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Zweiundsechszigstes Kapitel

Ralph kömmt in eine verdrießliche Lage, da er seine Identität beweisen soll und keine Zeugen aufführen kann, als sich selbst. – Alle Stimmen sind gegen ihn, seine eigene ausgenommen.

————

In jener Periode schien jeder Tag – ja fast jede Stunde – ein auffallendes Ereigniß zu bringen. Wir hatten nach unserm guten Appetite kaum gut zu verdauen angefangen, als sich ein rühriges Gewühl über das ganze Schiff verbreitete. Von der Küste aus war das Signal gegeben worden, daß einer von den jüngern Admiralitäts-Lorden unverweilt an Bord kommen werde – eine Kunde, welche die Bewohner der Midshipmansback mit Entsetzen erfüllte. Wie konnten meine Tischgenossen möglicherweise auf dem Halbdeck erscheinen und den Würdenträger empfangen helfen? Was mich selbst betraf, so freute ich mich sehr über die vermeintliche Befreiung, die ich meiner Gefangenschaft verdankte.

Die wichtige Botschaft kam nach unten, daß »die jungen Gentlemen in voller Uniform auf dem Halbdecke zu erscheinen hätten, um den Lord der Admiralität zu empfangen.« Der Trost, den ich ihnen geben konnte, bestand einfach in der Anrede der Lady Macbeth an ihre Gäste:

»Geht; mit der Ordnung eures Aufbruchs braucht
Ihr's nicht genau zu nehmen.«

Die Salutationsschüsse von den Hauptdeckkanonen verkündigten die Annäherung, und das Klirren der Musketen, nachdem die Seesoldaten ihre Gewehre präsentirt hatten, belehrte mich sogar in meinem dunkeln Aufenthaltsorte, daß der Lord angekommen war. Ich freute mich aus ganzer Seele über den Gedanken, daß all' dieser Pomp und dieses umständliche Wesen mich nichts angehe, als nach etwa zehn Minuten athemlos einer, zwei, drei, vier Boten, die sich auf der Ferse folgten, hereinstürzten und mir sagten, daß mich der Lord augenblicklich in der Kapitänskajüte zu sehen wünsche.

» Mich? Mich sehen? Was im Namen allen Unsterns kann er von mir wollen?«

Ich erklärte, daß ich erscheinen werde, wenn ich eine kleine Aenderung in meinem Anzuge vorgenommen habe, dabei hoffend, die Zögerung werde ihn ermüden und ich ungesehen bleiben, da alle großen Männer gewöhnlich ungeduldig sind, wenn sie mit kleinen verkehren. Vergebliche Ausflucht! Kaum waren einige Minuten verflossen, als einer der Lieutenants herunterkam, um mir in halb freundlicher, halb gebieterischer Weise zu eröffnen, daß ich augenblicklich heraufkommen müsse.

Wie kann ich die Scene, die nun folgte, hinreichend schildern. Hätte mich nicht die Unverschämtheit der Verzweiflung aufrecht erhalten, so wäre ich augenblicklich, sobald ich auf dem Deck anlangte, über Bord gesprungen. Ich wußte nicht, durch welche Art von Ortsbewegung ich nach der Vorderkajüte gelangte, wo ich ein recht artiges Mahl aufgestellt fand, um das sich ungefähr fünfzehn Offiziere in voller Uniform gesammelt hatten. In ihrer Mitte stand ein schwächlicher, zart aussehender Gentleman in ausgezeichnet zierlichem, aber einfachem Anzuge. Er mochte weit über siebenzig zählen und benahm sich so unruhig, daß man wohl auf den Gedanken kommen konnte, er leide ein wenig an Gichtanfällen.

Ich kann für die stummen Operationen, die in anderer Leute Gehirnen Platz greifen, nicht einstehen, aber in meinem eigenen vermag, sogar unter dem größten Mißgeschicke, ein possirlicher Einfall den niedergedrückten Geist weit mehr auszurichten, als alle die moralischen Tröstungen, welche Blair je geschrieben hat.

