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Fünftes Kapitel

Ich erhalte meinen ersten Unterricht in der Streitsucht und sauge einen schlimmen Geist ein – lerne lesen aus der Anschauung und mich balgen durch die Uebung – gehe zu einem Soldaten in die Schule. – Ich bin ein guter Knabe und komme gut durch.

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Mit meinem sechsten Lebensjahre hatte sich meine Gesundheit befestigt – ein Umstand, der Joe Branden gar nicht gelegen kam; denn da ich nicht länger ein kränkliches Kind war, das unablässige Aufmerksamkeit und die sorgsamste Abwartung forderte, wurde meinen Pflegeältern angedeutet, daß an den für mich bezahlten Vierteljahrsraten fortan ein bedeutender Abzug stattfinden werde. Brandons Entrüstung überstieg alles Maaß, und er betrachtete sich als einen Mann, dem man schweres Unrecht anthat. Kein Sinekurist, dessen Pension eingezogen wurde, konnte sich ungestümer über die Heiligkeit hergebrachter Rechte auslassen. Sein Zorn machte sich jedoch nicht nur in eitler Deklamation Lust, denn er war nicht der Mann, um es bei bloßen Worten bewenden zu lassen. Er deklamirte eine volle Stunde über die Thorheit seines Weibs, daß sie ihm für so lange Zeit die Mittel zu einer wohlgenährten Faulheit verschafft hatte, drohete, den Balg – darunter keine geringere Person, als mich verstehend – nach dem Armenhause zu bringen, und schloß die Sache dadurch ab, daß er im Hause sein Weib zerprügelte und außer dem Hause sich einen königlichen Rausch antrank.

Dies war die erste Scene, die einen tiefen Eindruck auf mich machte. Trotz meiner Jugend begriff ich doch, daß ich der Grund von der üblen Behandlung meiner Pflegemutter war, die ich zärtlich liebte. Ich legte mich in's Mittel und brachte meinen kleinen Körper zwischen sie und ihren viehischen Unterdrücker. Ich kratzte, trat mit Füßen, schrie und war ganz toll vor Leidenschaft.

In dieser Stunde fachte der Geist des Bösen und des Hasses die ruhigen Kohlen in meinem Herzen zu lichter Flamme an, und der Dämon des Ungestüms hat es seit jener Zeit nur allzuleicht gefunden, seinen Altar aufzurichten, dessen Feuer, wie verzehrend es auch für den Augenblick sein mag, nie von Dauer ist. Von jenem Augenblicke an beginnt mein intellektuelles Dasein. Ich sah meine schluchzende Pflegemutter an, empfand, was Liebe war, und meine Liebe machte sich in einem Strome von Thränen Luft. Ich blickte auf den Tyrannen und fühlte nun zum erstenmale, was es hieß, zu hassen; auch bemühte ich mich, den brennenden Wunsch meines Innern, ihn zu züchtigen, in wilden Geberden und Ausrufungen vertoben zu lassen. Der alte Ford, welcher zugegen gewesen und an dem Streite seinen Spaß gehabt hatte, beglückte mich fortan mit seiner besonderen Gunst; er erklärte, daß ich ganz nach seinem Herzen sei, denn ich habe den Teufel in mir – sagte, ich habe gerade den rechten Geist, um an dem Galgen zu enden – und hoffte, trotz seines Alters, dieses Schauspiel noch zu erleben. Dann bat er den Herrn, er möchte meine kostbare Seele wie einen glühenden Brand aus dem Feuer retten, führte mich in den nächsten Branntweinladen – ließ mich das ekle Gift kosten – sagte mir, ich sei ein kleiner Mann, und man habe Ruhm vom Kampfe – verwies mich auf meine winzigen Fäuste und versicherte, daß nur Feiglinge einen Schlag hinnähmen, ohne ihn zu erwiedern. Eine Lehre wie diese wird nicht wieder vergessen. Ich knirschte mit den Zähnen, ballte meine Hände und sah mich wild nach etwas um, was ich zernichten könnte. Ich war im besten Zuge ein kleiner Tiger zu werden. Von dem, was ich in jenem Augenblicke empfand, kann ich mir leicht die Gefühle vorstellen und sogar halb vergeben, welche in den gekrönten Ungeheuern thätig sind, wenn sie im Blute schwelgen und einen Hochgenuß in den Folterqualen finden, die sie verhängen. Da man in der Jugend ihren schlimmsten Leidenschaften schmeichelt, so werden sie zu einem schrecklichen Werkzeuge der Grausamkeit, dessen Bewältigung nicht in ihrer Macht liegt. Aber dieser Unterricht in der Tigerwildheit hatte, wenn auch kein Antidot, so doch ein Besänftigungsmittel in der zärtlichen Liebe zu meiner Pflegemutter, als ich mich derselben nach meiner Rückkehr in die Arme warf. Seit jenem Tage bin ich oft in heftige Leidenschaftsanfälle ausgebrochen; zum Glück für mich haben sie aber längst aufgehört, eine häufige Erscheinung zu sein.

