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Sechszigstes Kapitel

Lauscher hören sich selten loben. – Ralph hält Rechnung mit seinen Tischgenossen und weiß es einzuleiten, daß er mit seinem Hauptschuldner in's Reine kömmt.

————

Ich verließ ihn mit der düsteren Vorahnung, daß er über einer schlimmen Bosheit gegen mich brüte. Den Tag und die darauf folgende Nacht verbrachte ich in einem unaussprechlich elenden Zustande. Ich zog mich nach dem Düster der Midshipmans-Höhle zurück, wo sich meine schrecklichen Betrachtungen zu der Fülle jenes Schmerzes steigerten, den nur ein Jüngling zu fühlen und dagegen anzukämpfen vermag. Ich konnte und wollte ihm nicht glauben. Die süßen Gebilde meiner nächtlichen Träume und meiner Gesichte bei Tage liefen darauf hinaus, daß ich wenigstens von ehrenhafter, wo nicht von ausgezeichneter Geburt sei. Darüber hatte nun der schlaue Zauberer seinen Stab geschwungen, und sie standen jetzt in häßlichen Gestalten vor mir. Schon jetzt hatte mich Schmach betroffen, und Verachtung mit ihrem kläglichen Gefolge schien ihr Gift zu sammeln, um mich durch die Welt zu hetzen.

Den ganzen Tag saß ich, den Kopf in meine Hände begraben, an dem schmutzigen Tische unserer Kajüte. Ich mochte weder essen noch sprechen. Die Zoten meiner rohen Kameraden ließen mich unberührt, und ihre lärmende, gemeine Heiterkeit weckte mich nicht. Sie meinten, mein Arrest und die Furcht vor den Folgen desselben habe mich stumpf gemacht, waren aber dabei in schlimmem Irrthume befangen, denn nie hatte ich mehr Leben in mir gefühlt. Das Dasein würde mir glühend heiß, und das Bewußtsein desselben war mit dem wechselndsten Jammer beladen. Dennoch blieb mein Gehirn klar, trotz seiner Glut, und die Aufregung hatte nicht die mindeste Spur geistiger Verwirrung zur Folge. Nie war mein Verstand unumwölkter gewesen, und ich fühlte mich mehr als je fähig, meine Lenden zu gürten und gegen die ganze Welt anzukämpfen wie ein starker Mann.

Gegen Abend lief eine weitere Kunde ein, die mich beunruhigte und in Staunen setzte. Seit Josua Dauntons Absetzung war unser alter Diener wieder von dem Besahnmaste herabgestiegen, um für unsere Bedürfnisse Sorge zu tragen. Er war in seiner Weise ein unersättlicher Neuigkeitssammler, dabei aber ebenso freigebig im Auskramen, als im Einholen derselben.

Die Midshipmen tranken eben aus den noch unzerbrochenen Bechern und den zwei oder drei Zinntöpfchen ihren Abendgrog, als unser schuhloser, schmutziger Diener folgendermaßen anhub:

»Oh, Mr. Pigtop! – Welche Neuigkeiten – welche seltsame Neuigkeiten! Es wird Euch leid thun, sie zu hören, Sir, und wahrscheinlich wird es allen jungen Gentlemen so ergehen.«

»Wie, ist das Schiff über Bord gepurzelt oder hat der Schweinstall wegen rückständigen Solds Meuterei angefangen?«

»Oh Sir, zehntausendmal schlimmer, als das! Jener Allerweltsdieb, der Josua Daunton, wird am Ende seine sechs Dutzend doch nicht kriegen, obschon er den Midshipmen alle ihre Kleider verderbte. Doktor Thompson hat ihn in seine eigene Kajüte genommen, und jetzt ist nichts mehr gut genug für ihn –«

»Als das Hängen,« rief der entrüstete Meistersmate. »Wenn er nicht gepeitscht wird, so bringe ich ihn noch um – und sollte sich's auch herausstellen, daß er der einzige Sohn von Mylord Gott weiß wer ist.«

Pigtop war ein Witzling in kleiner Midshipmans Weise.