»Wenn dies der jüngere Lord der Admiralität ist,« dachte ich, »so möchte ich nur die vier ehrwürdigen Patriarchen sehen, welche den Vorrang vor ihm haben!«

Ich lächelte über den Einfall und verbeugte mich.

Ich muß übrigens jetzt die Person schildern, welche in der vorgedachten Weise lächelte und sich gegen die erlauchte Versammlung verbeugte.

Denkt euch einen langen Jungen, gekleidet in eine blaue Baumwollenjacke mit dem Uniformsknopf, in einer vormals weißen Kersey-Weste und in Segeltuchhosen, auf welcher in wolkigen Farben (den Wirkungen des Streichriemens, der Erbsensuppe und anderer et caeteras, die man in dem abscheulichen Aufenthalte einer übelgeordneten Midshipmanskajüte findet) mehr Oceane, Seen, Bayen und Vorgebirge verzeichnet waren, als die Natur je diesem unglücklichen Erdballe verlieh. Unter demselben waren ein Paar dunkelblaue Baumwollenstrümpfe zu entdecken, die sich an ein Paar Zahlmeistersschuhe anschlossen – Dinge von bastardartiger Zucht, die zwischen abgelegten Pantoffeln und den genagelten Schuhen eines Pflügers die Mitte hielten, sintemal sie mit erstern das gute Anpassen, mit letztern die Schwere theilten. Eine solche Tracht in strengem Winter war jedenfalls hinreichend leicht und bizarr; aber die Art, wie mein Antlitz dekorirt war, lenkte bald alle Aufmerksamkeit auf jenes Exemplar von dem Ebenbilde Gottes, das durch Menschenhand verderbt worden war. Dank sei es Mr. Pigtops Gewandtheit – meine Augen waren auffallend gut geschwärzt, und die Geschwulst meines Gesichts, namentlich auf der Oberlippe, hatte sich noch nicht gelegt. Da ich außerdem während meines Arrestes stets in der Dunkelheit der Zwischendecke gewesen, und meine Augen vielleicht in Folge der kürzlichen Prügelei etwas entzündet waren, so blinzelte ich auf meine Umgebung, wie eine Eule.

»Er – staun – lich!« sagte Mylord Whiffledale. »Ist das Mr. Ralph Rattlin?«

»Derselbe, Mylord,« versetzte Kapitän Reud. »Soll ich ihn Euer Gnaden vorstellen?«

»Keineswegs – doch – um seines Vaters willen – in der That – das ist lächerlich! – Henry, der fünfte Baron von Whiffledale – ah! – schwarze Augen – schmutziges Kostüm, ganz besonders schmutzig, auf Ehre. Wie kömmt dies, Kapitän Reud? Natürlich ist mein gegenwärtiger Besuch nicht offiziell; aber ich möchte doch als Gentleman meine Neugierde befriedigen und die Frage stellen, wie Ihr erster Lieutenant zugeben kann, daß die jungen Gentlemen – ich muß das Wort brauchen – den Dienst so herabwürdigen – wie Ihr dies seht – an – an meinem jungen Freunde da, mit den wollenen Strümpfen, der geschwollenen Lippe – und – den zerbläuten Augen –«

Bei meinem ersten Eintreten hatten mich sämmtliche Kapitäne, die da und dort herumstanden, mit nichts weniger als schmeichelhaften Blicken betrachtet. Einige rümpften die Nasen, Andere grinsten, Alle aber waren augenscheinlich erstaunt, und wandten sich voll Ekel ab. Bei dem Schlusse dieser Rede jedoch leuchtete mir auf überraschende Weise Wohlwollen unter allen ihren verschieden geformten und verschiedenfarbigen Augenbrauen entgegen. Es lag etwas Magisches in den Worten: »um seines Vaters willen«, und »mein junger Freund«.