Am andern Morgen kam Meister Joseph krank und, wenn auch nicht gedemüthigt, so doch fast hülflos nach Hause. Er hatte nun drei eigene Kinder, und die Nothwendigkeit, die Kegelgräben zu meiden, dafür aber in der Sägegrube sich umzuthun, wurde dringend. Trotz aller seiner Rohheit und seiner Laster hatte er mich doch sehr lieb gewonnen, und er lobte sogar meinen Muth, weil ich es gewagt hatte, ihn anzugreifen. Er nahm mich nun nach der Sägegrube mit, erlaubte mir auf den Brettern zu spielen, und theilte mit mir sein al fresco Mittagsmahl, sammt dem Porterkruge. Ich galt stets für seinen ältesten Sohn und wurde von den Nachbarn nicht anders, als Ralph Rattlin Brandon genannt. Ich wußte nichts Anderes und meine Pflegeeltern bewahrten pflichtlich das Geheimniß. In meinem siebenten Jahre begann ich, mich mit den schmutzigen Knirpsen in der Straße zu balgen, welche sich über meine guten Kleider ärgerten. Es ist eine harte Arbeit, vom siebenten Jahre an sich stets fortkämpfen zu müssen. Der alte Ford pflegte mir das Blut von der Nase zu wischen und mit Worten süßer Ermuthigung in Weinessig getränktes Löschpapier auf die Beulen zu kleben, obgleich er stets seine Rede mit der Prophezeihung schloß, sein hoffnungsvolles Pathchen werde doch noch gehangen werden, und er getröste sich der Aussicht, es zu erleben. Freilich bin ich noch nicht ertrunken, obgleich es zuweilen haarscharf zuging; aber der alte Ford ist schon seit dreißig Jahren todt. Da nun ein Theil seiner Prophezeiung nicht in Erfüllung ging, habe ich einige schwache Hoffnung, auch der Erhöhung zu entgehen, auf welche er in dem andern hindeutete.

Um diese Zeit begann ich zu bemerken, daß hin und wieder in langen Zwischenräumen eine Dame einsprach, um mich zu sehen. Sie schien sich ungemein über meine Liebkosungen zu freuen, obgleich sie keine Schwäche blicken ließ. Sie galt als meine Pathe, und das war sie auch zuverlässig. Namentlich forschte sie besonders nach, ob ich auch gehörig reinlich gehalten würde; auch brachte sie mir stets Konfekt, welches unmittelbar nach ihrer Entfernung von mir und den kleinen Vielfräßen, meinen vermeintlichen Brüdern und meiner Schwester, verzehrt wurde.

Außerdem erhielt meine Pflegmutter stets ein Geschenk, welches sie sehr sorgfältig vor ihrem Lehensherrn von der Sägegrube verheimlichte. Ich kann mir übrigens im Ganzen nur vier dieser »Engelsbesuche« in's Gedächtniß rufen: sie konnten wohl Engelsbesuche genannt werden, wenn man die große Schönheit der Dame in Betracht zog. Damals weckte ihre Gestalt und ihr Gesicht in mir eine Vorstellung von den gesegneten Himmelsbewohnern vor der Schöpfung des Menschen, und es ist mir seitdem nie möglich geworden, sie mit etwas Schönerem zu ersetzen. Der Leser wird bald erfahren, wie ich in jenem frühen Alter so gut mit der englischen Sprache bekannt wurde.

