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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Ralph schildert einen seltenen Charakter – einen edeln und guten Mann. – Er geht ohne Ruthe zum Fischen aus und leidet mehr, als ihm fünfzig Ruthen hätten anthun können; auch ist er nicht sehr erfreut über die Ehre, daß ihm die Sonne auf dem Rücken reitet.

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Es ist nun meine Pflicht, die ich mit größter Freude erfülle, Bericht zu erstatten von dem wahren Wohlwollen, dem rücksichtsvollen Edelmuth und der wohlangewandten Mildthätigkeit einer Familie, die nur auf unserem Boden ihres Gleichen, bessere aber nirgends hat. Von den Häuptern derselben wurde ich mit besonderer Aufmerksamkeit beehrt. Vielleicht dachten sie dabei nie an mein poetisches Talent oder an die wunderbaren Fortschritte, welche ich in den Klassikern und in der Mathematik machte: ihre Güte wurzelte in einem höhern Beweggrunde – in dem Wohlwollen edler Seelen. Sie hatten nämlich gehört, daß ich verlassen war, und ihre Herzen sagten ihnen, daß der Sonnenschein der Liebe doppelt erfreulich sein müsse für den Vernachlässigten, weshalb sie mir denselben in reichem Grade angedeihen ließen. Vielleicht denkt man, daß ich ein rasches Auge für die Mängel und Lächerlichkeiten derjenigen hatte, mit welchen mich der Zufall in Berührung brachte; aber ich kann behaupten, daß ich ebenso empfänglich war für einen edlen Charakter, wie ich denselben namentlich in der Person des Mr. A., des Hauptes der eben erwähnten Familie, kennen lernte. Da die edle Klasse, zu der er gehörte und welcher er zur ersten Zierde gereichte, immer mehr ausartet, so will ich mich bemühen, ein schwaches Bild von einem Manne zu entwerfen, der heutzutage leider nur zu wenige Nachahmer findet und nie und nirgends übertreffen wird. Er war einer von jenen seltenen Kaufmannsfürsten, der sich in Allem fürstlich benahm. Während sein umfassender Geist den Handel einer halben Flotte lenkte, und zu Hause über Hunderte, auswärts aber über Tausende Wohlstand verbreitete, fühlte der Kreis, der ihn umgab, zunächst den wärmenden Einfluß seiner zweckmäßig angebrachten Freigebigkeit, als ob alle die Thatkraft seines gewaltigen Genius sich in den einzigen Punkt koncentrirt hätte, nur die in seiner unmittelbaren Nähe glücklich zu machen. Die Gesellschaft bedurfte seiner und erkannte dieß unverholen an. Wenn ihre Interessen durch eine kurzsichtige Politik beeinträchtigt wurden, rief man ihn zum Verfechter der gekränkten Rechte auf – ein Auftrag, dessen er sich stets auf's Glänzendste entledigte. Er wußte Englands Macht und Größe aus dem Grunde zu würdigen, denn er hatte selbst zur Hebung derselben das Seinige beigetragen, und kannte die der heimischen Insel inwohnenden Kräfte, in denen er sich selbst auch stark fühlte.

Als Senator ließ er seine Stimme in den Berathungsversammlungen der Nation laut werden, und diejenigen, von deren Entscheidungen das Geschick der ganzen Erde abhing, hörten auf seinen Warneruf, demselben als den Eingebungen der Weisheit folgend. Dies ist weder Erdichtung, noch bombastische Lobhudelei. Die Thatsachen, auf welche ich mich beziehe, sind ein Theil unserer Geschichte geworden, und ich würde sie ausführlicher berichten, wenn ich nicht fürchtete, die Bescheidenheit seiner noch lebenden ausgezeichneten Familie zu verletzen. Wie gut kannte er seine eigene Stellung, deren Würde er mit dem mildesten Benehmen zu wahren wußte! Ungeachtet der hohen Beredsamkeit, die er im Parlamente entwickelte, der Achtung, welche er um seiner patriotischen Treue willen von der königlichen Familie genoß, und des Rufes, den er in London seinem unermeßlichen Reichthum verdankte, herrschte doch in seinen Privatkreisen eine gewinnende Einfachheit und Heiterkeit, die mit einemmale den entzückten Gast belehrten: obschon sich im Auslande Ehre und Auszeichnung gewinnen lasse, könne man doch nur am heimischen Herde sein Glück finden – denn hier hatte er den schönsten Beleg dafür, wie selten sich auch ähnliche Proben sonst in unserem Jammerthale finden mögen. Mr. A. war sein Loos gefallen auf's Glänzendste. Seine Gattin gereichte der Familie durch ihre Tugenden zu einer gleichen Zierde. Der Ruhm, den er gewonnen, spiegelte sich sanft an ihr wieder; sie trug ihn mit Würde und erhöhete damit die Ehren, welche er seiner Biederkeit, seinen Talenten und seiner Beredsamkeit verdankte. Zu der Zeit, von welcher ich spreche, war er mit Töchtern gesegnet, die sich schon in ihrer Kindheit durch Talente und Liebenswürdigkeit auszeichneten; dagegen aber auch mit Söhnen geplagt, die voll Wildheit und Schelmerei waren, ohne jedoch des inneren Werthes zu entbehren.

