hat, so wird man wohl keine ausführliche Schilderung der Operationen von mir verlangen.

Unter die andern kriegerischen Vorfälle, welche der öden Eintönigkeit meines Lebens Abwechslung verliehen, gehört auch das Abschlagen einer Fregatte, die der unsrigen an Kräften gleichstand, obschon ich glaube, daß wir ihr das plötzliche Ablassen vom Kampfe ein wenig Dank wissen dürfen. Allerdings hatten wir keine Ursache, uns über Mangel an Aufmerksamkeit von ihrer Seite im Laufe der kurzen, rührigen Stunde, während welcher sie bei uns blieb, zu beklagen, denn sie half uns zu neuen Stengen, und da wir, ehe sie mit uns zusammentraf, nichts als alte Segel zur Schau stellen konnten, so schmückte sie uns rücksichtsvoll mit einer Masse von Bändern, die lustig um unsere unteren Masten und um die Stengen flatterten, die anmuthig über unsere Seiten hingen.

Wir waren zu höflich und wohlerzogen, um nicht diese petits soins einigermaßen zu erwiedern. Da in den Tropen das Wetter in der Regel sehr warm ist, so zeigten wir einen löblichen Eifer, das französische Schiff gehörig zu lüften, indem wir ohne Unterlaß Löcher in seinen Rumpf bohrten; auch kann ich den Leser versichern, daß wir dieses Werk mit überraschender technischer Fertigkeit versahen. In der Mitte dieses Höflichkeitsaustausches mochte sich jedoch unser gallischer Freund wahrscheinlich erinnern, daß er eine andere Bestellung getroffen habe oder treffen könne, weßhalb er sich verabschiedete, und da er uns so viele Gründe gegeben hatte, warum er durchaus unsere Begleitung ablehnen müsse, trennten wir uns en pleine mer, wir unsererseits ungemein ärgerlich darüber, daß mit ihm keine weitere Ehre erweisen konnten.

Kapitän Reud meldete in seinen Depeschen, und zwar mit aller Wahrheit, daß wir ihn abgeschlagen hätten. Warum er ging, konnte ich nicht begreifen; denn abgesehen von seinem durchlöcherten Rumpfe und einer schlimmen Verwirrung auf seiner Schanzgallerie und in ihren zwei hintersten Hauptdeckpforten, segelte er mit fliegender Flagge und beigesetzter sämmtlicher Zugleinwand, bis auf die Oberbramsegel hinauf, von dannen. Je nun, die Franzosen haben ihre eigene Methode bei Handhabung von dergleichen kleinen Angelegenheiten.

Gehen wir übrigens rasch über diese Thorheiten hinweg, um zu etwas recht ausgesucht Thörichtem zu eilen. Und doch geht es nicht so schnell. Ich habe noch viel Unkraut wegzuräumen und manchen lästigen Nesselbusch niederzutreten, ehe ich die einzige frische, dornenlose Rose erreichen kann, die für eine kurze Zeit an meinem Herzen blüthe und durch ihren Duft meine Sinne berauschte. Ja, ich war damals für eine Weile in der wonnigen Selbsttäuschung befangen, mich für glücklich zu halten.

Ich hatte nun dritthalb Jahre in Westindien zugebracht und näherte mich dem Schlusse meines neunzehnten Lebensjahres. Um jene Zeit nahmen wir den Franzosen mehrere englische Westindienfahrer wieder ab, und an eine von diesen Gelegenheiten knüpft sich eine furchtbar ergreifende, aber doch zarte Geschichte. Dem Geschlechte zum Preise, das zu ehren des Mannes größter Ruhm ist, sollte sie wohl erzählt werden, aber nicht jetzt – nicht in dieser Lebensbeschreibung. Dennoch darf sie nicht in Vergessenheit kommen, und ich lege hier das Gelübde ab, sie soll seiner Zeit bekannt werden, damit die Welt bewundere und weine – das heißt, wenn ich dazu im Stande bin und meine theure – – – mir jenen einzigen Alp von Zweifel noch lösen will, der seit fünfundzwanzig Jahren so schwer mein Herz bedrückt hat.