In meinem achten Jahre schickte man mich in die Schule. Ich konnte schon vorher lesen, obgleich ich nicht mehr weiß, wie ich dazu gekommen bin. Meine Pflegeeltern waren sehr unwissenschaftliche Leute. Vielleicht lehrte mich's der alte Ford – nun, 's ist eben eines von jenen Geheimnissen, die ich nie zu lösen vermochte, und es nimmt mich Wunder, daß ich eine so wichtige Sache ganz vergessen konnte, während ich mich doch vieler weit untergeordneterer Ereignisse so klar erinnere. Dem war übrigens so. Ich ging zur Schule. Mein Lehrer war ein leichenhaft aussehender, stelzbeiniger vormaliger Soldat und hielt ebenso streng auf Mannszucht, als auf sein ABCbuch.

Ich entsinne mich noch gut des alten Isaaks und seiner großen, schönen, kranichhalsigen Tochter. Die Dirne war so gerade wie ein Pfeil, und doch pflegte sie, sei es aus Koketterie oder aus Eigenheit, in einer ganz sonderbaren Weise die Methodistenkapelle zu besuchen; ihr Grübchenkinn ruhte nämlich aus einem eisernen Reife, und ihre schöngeformten Schultern waren durch Riemen so dicht zurückgeschnürt, daß ihre Schwanenbrust eine fast nur zu üppige Büste bot. Diese Werkzeuge gegen Verkrümmung mit ihrem Scharlachleder also in den Dienst der Schönheit gepreßt, übten eine auffallende und erregende Wirkung auf den Beschauer. Ich habe in meinen reiferen Jahren oft an das Mädchen gedacht, und muß gestehen, daß kein Anzug, den ich je erblickte, der Trägerin ein größeres Interesse verlieh, als jene Riemen und Eisen, welche zu Hause nie getragen wurden. Vielleicht war das Ganze ein Einfall ihres Vaters, der ein alter Soldat war und das Kommando »Augen rechts – richt euch!« zum Motto hatte. Wie dem übrigens sein mag, die Tochter gefiel sich darin. »Augen rechts! – richt euch!« ist für Damen ein ebenso gutes Motto, als für eine Armee – und sie achten sicher wohl danach.

Die wichtigsten Ereignisse, die mein Gedächtniß aus dieser Schulzeit aufbewahrt hat, bestehen darin, daß ich eines Tages meine Aufgabe, die zwei ersten Kapitel des Evangeliums Johannis vollkommen gut auswendig wußte, daß vierzehn Tage vor der Sommervakanz eine ungebackene Stachelbeerpastete sehr augenfällig auf dem Simse des Schulzimmerfensters stand, an der wir am glücklichen Tage des Ferienanbruchs Theil nehmen sollten, und daß jeder Knabe für seinen Antheil an dem gewaltigen Mahle vier Pence zahlen sollte. Wir waren unserer vierzig bis fünfzig. Fast habe ich zu erwähnen vergessen, daß Auftrag erlassen worden war, mich gebührend abzustrafen, wenn ich es verdiene; aber der Schulmeister mochte mir um keinen Preis weh thun oder mich weinen machen. Ich verdiente regelmäßig drei oder viermal des Tages Züchtigung und wurde auch ebenso regelmäßig einmal gestriegelt. Aber diese Strafe – wie trügerisch war sie, und wie sehr bedauerte ich, daß sie nicht kräftiger gehandhabt wurde, als ich die Sache einmal aus dem Fundament kennen lernte! Der alte Isaak hätte nicht zarter zu Werke gehen können, wenn er von der Wange einer Dame eine Fliege abgewehrt hätte. Er brachte mich nie zum Weinen.

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