Kapitän Reud versetzte:

»Mylord, die Schuld liegt nicht so fast an Mr. Rattlin, wie wohl aus dessen erstem Erröthen hervorgehen möchte. Er preßte einen boshaften, unheilstiftenden jungen Galgenstrick, dem man die Bedienung der jungen Gentlemen übertrug. So unglaublich auch die Thatsache erscheinen mag, Mylord, so gelang es ihm doch in einer Weise, die Euch Doktor Thompson am besten erklären kann, alle Kleider seiner jungen Gebieter zu zerstören – ein reiner Akt der muthwilligsten Bosheit. Ich weiß, daß Mr. Rattlin gut mit Geld versehen ist, und daher die erste Gelegenheit ergreifen wird, die Außenseite eines Gentlemans wieder anzunehmen; auch kann ich Euer Gnaden die Versicherung geben, daß keinem Menschen seine Uniform besser steht.«

»Sir, wenn dieser junge Mensch Mr. Rattlin ist – und ich will es wohl glauben, so fließt das älteste Blut des Landes in seinen Adern. Dennoch kömmt es mir wie eine Art Wunder vor, wie ein Sprößling jenes edlen Hauses mit zwei zerbläuten Augen und einer zerrissenen Jacke vor mir, dem Freunde seines Vaters, stehen kann. Es waltet vielleicht am Ende doch ein Irrthum vor. Mr. Rattlin, ich wollte Euch mit mir nach meinem Hotel nehmen, da ich Euch Dinge von äußerster Wichtigkeit mitzutheilen habe; so aber – nein, ich bin nicht gerade ekel – es wird übrigens doch besser sein, wenn wir zuerst ein kleines Privatgespräch in der Hinter – Gentlemen, ihr werdet uns entschuldigen?« Er verbeugte sich im Kreise. »Kapitän Reud wird mir vielleicht die Gunst erweisen, von der Partie zu sein.«

Demgemäß begaben wir Drei uns nach der Hinterkajüte – ich ganz sprachlos vor Aufregung, denn ich vermuthete, daß endlich das vielersehnte Geheimniß meiner Herkunft enthüllt werden würde.

Lord Whiffledale und Kapitän Reud setzten sich, die Rücken dem Kajütenfenster zugewandt, während ich in voller Beleuchtung vor ihnen stand. Mit meiner entstellten Figur muß ich in der That weit mehr einem zerprügelten Galgenstrick, der wegen Diebstahls vor den Richter geführt wird, als einem jungen Gentleman gleichgesehen haben, der der Ehre entgegensieht, von einem sehr edlen Lord als Erbe seiner Größe anerkannt zu werden.

Es trat eine Pause von einigen Minuten ein, während welcher Lord Whiffledale sich eine würdevolle Haltung zu geben bemüht war; zugleich aber begann auch das Licht des Unfugs und eines losbrechenden Wahnsinns in Reuds Auge zu leuchten.

»Wahrhaftig,« sagte ich zu mir selbst, »er wird es doch nicht wagen, einen seiner tollen Possen an einem Lord der Admiralität zu versuchen?«

Doch was wäre einem kranken Gehirn zu viel!

Seine Gnaden hatte sich feierlich eine Prise genommen, schaute mit ruhiger Bedächtigkeit umher, heftete sein todtes Auge auf mich, wiegte den Kopf in gleichförmiger Bewegung langsam auf und nieder, und begann, wie folgt:

»Es wacht eine Vorsehung über uns Allen. Sie zeigt sich im Fallen des Sperlings, Mr. Rattlin, – hat unsere glorreiche Konstitution beschützt – und heiligt die Säulen des Staats. Die Vorsehung ist, Mr. Rattlin – wißt Ihr wirklich, was Vorsehung ist? – Ich stelle mit Vorbedacht tiefe Frage an Euch – denn ich spreche stets mit Vorbedacht – ich frage Euch, wißt Ihr, was Vorsehung ist? – Redet nicht – Unterbrechungen sind nicht schicklich – und es gibt nur Wenige, die mich unterbrechen. Die Vorsehung, junger Mann, hat mich heute an Bord dieser Fregatte gebracht. Wir haben Nordostwind, der leicht meinen Katarrh verstärken konnte – aber die Hand der Vorsehung waltet in Allem. Ich versprach meinem sehr ehrenwerthen Freunde, ich wolle nachsehen, wie es Euch geht – ›wie equipirt und logirt, wie kajütet, verkrüppelt und eingeengt‹ Ihr seid. Geschickte Citation! – Ihr seid kajütet – Ihr seid verkrüppelt – Ihr seid eingeengt; verkrüppelt – seht nur Euer Gesicht an – wie zuvor gesagt, es ist die Hand der Vorsehung –«

»Bitte Euer Gnaden um Verzeihung,« versetzte Reud unterwürfig mit einem zweideutigen Augenblinzeln, »daß ich einen Edelmann unterbreche, der so selten unterbrochen wird – aber ich möchte eher glauben, daß es die Faust Pigtops war.«

»Pigtop? – Was hat der mit Vorsehung und meiner Citation zu schaffen? Kapitän Reud, ich habe in der That nicht das Vergnügen, Euch zu verstehen. Dieser junge Gentleman, der sich so kürzlich unter der züchtigenden Hand der Vorsehung befunden hat –«

»Unter Pigtops.«

»– soll nun aus derselben gütigen Hand einige von den auserlesensten Gaben erhalten, die das Glück dem Menschen nur zuwerfen kann – Rang, Reichthum und den Segen eines Vaters. Oh! es ist zu viel – ich bin gerührt – aber was kann ich möglicherweise mit ihm anfangen, da er so zerbläute Augen hat? Mr. Ralph Rattlin, Ihr habt noch nicht mit mir gesprochen – doch wie könntet Ihr auch! Welche Worte wären hinreichend, auszudrücken, was – was – Ihr ausdrücken solltet! Kapitän Reud, findet Ihr diese Scene nicht ziemlich ergreifend? Junger Gentleman, ich bin hier, um Euch mitzutheilen – seid Ihr voll darauf vorbereitet, Sir, daß Ihr so zu sagen verificirt werdet?«

»Mylord, Mylord, ich berste vor Ungeduld.«

»Vor Ungeduld bersten? Die Scene ist rührend, zuverlässig – höchst ergreifend, mit Ausnahme der schwarzen Augen. Was würde nicht Miß Burney in einer ihrer bewunderungswürdigen Novellen daraus machen! Aber Ihr hättet ein besseres Wort wählen sollen, als das Bersten – ich möchte fast vor Rührung über diese zarte Scene zerfließen – die Enthüllung der Herkunft eines großen, edlen Jünglings – Bersten? – Ihr hättet erstlich sagen können, brennen – zweitens, glühen – drittens, verzehren – viertens, toben – fünftens, sterben – sechstens, zu Grunde gehen. Auf dem letztern will ich nicht gerade bestehen, obgleich es zuverlässig besser ist, als bersten. Ihr wolltet sagen, daß Ihr vor Ungeduld glüht, nicht aber berstet – es ist ein natürliches Gefühl – ist lobenswerth – Eures sehr ehrenwerthen Vaters würdig. Ich will ihm treulich Eure kindliche Ungeduld melden und ihm sagen, wie eifrig ich bemüht war, sie zu beschwichtigen. Eine Person, die weniger behutsam ist in Betreff der verschiedenen Schattirungen der Sprache, würde gesagt haben, zufrieden stellen. Was ist eine zufriedengestellte Ungeduld? – ein Widerspruch in den Ausdrücken; aber eine beschwichtigte Ungeduld ist – ist – die Beschwichtigung einer Ungeduld. Diese Unterhaltung wird sehr ergreifend. Die geschwärzten Augen – ich wollte, daß Ihr einen grünen Schirm darüber hättet. Seid Ihr vorbereitet, verificirt zu werden?«

