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Achtundfünfzigstes Kapitel

Eine Abhandlung über den Ruhm der Flotte. – Ralph läßt sich ein Vergehen zu Schulden kommen und findet den Lauf seiner Nöthen angehalten, indem er selbst mit Arrest belegt wird. – Ein schönes Schiff wird überrannt und Niemand trägt die Schuld, als »der Reffer«.

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Man wird den im letzten Kapitel aufgeführten Vorgang vielleicht für erdichtet halten – aber er ist Thatsache, – in Anbetracht der Umstände unübertriebene Thatsache, obschon in dem Berichte ein wenig gemildert, da die derbe Rohheit der Scene, wie sie sich wirklich zutrug, sogar für eine Posse zu unwahrscheinlich erscheinen würde. Derartige Ereignisse und die frühere Anspannung meines Geistes hatten den Entschluß in mir hervorgerufen, die erste Gelegenheit zu benützen, um den Dienst zu verlassen – nicht daß er mir entleidet gewesen wäre, denn er war sogar in jenem rohen Zustand ein schöner Dienst, obschon er seine Regelwidrigkeiten hatte und noch hat: es sind ihrer jedoch nur wenige, und ich hatte über die allerschlimmsten stolpern müssen. Es ist auffallend, aber dennoch wahr, daß ich seit Josua Dauntons Einführung keinen Augenblick meines Lebens mehr froh wurde.

Endlich gelangten wir in den Ankergrund und konnten durch die kalten, fliehenden Winternebel England unterscheiden. Es war in dem unfreundlichen Monate Januar. Ausgehungert und erbärmlich gekleidet, wie ich war, würde mir sogar ein anständiger Bettler, der mir in den Straßen von London begegnete, nicht ausgewichen sein, obschon ich damals mehr als dreihundert Dollars in spanischen Dublonen und Silbergeld besaß, und noch obendrein jährlich hundert Pfund ziehen durfte, meines dreijährigen Soldrückstands und sehr beträchtlicher Prisengelder gar nicht zu gedenken.

Unter solchen Verhältnissen begrüßten meine Augen abermals das Land meiner Geburt. Wo war mein glühender Patriotismus und meine Leidenschaft für Poesie? Dahin. Ich sah nichts vor mir, als eine schwarze, öde, abschreckende Küste. Ich versuchte, meinem Geiste die Felder zu vergegenwärtigen, auf denen ich als Knabe gehüpft hatte, und durchstreifte sie, Hecke um Hecke: sie standen zwar bestimmt genug vor mir da, aber es lag kein Sonnenschein darauf. Ach! ich hatte anderswo eine glänzendere Sonne gesehen! Und die Freunde, die sich zu Stickenham so freundlich des Verwaisten angenommen hatten – ja, ich wollte sie besuchen, aber ich hatte ihnen nicht länger das offene Herz anzubieten. Ja ich wollte zu ihnen – wollte kalt und studirt höflich sein. Ich fühlte, daß es mir nicht gelungen war, in meinem Berufe das zu erreichen, was sie einen Erfolg nannten. Ich hatte meine Pflicht gethan und sie vielleicht in einer vielversprechenden Weise erfüllt. Die guten Seelen! Ich bin überzeugt, sie wähnten, ich werde nun als Etwas zurückkehren, was bloß ein klein wenig – nicht sehr Viel – unter dem Admiral stehe.

Ich möchte wissen, wie sich ein Midshipman anders auszeichnen kann, als dadurch, daß er seinen Dienst ehrenhaft und pünktlich versieht, was man obendrein nicht einmal eine Auszeichnung nennen kann, da sich sonst fast Alle derselben zu rühmen vermöchten.

