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Vierundfünfzigstes Kapitel

Eine neue Person tritt auf, die eine alte Bekanntschaft in Anspruch nimmt. – Sie ist ihrem eigenen Bericht nach nicht sehr ehrlich und gewinnt dadurch einen unverdienten Anschein von Ehrlichkeit – zeigt sich als einen Haushälter, der nicht geneigt ist, ein Talent in dem Schweißtuch zu verbergen.

————

Während der ganzen Zeit dieser Vorfälle in Westindien, also im Verlaufe von beinahe drei Jahren, hatte ich keinen weiteren Verkehr mit England, als daß ich wiederholt Wechsel dahin abschickte, welche gebührend honorirt wurden. Nun muß ich aber einen neuen Charakter einführen, der mich Jahre lang wie ein böser Schatten verfolgte und erst mit dem »Beginne des Endes« von mir abließ.

Die Fregatte war auf die Seite gelegt und die Wunde ihres Vorderreitknie's geheilt, das heißt der ungeheure Riß verstopft worden. Wir fingen an, Wasser und Vorräthe an Bord zu bringen, und ich ging eines Tages auf dem Kai des Dock-Yards spazieren, als ich höflich von einem Manne angeredet wurde, der das Aussehen eines Kapitänstewards hatte. Er war blaß, schön, hatte kleine weiße Hände und trug, wenn er auch nicht gerade gentil in seiner Haltung war, doch jenen großstädtischen Anstrich, welcher auf eine Berührung mit gentiler Gesellschaft hindeutete. Obgleich er die blaue Jacke und die weißen Sonntagshosen eines Matrosen trug, konnte man ihm doch auf den ersten Blick ansehen, daß er kein Seemann war. Ehe er mich anredete, hatte er sich mehrere andere Midshipmen, die zum Theil zu meinem eigenen Schiffe gehörten, zum Theil im Dock-Yard-Dienst am Lande verwendet wurden, aufmerksam betrachtet. Endlich, nachdem er mich lange genug in's Auge gefaßt, um mich etwas unwillig zu machen, nahm er sehr achtungsvoll den Hut ab und begann:

»Habe ich die Ehre, Mr. Ralph Rattlin zu sprechen?«

»Ja; was steht zu Diensten?«

»Ah, Sir, Ihr habt meiner vergessen – doch 's ist kein Wunder. Mein Name, Sir, ist Daunton – Josua Daunton.«

»Ich habe diesen Namen in meinem Leben nie gehört.«

»Oh, doch, Sir – ich bitte um Verzeihung, Ihr habt ihn sehr oft gehört. Ihr pflegtet mich Jossey zu nennen. Kleiner Jossey, sagtet Ihr, komm her du kleiner Landstreicher und laß mich dich huckepack reiten.«

»Den Teufel that ich.«

»Ei, Mr. Rattlin, ich war ja Euer Packesel in Mr. Roots Schule.«

Das war nun entschieden eine Lüge, denn der Leser weiß wohl, daß unter jenem sehr achtbaren Pädagogen und in jenem sehr achtbaren Seminar, ich der Packesel, also nicht in der Lage war, einen Andern dazu zu machen.

»In der That, Josua Daunton,« versetzte ich, »ich bin geneigt zu glauben, daß Ihr noch der kleine Landstreicher Josua seid – denn auf Ehre, ich kann mich Eurer nicht entsinnen. Da Mr. Roots Schule so viele hundert Knaben zählte, so mögt Ihr allenfalls ein Mitschüler von mir gewesen sein, aber hole mich der Henker, wenn ich dort je Euch oder Jemand anders zum Packesel machte! Wohlan, mein guter Mann, beweist mir vorerst, daß Ihr mein Schulkamerad gewesen seid, und laßt mich dann wissen, was ich für Euch thun kann, denn ich vermuthe, daß Ihr irgend einen Gefallen von mir wünscht, oder sonst einen Grund habt, mich aufzusuchen.«

»Das habe ich allerdings,« versetzte er mit einer eigenthümlichen Betonung der Stimme, die sich auf verschiedene Weise deuten ließ.

Er fuhr dann fort, mir viele Einzelnheiten aus der Schule zu Islington anzugeben, was mich überzeugte, er müsse, wenn er auch nicht dort gewesen, wenigstens mit den dortigen Verhältnissen genau bekannt sein. Indeß wich er allen meinen Versuchen zu einem Kreuzverhör mit einer Gewandtheit aus, die mir eine weit bessere Meinung von seinem Verstand, als von seiner Ehrlichkeit gab. So viel ich mir auch Mühe gab, konnte ich mich seiner doch nicht erinnern, und ich sagte ihm dies rund heraus, indem ich ihn zugleich aufforderte, er solle mir sagen, wer er sei und was er wolle.