Ich verbeugte mich, weil ich fürchtete, daß jeder andere Ausdruck meiner Wünsche zu einer abermaligen Abschweifung führen könnte. Seine Gnaden setzte dann die Brille auf, griff nach einem Blatte Papier und begann, während ich vor Aufregung zitterte, folgendermaßen:

»Seid Ihr die Person, die bei einer gewissen Rosa Brandon, dem Weibe eines Joseph Brandon, von Gewerbe ein Brettschneider, in Kost gegeben wurde?«

»Ja.«

»Welchen Namen führtet Ihr, als Ihr unter der Obhut jener Personen wart?«

»Ralph Rattlin Brandon.«

»Recht, sehr gut. Ich werde ihn demnächst umarmen – mein Herz sehnt sich nach ihm. Wurdet Ihr nicht von besagtem Brandon durch einen Gentlemen in einem einfachen Wagen nach einer Schule gebracht?«

»Ja.«

»Nach welcher?«

»Nach Mr. Roots Akademie.«

»Recht – ein guter Knabe, ein liebenswürdiger Knabe; er kam zu Mr. Root. Wohin kamet Ihr dann, nachdem Ihr daselbst die Elemente einer klassischen Erziehung eingesogen hattet?«

»Nach der Pensionsschule eines französischen Gentlemans zu Stickenham, in dessen Gattin ich eine Mutter gefunden zu haben glaubte –«

»Halt, wir sind noch nicht so weit – das ist zu rührend – zu viel auf einmal, – wie Jemand in der Komödie sagt. Kapitän Reud, habt Ihr nicht ein Glas Wasser bereit, für den Fall, daß es diesem liebenswürdigen Jüngling oder mir selbst im Laufe dieser aufregenden Nachforschung ohnmächtig werden sollte?«

»Zuverlässig,« versetzte der Kreole, entschieden in einem seiner wahnsinnigen Zufälle, denn er machte sich alsbald hinter seine Gnaden, sprang auf den Verschluß und stand bereit, ein Glas Wasser auf dessen zierlich gepuderten Kopf auszugießen, das wenigstens drei Gallonen faßte. Es war nämlich eine große Kugel, die verschiedene seltene Fische enthielt und unmittelbar über meinem Frager von dem Deckbalken herunterging.

Dies war nun eine kritische Lage für mich! Ein toller Kapitän, der seine Tücke gegen einen Lord der Admiralität auszulassen im Begriffe war, während derselbe Lord, wie ich fest glaubte, sich anschickte, zu erklären, daß er mein Vater sei! Ich fühlte mich wie durch einen Zauber festgehalten. Da ich die Unterhaltung nicht unterbrechen wollte, so fiel mir bei, Lord Whiffledale werde nicht weniger mein Vater sein, ob er nun trockene oder nasse Kleider trüge, weßhalb ich mir vornahm, die Sache ihren Gang gehen zu lassen. Demgemäß ließ ich Seine Gnaden mit Fragen fortfahren, obschon Kapitän Reud bei jeder eine affenartige Fratze schnitt und die Kugel kräftiger schwenkte.

»Alles sehr befriedigend – in der That sehr befriedigend! Und nun Ralph, auf wen pflegtet Ihr das Euch zugewiesene Geld zu ziehen, so lange Ihr in Westindien wart?«

»Auf Mr. M..., King's Bench Walk im Temple.«

»Vollkommen richtig – vollkommen –« (fortlesend).

»Seid Ihr ein gut gewachsener Jüngling für Euer Alter?«

»Ja.«

»Von interessanter Physiognomie?«

Hier grinste mir der boshafte Tolle hinter dem geweihten Haupte des alten Lords in der lächerlichsten Weise zu.