»Ach, gäbe es doch ein tüchtiges Gefecht,« sagt ein Neuling, »damit ich mich auszeichnen könnte.«

»Ganz recht, mein junger Aspirant,« – dies ist nämlich der korrespondirende Ausdruck der französischen Sprache für Midshipman – »ganz recht, mein junger Herr, da seid Ihr in Eurer Fregatte, neben einem noch größern Schiffe, als das Eurige ist. Ja, es soll meinetwegen ein Vierundsiebenziger sein – Euch zu besonderem Ruhm und zu besonderer Ehre. Ihr habt Eure Stellung bei den vier Hinterkanonen des Hauptdecks. D'rauf los und zeichnet Euch aus.«

»Du mein Himmel! ich kann nicht vor Rauch, Lärm und Gedränge. Hier kann ich keine einzige Heldenthat ausführen.«

»Gut, aber was könnt Ihr eigentlich thun für Euer Land und Seine Majestät?«

»Blos Acht haben, «daß die Mannschaft ihre Geschütze gut bedient und daß gehörig Kugeln und Pulver beigeschafft werden; aber dies wird meinen Namen nie in die Zeitung bringen.«

»Verrichtet nur dies gut und Ihr werdet Euch auszeichnen. Kehrt Euch nicht an die Zeitungen. Die Reihe wird auch an Euch kommen, wenn Ihr Kapitän – oder vielleicht schon, wenn Ihr Lieutenant seid.«

Dasselbe gilt für alle junge Gentlemen, mögen nun ihre Posten sein, wo sie wollen. Gichtische alte Herren, welche Söhne zur See haben und gerne die Lebensbeschreibung Nelsons und unserer vielen andern edlen Seehelden lesen, müssen sich der Selbsttäuschung entschlagen, daß die Kinder ihrer Hoffnungen aus ihren dunkeln, aber doch wichtigen Posten hervorbrechen, dem Feinde in's Gesicht springen, ritterlich ihre kleinen Degen schwenken, die Enterer über eine Handspacke von Schiff zu Schiff führen, den französischen Kapitän in der Mitte seiner Offiziere niederstoßen, die Trikolor mit eigener Hand herunterholen und zum Schlusse rufen: »Hurrah für den Ruhm und Altengland!« Ich sage, ältliche Damen und eben so ältliche Gentlemen dürfen etwas der Art nicht erwarten, denn es sind nur Gebilde ihrer eigenen Thorheit oder einiger possierlicher Seeromane, die durch den Druck veröffentlicht wurden. Im Gefecht darf man seinen Posten nicht verlassen, selbst wenn sich's darum handelt, kleine Funken glorreichen Heldenmuths zu entfalten. Die ganze Brüderschaft der Reffer sollte mir für diese Abschweifung Dank wissen.

Im Seeromanensinne des Worts hatte ich mich also nicht ausgezeichnet. Allerdings war mein Name schon etlichemal in die Depeschen des Kapitäns eingeflossen, etwa folgendermaßen: »Mr. Rattlin, der den Kutter befehligte, hat den Lieutenant Selby beim Heraushauen eines Schooners tapfer unterstützt,« und so weiter. Ruhm! Was kümmerte sich die Welt um den erbärmlichen Schooner oder um den unbekannten Lieutenant, der in der That ein Wunder von Tapferkeit verrichtete – oder um den noch unendlich unbedeutenderen Mr. Rattlin, der besagten Lieutenant in dem Kutter tapfer unterstützte? Doch über all' dies beklage ich mich nicht. Es ist ganz recht, wie es ist – nur – nur wünschte ich, daß unsere einsichtsvollen Landsleute begreifen möchten, welch eine große Masse ungerichteten Heldenmuths dazu gehört, um auch nur einen einzigen Sieg zu erringen – eines Heldenmuths, der keinen Ruhm gibt, aber doch geben sollte.