In einem dieser wiedergenommenen Kauffahrer befand sich als französischer Prisenmeister, und nun natürlich unser Gefangener, ein quecksilbernes Bürschlein, Namens Messurier. Er war sehr stolz auf den Ruhm seiner Nation und noch stolzer auf seinen eigenen. Da Frankreich viele Geschichtschreiber besaß, Monsieur Adolphe Sigismund Messurier aber nur einen einzigen, nämlich seine eigene Person, so lag natürlich die Obliegenheit von wenigstens dreihundert Gelehrten auf seiner Schulter, und er erfüllte sie nicht nur ritterlich, sondern auch mit unendlichem Wohlbehagen. Wenn eine Person, die gerne plaudert, noch obendrein dem Trunke ergeben ist, so trifft sich's im Allgemeinen, daß das Laster der geläufigen Zunge noch schlimmer ist, als das der Grogflasche. Beim Glase pflegte er uns die Schoke, die er erschlagen, zu drei und fünfen an den Fingern herzuzählen, wobei er mit den Daumen die Kapitäne, mit den Zeigefingern die ersten Lieutenants und mit den übrigen Fingern die verschiedenen anderen Dienstgrade andeutete, bis für die Aspiranten oder Midshipmen nur noch die Ehre des kleinen Fingers übrig blieb. Wir lachten darüber und fragten ihn, wenn er so arg mit den Offizieren gehaust habe, wie viel Gemeine wohl unter der Kraft seines Armes erlegen wären. Die Letztern schienen ihm jedoch zu zahlreich und zu gemein zu sein, als daß er sie hätte zählen können, denn die Frage wurde stets mit einem »bah!« abgefertigt, wobei er mit der offenen rechten Hand über die ausgestreckte Fläche seiner linken zu fahren pflegte.

Als er jedoch eines Abends erklärte, er sei im Stande, eine Fregatte in das Binnenwasser zu lootsen, wo die Kaperschooner, welche die Inseln unsicher machten, und durch ihr rasches Segeln gegen den Wind unsere schnellsten Schiffe ausstächen, in Schaaren stünden, lachten wir zwar auch, thaten aber noch mehr, und meldeten seine Großsprecherei an Kapitän Reud.

»Ha, bei allen Tugenden eines langen Achtzehnpfünders,« rief mein ritterlicher kleiner Creole, »dann soll er auch Seiner Majestät Fregatte, die Eos, mit hineinnehmen.«

So oft der Kapitän bei einem langen Achtzehnpfünder schwur, auf dessen Wirksamkeit er das unbedingteste Vertrauen setzte, so durften wir eine Sache als abgemacht betrachten.

Am andern Morgen, während Monsieur Messurier seinen schmerzenden Kopf mit den Händen tröstete, und nicht entfernt mehr an die Vorgänge des letzten Abends dachte, wurde er ziemlich merklich an seine vollendete Geschicklichkeit im Lootsendienste erinnert. Nun zeigte er sich aber ganz unnatürlich bescheiden, und zog völlig in Abrede, daß er auf eine derartige Ehre Anspruch machen könne. Kapitän Reud fiel es übrigens ein, daß sogar ein Feind sein Talent nicht in ein Schweißtuch begraben dürfe, und sagte daher blos:

»Ihr müßt mein Schiff hineinnehmen.«

Wenn der Kapitän einmal einen Entschluß gefaßt hatte, so folgte ihm in der Regel die That auf dem Fuße. Der arme Mann! es fehlte ihm stets an Beschäftigung, und so schätzte er sich nur allzu glücklich, etwas zu thun, wovon er sich Aufregung versprach.

Monsieur Messurier war in Verzweiflung; er bat und fluchte abwechselnd, sprach von Aufopferung seines Lebens für das Wohl seines Vaterlandes, und theilte uns in einer Weise mit, welche uns überzeugte, daß er uns zum Glauben an seine abgeschmackt Aeußerung bewegen wolle, daß die Ehre der Athem seiner Nüstern sei. Der Kapitän wollte ihm jedoch durchaus Gelegenheit geben, aus tiefster Seele das » dulce et decorum est pro patria mori« anzustimmen.