»Ich hoffe, Ihr werdet dies finden, Mylord, wenn ich wieder mein gewöhnliches Aussehen erlangt habe.«

»Hu – hum – ha – von dunkelbraunem Haar, das an's Schwarz gränzt?«

»Nein« – »Ja« –. Diese Antworten erschollen gleichzeitig, die erstere aus meinem, die andere aus Kapitän Reud's Munde.

Bei dieser Krisis machte Seine Gnaden eine sehr inständige theatralische Bewegung. Kapitän Reud ergriff das Glas mit beiden Händen; aber in demselben Momente ging die Kajütenthüre auf und das ernste, blitzende Auge des Doktor Thompson traf den auf Tücke sinnenden Kapitän. Die Wirkung war plötzlich – er ließ von dem beabsichtigten Unfug ab und zog sich schüchtern zurück. Das Feuer wich aus seinem Auge und das Grinsen von seinem Gesichte; alsbald stand er wieder als der ruhige, gentlemanische Postkapitän, in unterwürfiger Höflichkeit gegen seinen Oberen, an der Seite des gnädigen Herrn. Ich begriff den Grund augenblicklich – es war der Hüter und sein Patient.

»Ich bedaure Mylord,« sagte der Doktor – »ich bedaure unendlich, Kapitän Reud, daß ich unangemeldet eintrete; aber ich pochte mehreremale – vermuthlich ohne gehört zu werden. Dieser Brief, Mylord, wird mich hinreichend entschuldigen.«

Lord Whiffledale überlas das Schreiben dreimal; dann wandelte sich sein gewöhnliches Weiß in ein fahles Roth um, welches bald der früheren Blässe wieder Platz machte. In keiner anderen Weise schien er seine Fassung zu verlieren.

»Doktor Thompson,« sagte er endlich sehr ruhig, »laßt mich sogleich etwas von diesen Dokumenten sehen.«

»Da ich diese Aufforderung erwartete, Mylord, so habe ich sie mitgebracht.«

Der Doktor händigte dem Lord mehrere Schreiben und Papiere ein. Endlich rief der gnädige Herr:

»Ich bin ganz verwirrt. Das übersteigt ganz mein Fassungsvermögen, und ich weiß nicht, wie ich handeln soll. Wie betrübend! Bei meiner Seele, ich wünschte, daß ich mich mit dieser Sache nicht befaßt hätte. Kann ich den jungen Menschen sehen?«

»Zuverlässig, Mylord. Ich will ihn augenblicklich herbringen.«

Während Doktor Thompsons kurzer Abwesenheit ging Seine Gnaden mit gerunzelter Stirne und mehr als gewöhnlicher Unruhe in seinen Bewegungen in der Kajüte auf und ab. Nicht ganz zu meinem Erstaunen, wohl aber zu meinem größten Entsetzen erschien der Doktor wieder, meinen arglistigen und einzigen Feind, Josua Daunton, an der Hand führend.

Der Gegensatz zwischen ihm und mir stellte sich durchaus nicht zu meinen Gunsten heraus. Allerdings nicht in Uniform, aber sehr reinlich, in einer feinen blauen Tuchjacke und dergleichen Beinkleidern, weißem Halstuch und fleckenlosem Hemde, sah er nicht nur achtbar, sondern sogar gentlemanisch aus. Mein eigenes Aeußeres habe ich bereits geschildert, weshalb ich mir die verhaßte Wiederholung ersparen kann.