Ich wurde säumig und bekenne dies frei der Wahrheit gemäß, welcher ich – und ich thue mir etwas darauf zu gute – in dieser ganzen Biographie durch alle verschiedenen Wechselfälle meines Lebens treulich gefolgt bin. Seit dem Wahnsinn des Kapitäns war die Eos allmählig ein sehr schlecht geregeltes Schiff geworden, und auch der wackere erste Lieutenant, trotz seiner früheren Ordnungsliebe und Thätigkeit, der allgemeinen Demoralisation nicht entgangen. Seine Hoffnungen hatten ihn getäuscht, und er konnte sich nicht auszeichnen. Gott weiß, an Muth hatte es ihm nicht gefehlt, und weder sein noch anderer Leben kam je bei ihm in Anschlag. Alles Mögliche war von ihm ausgeführt und sogar fast alles Unmögliche versucht worden. Ich sehe mich genöthigt, zu sagen, daß seine blutigen Angriffe eben so oft schlecht, als gut ausfielen, und er sah sich von der nächsten Stufe auf der Beförderungsleiter so ferne, als je. Seine Stimmung wurde bitter, und er selbst oft flau, bisweilen ungerecht, und zeigte jetzt stets einen sehr reizbaren Charakter. Die übrigen Offiziere theilten den allgemeinen Verfall und machten das Halbdeck nur zu oft zum Schauplatze ihrer Leidenschaftlichkeit.

Der dritte Lieutenant – ja, ich glaube, es war der dritte – hatte mich um die Mitte der ersten Hundewache nach dem Stengenkopfe geschickt – höchst wahrscheinlich verdientermaßen, denn ich hatte in der letzten Zeit darnach getrachtet, stolze und verdrießliche Antworten zu geben. Ehe ich mich nach meinem erbärmlichen Standorte begab, stellte ich ihm vor, daß ich die erste Wache habe; es könnten jetzt nur drei der jungen Gentlemen Dienst thun, da die übrigen weislich krank geworden seien und zu der Patientenliste ihre Zuflucht genommen hätten. Dabei bemerkte ich ihm mit gebührender Achtung, wenn ich von halb sechs bis acht Uhr in jener unangenehmen Lage bleiben müsse, so werde ich in einem Grade ermüdet werden, daß es mir physisch unmöglich sei, von acht bis Mitternacht meinen Dienst zu versehen. Aber er blieb unerbittlich, und ich ging hinauf, während der Dämon aller bösen Leidenschaften an meinem Herzen zehrte.

Es war beinahe dunkel und ein stürmischer, trübseliger, bitter kalter Abend. Meine schlechte Kleidung vermochte den Einfluß des Frostes nicht abzuwehren, und von Zeit zu Zeit peitschten die gefroren losgetrifteten Taue wie Wespenstiche mein Gesicht. Ich glaube, daß ich über meine krummen und schmerzenden Finger weinte, da die Cirkulation nur mit Mühe vor sich ging und mir das Blut in den Adern zu erstarren schien. Allerdings wurde ich schon nach einer Stunde wieder herunter gerufen, aber schon diese reichte zu, meine Konstitution empfindlich zu beeinträchtigen. Ich war so betäubt, als hätte ich mich in starkem Ale überlebt. Dennoch war ich zu ärgerlich, um mich zu beklagen und ärztlichen Beistand nachzusuchen. Stumpf und mit gleichgültigem Herzen bezog ich um halb neun Uhr das Deck.

Die Fregatte suchte mit einem tiefgeladenen Convoy ihren Kurs in der Einmündung des Kanals zu halten. Es stürmte sehr und die Wellen umhüpften uns mit jenen kurzen, zornigen Sprüngen, welche dem ungestümen Wetter in der engen See zwischen England und Frankreich eigentümlich sind. Es war außerordentlich dunkel, und da wir nicht genug Segel führten, um zu laviren, so vierten wir alle halbe Stunden, um dem Convoy die geeigneten Signallichter zu zeigen. Auch hatten wir das gewöhnliche Hüttenlicht des Commodoreschiffes ausgesetzt.

So war kurz nach neun Uhr der Stand der Dinge. Der Kapitän, der erste Lieutenant, der Meister, der Offizier der Wache und der Kanallootse, den wir an den Scillyinseln an Bord genommen hatten, waren außer mir auf dem Decke, während die beiden Signal-Midshipmen sich des Trostes der Krankheit in ihren warmen Hängematten unten erfreuten.

Ich will den Vorgang treulich zu schildern suchen und es dem vorurtheilsfreien Leser anheimgeben, wie viel von dem schrecklichen Unglück, das nun folgte, billigermaßen mir auf Rechnung geschrieben werden konnte. Ich muß noch vorausschicken, daß wir sogar, wenn Alles wohl war, um unserer geringen Anzahl willen keinen Vorderkastell-Midshipman hatten.