»Ich bin der einzige Sohn eines ehrlichen Pfandleihers zu Shoreditch. Er war ziemlich reich und beschloß, mir eine gute Erziehung zu geben, weshalb er mich nach Mr. Roots Schule schickte. Dort hatte ich das Glück, mit Eurer Freundschaft beehrt zu werden. Nun werdet Ihr bemerken, daß ich, obgleich um einige Zoll kleiner, doch wenigstens sieben oder acht Jahre älter bin, als Ihr. Bald nachdem Ihr die Schule verließt, um eine andere zu Stickenham zu besuchen, trat ich gleichfalls aus, und meine Erziehung war, wie mein Vater sich gern einredete, beendigt. Sir, ich bin schlecht ausgefallen und muß zu meiner Schande gestehen, daß ich ein Schelm wurde. Mein Vater wies mir die Thüre. Seitdem ist's mir unterschiedlich in der Welt gegangen, und jetzt bin ich Steward an Bord des Westindienfahrers London, der vorgestern hier angelangt ist.«

»Sehr wohl, Josua; aber wie konntet Ihr wissen, daß ich nach der Schule zu Stickenham ging?«

»Weil ich Euch bei meinen Wanderungen durch's Land mit den andern jungen Gentlemen auf dem Spielplatze der Haide sah.«

»Hum! Aber wie im Namen alles Wunderbaren kamt Ihr dazu, zu wissen, daß ich hier im Port-Royaler Dock-Yard sei und als junger Gentleman zu der Eos gehöre?«

»Oh, das ging ganz natürlich zu, Sir. Ungefähr vor zwei Jahren kam ich mit meinen Genossen wieder über dieselbe Haide und konnte dem Wunsche nicht widerstehen, mich zu überzeugen, ob Ihr noch immer auf dem Spielplatze wäret. Ich sah Euch nicht unter den Uebrigen und nahm mir die Freiheit, einen der älteren Knaben zu fragen, wo Ihr Euch aufhieltet. Er nannte mir den Namen des Schiffes und Eures Kapitäns. Wie ich nun im Hafen einlief, mußte mein Auge zuerst Eurer in dem Dock-Yard liegenden Fregatte begegnen. Ich wirkte mir die Erlaubniß aus, an's Land zu gehen, und erkannte Euch augenblicklich, nachdem ich Euch gesehen hatte.«

»Aber warum faßtet Ihr so Viele ins Auge, ehe Ihr mich anredetet? Indeß habe ich keinen Grund argwöhnisch zu sein, denn die Zeit kann große Veränderungen erwirken. Sprecht, was kann ich für Euch thun?«

»Verleiht mir Euren Schutz und so viel von Eurer Freundlichkeit, als mit unseren verschiedenen Stellungen verträglich ist.

»Aber Daunton, Euren eigenen Worten gemäß seid Ihr ein jämmerlicher Bursche gewesen. Ehe ich Eurem Wunsche entspreche, muß ich wissen, was Ihr verbrochen habt. Ihr sagtet, Ihr hättet das Land durchzogen – seid also ein Landstreicher gewesen?«

»Ja.«

»Habt Euch vielleicht Diebstähle zu Schulden kommen lassen?«

»Nur in kleinem Maßstabe.«

»Ah, und betrogen – natürlich auch nur in kleinem Maßstabe?«

»Die Verlockungen waren groß.«

»Wo wird dieser Kerl Halt machen,« dachte ich. »Will doch einmal sehen, wie weit er gehen wird.«

Dann ließ ich meine Gedanken laut werden und fuhr fort:

»Der Schritt zwischen Betrug und Fälschung ist nur sehr klein« –

Ich hielt inne, denn ich hatte doch nicht die Zuversicht, ihn zu fragen: »seid Ihr ein Fälscher?«

»Sehr,« lautete die kurze, trockene Antwort.

Ich war erstaunt. Am Ende brachte ich ihn gar noch zu dem Geständnisse, daß er einen Mord begangen habe.

