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Fünfzigstes Kapitel

Ralph verfällt in die gewöhnliche Täuschung, sich für glücklich zu halten – wünscht, daß sie sein ganzes Leben über währe und eine Wirklichkeit bleibe. – Noch keine Symptome des Wechsels; aber dem glänzendsten Sonnenuntergange kann die dunkelste Nacht folgen.

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Sie trennte sich von mir in dem entzückten Rufe: »er bleibt, er bleibt!« und ich hörte die Worte von den Negerinnen, welche Josephine sehr liebten, wiederholen. Es schien der Endreim des Liedes, die frohe Verwirklichung irgend einer Prophezeihung zu sein, denn noch ehe die Nacht eine Stunde alt war, hatte die Hexe, welcher die Obhut über Josephine vertraut war, bereits eine Art von Hymnus auf den Vorfall gemacht, und ein Kreis von schwarzen Kinnen wackelten zu dem Chor:

Goramity gut, Bukramann bleibt!

Ich sah Josephine an jenem Abende nicht mehr. Der alte Gentleman, ihr Vater, schloß sich mir an, nachdem ich fast zwei Stunden allein gewesen – zwei Stunden, die ich, wie ich dem Leser versichern kann, in bitterem Elende verbrachte.

Ich beabsichtigte eine Freierei von anständiger Dauer, und eine gesetzliche Trauung vor dem Altare. Meine Lage suchte ich von allen Seiten zu betrachten, um die günstigste aufzufinden, aus der das Auge meines Geistes ruhen konnte, aber es war nur eine trostlose Musterung. Bisweilen tauchte der dunkle Argwohn in mir auf, den ich übrigens wie einen Dämon, welcher mir Mord in's Ohr flüsterte, zurückscheuchte, daß ich vielleicht in eine Schlinge gelockt worden sei. Als jedoch Monsieur Manuel mit dem Lichte eintrat, verschwanden meine düsteren Gedanken. Er benahm sich ungemein gut, erstattete mir einen ausführlichen Bericht über seine sehr beträchtlichen Besitzungen, und machte mir sein meine Erwartungen weit übersteigendes baares Vermögen namhaft.

Er gab mir außerdem zu verstehen, wenn ich bei ihm bleibe, wolle er mich als Sohn adoptiren, mir während seiner Lebenszeit soviel auswerfen, daß ich mit seiner Tochter anständig davon leben könne, und mich nach seinem Tode zum einzigen Erben machen. Alles dies wollte er dokumentarisch durch einen Notar aufsetzen und die Bedingungen für beide Partieen bindend stellen lassen. Wir sprachen dann wie Vater und Sohn von unsern künftigen Entwürfen, und beschloßen, die Insel zu verlassen, sobald wir einen entsprechenden Werth für die Pflanzung und die große Anzahl von Negern erzielt hätten. Aber wohin sollten wir gehen? Nach England? – Dort steht mir die Strafe eines Deserteurs bevor. Nach Frankreich? – Ja, in Frankreich wollten wir unser Leben zubringen. Und so spekulirten wir auf zukünftige Ereignisse, welche übrigens nie eintreten sollten.