Ein furchtbarer Stoß eiskalten Windes, der von Schlossen begleitet war, blies uns fast gerade entgegen.

»Der Wind legt sich mehr gegen Osten um. Es wird gut sein, wenn wir vieren,« sagt der Lootse zu dem Meister.

»Der Lootse räth uns zu vieren,« bemerkte der Meister gegen den Kapitän.

»Mr. Farmer,« sagte der Kapitän zu dem ersten Lieutenant, »die faulen Schlingel von der Wache sollen das Schiff vieren.«

»Mr. Pond,« rief Mr. Farmer dem Lieutenant der Wache zu, (letzterer war ein winziges, pfefferiges Männchen mit einer quieksenden Stimme und durch nichts ausgezeichnet, als daß er eine große Frau und eine große Familie hatte, die er sehnlichst wieder zu sehen wünschte,) »viert!«

»Mr. Rattlin,« quiekste Mr. Pond durch sein Sprachrohr, »der Hochbootsmannsmate soll die Wache herausrufen – viert das Schiff!«

»Hochbootsmannsmate,« schrie der schläfrige und verdrießliche Mr. Rattlin, »viert mit der Wache das Schiff!«

»Sehr wohl, Sir – puh, puh, wie das pfeift – Wache, viert das Schiff! Herauf da, herauf da! Waffenmeister, wischt die Knochenpolirer herauf.«

»Welch' eine höllisch unsinnige Ceremonie!« brummte der Pilot sotte voce; »Alles schreit und Niemand holt an. Ein Glück für uns, daß wir genug Seeraum haben.«

»Hurtig nach hinten, Mr. Rattlin,« sagte der Kapitän, »und sorgt dafür, daß das Convoysignal zum Vieren richtig ertheilt wird.«

Mr. Rattlin macht einen Schritt nach hinten.

»Sind die Fockstengen-Stagsegel-Ziehthaue gut bemannt, Mr. Rattlin? – Geht nach dem Vorderschiff und seht nach,« ruft der Offizier der Wache.

Mr. Rattlin thut einen Schritt vorwärts.

»Ist das Tiefloth bereit? sagt der Meister. »Mr. Rattlin, springt in die Puttingen und seht nach.«

Mr. Rattlin thut einen Schritt nach rechts – Steuerbord, wie es die Weisen nennen.

»Mr. Rattlin, was zum Teufel treibt Ihr? – Wo ist der Matrose für die Fockschoote?« ruft der erste Lieutenant. »Seht hurtig nach!«

Mr. Rattlin thut einen Schritt nach links – Backbord, wie es die Weisen nennen.

»Wo ist der Midshipman der Wache – wo ist der Midshipman der Wache?« brüllt der Kapitän. »Beim Himmel, zeigt man nicht einmal Licht über den Bugen. Mr. Rattlin, tummelt Euch, Sir – hurtig nach dem Vorderschiff und seht nach.«

Der erfrorene, halb betäubte Mr. Rattlin begab sich endlich vorwärts nach der Back, wohin er gleich anfangs hätte gehen sollen, um so mehr, da der Hochbootsmann gleichfalls auf der Krankenliste stand. Die Folge von diesen vielen und fast gleichzeitigen Befehlen, die noch obendrein in so tiefer Dunkelheit ertheilt wurden, daß man kaum auf einen Schritt ordentlich sehen konnte, war, daß eine von den Signallaternen ausgeblasen, folglich das Signal unvollständig wurde. Die Fockstengen-Stagsegel-Ziehtaue waren so schlecht bemannt, daß die Marsgasten kaum das damals nöthige Segel aus den Netzen bringen konnten; die Leute waren nicht mit dem Tiefloth bereit, und der kleine Mr. Pond sah sich genöthigt, das Sprachrohr anzusetzen und die Fockschoote selbst zu vieren, bis er von dem Schiemann abgelöst wurde. Dennoch war aber wirklich eine Laterne über den Bugen, und zwar in guter Zeit.