»So seid also Ihr« – sagte Seine Gnaden, sich an Josua wendend – »der ächte und wahre Ralph Rattlin?«

»Ja, Mylord,« antwortete der schaamlose Lügner. »Der junge Gentleman neben Euch ist mein illegitimer Bruder und seine Mutter eine schöne, aber arglistige Dame, Namens Causand. Zuerst wußte sie Sir Reginalds Herz durch giftige Einflüsterungen von mir abzuwenden, und dann führte sie ihre Machinationen so weit, daß sie mich aus den väterlichen Mauern vertrieb, bis ich endlich, mit Schrecken und Gewissensbissen bekenne ich es, auf so üble Wege gerieth, daß ich meinen Namen wechseln, meinem Vaterland entfliehen und mich der Peitsche auf der Laufplanke aussetzen mußte. Wenn diese Dokumente, die ich Euren Händen – aber auch nur den Eurigen – vertraue, nicht jeden Zweifel über die Wahrheit meiner Behauptungen entfernen sollten, so gestattet mir eine ganz kurze Frist, damit ich nach London schicken und jeden Punkt genügend aufklären kann.«

Er übergab sodann Lord Whiffledale die Papiere, die für Doktor Thompson so überzeugend geworden waren. Kapitän Reud, der durch die Gegenwart des Doktors zu einer ganz besonnenen Haltung eingeschüchtert war, trat jetzt hervor und versicherte Seine Gnaden, daß wenigstens ich keinesfalls ein Betrüger sei und höchstens als ein unwissendes Werkzeug habe benützt werden können, wenn sich's überhaupt um einen Betrug handle.

»Vielleicht« – sagte Seine Gnaden, nachdem er die Papiere geprüft und sie Josua wieder zurückgegeben hatte – »vielleicht wird uns der junge Gentleman mit den zerbläuten Augen die Gunst erweisen, uns in kurzen Worten seine eigene Version von der Geschichte zu geben – denn ich will an der Schwindsucht sterben, wenn ich sagen kann, wer der wahre Simon Pure ist!«

In der verwirrenden Lage, meine eigene Identität darthun zu sollen, fand ich, daß ich nur sehr wenig für mich zu sagen hatte. Ich konnte blos behaupten: obgleich ich nichts von meiner Verwandtschaft wisse, habe man doch immer für mich gesorgt, wie denn auch die Wechsel, die ich auf Mr. M..., den Rechtsgelehrten von Kings Bench Walk in dem Temple, gezogen, stets honorirt worden seien. Nachdem ich zu Ende gekommen war, schüttelte Mylord diplomatisch den Kopf und nahm eine Prise. Dann betrachtete er mich und meinen Gegner sorgfältig, wiegte den Kopf auf und ab und öffnete endlich den Mund zum Sprechen –

»Kapitän Reud, ich wasche in dieser Sache meine Hände. Ich kann hier nicht entscheiden. Ich wollte den legitimen und zu lange vernachlässigten Sohn meines guten alten Freundes, Sir Reginald, mit an's Land nehmen. Wo ist dieser Sohn? Ich komme an Bord der Eos und fordre ihn von Euren Händen, Kapitän Reud. Ist die Person mit dem zerschlagenen Gesicht meines Freundes Sohn? Zuverlässig nicht. Ist dieser Andere, dieser der Schande verfallene Mensch sein Sohn? Da ich das edle Geschlecht meines Freundes kenne, so muß ich gleichfalls sagen: es kann nicht sein. Wo ist Sir Ralphs Sohn? Er ist nicht hier – oder wenn er hier ist, so kann ich ihn nicht unterscheiden. Ich wasche meine Hände, ich hasse Geheimnisse. Ich will keinen davon mit nach London nehmen. Ich habe einige kleine Verbindlichkeiten gegen Sir Reginald – und doch – ich kann hier keine Entscheidung thun. Das Gewicht des Beweises steht allerdings zu Gunsten des neuen Bewerbers. Kapitän Reud, vielleicht werdet Ihr ihm gestatten, an's Land zu gehen. Er kann sich dann unverweilt nach London begeben und mit dem Rechtsgelehrten Mr. M... benehmen. Ist er im Stande, diese Person zu überzeugen, so wird er von ihm die nöthigen Weisungen für seine weiteren Schritte erhalten.«

*

 


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