Ich habe bereits früher gesagt, daß ich während der ganzen Zeit meines Dienstes in der Flotte nie betrunken war, und bei keiner Gelegenheit Branntwein zu mir genommen hatte. Beide dieser Versicherungen sind streng der Wahrheit gemäß. An jenem denkwürdigen Abende trank ich nach unserem leichten Nachtessen vielleicht zwei Gläser Wein mehr, als ich an Kapitän Reuds Tafel zu thun pflegte. Ich fühlte mich geistig und körperlich gleich tief ermattet, und war so unerklärlich lethargisch schläfrig, daß ich, trotz aller meiner Mühe, munter zu bleiben, in Mitte der lebhaftesten Rede von Seite des guten Manuel über die verschiedenen Vollkommenheiten seiner liebenswürdigen Tochter einschlummerte – allerdings ein Thema, bei dem es auffallend ist, wenn ein Liebhaber einschläft; aber es war so. Hatte vielleicht Josephinens Amme, das Obeahweib, etwas damit zu schaffen gehabt? Dergleichen Personen verstehen sich gut auf Kräuter. Ja, wenn mein Leben und das Leben aller Derjenigen, die ich mehr, als mich selbst liebte, davon abgehangen hätte, so wäre es mir unmöglich gewesen, aufzustehen und durch das Zimmer zu gehen. Wie ich zu Bette kam, weiß ich nicht, aber ich erwachte am andern Morgen bei guter Gesundheit und mit einer erröthenden Braut an meinem Busen. Nun folgten Tage eines träumerischen Entzückens. Mein Glück schien zu groß, zu voll, zu überströmend für die Wirklichkeit zu sein. Alles um mich her wandelte sich in Poesie. Ich meinte, in einem Feenlande zu sein, denn für alle meine Bedürfnisse würde Sorge getragen, als geschehe es von unsichtbaren Händen. Es däuchte mich, ich brauche nur zu wünschen, um der Erfüllung entgegenzusehen, noch ehe der Wunsch halb ausgesprochen war. Ich verhielt mich leidend und wurde in einen Wonnetaumel hingerissen. Die Träume meines Glückes, die nicht ganz frei von Zweifel waren, und mein wonniges Entzücken überwältigten mich dermaßen, daß ich erst spät am Tage bemerkte, was für einen Anzug ich trug. Der leichte, breitkrämpige Pflanzerhut, die schneeweise Jacke sammt dergleichen Beinkleider, das sehr seine Linnenhemd mit kostbaren Spitzenjabots – alles dies war, ohne daß ich darauf achtete, gegen meine gewöhnliche Kleidung vertauscht worden. Allerdings war es ein Gewand, das um seiner Reinheit und Eleganz willen wohl eines Bräutigams werth war. Ich erfuhr nachher, Josephinens alte Negeramme habe unter vielen und mächtigen Zauberformeln – wenigsten so mächtig, als es Zauberformeln überhaupt sind – meinen ganzen früheren Anzug sechs Fuß tief in die Erde gegraben.

Nun, da waren wir, ein artiges Seitenstück zu Paul und Virginie – vielleicht nicht ganz so unschuldig, aber doch unendlich glücklicher, Hand in Hand durch die Orangenhaine und lieblich duftenden Schatten streifend. Die Liebe ist süß und namentlich hinreißend in ihrem ersten Ausblühen; wenn wir aber nicht nur geliebt, sondern fast angebetet werden, fühlen wir den Einfluß jenes Weihrauches, der das Herz erwärmt und das Gehirn berauscht. Wohin immer ich mich wandte, traf ich auch ein grüßendes Lächeln, und achtungsvolle Aufmerksamkeit umschwebte meine Pfade. Die Sklaven verehrten ihre junge Gebieterin abgöttisch, und in ihr ging die gleiche Huldigung auf mich über.

Der alte Manuel schien sich eines heiteren Glückes zu erfreuen. Er ermuthigte unser Alleinsein, und dieser Honigmonat entschwand mir so entzückend, daß ich ganze Bände über die kleinen Vorfälle schreiben könnte, ohne daß ich fürchten müßte, langweilig zu werden. Ich bemerkte an Josephine keine Leidenschaftsausbrüche mehr; ihre Seele hatte ihre Schwingen auf meinem Busen gefaltet und träumte sich da in eine zärtliche, liebevolle Melancholie. Ich lächle noch, obgleich ich vielleicht lieber weinen möchte, wenn ich mir alle die kleinen Kunstgriffe in's Gedächtniß rufe, mit denen sie zärtlich zu verhindern suchte, daß ich meine Augen nach dem verhaßten Schiffe warf. Wie bereits bemerkt worden, war unser kleines Geschwader nach einander ausgefahren und hatte nur die Eos mit ihrem schwerverwundeten Kapitän in der Bai zurückgelassen. Obgleich ich es nicht sah, so erkannte ich doch aus Josephinens triumphirendem Blicke, wenn wieder ein Schiff abgesegelt war. Alle Jalousien an der Vorderseite des Hauses waren zugenagelt, so daß ich nichts sehen konnte, wenn ich zufällig in eines der vorn liegenden Zimmer kam.