Das edle Schiff wurde nicht länger von dem wüthenden Winde auf den Bugen mißhandelt, und wie der stolze Essex seiner erzürnten Königin nach der erhaltenen Ohrfeige den Rücken kehrte, so zeigte auch die Eos den beleidigenden Stößen ihren Spiegel und floh rasch vor ihnen. In Folge der dunkeln Nacht, der schwachen Stimme des Mr. Pond, dessen Befehle nicht sehr deutlich gehört wurden, vielleicht auch eines ungeschickten Manövrirens des Schiffes von seiner Seite – hüpfte die Fregatte viel länger vor dem Winde, als nöthig war. Ich strengte meine Augen auf der einen Seite des Katzenkopfs an, und der Backkapitän that das Gleiche auf der andern – aber wir konnten in der fast greifbaren Finsterniß nichts erkennen.

Es ist schauerlich, so durch die Dunkelheit einer großen, schwimmenden Welt dahinzurauschen. Die Planeten drängten sich stets in ihren angemessenen feierlichen Bahnen weiter; das ist aber nicht bei einem Schiffe der Fall, wenn der Schleier der Nacht auf dem Ocean liegt. Die glorreichen Himmelsleuchten wandern durch Lichtregionen und werden von einer nie irrenden Weisheit geleitet, während die Arche des Menschen durch Nebel und Thorheit wankt und nur zu oft die Uebereilung das Steuer führt. Und doch sah ich selten unsere Fregatte Nachts blos unter dem Lichte der prächtigen Sterne oben durch das Wasser rennen, ohne mir vorzustellen, sie gehöre unter die himmlische Brüderschaft, obgleich nur demüthig in ihrer Nachahmung und niedrig in ihrer Sphäre.

Sie stürzte in vollster Hast dahin und unsere ängstlichen Augen sahen nichts, obgleich unsere Herzen mit Bangen erfüllt waren. In ihrem sorglosen Laufe schien sie gewaltig genug zu sein, feste Felsen zu zerbrechen und aus dem Boden des Meeres Untiefen mit ihren Wurzeln loszureißen. Sie rauscht dahin, ich meine den matten Ruf eines Kauffahrers: »oh–oh–oh!« zu hören; aber das Gebrüll der gepeitschten Wogen unter unsern Bugen und das ewige Pfeifen des Windes durch die gefrornen Wände hindern mich, Gewißheit über die Thatsache einzuholen. Aber man denke sich mein Zittern, als ich eine ungeheure, lange, schwarze Masse schläfrig und so nahe vor uns liegen sehe, daß wir sie fast berühren konnten!

»Hart Backbord!« brüllte ich aus Leibeskräften.

»Hart Steuerbord!« rief der Backkapitän ebenso laut.

Die widersprechenden Befehle waren vergeblich. Die Fregatte schien auf den Gegenstand vor uns wie auf eine Beute loszustürzen und folgte ein entsetzliches Krachen. So springt vielleicht die grimmige Löwin auf den Büffel los, weicht, da sie bei dem gehörnten Ungethüm mehr Widerstand findet, als sie erwartet hat, einen Augenblick zurück und macht einen abermaligen Sprung. In gleicher Weise hielt es die Eos – ich fühlte zwei bestimmte Stöße.

Der zweite Anprall trennte das Hinderniß; die Fregatte ging durch und über dasselbe weg. Vergeblich blickte das Auge nach dem gewaltigen Westindienfahrer, der soviel Reichthum, frohe Hoffnungen, Jugend und Kindheit, männliche Kraft und weibliche Schönheit barg. Ich vernahm einen erstickten Frauenschrei, der aber von den wirbelnden und Alles verzehrenden Wogen fast so schnell wieder zum Schweigen gebracht wurde, als er erschollen war. Er hatte nicht laut, aber fürchterlich bestimmt und schmerzlich menschlich getönt. Nur ein einziger, armer Elender wurde gerettet, um den Namen seines Fahrzeugs anzugeben und Bericht über die Verlornen zu geben.