»Ja, es heißt's, er sei irgend ein großer Mann – in Clogs, oder so etwas, nennen sie's, glaube ich – geworden, obgleich ich meinerseits recht gut weiß, daß er vor nicht vierzehn Tagen noch in Eisen stak und einen Vorschmack von dem Mädchen mit neun Schwänzen erhielt. Das ist doch wenigstens einiger Trost, was auch noch weiter kommen mag.«

Ein gemeiner Sinn hat seltsame Quellen, aus denen er seinen Trost ableitet.

»Wißt Ihr's aber auch ganz gewiß, Bill?« sagte Mr. Staines. »Denn wenn sich's herausstellt, daß er Etwas geworden ist, so soll er mich für meine Beschädigung so sicherlich zahlen, als er noch einmal zu dem alten Davy geschickt wird.«

»Ganz gewiß. Er zeigte dem Doktor Papiere genug, um einem Advokaten damit auf die Beine zu helfen. Aber das ist noch nicht das Beste davon – hum – ha! Glaubt Ihr, Mr. Pigtop, daß Mr. Rattlin wirklich schläft?«

»Er hat sich seit drei Stunden nicht gerührt. Ich bin Rattlin noch etwas dafür schuldig, daß er diesen Halunken an Bord brachte. Es muß am Ende doch Etwas dahinterstecken. Auf der Laufplanke nannte er Rattlin seinen Bruder, oder etwas der Art. Nun, das ist ein Trost. Es wird, schätze ich, unsern stolzen Tischgenossen mit seinem glatten Gesicht und sein Bischen Latein, Griechisch und Französisch um ein paar Nägel herunterbringen. Oh ho, das freut mich mehr als eine Flasche Rum. Trotz seiner Dollars und seiner Wechsel möchte doch ich nicht mit ihm tauschen, denn meinen Bruder hat man noch nie vor der Laufplanke erwischt. Und der Kapitän und die Offiziere haben einmal so viel Wesens aus ihm gemacht. Gott verdamme sein glattes Gesicht! Ich habe gute Lust, ihn zu wecken, und ihm Ein's auf's Maul zu geben. Er hat mich mit dem Jüttenblocke niedergeschlagen, weil ich ihm das Mädchen vorrückte, das ertrank, weil es ihm nachschwamm. Dafür will ich Genugthuung haben. Der Kapitän befahl mir, ich solle das Schiff verlassen, weil mich der Schuft zu Boden schlug. Nun – wir werden sehen, wer jetzt zuerst aus dem Schiff beordert wird. Ich habe nie durch Desertion den Tod eines Mädchens veranlaßt. Meiner Seele, ich habe gute Lust, ihn zu wecken und ihm Ein's auf's Maul zu geben. Ich kann diese glatten Gesichter für mein Leben nicht leiden.«

»Nun,« sagte Staines, »Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Rattlin wirklich schläft, sonst würde er Euch Eure Komplimente eintränken, Pigtop.«

»Er? Das möchte ich doch sehen – der Tölpel.«

»Wenn Mr. Rattlin schläft,« fuhr unser Valet de chambre fort, »so kann's nichts schaden; aber man sagt in der Krankenstube, Mr. Rattlin sei nicht er selbst, sondern Josua Daunton sei's, und er sei überhaupt gar Nichts. Freilich meint Gibbons – und der ist doch ein gescheidter Mann – wenn Mr. Rattlin nicht Mr. Rattlin, sondern Josua Daunton Mr. Rattlin sei, so müsse Mr. Rattlin etwas Anderes sein – und er sagte mir im Vertrauen, es sei dann ebenso wahrscheinlich als nicht, daß Mr. Rattlin Josua Daunton sei.«

»Nun, das ist wieder ein Trost. Wenn Mr. Rattlin – ja wohl Mister – sich als einen Betrüger ausweist, wie es zuverlässig kommen wird, so wäre es weder gesetzlich noch recht, noch gebührend, wenn ich ihm das Geld zahlte, das ich ihm schulde,« sagte der gewissenhafte Mr. Pigtop. »Hole der Henker sein glattes Gesicht – ich möchte ihm's wohl ein bischen verderben.«