Ohne die Kraft der Veste zu kennen, die wir überraschen wollten, kreuzte Kapitän Reud ungefähr zwei Tage umher, bis er eine andere Fregatte, eine Kriegsschaluppe und zwei Achtzehnkanonenbriggen gesammelt hatte, deren Kapitäne ihm natürlich untergeordnet waren. Nachdem wir alle nöthigen Vorbereitungen getroffen, befanden wir uns an einem schönen Morgen dicht an der Felsenküste des östlichen Endes von San Domingo. Wir liefen ein paar Stunden an dem Ufer hin, und bemerkten endlich eine Oeffnung in den stolzen Granitsäulen, die über dem blauen Ocean emporragten. Dies war der Eingang in den Hafen, wo unsere beabsichtigten Prisen lagen. Kapitän Reud nahm die Verantwortlichkeit auf sich und beschloß voranzugehen. Die Karten wurden sorgfältig untersucht, gaben uns aber keine Hoffnung. Der angedeutete Wasserstand war so seicht und der Pfad so verwickelt, daß wir uns wunderten, wie sogar ein Kaperschooner die Einfahrt mit Sicherheit vollbringen konnte; für eine Fregatte mit dreiundzwanzig Fuß Wassertracht aber schien der Versuch zum unausbleiblichen Verderben zu führen.

Wir legten bei; die Kapitäne der übrigen Schiffe wurden an Bord signalisirt, und mit ihnen, wie auch mit dem ersten Lieutenant und dem Meister eine Art Kriegsrath gehalten. Da alle Anwesenden ihre Stimmen gegen den Versuch abgaben, so entschied sich, unser Kapitän für ein unverweiltes Handeln und beschloß, auf das Kapitel der Zufälle zu bauen. Monsieur Messurier wurde auf die Fockraa gesetzt und ihm an jede Seite ein Matrose gegeben, die ihm je eine Pistole an's Ohr halten und das Gehirn zersplittern sollten, sobald das Schiff aufstieße. Das Wetter war herrlich, wie auch der Wind gemäßigt und günstig, als wir nach der Mündung der Einfahrt hinuntersteuerten. Die Angst unseres Piloten bot einen ungemein lächerlichen und zugleich schmerzlichen Anblick, denn zwischen Flüchen, Betheuerungen und Zittern, während ihm der Angstschweiß, mit Thränen gemischt, über das Gesicht niederfloß, lootsete er das Schiff mit einer Genauigkeit, welche bewies, daß er wenigstens in diesem Punkte kein eitler Prahler war.

Wir waren kaum einige hundert Ellen in die Oeffnung eingedrungen, als ich nur noch Augen für die Erhabenheit der Scene hatte, die sich jetzt der Reihe nach vor uns aufthat. Das Wasser war so glatt, wie die Wange, so strahlend, wie das Lächeln, und so blau, wie das Auge unserer ersten Liebe. Der Kanal verengerte sich an vielen Stellen so sehr, daß nicht hinreichend Raum vorhanden war, das Schiff laviren zu lassen, selbst wenn es sich nach seiner Länge gewendet hatte, und an zwei merkwürdigen Punkten fanden wir nicht genug Weite, um unsere Leesegel zu führen. An einer besonders romantischen Stelle dieses Passes neigten sich die Felsen über unseren Stengen zu einander hinüber, und die alten Bäume, welche, die Höhen krönten, vermischten ihre gefiederten Zweige, uns nur hin und wieder in den Zwischenräumen des tiefgrünen Blätterwerks einen Blick nach dem blauen Himmelszelte gestattend.