Wie gewöhnlich war ein schlechter Lugaus gehalten worden. Die Offiziere und Passagiere hatten sich in der Kajüte gütlich gethan – der Weinbecher war angesetzt, und frohe Lieder schallten von den Lippen der Schönen, die nach dem Lande ihrer Geburt zurückkehrten. Die blühenden Töchter, die neuvermählte Gattin und zwei Frauen mit ihren unschuldigen Kleinen an der Seite schwammen in vollem Glücke ihrer Hoffnungen, als der Verderber plötzlich auf sie losbrach, wie der Räuber im Dunkel der Nacht. In der Mitte ihrer nicht zu tadelnden Wonne wurden sie Alle in ein tiefes Grab geschleudert, über dem kein Stein steht, um den Ruheort ihrer Gebeine anzudeuten.

Unser eigener Klüverbaum wurde so rasch abgeschnellt, wie ein Zweig in frostigem Wetter. In der Meinung, das Schiff sei gestrandet, stürzte Alles auf das Deck, und man dankte Gott, daß nur ein schönes Kauffahrerschiff zerstört worden und etwa vierzig Mitmenschen ertrunken waren. Wir holten den einzigen armen Burschen, der noch auf dem Wasser schwamm, an Bord. Die Bestürzung unter den Offizieren war groß. Es stürmte zu sehr, als daß man hätte Boote niederlassen können, weshalb man keine Versuche machte, irgend einen Kämpfer, der nicht in den Wirbel des getrennten und versenkten Schiffs gezogen worden war, zu retten. Alle standen da in starrem Entsetzen.

Zu der Bestürzung über den kläglichen Vorfall kam auch noch die Furcht des Kapitäns vor den Ersatzleistungen an die Versicherten und Eigentümer. Ich wurde nach dem Hinterschiffe beschieden.

»Ich hatte das Deck nicht unter mir,« sagte Kapitän Reud, finster den ersten Lieutenant anblickend. » Ich bin nicht verantwortlich für dieses durch Tölpelei herbeigeführte Unglück.«

»Ich hatte weder die Wache, noch das Deck unter mir,« erklärte Mr. Farmer, seinerseits den kleinen Mr. Pond in's Auge fassend, der ganz entsetzt dastand; »zuverlässig kann man mir die Verantwortlichkeit nicht zur Last legen.«

»Aber Ihr gabt Befehle, Sir – ich hörte selbst, wie Ihr den Fockhals anziehen ließt. Das sieht doch ganz so aus, als hättet Ihr das Deck über Euch genommen – nein, nein, ich bin nicht verantwortlich.«

»Das ist ein sehr voreiliger Schluß, Mr. Pond. Ich leistete Euch nur im Interesse des Dienstes Beistand und wollte das Focksegel retten.«

Mr. Pond erblaßte, bis ihm auf einmal der Meister einfiel. Jetzt gewann er wieder einen ziemlichen Antheil von seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit, denn kleine Leute sind stets lebhaft.

»Keinenfalls bin ich verantwortlich – ich manövrirte nur das Schiff unter den Anweisungen des Meisters – les't die Nachtordre, Mr. Farmer.«

»Hole der Teufel die Nachtordre,« sagte der grämliche alte Meister.

»Wie könnt Ihr auf meine Nachtordre fluchen?« entgegnete Kapitän Reud. »Auf Euch und auf den Offizier der Wache fällt die Verantwortlichkeit.«

»Ich wollte weder Euch noch die Nachtordre kränken, Sir, und es thut mir herzlich leid, daß ich darauf fluchte – ja, von Herzen leid – aber in dem Vieren dieses Schiffs da, genau zu dieser und dieser Zeit, handelte ich nur nach der Weisung des Piloten, der Acht zu geben hat, bis wir sicher vor Anker liegen. Zuverlässig kann ich nicht verantwortlich sein.«

»Na,« sagte der Pilot, »das ist ein Knoten verwirrten Taus – aber damit kommt Ihr bei dem alten Weatherbrace nicht an; denn seht, ich bin civil und stehe keineswegs unter dem Kriegsrecht. Auch befinde ich mich nur wegen der Untiefen und dergleichen an Bord dieses Fahrzeugs, weshalb ich sonnenklar nicht verantwortlich bin! Habe in der ganzen weiten Welt nichts zu schaffen mit dem Manövriren. Verantwortlich? Pah! – warum habt Ihr auf dem Vorderschiff nicht besseren Lugaus gehalten.«

»Ja, Mr. Rattlin, warum?« fragten der Kapitän, der erste Lieutenant, der wachhabende Offizier und der Meister zumal.