Ich hatte mich ungefähr einen Monat in diesem Paradiese – vielleicht einem Narrenparadiese, aber doch einem Paradiese – heimisch gemacht und saß eben lesend in dem Schatten hinter dem Hause, als Josephine die Limonienallee heraufflog, ihre Arme um mich schlang und unter hysterischem Schluchzen ausrief:

»Mein lieber theurer Ralph, nun bist du fast ganz mein! es ist nur noch ein einziges da.«

»Und dieses eine, meine Josephine?«

»Sprich nicht davon, denke nicht daran, mein Holder; es ist nicht das deinige. Aber schwöre – schwöre mir nochmals, daß du nie mehr danach hinsehen willst. Thue es, mein Theuerster, und ich will eine ganze Spalte zweisilbiger Worte weiter lernen.«

Ich wiederholte den oft geleisteten Schwur, und sie setzte sich ruhig zu meinen Füßen nieder, wie ein gutes kleines Mädchen die Aufgabe hermurmelnd, die sie ihrem Gedächtnisse einprägen wollte.

Und wie kamen wir in dieser Schule vorwärts? Oh, allerliebst. Wir hatten so herrliche und so viele Schulzimmer; auch gab es noch süßere und zahlreichere Unterbrechungen. Bisweilen war unsere Studienhalle unter dem kühlen Felsen, an dessen vor Alter grünen Seiten der funkelnde Quell entzückend niederträufelte; ein andermal in einer ruhigen, mit Blumen geschmückten Laube, unter dem würzigen Dufte tropischer Gesträuche, und dann wieder in dem feierlichen alten Walde unter den Zweigen von Bäumen, die seit unzähligen Jahrhunderten gestanden hatten. Und die Unterbrechungen! Oft und oft warfen wir das Buch oder die Schiefertafel weg, um, wie von einem Geiste beseelt, einem schönen Kolibri nachzujagen. Bisweilen erfaßte uns der Genius des Frohsinns, und wir jagten uns selbst um die alten Mahagonibäume, den einzigen Zweck verfolgend, uns der Ueberfülle unseres Glückes zu entledigen. Aber die häufigsten Unterbrechungen fanden Statt, wenn sie ihr Buch schloß und mich, während ich mich an dem Glanze ihrer melancholischen Augen spiegelte, bat, ich solle ihr eine Geschichte erzählen, über die sie weinen könne, oder ihr einige von den Geheimnissen des uns umgebenden Alls umhüllen und mit ihr von den Eigenschaften des großen, wohlwollenden Schöpfers sprechen.

War dieß nicht ein Zustand des höchsten Glückes? Die Freude schien in Lichtfluthen vom Himmel auf mich niederzufallen; die Erde bot mir ihren Weihrauch, wenn ich auf ihrem schönen, blumenbestreuten Busen hinwandelte: die reich gefiederten Vögel umschwebten mich, als wollten sie mir ihre Huldigung darbringen, und sogar die Zweige der majestätischen Bäume schienen mir, wenn ich vorüberging, einen Willkomm zuzuwinken. Die Freude lebte in und außer mir, und in meinen glücklichen Gefühlen trat keine Pause ein. Ich bedurfte keiner Ruhe, um sie vollkommen zu genießen. Die Lust schien der Lust in endloser Abwechselung zu folgen. Ach, es war zu herrlich, bis auf den letzten Augenblick. Aber das Ende nahte heran – ein bitteres Ende.

*

 


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