Das war eine wichtige Kunde, welche mir wohl Anlaß zum Nachdenken gab. Ich beschloß daher, mich so lange ruhig zu verhalten, als sich weitere Nachrichten erholen ließen. Die Unterhaltung – wenn das Gefasel meiner Kameraden eine Unterhaltung genannt werden konnte – nahm jedoch eine andere Richtung, weßhalb ich mein glattes Gesicht langsam erhob, es Mr. Pigtops rauhem gegenüber brachte und mit aller Ruhe zu ihm sagte:

»Mr. Pigtop, ich will jetzt thun, was Ihr so gerne zu sehen wünschtet – ich will Euch Eure Komplimente eintränken.«

» Mir eintränken? Nein, so weit ist's noch nicht gekommen. Ich habe etwas gehört – habe eine Reputation aufrecht erhalten – und darf mich nicht so weit erniedrigen.«

»Da habt Ihr mein glattes Gesicht gerade vor Euch – ich fordere Euch heraus, es zu schlagen – aber Ihr wagt es nicht! Wohlan denn, schnöder Bube, so schlage ich Euch zu Boden.«

Und Pigtop taumelte nieder.

Dies war nun sehr unrecht und sehr unklug von meiner Seite, denn ich muß bekennen, daß er mich früher in einem regelmäßigen Faustkampfe zu überwältigen im Stande war. Immerhin erholte ich aber einen großen Trost daraus, weil ich danach dürstete, meinen gereizten, aufgebrachten Gefühlen Luft zu machen. Wir waren bald in dem Zwischendecke draußen. Oh! der wölfischen Menschennatur – dieser gemeine, rohe Kampf wurde für mich zu einem Hochgenusse. Entschieden fühlte ich damals seine Schläge nicht, und bei jedem gewaltigen Hieb, den ich ihm versetzte, rief ich: »Nimm dies, Daunton!« – oder: »War das gut gezielt, Bruder?«

Hätten wir mit Degen oder Pistolen gegen einander gekämpft, so hätte ich unendlich weniger Lust daran gehabt. Es lag ein wildes Entzücken in dem Akte, daß ich ihn unter mich trat, meine Hände in seinem Blute badete, und sein Gesicht zu Brei zerhämmerte. In unsern schlimmen Leidenschaften sind wir wilde Bestien. Pigtop besaß den Muth, der dem Engländer natürlich ist – er würde damals lieber nicht gekämpft haben; da aber einmal der Anfang gemacht war, so schien er entschlossen zu sein, die Balgerei mannhaft durchzuführen. Die Folge davon war – um mich einer gewöhnlichen und ausdrucksvollen Phrase zu bedienen – daß ich ihn bis auf einen Zoll seines Lebens zerschlug, und dann vor Aerger hätte weinen mögen, weil er mir nicht länger entgegentreten konnte, um sich das Bischen noch vollends zerhämmern zu lassen, das ihm meine Wuth übrig ließ.

Nach Beendigung des Kampfes hatte mein rüstiger Gegner keinen Grund mehr, mich um mein glattes Gesicht zu beneiden.

Von dem Resultate unsers Handgemenges eher entflammt, als gesättigt, warf ich mich, während mein Gegner stöhnend seine Hängematte suchte, mit furchtbar zerbläuten Augen und gedunsenem Gesichte auf die Verschlüsse, und verbrachte daselbst mit sich verzehrendem Herzen eine schlaflose Nacht. Wenn ich für einen Augenblick einnickte, so meinte ich, Josua Daunton in Stücke zerreißen, ihn über Abgründe zu schleudern, oder ihn unter den zackigen Bruchstücken ungeheurer Felsen zu erdrücken. Es war eine Nacht der furchtbarsten Aufregung.

Vor fünfundzwanzig Jahren war eine Balgerei in der Midshipmanskajüte die gewöhnliche Weise, einen Streit zu schlichten oder eine Unbill zu rächen. Man sah darin nichts Ungentlemanisches oder Herabwürdigendes. Damals hielten wir unsere Pistolen und Degen nur für die Feinde bereit, unsere Fäuste aber standen unsern Freunden zu Dienst.

Dies ist nun Alles anders. Ich schildere die Dinge blos, wie sie waren: mögen Christ, Moralist und Gentleman unter einander ausmachen, in welcher Weise derartige Angelegenheiten beigelegt werden sollen.

*

 


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