»Ich hab's so gut gethan, als ich konnte – die Laternen waren über den Bugen.«

»Verlaßt Euch darauf,« sagte der Kapitän, »daß es damit nicht sein Bewenden haben wird. Die Eigenthümer und Versicherer werden ein Verhör verlangen. Mr. Rattlin hatte zur Zeit das Vorderkastell unter sich. Mr. Rattlin, kommt her da, Sir. Ihr rieft unmittelbar, ehe sich das Unglück zutrug, dem Steuermann zu, er solle das Ruder Backbord stellen?«

»Ja, Sir.«

»Quartiermeister,« fuhr Reud fort, »habt Ihr das Steuer Backbord gestellt? Nehmt Euch wohl in Acht, was Ihr sagt – thatet Ihr's, Sir? Denn wenn's nicht geschehen ist, sechs Dutzend.«

»Wir thaten es, Sir – hart Backbord.«

»Und das Schiff stieß unmittelbar darauf an?«

»Ja, Sir.«

»Pah! Der Fall ist klar – wir brauchen nicht länger darüber zu sprechen. 's ist ein klarer Fall, Mr. Farmer. Mr. Rattlin hatte das Vorderkastell unter sich – er sieht ein Schiff vorn – nimmt es auf sich, das Steuer Backbord stellen zu lassen und wir überrennen es, daß es sinkt. Er hat augenscheinlich die Verantwortlichkeit auf sich.«

»Augenscheinlich,« echoeten sämmtliche Verantwortlichkeitsabwälzer.

»Mr. Rattlin, es thut mir leid um Euch. Ich hielt Euch einmal für einen vielversprechenden jungen Mann; aber seit Eurer Desertion zu Aniana – wir brauchen die Sache jetzt nicht zu bemunkeln – seid Ihr ganz anders geworden. Ihr scheint allen Eifer für den Dienst verloren zu haben, und das ist schlimm; denn ein junger Gentleman ohne Eifer für den Dienst ist ein junger Gentleman – Ihr versteht mich natürlich – der nicht eifrig in der Erfüllung seiner Obliegenheiten ist. Ich denke, ich habe mich ziemlich deutlich ausgesprochen. Meint Ihr, Sir, ich würde jetzt meine verantwortliche Stellung in Seiner Majestät Flotte behaupten, wenn es mir an Eifer für den Dienst gefehlt hätte? Es thut mir leid, eine schmerzliche Pflicht erfüllen zu müssen; aber ich sehe mich gezwungen, Euch unter Arrest zu legen, bis ich weiß, was der Hafenadmiral in dieser unangenehmen Sache beschließt; für – für den Verlust der Mary Anne von London seid Ihr augenfällig verantwortlich.«

»Augenfällig!« ( omnes rursus.)

»Hättet Ihr hart Steuerbord gerufen, statt hart Backbord, so wäre der Fall anders.«

»Klärlich.«

»Geht nach Eurer Kajüte hinunter und betrachtet Euch als Gefangenen. Die jungen Gentlemen in seiner Majestät Dienst dürfen nicht ungestraft Westindienfahrer niederrennen.«

»Klärlich.«

In derartigen Spillenkopf-Kriegsgerichten, bei welchen die Kapitäne bisweilen das Refferrecht »wehe dem Schwächsten!« in Anwendung bringen, war Vertheidigung ein ganz überflüssiges Werk; ich tröstete mich daher mit der ungeheuern Verantwortlichkeit, mit der ich mich so auf einmal bekleidet sah, ging nach meiner Kajüte und verfluchte alle geschaffenen Wesen von mehr als Zollhöhe und weniger als zwölf Zoll Tiefe. In einem sehr gesunden Schlafe vergaß ich jedoch bald Alles – sogar die schreckliche Scene, die ich eben mit angesehen hatte.

*

 


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