»Oh!« fuhr ich fort, »wir sind, wie Ihr Euch wohl eben selbst sagen mögt, nur die leidenden Werkzeuge des Geschicks – und werden wider Willen gezogen. Wenn uns ein Mensch in den Weg kömmt, je nun Ihr wißt zur Selbstvertheidigung – he?«

»Was meint Ihr damit, Sir?«

»Ein kleiner Stoß zwischen die Rippen in ruhiger Weise. Die zornige Hand kann zucken und ausgleiten. Ihr versteht mich?«

»Ich fürchte, nur zu gut, Sir. Ich habe noch nie Menschenblut vergossen – und werde es auch nie. Vielleicht, Sir, dürfte hierin nicht auf meine Tugend – wohl aber auf meine Feigheit zu bauen sein. Ich zittere – ich werde ohnmächtig, wenn ich Blut sehe. Ich habe versucht, Euer Vertrauen durch Aufrichtigkeit zu gewinnen – es ist mir aber nicht gelungen. Ist es mir erlaubt, Euch guten Tag zu sagen?«

Halt, Daunton; dies ist ein auffallendes Zusammentreffen und eine noch auffallendere Unterhaltung. Ihr erbittet Euch als von einem alten Schulkameraden meinen Schutz. Der Schutz eines Reffers ist an sich schon etwas Lächerliches, und um denselben zu erringen, gebt Ihr zu, daß Ihr ein Elender seid, der sich nur noch keines Mordes schuldig gemacht hat. Vielleicht versuchtet Ihr durch Euer Geständniß, mir Euern Charakter in einem schlechteren Lichte darzustellen, als er es wirklich verdient, damit ich von Eurer Aufrichtigkeit eine um so bessere Meinung gewinne. Ist dies etwa der Fall?«

»Ja, in hohem Grade.«

»Ich dachte es ja. Laßt Euch übrigens bemerken, Daunton, daß schon dieser Umstand mir eine Scheu vor Euch einstößt. Indeß soll Eure Berufung an einen alten Schulkameraden nicht weggeworfen sein. Was kann ich für Euch thun?«

Verhelft mir zu dem Schutze, den ein Kriegsschiff bietet, indem Ihr mich zu Eurem Diener annehmt.«

»Das ist rein unmöglich. Ich kann Euch zwar auf der Stelle pressen oder eines der hier anwesenden vielen Kriegsschiffe zu einem derartigen Schritte bewegen; aber die Regeln des Dienstes gestatten mir nicht, daß ein Midshipman besondere Bedienung habe. Wünscht Ihr einzutreten?«

»Nur an Bord Eures Schiffes, mit dem Privilegium, Euch zu bedienen und beständig um Eure Person zu sein.«

»Ich danke Euch; aber was hindert mich, Euch gleich jetzt zu pressen?«

»Diese sehr umfassenden Schutzbriefe.«

Er zog sie hervor.

»Ja; ich finde, daß Ihr gut vorgesehen seid. Aber warum gebt Ihr Euern guten Posten an Bord des London auf?«

»Mr. Rattlin, ich habe meine Gründe. Gestattet mit, daß sie vorderhand ein Geheimniß bleiben dürfen. Es steht kein Verbrechen damit in Verbindung. Darf ich in der Eigenschaft Eures Dieners mit Euch segeln?«

»Ich habe Euch schon gesagt, daß dies nicht geschehen kann, sondern daß Ihr in der Eigenschaft eines Dieners der Midshipmans-Back eintreten müßt.«

»Wohlan, ich gehe mit Freuden darauf ein, vorausgesetzt, daß Ihr mit Euer Ehrenwort daraus gebt, mich nie in einem andern Dienste verwenden zu lassen.«

Ich war über diese Beharrlichkeit erstaunt und theilte ihm offen mit, wie elend die Lage sei, nach der er sich so sehr zu sehnen scheine. Sein Entschluß war jedoch nicht zu erschüttern. Ich verließ ihn sodann und besprach mich mit Mr. Farmer.

»Ja, nun, so soll der Narr eintreten,« lautete die lakonische Antwort.

»Aber er will dies nur unter den erwähnten Bedingungen thun und seine Schutzbriefe sind zu gut, um verletzt werden zu können.«

»Dann ermächtige ich Euch, sie geltend zu machen. Es fehlt uns ohnehin an Mannschaft.«

Josua wollte übrigens nicht freiwillig eintreten, sondern verlangte gepreßt zu werden. Nach vorläufiger Verabredung begab ich mich daher an Bord seines Kauffahrers und preßte ihn. Er leistete keinen Widerstand und wies kein Dokument vor, sondern rief nur die Schiffsmannschaft sammt dem ersten und zweiten Maten zu Zeugen auf, daß ihm Gewalt geschehe. Dann nahm er sein Gepäck zu sich, und stieg wohlgemuth in das Boot hinunter. In dieser Weise war ich das Werkzeug gewesen, um meinen bösen Genius für ein ereignißvolles Jahr in meine Nähe zu bringen.

*

 


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