Es ist sogar selten, daß die äußere Persönlichkeit mit den hohen Begabungen des Geistes im Einklang steht, aber Herr A. machte eine glückliche Ausnahme von dieser verdrießlichen Regel. Seine Haltung war in der That würdevoll, seine Gestalt gut gebaut und kräftig, seine Züge fast klassisch regelmäßig. In seinem blühenden Antlitze herrschte der Ausdruck ruhiger Heiterkeit und hohen Verstandes. Kein Zweifel, daß seine Züge der wechselndsten Entfaltung fähig waren; da ich sie jedoch nie anders, als in dem Lichte des Wohlwollens oder in dem Schimmer des Witzes sah, so muß ich Mr. James oder Mr. Frank eintreten lassen, wenn es gilt, die Strenge seines Zürnens oder den Ernst seines Tadels zu schildern.

In der Zeit, von der ich spreche, hatten die zwei ältesten Söhne dieses Gentlemans bereits ihren ersten Schritt in der Welt gethan. Da der Kontinent den Engländern verschlossen war, so machte James eine Tour nach Westindien, und Frank hatte bereits begonnen, unter einem ausgezeichneten Offizier in der Flotte seine Lorbeeren zu ärndten. Die jüngeren Söhne waren meine Schulkameraden. Mr. Frank war zwei oder drei Jahre älter als ich, und da er vor seinem Eintritte in die Flotte nicht mit mir die gleiche Schule besuchte, so traf ich nur in den Ferien mit ihm zusammen, bei welchen Gelegenheiten er mich, ungeachtet meiner Rüstigkeit, im Ballspiel, im Schwimmen und im Fertigen von lateinischen Versen ganz verzweifelt ausstach. Ich tröstete mich jedoch damit, daß ich sagte: »wenn ich älter bin, wird dies anders kommen« – eine Hoffnung, die übrigens unter Null heruntersank, als ich nach seiner Rückkehr von dem ersten Kreuzzuge den in schmucker Uniform prunkenden Offizier zu Gesichte bekam. Er war bereits ein Mann im Dienste des Staats – und ich nichts Anderes, als ein Schulknabe.

Natürlich nahm er mich mit, um den Tag mit ihm zu verbringen – und welch einen Tag! Es war in der Mitte des Sommers, und nur so gut geregelte Treibhäuser, wie Mr. A.'s war, vermochten schon reife Trauben zu liefern. Diese waren uns nur nicht (wie es in der Fabel heißt) zu sauer, und die neidisch sarkastische Bemerkung, »daß sie nur für Tröpfe paßten«, fand bei uns keine Anwendung; denn wir waren der Ansicht, daß sie eine vortreffliche Schnabelweide für Gentlemen seien, obschon ich fürchte, daß Mr. A.'s Nachtisch geraume Zeit nachher seine Verschönerungen mehr von Pomona als von Bacchus borgen mußte. Da stand auch im Hofe ein schöner Maulbeerbaum: – man sagte uns, daß er geschüttelt werden müsse, was wir denn auch weidlich thaten. Wenn er noch existirt, so stehe ich dafür, daß er seitdem nicht wieder so geschüttelt wurde.