Die Matrosen blickten mit Verwunderung und nicht ohne Scheu auf ihre Lage. Indeß beschränkte sich die Aussicht nicht blos auf zwei gigantische, mit Blumen geschmückte und mit Bäumen gekrönte Wände, denn wir fanden auch, daß sich der Kanal hin und wieder in weite Lagunen mit abschüssigen, grünen Ufern öffnete, die mit weißen Steingebäuden und wohl kultivirten Pflanzungen besäet waren; dann aber wurde die Fahrstraße wieder plötzlich ganz enge und die Felsenmassen stiegen zu beiden Seiten so hoch auf, daß sie fast das Licht des Tages ausschlossen. Der Weg hatte viele Krümmungen, und während wir uns hindurchwanden, trafen wir da und dort auf irgend eine malerische Einfahrt oder eine kühle Grotte, die so reizend waren, daß schon ihre Schönheit sie mit Nymphen bevölkert haben mußte, denn Niemand konnte sie ansehen, ohne sich für eine Weile poetisch gestimmt zu finden. An dem Eingange stiegen und fielen die Wellen, stöhnend gegen die ewigen Felsenbecken anschlagend, obgleich die Oberfläche in der Mitte des Kanals vollkommen glatt war; als wir jedoch weiter vorrückten, legte sich die gleichförmige Wellenbewegung allmälig, und das Plätschern hallte nicht länger unter den Klippen wieder. Das Schweigen machte einen seltsamen Eindruck auf uns, und wir fühlten eine Ehrfurcht, ähnlich der, welche man bei dem ersten Eintritt in einen ungeheuren Dom empfindet. Der sanfte Wind kam geräuschlos auf uns zu, erstarb in Zwischenräumen ganz, und ließ das Schiffe leise sich vorwärts stehlen, als bewege es sich durch unsichtbare Mittel.

Eine Grabesstille herrschte auf dem Schiffe, und die paar Kommandoworte, die von Zeit zu Zeit gesprochen wurden, tönten hohl und unirdisch in dem Wiederhalle der überhängenden Felsen.

Die Scene wechselte übrigens rasch. Die Vorgebirge und überhängenden Wände wichen zurück und eine feenartige Stelle, von waldigen Ufern begränzt und mit grünen Inseln besäet, die in der Glorie eines ewigen Frühlings prunkten, und reiche Matten von prachtvollen Blumen in allen Farben dem Blicke boten – that sich vor uns auf. Wir steuerten in dieser entzückenden Weise mehr als zwölf Meilen fort, und doch hatte augenscheinlich noch Niemand auch nur die mindeste Notiz von unserer Annäherung genommen. Der geringste Versuch eines Widerstandes würde unser Fortschreiten gehemmt haben, denn ich glaube, wir kamen an so überhängenden Stellen vorbei, daß ein paar Pfund Schießpulver, zweckmäßig angewandt und im rechten Augenblicke entzündet, Bruchstücke von massigen Felsen auf uns niedergeworfen haben würden, die uns im Nu zertrümmert haben würden – der verschiedenen vorragenden Ecken in diesem seltsamen Passe gar nicht zu gedenken, von welchen aus zwei oder drei Kanonen jedes annähernde Schiff eine halbe Stunde ungestraft hätten bestreichen können; denn ich habe bereits bemerkt, daß es in der engen Durchfahrt unmöglich gewesen wäre, gegen, was immer für ein Hinderniß eine Breitseite zu kehren.

Endlich gelangten wir in eine edle Bay, oder vielmehr in einen Salzwassersee, in welchen sich zwei breite Ströme ergoßen. Zu unserer Rechten lag die Stadt Aniana nebst einem Fort auf einem Berge, der die Häuser überragte und weit höher stand, als unser wehendes Wimpel.

Unser unerwartetes Einlaufen erregte, wie alle übrigen unzeitigen Besuche, unter den Besuchten einen furchtbaren Grad von Verwirrung. Zwölf oder dreizehn Schooner setzten ihre Ruder aus und lichteten augenblicklich die Segel. Wir hatten ungefähr gegen Mittag vor der Stadt Anker geworfen, und da die Brise fast in völlige Windstille dahingestorben war, so beeilten sie sich nach Kräften stromaufwärts. Vor der Stadt lagen auch mehrere andere Fahrzeuge, in welchen die Einwohner ihre werthvollen Effekten geborgen hatten, wahrscheinlich in der Absicht, gleichfalls mehr landeinwärts zu kommen und das Aergerliche eines ungelegenen Besuchs zu vermeiden. Unser kleines Geschwader erhielt nun den Signalbefehl, die Boote hinauszuhissen, Jagd zu machen und zu kapern.

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