Am andern Tage gingen wir auf's Fischen aus. Obgleich körperlich noch nicht ausgewachsen, waren wir doch große Männer im Geiste, und es dünkte uns die höchste Abgeschmacktheit, mit langen Ruthen in der Hand, wie ein paar Tröpfe dazusitzen, bis es den Fischen beliebte, uns eine Visite zu machen. Nein, dafür waren wir viel zu höflich; denn da wir und nicht die Gentlemen von der finnigen Zunft die Bekanntschaft suchten, so hielten wir es für unsere Gentlemanspflicht, mit der Visite den Anfang zu machen. Wir trieben sogar die Etikette noch weiter, und zeigten unsere gute Erziehung darin, daß wir uns Mühe gaben, uns dem Geschmack und den Gewohnheiten derer, die wir zu besuchen im Begriffe waren, anzupassen. »In Rom mußt du es mit der Römer Weise halten,« ist der Inbegriff aller Höflichkeit. Da unsere Freunde gewohnt waren, sich in naturalibus – das heißt hautnackt – zu zeigen, so kleideten wir uns in Adams Tracht und stürzten uns in's Wasser. Unsere Eroberungen unter dem finnigen Geschlechte waren zahlreicher, als die des ersten Modemanns unter der schönen Welt, denn es ging bei uns eimervollweise. Wir trieben unsere Wirthe in die engen Einschnitte der seichteren Stellen, breiteten dann unser Netz aus und hatten das Glück, sie in eine höhere Atmosphäre einzuführen. Der Spaß war so gut, daß wir ihn mehrere Stunden fortsetzten; aber während wir eine Menge Braten vorbereiteten, hatte die Sonne unsere höchst eigenen Leiber zu dem ihren ausersehen. Unsere Rücken – namentlich der meinige – zeigten eine Blase an der andern. Im Wasser und in dem Eifer des Verfolgens achtete ich nicht darauf – wir konnten sogar unsere Trophäen noch recht gut nach Hause tragen – dann aber eilte ich zu Bette. Mein Rücken schälte sich völlig ab und ich machte unfreiwillig Mr. St. Johns Heilprozeß eigentlich mirakelhaft durch. Kein Wunder, daß ich seitdem auch von den leichtesten Spuren, was immer für einer Lungenkrankheit, frei geblieben bin. Meine Tortur brachte mir jedoch zwei gute Dinge ein – Erfahrung und eine neue Haut.

Nachdem ich mich frisch gehäutet hatte (was etwa eine Woche in Anspruch nahm), fand ich, daß mein Leidensgefährte entflohen war. Ich hörte, daß er fast eben so sehr gelitten; da er sich jedoch nicht als einen gemeinen Helden betrachtete, so war er zu mannhaft, um sich zu beklagen, und er ging am nächsten Sonntag schon wieder in die Kirche, während ich noch tief in den Federn stack. Ich vermuthe übrigens stark, daß ein neuer Degen, den er an jenem Tage anstecken durfte, ihn rücksichtslos gegen das Elend seines Rückens machte.

Vierzehn Tage später, am Sonntage, speiste ich bei Mr. A., und natürlich kam bei dieser Gelegenheit auch die Sprache auf unsern Fischzug sammt dessen schmerzlichen Folgen.

»Ihr glaubt also, Master Rattlin,« sagte der würdige Gentleman, »daß Ihr und Frank Euch als vortreffliche Fischer erwiesen habt?«

»Ja, Sir,« versetzte ich; »für die Fischerei will ich einstehen, wenn nur Ihr uns den Gefallen erwiesen hättet, für die Fischer einzustehen!«

»Gut gesagt, mein kleiner Mann!« sagte Mrs. A., mir wohlwollend zulächelnd.

»Ihr seht, Sir, daß ich mit aller Unterwürfigkeit das Verdikt der Dame gewonnen habe, was jedenfalls viel heißen will.«

»Aber ich denke, Ihr habt Eure Haut verloren. War Euer Rücken sehr wund?« fragte mein Wirth ermuthigend.

»Ach Gott – in der That, sehr, Sir. Mrs. Cherfeuil sagte, er habe ausgesehen wie ein frischgehäutetes Beefsteak.«

»Wirklich? Nun, bei Frank war's nicht viel besser,« bemerkte der Senator gegen seine Gattin.

»In der That, nein,« entgegnete Mrs. A.

»Nun gut,« sagte Mr. A. »Ich will Euch nur sagen, Master Ralph – so sehr Ihr Euch auch für einen rüstigen Fischer haltet, so seid doch Ihr und Frank, als ihr in den See gingt, ein paar ächte Johnny Raws Johnny Raw, ein Unerfahrener. Hier ein unübersetzliches Wortspiel. Raw bedeutet unerfahren, aber auch roh (ungekocht) oder wund. gewesen.«

»Ei, Master Rattlin,« versetzte die Dame; »mein Mann behandelt Euch schlimmer, als es die Sonne that: sie sengte Euch doch blos, er aber will Euch gebraten haben.«

»Kein Wunder, Madame, da er mich für roh hält,« versetzte ich.

*

 


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